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^i-
Das Messiasgeheimnis
in den
Evangelien.
Zugleich ein Beitrag zum Verständnis
des Markusevangeliums.
Von
D. W.^Wrede,
o. Professor der ev. Theologie zu Breslau.
Göttin gen
Tandenboed) & Rupred)t
1901.
§ermaiiy
Albert Eichhorn
in Kiel,
meinem Freunde und Lehrer»
Vorwort,
Seit längerer Zeit hat die evangelische Überlieferung
vonJesus als dem Messias mein besonderes Interesse in An-
spruch genommen. Ich könnte auch sagen: die Frage, ob Jesus
sich für den Messias gehalten und ausgegeben hat. Ich brauche
jedoch lieber den andern Ausdruck. Man kann zwar beide
Fragen identifizieren, man kann sie in einem gewissen Sinne aber
auch trennen. Es wäre z. ß. denkbar, dass man die ausge-
sprochen messianischen Data der Evangelien sehr ungünstig be-
urteilte und damit die Frage nach dem Messiasbewusstsein
Jesu doch noch nicht zur Entscheidung brächte. Die Prüfung
der gegebenen Überlieferung ist aber das nächstliegende Thema.
Eins von den mancherlei Problemen, die es umschliesst, findet
der Leser auf den nachfolgenden Blättern behandelt. Weitere
Studien zu dem Gegenstande beabsichtige ich folgen zu lassen.
Mit dem jetzt erörterten Problem hoife ich einige neue Gesichts-
punkte in die Diskussion einzuführen. Denn zur Zeit ist es für
die theologische Forschung nicht vorhanden, und in der Art, wie
ich es versuche, ist es überhaupt noch nicht behandelt worden »).
Ich nenne die Schrift zugleich einen Beitrag zum Ver-
ständnis des Markusevangeliums und lege auf den Nebentitel
immerhin Gewicht. Ursprünglich wollte ich eine besondere Studie
über den Plan des Markus schreiben. Der Inhalt hätte sich
aber zu sehr mit einer Ausführung des Hauptthemas berührt,
als dass die Trennung erspriesslich gewesen wäre. Möchte es
mir nun gelungen sein, die Vereinigung so durchzufiihren, dass
1) Wie weit ich mir bewusst bin, Vorgängrer zu haben, ersieht
man aua Exkurs VII.
VI
alles, was über das Markusevangelium gesagt wird, doch dem
Vei*ständnis des Hauptgedankens zu gute kommt.
Es ist mir in mancher Stunde schmerzlich gewesen, dass
meine Untersuchung so manches antastet, woran gute und fromme
Menschen mit dem Herzen hängen. Ich gedachte alter Freunde^
lieber Zuhörer, bekannter und auch unbekannter Gotteskinder
denen die Schuft vor Augen kommen könnte. Indessen ich
konnte hier nichts ändern. Wir können die Evangelien nicht
anders machen; wir müssen sie nehmen, wie sie sind. Mag man
dämm meine Kiitik radikal nennen, so habe ich nichts dagegen^
Ich halte mich daran, dass die Dinge selbst manchmal am
radikalsten sind, und dass es dann kaum ein Vorwm'f ist, sie
hinzustellen, •wie sie sind. Den Vorwm'f der ; negativen<' Kritik
dagegen lehne ich ab — in dem einzigen, vernünftigen Sinne,
den das Wort haben kann : mein ganzes Bestreben war wenigstens
das sehr positive, ein kleines, aber wie mich dünkt, wichtiges
Stück Vorstellungsgeschichte aufzuhellen, so gut ichs vermochte.
Gegengninden suche ich mich offen zu halten. Dass Vieles
verbesserungsbedürftig sein wird, setze ich ohne Weiteres voraus.
Der allgemeine Einwand freihch, dass die evangehsche Tradition
nicht in dem Masse späteren Datums sein könne, wie ich an-
nehme, wird mich nicht beirren. Die Geschichte lehrt, dass nach
der Niederschrift der fi-ühsten Evangelien noch ausserordentliche
Verändeningen mit dem Bilde Jesu vor sich gegangen sind.
Warum es vorher anders gewesen sein muss, sehe ich nicht ein.
Über den Wert der Überlieferung bei Markus kann es a priori
kein Urteil geben. Denn uns fehlt im Ganzen die Möglichkeit
der Kontrole durch andere Quellen. Es muss daher als möglich
gelteii, dass die älteste, zu beherrschendem Einfluss auf die
Späteren gelangte Schrift, die uns von Jesus erzählt, von der
schon angewachsenen sekundären Tradition sehr viel mehr und
von der guten auch sehr viel weniger aufgefangen hat, als wir
wünschen. Im Übrigen Ts-ill ich nicht ungesagt lassen, dass ich
andern Teilen des Evangelienstoffes, insbesondere den »Sprüchen«
Jesu, wesentlich anders gegenüberstehe als den hier behandelten.
Überhaupt bitte ich die Grenzen zu beachten, die ich mir selbst
in dieser Arbeit gezogen habe. Das Thema führt vielfach auf
weitergreifende Fragen. Nach Möglichkeit bin ich ihnen aus
dem Wege gegangen.
vir
Auf eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit andern
Meinungen hätte ich gern verzichtet. Sie schien aber notwendig,
um den Gegensatz zu der üblichen kritischen Behandlung der
Evangelien, zu dem ich allmälig gelangt bin, auch rein hervor-
ti-eten zu lassen. — Entschuldigung muss ich dafür erbitten,
dass ich eine Reihe bekannterer Werke in älteren Autlagen
zitiert habe, wie sie mir allein zur Hand waren. Für die Sache
kommt Avohl wenig darauf an. Bedauert habe ich jedoch, den
Handcommentar zu den Synoptikern nicht mehr in der Gestalt
benutzen zu können, die ihm jetzt eben von seinem hochver-
ehrten Verfasser gegeben wird. Oscar Holtzmanns Leben Jesu
kam mir leider auch erst zu Gesicht, als meine Schrift bereits
abgeschlossen war. Das Werk vertritt freilich i. G. auch gerade
die Positionen, die ich besonders angegriffen habe. (Vgl. z. B.
S. 54f., 57, 249ff., 273). — Einige Exkurse sind zur Entlastung
der Darstellung beigefügt.
Die zitierten Stellen habe ich sehr reichlich — mitunter
sogar mehrfach — im Wortlaut angeführt. Damit wollte ich
nicht nur der Bequemlichkeit des Lesers dienen, sondern ihn
auch nötigen, sich die Texte zu vergegenwärtigen.
Für wesentliche Unterstützung bei der Korrektur und bei
der Herstellung des Stellenregisters spreche ich Hemi stud.
theol. Wäldern ar Lorenz herzlichen Dank aus.
Breslau, Ende Juni 1901.
V^. ^Vrede.
VIII
Corrigenda.
S. 11 Z. 8 V. 0. 1. 1223 St. 1233.
» 20 Anm. 4 füge hinzu: S. 100.
» 26 letzte Z. 1. Heiltliätigkeit st. Heilsthätigkeit.
» 48 Z. 2 V. u. (Text) 1. denn st. dann.
» 136 Z. 16 V. 0. 1. €QT]!uos.
» 140 Z. 24. V. 0. 1. Taubstumme st. Stumme.
IX
Inhalt.
Seite
Desidcrien zur Leben-Jesu-Forscbung .... 1 — 4
Einleitendes über Thema und Quellen, speziell
Markus O — 8
I. Abschnitt: Markus 9—149
1. Vorläufiges über das Gesamtbild der messia-
nischen Geschichte Jesu 9—22
Herrschende Ansicht vom Verlaufe derselben (nach
Markus) S. 9—12. Kritik dieser Ansicht S. 12
bis 22. Sie liest zuviel zwischen den Zeilen
S. 12 — 15, und hat positive Instanzen (öffent-
liche Wunder (S. 15), 543ff. (S. 16). 2io. is (S.löir.),
327. 2i9f. (S. 19ff.)) ^•eg•en sich S. 15-21. Kein
klares Bild bei Markus S. 21 f.
2. Die Selbstverhüllung des Messias .... 22—81
Die Messiaserkenntiiis der Dämonen .... 23—32
Stellen S. 23. Vorstellung des Erzählers S. 23 f.
Kritik der Berichte: sie sind psychologisch nicht
verständlich S. 26 — 30. Kein historischer Kern,
vielmehr Ausdruck einer Anschauung S. 30—32.
Die Gebote, das Messiasgeheimnis zu wahren 33 — 51
Stellen S. 33 f. Charakter derselben S. 35. Die
exegetisch-kritische Behandlung der Gebote
S.35 — 47. Notwendigkeit einheitlicher Erklärung
S. 36—38. Willkürliche Abschwächung S. 38.
Erklärung aus persönlichen Motiven S. 38f.: aus
pädagogischer Absicht und aus dem Gegensatz
gegen politischen Messianismus S. 39 — 41. Beide
Gesichtspunkte bei Mr. nicht nachweisbar S. 41
bis 46. Ungeschichtlichkeit der Gebote S.47— 51.
Verwandtes. Die Verhüllung durch Rätselrede 51 — 65
Alleinsein Jesu mit Jüngern, Aufsuchen der Ein-
samkeit S. 51 — 53.
Markus über die Parabellehre S. 54 ff. Esoterische
und exoterische Belehrung S. 55. Das uvarri-
gtoj' des Gottesreichs S. 55 — 59. Deutung der
Parabeln für die Jünger, inhaltlich enthalten sie
nichts besonders Geheimes S. 59f. Der Bericht
ungeschichtlich S. 61. Entstehung der Parabel-
theorie S. 62—65.
Der Sinn des Geheimnisses 65 — 81
Das Messiasgeheimnis eine theologische Vorstel-
lung S. 66." Mr. 99 giebt den Schlüssel S. 66-69.
Parallel ist Mr. 42if. 8.69 — 71. Supranaturaler
Charakter der Vorstellung S. 71—80. Taufe Jesu
u. a. Data S. 71 — 73. >Sohn Gottes« supranatu-
raler Begriff (Mr. 146if. 1537ff.) S. 73—76, ebenso
»Messias/ S. 76—78 (Petrusbekenntnis S. 77).
Auch Jesu Lehre ist übernatürlich S. 78 f. Inhalt
des Geheimnisses im Einzelnen (das Leiden Mr.
930) S. 80 f.
3. Die Verborgenheit trotz der Offenbarnng 81 — 114
Die Weissagungen vom Leiden, Sterben und
Aul'ei-stehen Jesu 82 — 92
Stellen S. 82f. Sinn der Weissagungen bei Markus
S. 83—85. Stellung der Kritik S. 85—87. Un-
geschichtlichkeit, Entstehung S. 87—90. Kein
historischer Kern S. 90 — 92.
Die Stellung der Jünger zu den Weissagungen 93 — 101
Sie bleiben ihnen verschlossen: ungeschichtliche
Vorstellung S. 93 -95. Zusammenhang mit dem
»Geheimnis« S. 95f. Dieselbe Vorstellung 10.S2
und 832f. S. 96—101.
Das Vei"ständnis der Jünger überhaupt. Offen-
barung und Geheimnis 101 — 114
Die Jünger des Markus überhaupt blind: Material
S. 101 — 103. Ungeschichtlichkeit der Angaben
(650ff. 8i6ff) S. 104 f. Sinn der Vorstellung (Paral-
lele Barnab. 59i S. 106—108. Kein Fortschritt
der Jüngererkenntnis, keine »Erziehung« S. 108f.
Das Xichtverstehen des Leidens nichts Beson-
deres S. 109 f.
Fortwährende Offenbarungen neben dem Xichtver-
stehen S. 111. Empfänger derselben S. 112. Sinn
des Gedankens S. 112 f. Jünger und Volk S. 113 f.
Zusammenfassung S. 114.
4. Rückblick auf Markus 115 — 149
Das Petrusbekenntnis im Markusevangelium . 115 — 124
Keine Epoche im Leben Jesu S. 115f. Wirklicher
XI
Sinn ö. 117 — 119. Stellung des Bekenntnisses
im Markus (Allgemeines über die Komposition
des Mr.) S. 119-124.
Widersprüche 124—129
Im Allgemeinen S. 124 f. Zwischen öffentlicher
und geheimer Messianität S. 125 f., zwischen l4.5,
736f., 724 und den Verboten 8. 12Ü— 128.
Markus als Schriftsteller 129—145
Auffassung der Kritik S. 129. Markus ohne An-
schauung vom Leben Jesu S. 129 — 131. Folge-
rungen für die Interpretation (Mr. 826, 9 soff.
S. 134) S. 131 — 135. Anschauliehe Ausprägung
des Geheimuisgedankens S. 135 f. — Besprechung
von l32ff., 834 (7 14), 5i9f., 724 S. 137— 142. An-
schaulichkeit S. 142 f. Verwandtschaft mit Jo-
hannes S. 143—145.
Schlussbemerkungen 145 — 149
Markus nicht Erfinder des Geheimnisses : sein An-
teil S. 145 f. Andeutungen über das Mysterium
in der älteren Kritik S. 146f. Das Problem und
die Priorität des Markus S. 148 f.
II. Abschnitt: Die späteren Evangelien .... 150—206
1. Matthaeus und Lukas . 150 — 179
Einleitendes S. 150 f.
Matthaeus 151—163
Verhältnis zu Markus hinsichtlich der geheimen
Messianität S. 151 — 157. Abweichend hinsicht-
lich des Jüngerverständnisses S. 157 — 160. Die
Jünger auch bei Matth. Offenbarungsempfänger
S. 160 — 162. Nicht sowohl geheime als beson-
dere Erkenntnis S. 162f.
Lukas 163-179
Einleitendes S. 164. Belehrung der Jünger nach
der Auferstehung S. 164 — 166. Vorher die
Leidensweissagungen dunkel S. 166 f. Sonst be-
züglich der Verständnislosigkeit anders als Mar-
kus S. 167 ff. Anders auch das Nichtverstehen
des Leidens S. 169 ff. Verhältnis zu Markus hin-
sichtlich der geheimen Messianität: wider-
streitende Eindrücke S. 172 — 178.
Ergebnis für Matthaeus und Lukas S. 178 f.
2. Johannes 179—206
Einleitendes S. 179 — 181. Kückzüge Jesu bei Joh.
XII
Seit&
■bedeutungslos Ö. 181 f. Vorgänge der Geschichte
Jesu den Jüngern erst seit der Auferstehung ver-
ständlich S. 182—185. Abschiedsreden von ent-
sprechender Anschauung beherrscht S. 185 f.
Weizsäckers Auffassung von 16 12. 25 ist abzu-
weisen S. 186—190. Die Zeichnung der Jünger
entspricht den Worten von der künftigen Be-
lehrung S. 190 f. Alles Verhüllte im Evangelium
doch gesagt S. 191 f. Alles noch unverständlich
ö. 192 f. Verschiedene Formen der Vorstellung
S, 193f. Das Erinnern des Geistes S. 195. Das
Kedeu h' nanotuiiag S. 195 — 198. Nichtverstehen
und Missverstehen Jesu bei Andern als den Jün-
gern S. .198—203. Ergebnis S. 203-206.
II!. Abschnitt: Geschichtliche Beleuchtung . . . 206—251
Einleitendes S. 206—209.
1. Das Verbergen der Messianität bis zur Auf-
erstehung 209—229
Gegenstand der Untersuchung S. 209 -- 211.
Der verborgene Messias des Judentums . . . 211 — 213
Justins Angaben Ö. 211 f. Kein Zusammenhang
mit der Markusvorstellung S. 212f.
Der geheime und der zukünftige Messias . . 214—229
(Messias seit der Auferstehung)
Messianität seit der Auferstehung älteste Anschau-
ung, entwickelt sich zu dem Gedanken, dass der
irdische Jesus Messias war (Kommen und
Wiederkommen des Messias) S. 214—218. Ist
eine Anschauung der Gemeinde, Parusieaus-
sagen setzen den christl. Messiasbegriff voraus.
S. 218f. Vorteil und Schwierigkeit »proleptischer«
Auffassung der Messianität durch Jesus S. 219
bis 222. Den Evangelisten ist schon Jesu Erden-
leben messianisch Ö. 222 f. Sind die messiani-
schen Zeugnisse bei Markus proleptisch ge-
meint? S. 223 f.
Die geheime Messianität keine apologetische Idee
S. 224—226, setzt (Nichtwissen von öffentlicher
Messianität Jesu und damit) die künftige Messia-
nität voraus S.226f., ist aus dieser entstanden
S. 228 f.
2. Die Verständnislosigkeit der Jünger vor
der Auferstehung 229 23&
Einleitendes S. 229 f. Eine Parallele die Geistes-
raitteilung an die Jünger S. 231 f. Geistesbeleh-
rung bei Johannes S. 232. Historische Basis der
XIII
Seite
Idee: Erleuchtung durch die Christophanieen
S. 233 f.
Verschiedener, aber verwandter Ursprung beider
Hauptgedanken S. 235.
3. Nochmals Markus und Lukas 235 — 242
Verhältnis des Markus zur ursprünglichen Idee
(Widersprüche) S. 235—237. Stellung des Petrus-
bekenntnisses zwischen beiden Hauptgedanken
S. 237 f. Geschichtlichkeit S. 238 f.
Lukas : Ergänzung des früheren Ergebnisses S. 240
bis 242.
4. Zur weiteren Geschichte der Vorstellungen 242—251
Verschiedene Entwicklung der verschiedenen
Vorstellungen S. 242 f. Justin S. 243. Beleh-
rungen des Auferstandenen in der Gnosis S. 245
bis 248. Besondere Umbildung des Parabelge-
dankens dabei (Pistis Sophia) S. 248—251.
Exkurse :
I. Zum Petrusbekenntnis (B. Weiss und
J. Weiss) 252—254
II. Die das Geheimnis betreffenden Verbote
Jesu in der Auffassung der Kritik und
Exegese 254—260
III. Der Erziehungsgedanke bei Klostermann
und Zahn 260—263
IV. Einige neuere Äusserungen über die Leidens-
und Auferstehungsweissagungen Jesu . 263 — 274
V. Über den Text von Mr. IO32 .... 275—277
VL Zu Mr. IO47. 48 278f.
VIL Vorgänger 279—286
Stellenregister 287—291
Die historische Kritik hat eine überaus mühevolle Arbeit
an den literarischen Quellen der Geschichte Jesu gethan. Und
sie ist sicher nicht unbelohnt geblieben. So wenig alles erledigt
sein mag, die Fortschritte etwa seit dem Leben Jesu von Strauss
sind gross und unverkennbar.
Minder gross erscheint der Gewinn, der für che Haupt-
aufgabe, die historische Verwertung der Quellen, seither zu ver-
zeichnen ist.
Im Einzelnen freihch haben gerade die letzten Jahrzehnte
mit ihren mancherlei frischen Impulsen den wissenschaftlichen
Besitz reichlich gemehrt. So mancher überlieferte Spruch Jesu
ist unserem Verständnis wesentlich näher gerückt, so manche
die Evangelien beherrschende Anschauung ist durch die Er-
kenntnis des geschichtlichen Hintergrundes uns besser erschlossen
worden.
Allein die entscheidenden Fragen bleiben immer die beiden :
was wissen wir vom Leben Jesu? und — auch dies eine Frage
von selbständiger Bedeutung — : was wissen wir von der
Geschichte der ältesten Anschauungen und Vorstellungen vom
Leben Jesu? Man kaim auch beide Fragen in die eine fassen:
wie vollziehen wir in der llberlieferung der Evangelien nach
den zwei Richtungen die Sonderung, wie scheiden wir, was Jesus
zukommt, von dem. was der ältesten Gemeinde angehört?
Tritt man mit diesen Fragen an die neuere Literatur über
das Leben Jesu (im weitesten Sinne) heran, so stellt sich ein
Gefühl der Enttäuschung ein. Näher besehen ist dieser Ein-
druck zu einem Teile die Folge der aussergewöhnlichen Schwierig-
keiten, die dem Gegenstande selber unvermeidhch anhaften; zu
einem Teile darf man ihn der Thatsache zuschreiben, dass die
rein literarische Arl)eit an den Quellen die Vorherrschaft ge-
habt und das Bewusstsein um die letzten und höchsten Auf-
Wrede, Messiasgeheimnis. 1
gaben der Forschung oft in den Hintergrund gedrängt hat; aber
zu einem wesenthchen Teile ist er auch die Folge eines mangel-
haften kritischen Verfahrens.
Es scheint mir namenthch an drei Punkten zu Tage zu treten.
Erstens ist es zwar ein selbstverständlicher Satz für die
gesamte historische Kritik, dass das. was uns wirkhch vorHegt,
nui- die Auffassung eines späteren Erzählers vom Leben Jesu
ist, und dass diese Auffassung nicht identisch ist mit der Sache
selbst. Aber dieser Satz übt eine viel zu geringe Wirkung.
Man erinnert sich seiner in der Regel nur da, wo man sich
durch bestimmte Dinge gestossen fühlt; d. h. im Wesenthchen
1) bei strikt wunderhaften Zügen, 2) bei offenen Widersprüchen
derselben Quelle, 3) wo ein Bericht den andern schlägt. Allein
wo solche Stösse ausbleiben, da fühlt man sich ohne viel Unter-
suchung auf dem Boden des Lebens Jesu selbst, man hält die
Kritik für beendet, wenn man durch Quellenoperationen und
sachliche Reflexionen den ältesten Bericht ermittelt hat.
Das ist keine Klarheit des Prinzips. Das Bewusstsein, dass
ich Darstellungen vor mir habe, deren Autoren spätere — wenn
auch noch so fi-ühe — Christen sind, Christen, die das Leben Jesu
nm' mit den Augen ihrer Zeit ansehen konnten, die es aus dem
Glauben der Gemeinde, mit allen Anschauungen der Gemeinde,
für die Bedürfnisse der Gemeinde beschi'ieben — dies Bewusst-
sein darf mich keinen Augenblick verlassen. Denn ehi sicheres
IVIittel, den Anteil der späteren Auffassung, manchmal einer
Auffassung verschiedener Schichten, bei den Berichten ohne
Weiteres zu bestimmen, giebt es nicht.
Ein Zweites hängt hiermit aufs Engste zusammen. Man
verlässt vorschnell den Boden des evangelischen Be-
richts. Man hat Eile ihn für die Geschichte Jesu selbst zu
verwerten. Um ihn verwerten zu können, schneidet man un-
glaubliche Züge aus und legt den Sinn so zm-echt, dass er
historisch brauchbar ^ird; d. h. man substituiert dem Be-
richte etwas, woran der Schriftsteller nicht gedacht
hat, und giebt dies für seinen geschichtlichen In halt
aus. Die starke Unsicherheit, die mit diesem Verfahi'en gegeben
ist, wird äusserst wenig empfunden, vor allem aber fragt man
nicht danach, 0I5 damit nicht das eigentümliche Leben des Be-
richtes selbst vernichtet wird. Die erste Aufgal^e kann stets nur
sein, die Berichte aus ihrem eigenen Geiste gründlich zu be-
leuchten, zu fragen, was der Erzähler in seiner Zeit seinen Le-
sern sagen wollte, und diese Arbeit muss zu Ende geführt
und zur Grundlage der Kritik gemacht werden.
Drittens kommt die Psychologie in Frage. Ich will hier
keineswegs nur von Forschern reden — es giebt in verschiedenen
Lagern solche — , die bei jeder evangelischen Geschichte eine
so genaue Kenntnis der geschichtlichen Umstände, namentlich
eine solche Litimität mit dem Seelenleben Jesu verraten, dass
man zweifeln möchte, ob man einen Vertrauten Jesu reden hört
oder aber einen Roman liest. Ich denke auch an die zum Glück
zahlreichen Gelehrten, die hierin mehr Takt und Zurückhaltung
beweisen.
Die Psychologie in allen Ehren ! — wenn sie zwischen festen
Punkten die notwendige Verbindung herstellt, oder wenn sie
Pfadfinderdienste leistet, indem sie mit Strenge die Möglich-
keiten und Notwendigkeiten kontroliert, die von sicheren oder
meinetwegen auch gedachten Thatsachen aus vorhanden sind.
Allein sie verliert wissenschaftlich das Überzeugende, wenn die
entscheidenden Punkte selbst nicht festliegen, wenn etwas viel-
leicht Denkbares leichthin als das Wirkliche angeboten wird.
Und dies ist das Gebrechen, auf das hier hinzuweisen ist, ^
beschönigen wir es nicht mit dem edlen Namen der historischen
Phantasie. Die Wissenschaft vom Leben Jesu krankt
an der psychologischen Vermutung, und diese ist eine
Art des historischen Ratens. Deshalb blühen die Geschmacks-
urteile. Die Zahl der willkürlichen psychologischen Interpreta-
tionen von Fakten, Worten, Zusammenhängen der Evangelien
in der Literatur ist Legion. Und es handelt sich nicht blos um
unschädliche Übei-flüssigkeiten. Diese Interpretationen bilden
mit die Grundlage für wichtige Konstruktionen. Und wie oft
glaubt man, die kritische Aufgabe schon damit erledigt zu
haben, dass man auf ein Datum eine psychologische Melodie
erfunden hat!
Ich behaupte keineswegs, dass alle Arbeit in dieser Richtung
ganz ohne Nutzen gewesen ist. Aber es schehit mir dringend
nötig, dass wir hier aus den Subjektivitäten herauskommen. Wir
dürfen Thatsachen erst dann psychologisch verarl)eiten, wenn wir
wissen, dass es Thatsachen sind. Und auch dann noch müssen
1*
wir eine Veniiutung eine Vermutung nennen. Andernfalls wird
das Gefühl abgestumpft, dass es in der AVissenschaft nicht stim-
mungsvolle Schilderungen gilt, die dem Leser Genuss bereiten,
sondern Strenge und Sicherheit des Erkennens, dass wir nach
ihnen wenigstens immer streben müssen, und dass wenige wirk-
liche Erkenntnisse, seien sie nun positiv oder nur »negativ«,
besser sind als eine Menge Schein^vissen. —
Diese Betrachtungen werden dem geneigten und noch mehr
dem ungeneigten Leser etwas anmassend scheinen, da ich nichts
gethan habe, diese Gebrechen dei' Kritik nachzuweisen ; sie wer-
den zwecklos scheinen, so lange ich nicht sage, auf Grund
welcher Beobachtungen ich meine LTrteile ausspreche.
Nun, man verstehe sie als eine Art Motto, das ich den
folgenden Untersuchungen vorsetzen möchte. Diejenigen, die
sie lesen, werden zwar hier lange nicht alles finden, was ich an
Belegen glaube geben zu können, aber sie werden hoffenthch
an einer Reihe von Beispielen sehen, was ich meine, und die-
jenigen, die der Untersuchu]ig im Wesentlichen zustimmen,
werden hoffentlich das Motto bilhgen.
Die Frage nach dem messianischeii Selbstbewusstsein Jesu,
die die heutige Wissenschaft beschäftigt, hegt den evangehschen
Berichterstattern fern, ja sie existiert gar nicht für sie. Von
Anbeginn seines Lebens oder seines Wirkens, von seiner Geburt
oder seiner Taufe an ist Jesus objektiv für sie der Messias.
Damit ist ein entsprechendes Bewusstsein selbstverständhch ge-
geben, aber der Begriif dieses ßewusstseins und seiner Ent-
stehung fehlt; den Begriff seiner Entwicklung voraussetzen hiesse
sogar den Geist dieser Schriftsteller völlig verkennen.
Dagegen bieten uns die Evangelisten gewisse Daten für die
andere Frage: wann Jesus als Messias bekanntgeworden
ist oder sich selbst bekannt gemacht hat. Kann die
Wissenschaft überhaupt von hier aus zu sichern Aussagen über
das messianische Bewusstsein Jesu gelangen, so müsste es offen-
bar auf dem Wege der Bückschlüsse geschehen.
Ich beabsichtige in der folgenden Untersuchung diese An-
gaben nebst dem, was mit ihnen zusammenhängt, einer Prüfung
zu unterziehen. Das ist freilich nur eine sehr vorläufige und
ungenaue Umschreibung meiner Absicht.
Sämtliche vier Evangelien sind dabei zu berühren. Ich
würde die älteren ausserkanonischen Evangelien, von denen wir
einige Fragmente haben, hinzufügen, wenn sich nicht sogleich
sagen liesse, dass sie für das Problem, um das es sich handelt,
nichts Nennenswertes bieten. Die kanonischen Evangelien sind
gesondert zu betrachten. Das ist wichtig.
Mit der grossen Mehrzahl der heutigen Kritiker teile ich
die Ansicht, dass unser oder ein dem unsern äusserst ähnhcher
Markus den beiden andern Synoptikern zu Grunde liegt. Mit
dieser Annahme wage ich freilich nicht jedes literarische Einzel-
problem, das die parallelen Teile der drei Evangelien stellen,
zu lösen, aber die Hauptsache scheint mir trotz des noch immer
6
vorhandenen Widerspruchs so sicher bewiesen, dass man darauf
weiter bauen dai-f^).
Ist die These richtig, und muss das vierte EvaugeHum als
gänzHch sekundäre Darstellung ausser Betracht bleiben, so fällt
natürlich für alle Fi-agen, die die eigentliche Erzählung von
Jesus, insbesondere den Gang und die Entwickelung
seines Lebens betreffen, die ganze Last der Verantwortung
fast allein auf Markus. Der Wert oder Unwert seiner Tra-
dition entscheidet in dieser Beziehung im Wesentlichen über
den Wert oder Unwert der EvangeHentradition überhaupt
Daher muss Markus im Vordergrunde unserer Untersuchung
stehen.
Indessen sind daiiim Matthaeus und Lukas, auch da, wo
sie auf Markus ruhen, nicht wertlos, natürhch auch Johannes
nicht. Das kann nur der meinen, für den die Frage nach der
ältesten Entwickelung der Auffassung vom Leben Jesu hinter
der Frage nach dem wirklichen Le])en Jesu gänzlich ver-
schwindet.
Über das Alter des Markus mache ich keine Voraussetzung.
Von einem Beweise dafür, dass er vor 70 p. Chr. geschrieben
sein müsse, kann bisher nicht die Rede sein. Andrerseits
reichen die üblichen Argumente auch schwerlich aus, ein
späteres Datum wirklich zu sichern. Forscher von wesentHch
gleichen Voraussetzungen m-teilen ja auch bald so, bald so.
Ebenso lasse ich aber auch die Frage nach dem Verhältnis
des Evangehums zu Petnis völlig offen. Bei einer Untersuchung,
wie wii' sie unternehmen, kann eine Einmischung derartiger
Probleme nur schädlich wirken. Alles, was den innern Beftmd
des Evangehums angeht, ist zunächst für sich zu erforschen.
Erst nachher darf man fragen, ob das Ergebnis die Tradition
über die petrinische Grundlage des Evangeliums begünstigt oder
nicht.
Dagegen muss eine andere Voraussetzung allerdings gemacht
werden: dass die Erzählimgen des Markus etwas wesentlich
1) Vgl. Wernles Schrift »Die synoptische Frage« 1899, die den
Ertrag der grundlegenden kritischen Arbeiten in vorzüglich klarer
Darstellung zusammenfasst, dabei auch manche Frage selbständig
fördert, allerdings von einigen Kühnheiten nicht frei ist.
anderes sind als an Ort und Stelle aufgenommene Protokolle
des Lebens Jesu. Das ist ja eine Trivialität. Und es ist doch
keine, wenn man sieht, dass die Kritik von dem theoretisch un-
bestrittenen Satze in praxi wieder meist einen spärlichen Ge-
brauch macht.
Markus hat bestenfalls etwa 30 Jahre nach den Ereignissen
geschrieben, er hat bestenfalls in einem Teile seines Buches
frei wiedergegeben, was ein Augenzeuge von seinen Erinnerungen
lange genug vor der Niederschrift mitgeteilt hatte: der Hinweis
auf die Dublette der Speisungsgeschichten (c. 6 und c. 8) genügt
zum Beweise, dass er ihm nicht überall folgt — wenn er ihm
überhaupt folgt. Jeder, der etwas von menschlicher Tradition
weiss,, muss zugeben, dass selbst bei diesen günstigsten An-
nahmen die Treue und Genauigkeit des einzelnen Berichts
einigermassen unsicher wird. Bemerkt man dagegen, wie die
Kritiker immerfort aus den unscheinbarsten, aller Eigentümlich-
keit haaren Detailzügen, aus der Stellung von Sätzen und
Sätzchen in der Erzählung, aus dem Vorkommen und Fehlen
einzelner Wörter oder Begriffe ganz zuversichtliche Schlüsse
für das Leben Jesu ziehen i), so sollte man an ein Wunder der
Überlieferung glauben.
Viel deutlicher redet hier aber noch eine andere Erwägung,
die wenigstens für alle die zwingend sein muss, die nur ge-
schichtliche Massstäbe für die Evangelienforschung kennen.
Markus hat thatsächlich einen grossen Teil unhistorischer Be-
richte in seinem Evangelium. Was er von der Taufe Jesu,
von der Auferweckung der Jairustochtei', von den wimderbaren
Speisungen, von dem Meerwandeln Jesu, von seiner Verkläning,
von der Unterhaltung des Engels mit den Frauen am Grabe
berichtet, und manches andere sonst, glaubt ihm kein kritischer
Theologe, so wie er es berichtet. Sieht er hinter derartigen
Nachrichten Fakta, so ist er doch gezwungen einzuräumen, dass
sie, sei es nun im Geiste des Markus oder auf andere Weise,
eine sehr starke Umbildung und Entstellung erlebt haben.
Kann diese Erkenntnis für den sonstigen Inhalt des Evan-
geliums ohne Folgen bleiben? Nun, ein wirklicher Verdacht
1) Charakteristische Beispiele bieten z. B. die Verhandlungen
über den »Menschensohn«.
8
gegen konkrete Stücke des Berichts ist hiermit freiHch nicht
begründet und soll auch nicht ausgesprochen sein. Aber sicher
werden wir dui'ch das Evangelium selbst vor einem zu schnellen
Yertrauen kräftig gewarnt und von vornherein zu einer scharfen
Kontrole seines Inhalts herausgefordert. Es ist doch nicht ganz
einerlei, ob man sich dies klär macht, wenn man an das Evan-
gelium herantritt. Eine Dosis Wachsamkeit und Skepsis mit-
biingen heisst nicht einem Vorurteil huldigen, sondern einem
deutHchen Winke des Evangehums folgen.
Erster Abschnitt.
Markus.
Torläuflges über das Oesamtbild der messianischen
Geschichte Jesu,
Bei der Taufe durch Johannes empfängt Jesus den Geist
und erhält von oben her das Zeugnis, er sei Gottes Sohn.
Damit beginnt nach Markus sein messianisches Leben.
Nächst diesem grundlegenden Ereignis ist der entscheidende
Punkt der Ent^^icklung das Bekenntnis seiner Messianität dui'ch
Petrus (8-27 ff.). In der letzten Zeit Jesu, nicht lange bevor er
die entscheidende Wanderung nach Jerusalem antritt, geht so den
Jüngern bei Caesarea Philippi eine Erkenntnis auf, die sie bis-
her nicht gehabt haben. Und auch — in gewissem Sinne —
nicht haben sollten. Denn Jesus hat seine Messiaswürde zu-
nächst absichthch ins Geheimnis gehüllt. Noch bei der Aus-
sendung (6 7 ff.) giebt er den Jungem nicht den Auftrag, ihn als
Messias zu verkündigen, er autorisiert sie vielmehr nur zur Buss-
predigt und zur Dämonenaustreibung.
Indessen haben ihn vor den Jüngern bereits aiidere als
Messias erkannt. Das sind die Dämonischen. Gerade ihnen
gegenüber aber zeigt er, dass er nicht vor der Zeit als Messias
gelten \d\\. Regelmässig verbietet er ihnen, ihn kundzu-
machen. Ein entsprechendes Verbot erhalten aber auch andere
Kranke, da Jesus offenbar besorgt, das Bekanntwerden seiner
Wunderthaten werde ihn nötigen, den Schleier zu lüften.
10
Der Durchbrucli der messiaiiiscben Erkenntnis bei den
Jüngern erscheint somit in der That als eine Epoche im öifent-
lichen Leben Jesu. Dabei wird zugleich deutlich, dass Jesus
AVert darauf legte, die richtige Schätzung seiner Person nicht
aufzudrängen, sondern allmälig von innen reifen zu lassen.
Der Moment des Petrusbekenntnisses hat aber noch eine
andere Bedeutung. Von jetzt ab beginnen {^JQ^aco öidaoy.eiv
831) nämlich die Ankündigungen seines Leidens und Sterbens.
Nach dem Gange seines Lebens und seiner Wirksamkeit hat
Jesus die bittere Notwendigkeit erkannt; so sucht er nun
auch seine Jünger mit dem Gedanken an diese Zukunft ver-
traut zu machen. Geschieht es aber gerade in diesem Augen-
blicke, so ist es, weil er mit der blossen Anerkennung seiner
Messianität nicht zufrieden sein kann, vielmehr die Jünger noch
von einer jüdisch-sinnlichen Art der Messiasvorstellung befreien
muss. Aber eben diese Art der Messiasvorstellung hält die
Jünger wirklich gefangen. Obschon sie den grossen Schritt
von einem anfänglich sehr mangelhaften Verständnis Jesu (z. B.
4 13. 41, 652) zur Erkenntnis seines jnessianischen Berufs gethan
haben, vermögen sie sich doch nur sehr langsam in den neuen
Gedanken eines leidenden und sterbenden Messias zu linden.
Dem Volke gegenüber hält Jesus auch jetzt noch an seinem
Geheimnis fest. Unmittelbar nach dem Petrusbekenntnis schäi-ffc
er das alte Verbot abermals ein (830), und nach der Verklärung-
wehrt er seinen Vertrauten wiederum die Mittheilung dessen,
was sie geschaut haben (99). Indessen schon vor der Szene von
Caesarea Philippi hatte der wachsende Ruf des Wunderthäters
allerlei Urteile beim Volke hervorgerufen, die von einer liöheren
Schätzung zeugten (6i4f.). So konnte auf die Dauer das Ge-
heinmis nicht im engen Kreise bewahrt bleiben. Schon in
Jericho begrüsst ihn ein BHnder mit der messianischen Anrede
(IO47). Beim Einzüge in Jerusalem (lliff.) feiert ihn dann das
Volk als den verheissenen messianischen König. Und jetzt
nimmt er diese Huldigung an. Endlich bekennt er sich selbst
vor dem Hohenpriester in der feierlichsten und ausdrücklichsten
Weise als Messias (146if.). Über seinem Kreuze steht die In-
schrift: »der König der Juden« (1526). - ^
Dies etwa ist das Bild des messianischen Lebens Jesu, das
11
die hen-schende kritische Ansicht im Markusevangehuiu ge-
zeichnet findet!), das eben darum den besten Ausgangspunkt
für unsere Untersuchung bildet.
Gewonnen wurde das Bild zunächst bei einem Vergleiche
des Markus mit Matthaeus. Einige Seiten von Ritschi i^) haben
hier besonderen Eindruck gemacht. Es ergab sich, dass Mat-
thaeus bereits vor dem Petrusbekenntnis mehrfach von öffent-
licher messianischer Anerkennung Jesu redet (927, (1233), 1522,
vgl. 1433), gleichwohl aber das Bekenntnis als eine Offenbarung
hinstellt; ferner, dass er das Verbot Jesu ihn kundzumachen
teils auslässt, da es für seine Gesamtanschauung wertlos ist,
teils, wo er es beibehält, an grosse Volksmengen ergehen lässt
(84, 12i5. lu), also zur Sinnlosigkeit macht. D.h. es ergab sich,
dass er eine planvolle und organisierte Darstellung verkannt und
gestört hat, eben damit aber, dass Markus, der sie bietet, der
ältere ist.
Allein man ging dann sofort einen grossen Schritt weiter:
in der Darstellung des Markus fand man — vielleicht unter
Abstrichen im Einzelnen — den geschichtlichen Verlauf selbst.
Und hat sie nicht in der That ihr Siegel an der innern
Geschlossenheit des Ganzen? Kommt nicht durch diese zen-
trale Stellung des Petrusbekenntnisses erst Leben in die Ereig-
1) Es sei hier u. a. auf folgende Darstellungen verwiesen: Weisse,
Die evangel. Geschiebte (1838), I, bes. S. 529 f., Wilke, Der Urevan-
gelist (1838), S. 630 ff., Ritscbl, Über den gegenwärtigen Stand der
Kritik der synopt. Evangelien, Tübinger theol. Jahrbb. 1851, bes. S. 513ff.,
H. Holtzmann, Die synopt. Evangelien (1863), bes. S. 431 ff., 484f.,
wesentlich identisch mit der Darstellung in der Einleitung in das N.T.'^
S. 367 ff. und der gleichlautenden im Handkommentar I (Einleitung zu
den synopt. Evang.), ferner Lehrb. der neutestamentl. Theologie I S. 234
—304, Weizsäcker, Untersuchungen über die evangel. Geschichte
(1864), bes. S. 108 ff., 468 ff., Wendt, Lehre Jesu I S. 3 ff., Balden-
sperger, Das Selbstbewusstsein Jesu 2. Vgl. auch die Andeutungen
bei Schürer, Theol. Lit.-Ztg. 1892, col. 646, bei Wernle S. 196 f.
und bei Wellhausen, Skizzen und Vorarbeiten VI, S. 202 ff., bes. 211.
In dem Hauptpunkte, dem Gedanken, dass das Petrusbekenntnis plan-
mässig als erste Erkenntnis der Würde und des Wesens Jesu hinge-
stellt werde, gehört auch Hilgenfeld hierher (Das Markusevang.
(1850), S. 56, 119, Die Evangelien (1854), S. 137 f.), trotzdem er den Mat-
thaeus dem Markus voranstellt, ebenso Strauss.
2) S. d. vorige Anm.
12
nisse der Geschichte Jesu? Jesus selbst, die Jünger, das Volk
im Verhältnis zu ihm — alles zeigt Bewegung mid Fortschritt.
Das stärkste Bollwerk aber liegt für diese Auffassung in der
Darstellung des Petrusbekenntnisses selbst. Man hat die Szene
anders verstanden '). Petms soll nur einen längst vorhandenen
Glauben an Jesu Messianität neu bekräftigt haben, die Jünger
thun im Gegensatz zum Volke, das sich von ihm abwendet, das
Gelöbnis, an ihm festzuhalten. Aber da scheint doch das er-
neute Verbot nach dem Bekenntnis (830, 99) scharf zu prote-
stieren. Und ebenso deutlich scheint die enge Verknüpfimg
von Leidensweissagung und Bekenntnis sowie die schnelle An-
reihung der VerkläiTuig der Bekenntnisszene den Charakter
eines epochemachenden Ereignisses aufzuprägen. Ja selbst der
Zusatz des Matthaeus, dass Jesus das Bekenntnis als götthche
Offenbarung feiert und den Sprecher selig preist, klingt ganz
nach einer üben-aschenden Erleuchtung. So scheint denn schon
diese Szene allein, soll sie bleiben, was sie ist, den starken Be-
weis in sich selbst zu tragen, dass Jesus erst kurz vor seinem
Zuge nach Jerusalem als Messias offenbar geworden ist 2).
Trotz alledem hält der Eindruck, dass bei Markus eine
innerhch folgerichtige und geschichthch verständliche Gesamt-
auffassung vorHege, nur so lange vor, als ynr ^nchtige Gegen-
instanzen ignorieren.
Solche dürfen freilich nicht von aussen her genommen
werden, von fertigen Meinungen über das Leben Jesu oder
von andern Quellen. Sonst verwirrt man die Fragen. Es
kommt nur auf die Auffassung des Markus selbst an, auf eine*.
Kritik nach dem, was in ihm liegt.
Eine Vorfrage bedarf hier jedoch der Klai-stellung. Hat
Markus die gedachte Entwicklung im messianischen Leben Jesu
darstellen wollen, oder hat er sie unbewusst und dennoch treth-
1) z. B. B. Weiss, Leben Jesu ^ II, S. 264 ff., auch Del ff, Gesch.
des Kabbi J. von Nazareth (1889), S. 125, in andrer Art J. Weiss, Die
Nachfolge Christi, S. 31 ff. (vgl. Exkurs I).
2) Das haben selbst solche Forscher in ihrer Weise anerkannt,
die von ihren Prämissen aus Bedenken hegen müssten. S. Ewald,
Gesch. Christus' und seiner Zeit (1855), S. 328, 336. Keim, Gesch. Jesu
von Nazara 11. S. 545 ff.
13
beschrieben? Einer Meinung wird man hier folgen müssen..
AVelche Bedeutung die Frage im Vergleich mit andern In-
teressen für Markus hatte, mag zweifelhaft bleiben. Aber man
kann nicht annehmen, dass er im Ganzen vom Anfang bis zum
Ende seines Werkes eine solche Ent^\^cklung mit Bewusstsein
darstellte, und dann doch alle Augenblicke von diesem Be-
Avusstsein wieder verlassen werden konnte.
Manche Kritiker haben nun ausdrücklich von der Absicht
des Markus gesprochen '). Wichtiger ist, dass dies von ihi-era
Standpunkte aus durchaus sachgemäss, ja notwendig ist.
Ein Markus, der blind in einer Fülle von einzelnen Mo-
menten einen innern Fortschritt der Geschichte gezeichnet hätte,,
ist nicht wohl vorzustellen. Der Zufall müsste da gewaltet und
jedes an seinen Ort geschüttelt haben, und der kann soviel nicht
leisten. Gerade wenn wir — nach der durchgängigen Voraus-
setzung der Kritik — annehmen, dass Markus das Beste, was
er bietet, aus Erinnerungen an Vorträge des Petrus oder Ge-
spräche mit ihm schöpfte, d. h. dass er die Ordnung seiner Dar-
stellung zum grossen Teile selber schuf, wäre es ganz unbe-
greiflich, dass er bei der Niederschrift seiner Erzählung eine so
in sich zusammenstimmende Gruppierung zahlreicher Einzelheiten
von ungefähr getroffen hätte.
Unter dieser Voraussetzung lässt sich nun aber allerdings
Erhebliches gegen die dem Markus zugeschriebene Auflassung
des messianischen Geschichts Verlaufs einwenden.
Zuerst ist klar, dass eine Menge Dinge zwischen den Zeilen
des Markus gelesen werden müssen, wenn man eine wirklich
verständliche Ent^vicklung in ihm nachweisen will.
Weshalb verbietet Jesus fortwährend, von seiner messianischen
AVürde und von seinen Wunderthaten zu sprechen? Weshalb
schweigt er gegenüber den Jüngern? Das Motiv: er will sie
von innen heraus die rechte Stellung zu ihm gewinnen lassen,
ist nicht angedeutet und versteht sich nicht von selbst. AVeshalb
1) z. B. Ei t sohl S. 515, Wen dt S. 3: »Man kann über die ge-
schichtliche Richtigkoit der Anschaiuniff (des Markus) streiten, man
kann aber nicht leugnen, dass sie bei M. wirklich vorhanden ist und
von ihm mit Geflissentlichkeit zur Geltung gebracht wird«.
14
soll dem Volke gegenüber auch nach dem Ereignis bei Caesarea
Philippi das Geheimnis gehütet werden? Markus schweigt.
Ebenso müssen wir erraten, dass Jesus auf sein Leiden hin-
weist, um den messianischen Glauben der Jünger von jüdischen
Schlacken zu reinigen. Würde man nicht gelegentlich eine An-
deutung solcher Motive erwarten? Giebt der Erzähler nicht
sonst Erläuterungen, ^^ie die, dass Jesus die Gedanken seiner
Gegner durchschaute, oder dass er die Jünger wählte, damit sie
in seiner Begleitung seien und er sie aussende (3 u), oder dass
Pilatus den Neid der Hohenpriester erkannte (15 lo), von Er-
klärungen wie Tsff. (über die jüdischen Waschungen) zu
schweigen ?
Noch empfindhcher ist. dass eine Verbindung zwischen ge-
wissen Momenten fehlt, wo sie recht nötig wäre. Nach der
zweiten Speisung scheinen die Jünger entfernter vom Verständnis
Jesu denn je; denn sie missdeuten sein Wort vom Saueii^ige
der Pharisäer gröblich und haben aus den Speisungen keine
Lehre gezogen (Siöff.). Wie kommen sie nun dazu, bald nach-
her, ganz überraschend diese grosse Erkenntnis zu gewinnen
(827 ff.)? Diese Kluft ist natürhch längst aufgefallen. Ob die
Erkenntnis nmi vorbereitet war oder blitzartig kam —
bei einem Erzähler, der etwas von der Bedeutung dieses
Wechsels fühlt, wäre eine Andeutung am Platze. Denn Markus
ist doch nicht blos ein trockener Chronist. Oder schreibt er
nichts, weil er nur sagt, was er genau weiss ? Hat er denn
über diesen wichtigsten Zeitpunkt von seinem Lehrer so wenig
erfahren? Oder sollen wir die Speisungsgeschichte samt dem
folgenden Missverständnis als unhistorisch streichen? Damit
wäre leider gar nichts gewonnen für die Frage, ^\^e Markus
sich die Sache gedacht hat. -^
Ferner: wie kommt plötzlich der Blinde von Jericho zur
Erkenntnis des Davidssohnes? Wie gelangte das Geheimnis über
den Jüngerkreis hinaus? Wie kann ihn gleich nachher die
Menge beim Einzüge als Messias begrüssen? Die Anrede des
Blinden scheint allerdings als bedeutungsvoll markiert zu sein,
wenn erzählt wird, dass > viele < — von den Jüngern oder vom
begleitenden Volke? (10 46) — ihn bedräuten, er möge schweigen,
aber dadurch wird nicht klarer, woher seine Messiaserkenntnis
stammt, und ob Markus mit jener Bemerkung wirklich sagen
15
will: jetzt beginnt die öffentliche Messianität, ist noch sehr die
Frage. Warum sagt er es denn nicht ? Er bemerkt doch
6 14, dass Jesu Name bekannt wurde. Die messianische
Huldigung beim Einzüge aber ist bei Markus eine ganz isolierte
Geschichte. Wie sie keine Folgen hat, so ist sie auch in keiner
Weise verständlich vorbereitet.*) Das Bekanntwerden der
Messianität Jesu bleibt also undurchsichtig — wenn man nicht
von Neuem beginnt zwischen den Zeilen zu lesen. Schon diese
Punkte machen bedenklich. Nach einer absichtlichen
Berichterstattung über die messianische Entwicke-
lung sieht die Erzählung nicht aus.
Zum Negativen aber kommt Positives. Ich hebe folgende
Punkte hervor^).
1) Wenn Jesus den Kranken — von den Besessenen sehe
ich liier ab — wiederholt befiehlt, die Heilung geheimzuhalten,
so verrichtet er doch seine Wunder häufig in voller Öffentlichkeit.
Darin liegt ein innerer Widerspruch der Darstellung des Markus,
wenn anders jenen Geboten ein einheitlicher Gedanke zu Grunde
liegt. Setzten die öffentlichen Heilungen an einem bestimmten
Momente ein, wo diese Gebote aufhören, so könnte man von
einer durch die Umstände hervorgerufenen neuen Praxis Jesu
sprechen. In Wahrheit haben wir mindestens bereits 2iff. eine
Heilung vor aller Augen, das geheime Wunder kehrt aber
noch 043, ja noch 7 so und 820 wieder. Man muss besondere
Gründe ausklügeln, weshalb der Wunderthäter hier so, dort
anders verfährt^).
Der Thatbestand lässt sich auch so ausdrücken : durch die
Öffentlichkeit vieler Wunder werden die späteren Verbote nach
Wunderthaten zwecklos. Zwecklos erscheinen sie aber noch um
eines zweiten Grundes willen: die Geheilten kehren sich ja nicht
an das Verbot (I45 , 7.% f. vgl. 5 19 f.)*). »Je mehr er verbot, desto
mehr breiteten sie es aus." Nach Markus müsste man hinzu-
1) Ähnlich auch B. Weiss. Leben Jesu II, S. 2G6.
2) Einiges Verwandte bei B. Weiss, II, 8.2(55 (doch s. Exkurs I),
ferner bei Delff S. 124.
3) Die Stelle 5i9f. bleibe hier ganz bei Seite.
4) Auch allgemeine Bemerkungen über das Aufsehen, das Jesu
Wunder erregten, wie las, Gsiff. gehören hierher.
16
setzen: je mehr sie es ausbreiteten, um so mehr verbot er es.
Das kHngt weniger sinnvoll.
Dieser Punkt scheint nun fi'eilich mehr die objektive Denk-
l)arkeit des von Markus gebotenen Zusammenhanges als das
Bewusstsein des Markus zu berühren. Man sagt vielleicht:
Markus hat es gar nicht gemerkt, dass seine Vorstellung vom
späten Bekanntwerden des Messias hier bedroht ist, er hat die
Konsequenz seiner Darstellung nicht gezogen. Deshalb folgt
nicht, dass er überhaupt keine Vorstellung von der fraglichen
Entwickelung hatte. Allein diese Auskunft genügt schwerlich.
Denn nichts liegt näher, als dass Markus die AVunderthaten als
Aussermigen des Messias verstanden hat. Ich komme darauf
später zurück.
2) Bei der Auferweckung der Tochter des Jaiiiis (öäjff.)
steht die Zuziehung der drei Vertrauten sichtlich in engster Be-
ziehung zum Verbote. Die Menge soll das Wunder nicht er-
fahren, die Vertrauten dürfen es wissen. Beftirchtete nun Jesus,
dass seine Wunder, auf den Markt gebracht, zu Verrätern seiner
Würde werden könnten, so hat er offenbar seinen Vertrauten
diese Erkenntnis damals nicht vorenthalten wollen, ja selbst das
Möglichste gethan, sie hervorzurufen. Wie stimmt das mit der
üblicheri Meinung, dass Jesus sich vor dem Petrusbekenntnis
auch den Jüngern nicht offenbart und nur durch seine Erziehung
ihre Erkenntnis vorbereitet ? Diese Frage hätte sich auch
Markus stellen dürfen, wenn er überhaupt die Meinung hatte,
die man ihm zuschiebt. Doch wichtiger ist Anderes.
3) Es ist den Kritikern natürlich nicht entgangen, dass
die Stellen 2io und 228 ihrer Auffassung ungünstig sind. Jesus
nennt sich hier den »Menschen söhn« und allem Anschein nach
macht er hohe Aussagen von sich. Denn er beansprucht das
Recht Sünden zu vergeben und die freie Gewalt über das
Sabbatgebot. Bedeutet der »Menschensohn den Messias, so hat
sich Jesus nach Markus längst vor dem Petiiisbekenntnis als
solchen bezeichnet, und zwar in voller Öffentlichkeit.
Es ist interessant, -wie die Kritik sich dieser Folgerung entzieht.
Man sagt»), der Abschnitt 2i — 3g enthält deutliche Spuren
einer Sachordnung, er ist also chronologisch unbrauchbar.
1) Z. B. Holtznianii HC^, S. «4, BaldensporKor S. 17Hf., 252f.
17
Folglich wild Markus hier eine chronologische Versetzung vor-
genommen haben, der Titel »Menschensohn« ist antezipierend
gebraucht. Die Stellen stehen also mit der späten Messias-
erkenntnis der Jünger nicht im Widerspi-uch.
In dieser Deduktion steckt leider ein Fehler. Es handle
sich hier immerhin um Sachordnung, die Gründe dafür sind
plausibel»). Das ist eine schätzenswerte Erkenntnis für unser
Urteil über die Chronologie des Markus, aber was soll es für
die Auffassung des Markus selbst beweisen? J3ie Thatsache
bleibt, dass Markus diese Perikopen an einer bestimmten Stelle
seiner fortschreitenden Erzählung eingereiht hat. Folglich ist
damit nichts erklärt, dnss man die beiden Stellen »erratische
Blöcke« nennt. Erratische Blöcke dieser Art sind eben sehr
schlimm für Markus, d. h. für den Pragmatismus, den man in ihm
findet. Alles ist in Ordnung, wenn der Erzähler von dem ge-
schichtlichen Fortschritt, den er schildern soll, selbst nichts
mehr weiss. Ist diese Voraussetzung unmöglich, so wird es un-
verständlich, dass er Daten bringt, die das nackte Gegenteil
seiner Gesamtanschauung enthalten, und man darf nicht sagen,
solche kleine Ausnahmen bedeuteten nicht viel. Was hinderte
denn Markus, der alles so vortrefflich gestellt haben soll, die
Stellen anderswo zu bringen oder an ihrer jetzigen Stelle den
»Menschensohn« zu unterdrücken? Nur in einem Falle wäre
vielleicht ein psychologisches Verständnis möglich : wenn Markus
hier einer Quelle nachschriebe. Worauf gründen wir aber
eine solche Hypothese?
Ganz das Gleiche gilt gegen eine zweite Erklärung. Nach
der neueren (übrigens ja schon alten) Auffassung soll der
Menschensohn an den beiden Stellen ursprünglich einfach den
Menschen (barnascha) bedeuten. Nun, dann sind sie natürhch
nicht mehr Beweise für einen früheren Gebrauch des messiani-
schen Namens durch Jesus^). Allein dies Urteil kommt zu
1) Gutes z. B. bei B. Weiss, das Markusevaiii^elium und seine
synopt. Parallelen (1H72) S. 22, L. J. I, S. 4(5 und selion bei Hilgenfeld,
die Evangelien, S. 130.
2) Holtzniann, Neutest. Theol. I, S. 256, 263 f. W(> 1 1 h au sen,
S. 203. Hier heisst es: »Da also an diesen beiden Stellen der Ausdruck
barnascha nur durch falsche Deutung specifijsiert ist, so kommt <ler-
W r e d 0 , Mossiaspfehoimiiis. o
18
früh. Auf Markus, nicht auf Jesus kommt es zunächst an.
Der ursprüngliche Sinn der Stelle ist hier durchaus gleichgiltig.
Fest steht das Eine, dass Markus hier vom »Menschensohn« im
gleichen Sinne spricht wie überall. Die Schwierigkeit bleibt
demnach dieselbe wie vorher.
Aber ein anderer Weg bleibt noch offen. War der Titel
Menschensohn eine zunächst rätselhafte und absichtsvoll rätsel-
hafte Selbstbezeichnung Jesu, so konnte er ihn von Anfang an
gebrauchen 1). Diese beliebte Meinung kann hier nicht neben-
bei geprüft werden. Wir brauchen aber auch hier nur zu fragen,
wie Markus sich die Sache denkt. Ich wüsste nicht, was bei
ihm auf diese Auffassung hindeutet. Nirgends auch nur eine
Notiz, die uns sagt, dass man ob dieses Namens stutzig wurde,
ihn nicht verstand , oder dass Jesus ihn in bestimmter Absicht
wählte. Der Leser empfängt aus dem Evangelium, wenn er es
ohne eine Theorie betrachtet, nui' den Eindi-uck, dass Jesus sich
im Anfange als den Menschensohn bezeichnet, und dass er
später — häufiger — dasselbe thut, vor den Jüngern, aber auch
vor den Gegnern. In den späteren Fällen kann die Tendenz
sein Wesen zu verhüllen jedenfalls nicht mehr von Markus vor-
ausgesetzt sein. Sollen wir zu der Vermutung greifen, dass
Jesus — und zwar wieder in der Vorstellung des Markus ! — ,
nachdem er sein Wesen offenbart hatte, aus andern Gründen den
Namen beibehielt, dass der Name vom Petrusbekenntnisse an
also einen anderen Klang hat? Das mag denkbar sein, aber
offenbar geraten wir hiermit auf Trie.bsand.
Ich behaupte nicht, dass ich bewiesen habe, Mr. 2 10.28 sei
unvereinbar mit dem vorausgesetzten Plane des Schriftstellers —
es könnte ja noch weitere Möghchkeiten geben, z. B. die, dass
Markus den Titel 0 viog coc av^qcncov eigenthch nicht mehr
als messianischen Namen empfindet. Es genügt mir der Nachweis,
dass die Kritik noch keine Erklärung geboten hat, durch die die
Stellen sich mit ihi'er Auffassung einleuchtend vereinigen. Und
ihr hegt in diesem Falle die Pflicht des Beweises ob.
selbe als Selbstbezeichnung Jesu bei Markus (!) vor dem Petrus-
bekenntnis überhaupt nicht vor«. Vgl. auch S. 206.
1) Z. B. Hol tz mann, Synopt. Evang. S. 493, Weizsäcker,
S. 429 ff.
19
Nicht einmal die Beobachtung ist von Bedeutung, dass —
abgesehen von 2 10.28 — der Gebrauch des Namens Menschen-
sohn als Messiastitel sofort mit der Messiasproklamation (827)
beginne 1). Die Thatsache, dass der Terminus zwischen 228 und
827 nicht vorkommt, kann sehr wohl zufällig, u. a, durch die
Natur der Erzählungsstoffe bedingt sein. Zwischen 10 45 und
1326 fehlt er ebenfalls.
Übrigens kommt uns ein weiteres Wort zu Hilfe. Jesus
sagt 827:
Niemand vermag in das Haus des Starken einzu-
dringen und seine Werkzeuge zu rauben, er habe denn
den Starken zuvor gebunden, alsdann mag er sein Haus
plündern.
Dies Wort hat für Markus den ganz bestimmten Sinn, dass
Jesus den »Starken« d. h. den Satan selbst überwunden hat,
daran lässt sich nicht zweifeln. Ein messianischer Titel hegt
hier nicht vor. Aber hat der Evangelist, wenn er Jesus so
reden lässt, ihm eine weniger starke Selbstaussage zuschreiben
wollen, als in dem Gebrauch eines messianischen Namens läge?
Hat er etwa, weil es auch sonst Exorcisten gab, gedacht, dass
noch andere als der Messias den Satan überwältigen könnten?
Gewiss ist, dass nach seiner ganzen Schrift Jesus sich auf Erden
gerade damit ganz besonders als Messias ausweist, dass er das
Dämonenreich und seinen Fürsten bekriegt und überwindet.
Auch diese Stelle steht vor 827.
4) Ganz Ahnhches gilt von dem »Bräutigam« 2 19. 20. Für
Markus ist das notwendig ein Name von messianischem Klange.
Diese Stelle ist jedoch in andrer Hinsicht noch wichtiger.
Solange die Brautführer den Bräutigam bei sich haben,
können sie nicht fasten. Es werden aber Tage
kommen, da der Bräutigam von ihnen genommen wird,
und dann werden sie ftisten an jenem Tage.
Das ist eine Leidensweissagung, nicht, wie man immer
wieder lesen muss, eine »Ahnung« oder »leise Andeutung« 2),
1) Holtzmann, Neutest. Theol. I, S.249}'., Brückner, Jesus »des
Menschen Öohu«, Jahrbb. f. prot. Theol. 1886, ö. 267. Auch Wellhausen,
Israelitische und jüdische Geschichte ^ (1901), .S.387. legt darauf Gewicht.
2) Z. B. Titius, Jesu Lehre vom Eeiche Gottes (Neutest. Lehre
V. d. Seligkeit I), S. 17. \
2*
20
sondern eine Weissagung in aller Form. Eine solche darf
Markus schon wegen des Petrusbekenntnisses an so früher Stelle
nicht bringen, erst recht nicht, wenn die Leidensverkündigungen
erst mit Ssi einsetzen sollen. Daher hier abermals der Vorschlag
der chronologischen Verschiebung, die Ermittelung eines älteren,
unbedenklichen Sinnes, ausserdem die kritische Beseitigung des
Wortes^). Alles vielleicht mögliche Gedanken, wenn es sich
nur um die einzelne Stelle handelt, dagegen Vei"stösse gegen die
eigene Voraussetzung -wie zuvor, wenn es auf die Vorstellung
des Markus vom Geschichtsverlaufe ankommt.
Indessen diese früheste Weissagung ist noch »dimkel«^).
Folgt das daraus, dass Jesus ein Bild gebraucht? Jedes Kind
versteht, dass Jesus von sich selbst und von seinem Tode spricht.
Denkt man sich das Wort wirklich gesprochen, so war es auch
für die Hörer nach dem Zusammenhange der Rede kaum
dunkler als irgend eine andere Weissagung. Warum soll denn
Markus hier an ein besonders geheimnisvolles Wort denken?
Seine Parabelauffassung (4iif.) nötigt ihn gewiss nicht dazu.
Freilich 832 bemerkt er, dass Jesus nach dem Petruswort »frei
heraus« (TtaoQrjaia) sein Leiden ankündigte. Aber muss das
im Gegensatze zu 2 19 f. gemeint sein? 5^) Dieser Text enthält
keine Andeutung, dass Jesus nicht verstanden wm'de; und das
TtaQQTjoia wird sich in andrer Weise befriedigend erklären*).
Dazu kommt noch eins. Markus hat gar nicht ausgesprochen,
dass Jesus erst damals begonnen habe, den Leidensweg zu
enthüllen. Matthaeus hat freilich den Markus so verstanden,
das zeigt sein cctiÖ ror« r^Q^aro öer/ivveiv 1621^). Aber
Matthaeus kann für Markus hier nicht massgebend sein. Markus
1) S. u. a. Weizsäcker S. 475, Holtzmann HC z. St., auch
Keim II S. 364, 561, B. Weiss, L. J. II S. 279. In den Erklärungen
bemerkt man vielfach Schwanken und Unsicherheit. — Jülichers
Methode (G'ieichnisreden Jesu II, S. 186 ff.), hinter das überlieferte Wort
zum Ursprünglichen zu gelangen, scheint mir anfechtbar.
2) Z. B. Holtzmann, Neutest. Theol. II. S. 287.
3) B. Weiss, Das Markusevangelium, S. 286, Holtzmann z. St.,
Wer nie, Zeitschr. für neutest. Wissensch. 1900, I, S. 45.
4) S. unten.
5) Matthaeus sagtauch 4 17: tlnb jöre rjQ'^axo 6 ^ftjaovg x)]Qvaaiiv
vgl. 26 16 (anders Mr. luf., 14 11).
21
sagt zwar auch tJQ^avo öiödaKeiv, aber man sollte nicht über-
sehen, dass es 10 32 von Neuem heisst:
i]Q^avo avvolg Xeyeiv ra {.dXlovva arTq) av(.i(iaivsiv^).
D, li. es handelt sich nur um die Umschreibung des Verbs mit
ccQxeo&ai, die im Markusevangehum so häufig ist und z. B.
gleich 832 in dem von Petrus gesagten riQ^aro t7riTi(xav avTcl
wiederkehrt.
Nach dem allen schliesse ich: Markus zeigt ebensowohl
durch das, was er nicht sagt, wie durch eine Reihe bestimmter
Angaben, dass er selbst von der ihm beigelegten Geschichtsauf-
fassung kein Bewusstsein gehabt hat. Seine Darstellung ist
überhaupt zu verwirrt, um aus ihr unmittelbar ein klares Bild
gewinnen zu können. Demnach scheitert die von der herrschenden
Kritik vertretene Auffassung.
Jedoch zunächst nur ihre Auflassung des Evangeliums.
Der wirkliche Hergang könnte dennoch ihrer Vorstellung in
Hauptpunkten entsprechen. Lässt sich die Darstellung des
Markus nicht von widerstrebenden Momenten reinigen? Das
wäre ein willkürliches Verfahren und keine sichere Lösung.
Wenn Markus selbst ein widerspruchsloses Bild der Entwicklung
nicht mehr entnommen werden kann, woher haben wir die
fertige Anschauung, die ihn richten soll? Sie stammt ja nur
aus dem nicht richtig verstandenen Markus oder aus subjektiven
Gedanken. An sich ist es ja wohl denkbar, dass dem Evan-
gelium ein klarer Aufiiss zu Grunde liegt, der von einem Über-
arbeiter verunstaltet wurde, wie denn ja Matthaeus unter allen
Umständen Zusammenhänge seiner Vorlage gestört hat. Doch
warum muss es so sein ? Schon wenn wir die zusammenstimmen-
den Nachrichten den andersartigen gegenüberstellen, bleibt immer
_ider Zweifel, ob das scheinbar Zusammenstimmende wirklich
gleichartig und historisch gleichwertig ist. Wenn freilich das
Petrusbekenntnis im Sinne der Kritik ein von vornherein fest-
stehendes Datum wäre, so wäre damit ein Richtmass gegeben,
mit dem sich wenigstens einiges machen liesse. Vor näherer
Untersuchung lässt sich aber nicht mit Sicherheit bestimmen,
ob dies Datum wirklich mehr wert ist als eine Anzahl anderer
Nachrichten, die sich ihm nicht fügen.
1) Matthaeus hat in der Parallele 20 17 ein blossos dmv.
22
Andrerseits wäre es sehr übereilt, dem Petrusbekenntnis
eine Deutung zu geben, die es zu einer blossen Bekräftigung
längst gehegter Erkenntnis herabdrücken würde. Darin hat die
Kritik zweifellos Recht: ist dies Bekenntnis im Wesentlichen
treu überhefert, so liegt — ganz abgesehen von allem andern,
was in seiner Nähe steht, und was vielleicht erst von Markus
mit ihm kombiniert sein könnte — nichts näher, als in ihm ein
Ereignis im Jüngerleben zu sehen.
Die Alternative: entweder Entwertung des Jüngerbekennt-
nisses oder späte Erkenntnis der Messianität und absichtliche
Verhüllimg Jesu in der Hauptzeit seines Wirkens ist zwar oft
formuliert worden. Aber warum muss sie richtig sein? Ich
ziehe einstweilen aus der dargelegten Beschaffenheit des Markus-
berichts nur eine Folgerung: dass nichts dringender ist, als
seine Daten in gründlicher Kritik zu untersuchen.
2.
Die Selbstverhüllung des Messias.
Nach dem Berichte des Markus hat Jesus noch über das
Jüngerbekenntnis hinaus, bis in seine letzte Zeit seine messia-
nische Würde streng und geflissentlich geheim gehalten.
Die Verbote, die er in dieser Absicht an die verschiedensten
Personen richtet, sind der erste wichtige Gegenstand unserer
kritischen Betrachtung.
Unter ihnen treten als eine besondere Klasse die an die
Dämonischen gerichteten Verbote hervor. Nicht weil sie an sich
besondere Charakterzüge hätten, sondern weil sie eng mit der
Nachricht verknüpft sind, dass die Dämonischen ein eigentüm-
liches Vermögen besassen, Jesus als Messias zu erkennen, und
eine eigentümliche Neigung, ihn als solchen anzureden.
Das geschichtliche Urteil über die Messiaserkenntnis der
Dämonischen ist von wesentlicher Bedeutung für das Urteil über
Jesu Verbote. Daher beginnen wir mit einer Prüfung jener
Berichte.
23
Die Messiaserkenntnis der Dämonen.
Markus bietet für diese Frage folgendes Material.
I23 — 25: 23XJnd alsbald war in ihrer Synagoge [zu Kaphaniaum]
ein Mensch mit einem unreinen Geiste, und er schrie
auf: 24-^j^g haben wir [nicht: ich] mit dir zu schaffen,
Jesus von Nazaret? Gekommen bist du, uns zu ver-
derben i). Wir wissen [oYdaf-iEv, v. I. olda), wer du bist:
der Heihge Gottes, ^su^d es bedrohte ihn Jesus: ver-
stumme und fahre von ihm aus
I34: Und er heilte Viele, die an mancherlei Krankheiten litten,
und trieb viele Dämonen aus, und er hinderte [ov/i rjcfisv)
die Dämonen zu reden, weil (ort 2)) sie ihn kannten.
3n.i2: i^IInd die unreinen Geister [TtveifjaTa), sowie sie ihn
erschauten, stürzten vor ihm hin {7iQoaf.7tL7tcov avrot),
schrieen und sprachen (KlyovTeg, v. 1. liyovTo): du bist
der Gottessohn. i^Und heftig {tcoIIcc, fort und fort) be-
drohte er sie, sie sollten ihn nicht offenbar machen.
06.7: (Der Dämonische von Gerasa) .... «Und da er Jesus
von ferne erblickte, lief er und fiel vor ihm nieder und
schrie auf mit lauter Stimme : ''was habe ich mit dir zu
schaffen, Jesus, Sohn Gottes des Höchsten? Ich be-
schwöre dich bei Gott, quäle mich nicht ....
920: (Der dämonische Knabe) .... Und sobald er ihn
(Jesus)») erbhckte {Idiiv), zog ihn der Geist [r 0 TivEVfio)
alsbald im Krämpfe zusammen, und er fiel zur Erde
und wältzte sich schäumend.
Aus diesen Berichten ergiebt sich aufs Klarste, welche Vor-
stellung der Erzähler von diesen Hergängen hat *). Diese Vor-
stellung ist zunächst festzustellen.
Kommt es auf Markus an, so ist es geradezu falsch von
1) Schwerlich als Frage zu fassen.
2) Nicht mit »dass« zu übersetzen, da Xidilv, nicht kiytn' vorher-
geht. Der Grund des Hinderns ist angegeben.
3) Eichtig erläutert Holtzmann, HC z. St.: den Messias.
4) Vergl. im Allgemeinen zu diesem Gegenstande die gehaltvollen,
trefflichen Artikel von J. Weiss in der Kealencyklopädie f. prot Tbeol.
u. Kirche 3 Bd. IV (»Dämonen« und »Dämonische«).
24
der Messiaserkenntnis der Dämonischen zu sprechen i). Nicht
die Menschen, sondern die in ihnen wohnenden Dämonen haben
die Erkenntnis, es ist die Erkenntnis übernatürlicher Wesen.
Und das Objekt ihrer Erkenntnis ist ebenfalls übernatürlich: es
ist nicht der menschliche Jesus als solcher, sondern es ist der
mit dem nverau ausgestattete, der übernatürliche Jesus, der
Sohn Gottes. Ein unmittelbarer, an irdische Vermittlungen
nicht gebundener Rapport besteht zwischen ihm und ihnen. Der
Geist begreift den Geist, und nur der Geist begreift ihn. Des-
halb liegt die Idee, dass Jesu Messianität Geheimnis war, nicht
blos in dem Gebote zu schweigen, sie liegt schon an und ftir
sich in dem Zuge, dass die Dämonen um ihn wissen. Ihr
Wissen ist Geheimwissen. Es ist aber ein interessiertes Wissen.
Denn der Träger des Geistes erscheint als Feind der »unreinen
Geister« auf dem Plan und als übermächtiger, gebietender Feind.
In Macht gebietet er ihnen, und sie müssen ihm gehorchen (I27).
Aus dieser Anschauung erklären sich die einzelnen Züge
der Erzählung ungezwungen. Der Dämon spricht aus dem
Kranken und statt seiner, und das dämonische Gemeingefühl
äussert sich darin, dass er gleich im Namen seiner Genossen
mitredet (I24: r/ i^fxlv y.al aoi ; v.x'L). Jesus spricht seinerseits
auch nicht zum Kranken, sondern herrscht den Dämon selber an.
Einer Bekanntschaft des Kranken mit Jesus bedarf es nicht,
er braucht ihn nur von weitem zu sehen, so wittert der Dämon
sofort den Gegner (5 6, vgl. 9 20), und obwohl er ihn fürchten
muss, zieht es ihn magisch zu ihm hin, er huldigt seiner Macht
und nennt ihn mit seinem Menschennamen ^). Die Furcht, die
aus der Gewissheit des nahenden Verderbens entspringt, hebt
Markus deutlich hervor, ebenso stark aber das dämonische
Wissen als solches. Am auffallendsten zeigt sich das I24: der
Dämon giebt nicht blos seiner Erkenntnis Ausdruck, sondern
er betont, dass er (und seinesgleichen) diese Erkenntnis besitze
{p\6a\.iiv OE Tig, ei).
1) Dass Aussagen über den Geist mit solchen über den Kranken
wechseln, spricht nicht dagegen.
2) Der letzte Zug braucht nicht aus der Dämonenanschauung ge-
flossen zu sein, ja es ist wahrscheinlicher, dass es ein Zug naiver Er-
zählung ist, die nicht fragt, ob die Personen, die Jesus ansprechen, ihn
schon kennen.
25
Die heutige Auffassung der iieutestanientlichen Dämonen-
geschichteu stösst sich an vielem nicht mehr, woran sich andere
Zeiten gestossen haben. Da die Zeit, in die die Geschichten
gehören, prinzipiell ebenso über die Vorgänge denkt wie die
späteren Berichterstatter, da die Exorcisten es nach ihrer eignen
Vorstellung mit Geistern zu thun haben, da die Kranken selbst
an ihre Besessenheit glauben, so werden sofort eine ganze An-
zahl zunächst, fremdartiger Erscheinungen historisch erklärlich.
Dass der Dämonenaustreiber — also auch Jesus — den Dämon
selbst anspricht, erscheint uns nur natürlich. Dass ein Bericht
das Wort, den Aufschrei des Kranken als Äusserung des Dä-
mons ansieht, kann uns durchaus nicht mehr ein Kennzeichen
seines unhistorischen Charakters sein i). Dass des Besessenen
Selbstbewusstsein alteriert ist, dass sich vielleicht ein Doppel-
bewusstsein kundgiebt, halten wir mit Recht bei Kranken, die
■einen Dämon in sich wissen, für begreiflich.
Verstehen wollen, bevor man kritische Verdikte fällt, ist
gut, und damit rechnen, dass auf solchem Gebiete Dinge, die
wir noch nicht begreifen, darum nicht unmöglich sind, ist ganz
recht. Aber fast scheint es, als ob wir mit allem notwendigen
Nachempfinden auf dem Wege wären, den gesunden kritischen
Sinn abzustumpfen, der nicht weniger notwendig ist. Am Ende
kommen wir noch dahin, das Gespräch Jesu mit dem Dämon
des Geraseners (öo.io) unbesehens als treue Überlieferung hinzu-
nehmen, es für selbstverständlich zu achten, dass der Dämonische
die Rolle des Dämons agiert, und selbst sein Bangen um das
künftige Wohl des Dämons (öiofi".) »psychologisch ganz begreif-
lich« zu finden. Die Grenze zwischen dem, was aus der Vor-
stellung des Erzählers geflossen ist, und dem, was geschichtlich
1) Eine besonders schöne Illustration giebt eine von H a r n a c k.
(Medizinisches aus der ältesten Kirchengeschicbte, Texte u. Unter-
suchungen VIII, 4 S. 121 ; vgl. überhaupt S. 104—124) angezogene Äusse-
rung des Cyprian (ad Demetr. 15): »0 wenn Du die Dämonen hören und
in jenen Momenten sehen wolltest, wenn sie von uns beschworen, mit
geistlichen (xeisseln gequält und durch folternde Worte .... ausge-
trieben werden, wenn sie, mit menschlicher Stimme heulend und
ächzend und durch göttliche Macht die Geisseihiebe und Schläge
empfindend, das kommende Gericht bekennen müssen.« Mehr kann
der Mensch hinter dem Dämon nicht verschwinden.
26
möglich ist. steht freihch nicht ohne Weiteres fest. Aber hierin
Hegt auch die Weisung, nicht zu vergessen, dass jene Vor-
stellung ein höchst fruchtbarer Boden für das Wuchern des
Sagenhaften ist.
Wie dem auch sei, der Zug, dass die Dämonen in Jesus
den Messias erkennen, wird heute jedenfalls selten angefochten ^).
Die älteren Zweifel ^) sind fast verstummt, und man kann lesen,
dass es besser sei den Zug psychologisch zu vei-stehen als sich
an ihm zu stossen, dass er der Ei-iindung spotte 3).
Natürlich kann die Kritik die Nachrichten des Markus in
ihrem eigenen Sinne nicht anerkennen. AVas setzt sie an ihre
Stelle?
Man findet als Kern der Geschichten Folgendes angegeben.
Geisteskranke seien durch die Anwesenheit des R^ien mid
Heiligen beunruhigt gewesen und hätten ihm zugerufen, er solle
sie in Ruhe lassen. Daraufhin sei denn von der reinen, gott-
innigen Persönlichkeit Jesu eine wohl begreifliche Kraftwirkung
auf das zerrüttete Seelenleben der Kranken ausgegangen^).
Diese Auffassung ist eine starke Verflüchtigung des wissenschaft-
lichen Objekts und eine unerlaubte Übersetzung ins modern
Ethische. Ich brauche um so weniger bei ihr zu verweilen, als
der Kernpunkt — die Messiaserkenntnis — hier verschwindet.
In nüchterne Prosa übertragen muss der Markusbericht
vielmehr einfach besagen : es haben Hysterische oder sonst Ge-
störte in zahlreichen Fällen Jesus als Messias angeredet, als er
als solcher noch gänzlich unbekannt war.
Man muss empfinden, das ist etwas wesentlich anderes als
was Markus sagt, dem dämonischen Wissen ist etwas sehr Ver-
schiedenes substituiert, und die Person Jesu ist nicht mehr über-
1) Die Ansiebt vom Plane <les Markus wird dabei wei-entlich mit-
wirken.
2) z. B. Strauss, Leben .Jesu (1835) II, S. 22ff., L. J. für <\. deutsche
Volk (1864), S. 447 f., Baur, Das Markusevang. (1851j, S .59 f., auch
Wittichen, L. J. in urkundl. Darstellung (1876'. S. 93 u. '^.
3) Wernle, Synopt. Frage, S. 125.
4) Immer, Theol. des N. T. S. 113f. und nach ihm Nippold, Zur
geschichtl. Würdigung der Kel. Jesu, 8. Heft: Die psychiatr. Seite der
Heilsthätigkeit Jesu (1889), S. 43, 50.
27
natürlich gedacht. Im Übrigen ist bei dieser Feststelhing des
Kernes darauf gerechnet, dass manche Einzelheiten der Erzäh-
lung anfechtbar sind. Dass z. B. die Anrede der Kranken
schematisch ist (I24 und 5?), dass sie gelegentlich (I24) nach
einer alttestamentlichen Stelle geformt isfi), dass die Kenntnis
des Namens Jesu bei dem bisher einsamen Kranken am Ostufer
des Sees (5iff.) ebenso unwahrscheinlich ist wie sein Herbei-
laufen aus der Ferne, wird leicht zugestanden werden. Viel-
leicht wird man auch die vielen Fälle, von denen Markus weiss,
sogleich reduzieren wollen. Dem widerspreche ich. Es ist für
den Bericht charakteristisch, dass er eine häufige Wiederkehr
der Erscheinung meldet. Dies Moment darf daher nicht vor-
eilig beseitigt werden.
Am ersten kommt nun vielleicht der Einwand : sollten wirk-
lich diese Kranken den Gedanken, der Messias stehe vor ihnen,
lange vor den Jüngern gefasst haben, die fortwährend Zeugen
der Thaten Jesu waren, die immer unter der Macht seines
Wortes standen ? Recht seltsam khngt das. Doch gehe ich
von hier nicht aus. Ich frage vielmehr, welche Voraus-
setzungen gedacht werden müssen, damit die berichtete
Thatsache psychologisch verständlich wird 2),
Zuerst muss zweifellos angenommen werden, dass Jesus
durch Persönlichkeit, Benehmen, Thaten oder Worte die Seelen
der Kranken äussei-st stark bewegte. Von ungefähr kann die
Anrede als Messias bei ihnen nicht kommen.
Hiermit setzt man dem Berichte etwas zu, und nicht ganz
wenig. Denn Markus hat keineswegs hieran gedacht. Psycho-
logisch vermittelte Eindrücke stehen für ihn nicht in Frage.
Beim Gerasener ist das so klar wie möglich. Aber auch beim
Dämonischen von Kapharnaum ist von einer Erregung durch
1) 1. Kön. 17i8 sagt die Witwe zu Elias: Ti ?f.iu) xctl aoi, 6 uv-
ii^Qüinog Tov ^'^tov; fiaijXdfs tjqos jiJt tov clrttfArrjani uöiy.tag fiov xal
iS-avKTwant tov viov ^ov; (LXX). Volk mar, Die Evangelien oder
Markus und die Synopsis (1870), S. 88.
2) Zum Folgenden s. bes. Braun, Die Dämonischen des N. T.'s,
Zeitschr. f. Tlieol. u. Kirche VIII (1898), 8. 494 ff. Die in manchem
wertvolle Abhandlung ist unkritisch: die Frage, ob die Anschauung der
Evangelisten, die der Vf. ganz treffend angiebt, einen Anteil an den
Berichten hat, wird bei Seite gelassen. Vgl. auch Weizsäcker, S. 378'
28
die voraufgellende machtvolle Predigt Jesu nichts gesagt. Stellen
das Exegeten so dar, so ist es, weil sie ihre Vorstellungen von
denen des Markus nicht trennen. Indessen die Annahme selbst
bereitet wenigstens keine Schwierigkeit; immerhin kann es auf
Geisteski-anke einen besondern Eindruck gemacht haben, wenn
sie Jesus in intensiver Heilthätigkeit oder feunger Predigt
sahen. Wer jedoch meint, hiermit sei viel erklärt, denkt un-
psychologisch. Eine gestaltlose Aufregung erklärt nicht, wes-
halb diese Leute — immer wieder — eine besondere, von nie-
mand geteilte Meinung über Jesus fassen.
Daher bedarf es sofort einer weiteren Annahme : die Kranken
neigten zur Beschäftigung mit allerlei Voi"stellungen religiöser
Art. Eigentlich müsste die Idee, Jesus sei der Messias, von
ihnen aus sogar als AVahnvorstellung angesehen werden, wenn
sonst Niemand auf diesen Gedanken verfiel.
Aber auch hiermit ist noch nicht viel gewonnen. Mag den
Gestörten das Gebiet der religiösen Gefühle und Vorstellungen
besonders nahe liegen : weshalb müssen sich diese denn gerade
immer in einem Urteil über die PersönHchkeit Jesu äussern?
Weil eben diese Persönlichkeit, sagt man, sich so überwältigend
geltend macht. Aber wieder: weshalb deim gerade immer das
gleiche bestimmte Urteil : es ist der Messias ?
Wir müssen eine dritte Voraussetzung machen: die Messias-
erwartung lag in der Luft, sie erfüllte überall die Gemüter.
Diesen Eindruck erwecken allerdings die Evangelien, und
man schenkt ihnen darin Glauben. Ich nehme hier an, dass
das richtig ist. Dann ist aber offenbar für unsere Frage zu viel
bewiesen. Denn hier erhebt sich mit ganzer Stärke der Ein-
wand: weshalb haben dann Gesunde, insbesondere die Jünger,
sich nicht zur gleichen Erkenntnis aufraffen können? Wirkte
Jesus nur auf die Besessenen überwältigend? Regte seine
Erscheinung andere nicht auf? Bewegten ihre Gedanken
sich nicht auf dem religiösen Gebiete? Wir bedürfen demnach
noch immer einer Ursache für das besondere Verhalten der
Kranken.
Man hat das auch gefühlt und darum behauptet, diese
Leute hätten den Messiasgedanken in besondi-er Stärke in sich
tragen müssen. Sie ^> fühlten sich als die Geplagtesten; etwas
Jl^nheimliches lag auf ihnen«. Der Messiasgedanke war daher
29
bei ihnen »in ruheloser Tendenz auf Reahsierung<.s i). Durch
Jesu Auftreten Avurde er dann »explosionsartig ausgelöst«.
Das ist einfach zu bestreiten. Nicht nur, weil wir nichts
davon wissen, sondern weil es ganz unwahrscheinhch ist. Warum
fühlten sich die anderen zahlreichen Kranken, die nach den
Evangehen zu Jesus gebracht wurden, weniger als die Geplagten?
Warum redet von ihnen niemand Jesus als Messias an ? Warum
sollen die Dämonischen überhaupt besonders religiöse Leute ge-
wesen sein? Denn das nmsste man wohl annehmen, wenn das
Gefühl des Elends so zur Steigerung der religiösen Sehnsucht
führte.
Aber es giebt noch einen Ausweg. Wir erinnern uns,
dass es Ansteckungen giebt auf geistigem Gebiete, psychische
Epidemien. Wir setzen aufs Neue voraus, dass die Messias-
erwartung epidemisch unter diesen Kranken auftrat 2).
Wenn die Quellen nur ein Wort darüber sagten! Man
setzt die wesentliche Genauigkeit ihres Berichtes voraus und
nimmt an, dass sie die wichtigsten Dinge verschweigen. Und
immer noch bleibt es wunderbar, dass nur die Dämonischen,
und sie stets, von der allgemeinen Erwartung zur Gewissheit
über die bestinunte Person kommen, die doch äusserlich den
Gedanken an den Messias nicht nahegelegt haben kann, wenn
niemand sonst darauf verfiel. Wirklich verständlich wird die
Stereotypie der Erscheinung erst dann, Avenn sich das Urteil:
dieser Jesus ist der Messias, unter den Dämonischen durch
Ansteckung verbreitete'*). Dann hallen wir aber glücklich mit
allen Voraussetzungen die Grundvoraussetzung vernichtet. Denn
wie in diesem Falle der ( jffentlichkeit verborgen bleiben konnte,
was die Kranken über Jesus dachten, bleibt so lange dunkel,
als man nicht an eine geheime Verbindung der Besessenen
glaubt. Kam es aber in die ( )ffenthchkeit, so hätten Jünger
und Volk dem Raunen oder besser dem Schreien der Geister
nach ihren Voraussetzungen sogar Glauben schenken sollen.
Das ist eine fast zu ausführliche Widerlegung. Aber es
musste gezeigt werden, dass die Psychologie, auf die num sich
so oft beruft, hier versagt und versagen muss, solange man mit
1) Braun S. 509. 2) Braun S. 510.
3) Vielleicht meint das Nippold, S. 53.
30
dem Evangelium von einer Wiederkehr dieser Vorfälle ausgeht.
Die angebliche Psychologie läuft auf eine Häufung teils will-
kürlicher, teils undenkbarer Hilfsannahmen hinaus, und ob man
das eine oder andere etwas anders formuliert, darauf kommt
nichts an.
Man wird nun von den Berichten etwas ablassen. Markus
habe zu viel gesagt, wenn er von einer regelmässigen Er-
scheinung rede. Diese beliebte Methode hilft nichts. Noch
zwei oder drei solcher Fälle sind zu viel.
Die einzige Möglichkeit, die noch bleibt, ist, dass ein
einziger historischer Fall zu Grunde liegt, der dann von der
Tradition oder dem Evangehsten vervielfältigt wurde.
Vielleicht beruft man sich für die Wahrscheinhchkeit, dass
hier doch etwas Historisches vorliegt, auf den Vorgang, von dem
Act 16 16 ff. erzählt. Hier wird — im Wirberichte ! — gesagt,
dass in Philipp! eine Magd mit einem Wahrsagegeiste [Ttvev^a
nvd-ojv) Paulus und seinen Genossen nachgerufen habe:
Diese Menschen sind Diener des höchsten Gottes,
die euch den Weg des Heils verkünden.
Diese Nachricht fechte ich keineswegs an, wiewohl unsicher
bleibt, wie genau der Ausruf der Magd wiedergegeben ist. Aber
ich betone, dass sie trotz formeller Verwandtschaft mit der
evaugehschen Erzählung gerade im Hauptpunkte auf einer
andern Linie steht wie diese. Was die Magd über Paulus und seine
Begleiter sagt, braucht nämlich durchaus keine rein aus dem Innern
geschöpfte Aussage zu sein. Sie kann sehr wohl vermittelt sein
durch das, was sie über Paulus, ja von Paulus selbst gehört hat-
Der Fall bleibt dem Erzähler merkwürdig, weil er eben, wie
auch Paulus, voraussetzt, dass ihr Geschrei von einem Geiste
ausgehe. Aber dass der Apostel Diener des höchsten Gottes
und Verkündiger des Heils sei, das ist sein eigener Anspruch,
und dass er es sein wolle, ist das Gespräch der Leute, nicht
aber ein Geheimnis wie die Messianität Jesu bei Markus.
Die Möglichkeit nun, dass einmal ein Geisteskranker, etwa
der von Kapharnaum, Jesus als Messias angeredet hätte, kann
man verständiger Weise an sich nicht bezweifeln. Andrerseits
ist es eine bekannte Erscheinung, dass einzelne Motive der Er-
zählung von ihrem ursprünglichen Orte in verwandte Geschichten
hinüberwandern. Gerade die AVundererzählungen der Evangelien,
31
aber auch andere Texte liefern hierfür Beispiele i). So Hesse
sich in der That an eine unhistorische Vervielfältigung eines
wirklichen Vorfalls denken.
Indessen um eine matte Wiederholung, einen stereotyp ge-
wordenen, interesselosen Detailzug handelt es sich hier keines-
wegs. Die Häufigkeit seiner Wiederkehr, besonders auch die
beiden allgemeinen Schilderungen (Isi, 3iif.) beweisen, dass der
Punkt für den Erzähler AVert hat, und aus seiner Gesamt-
anschauung von dem Verhältnis zwischen Dämonen und Sohn
Gottes wird das auch sofort verständlich.
Dann kann die Annahme eines geschichtlichen Kernes nicht
mehr a priori wahrscheinlich sein. Wir haben uns mit ihr vom
Markusberichte sehr Aveit entfernt, wir haben nicht nur seinen
eigentümlichen Sinn beseitigt, sondern auch die Vorstellung eines
regelmässig wiederkehrenden Vorfalls preisgegeben. Die ent-
scheidende Frage kann aber doch nur lauten: auf welchem
Wege erklären wir den ganzen Bericht des Evangeliums am
besten? Denn was wir wegstreichen, will doch auch und erst
recht begriffen sein.
Hier leistet der »Kern« wenig. Wir sehen eben nicht, wie
sich von einem wirklichen Vorgange aus die Gesamtauffassung
des Markus gebildet haben soll, oder wie aus einer vereinzelten
Merkwürdigkeit ein typischer und bedeutungsvoller Zug er-
wachsen konnte. Dagegen die Idee, die Vorstellung des Er-
zählers oder andrer, die seine Vorgänger waren, leistet viel. Sie
erklärt den einen Fall so gut wie die vielen, die vielen wie den
einen. Denn wenn es sich bei der Begegnung Jesu mit den
Dämonen um den Verkehr übernatürlicher Wesen handelt, so
ist darin der Gedanke, dass die Geister um Jesus wissen, schon
unmittelbar enthalten. Es bedarf gar nicht einmal der
Folgerung.
Ich schliesse also : diese Züge sind aus der wirklichen
Geschichte Jesu zu streichen. Gerade ihre Regelmässigkeit ist
es, was sie verdächtigt und ihre Herkunft verrät. Wollen wir
hier einen dürftigen Rest von Geschichte finden, so müssen wir
uns den Markusbericht erst nach Gutdünken zurechtstutzen,
1) Vgl. z. B. Mr. 535 und Luk. 76, Mr. l43 und Mt. 930, Luk. ,5u
(= Mr. l44) und 17u, Mr. Guf. und 828.
32
damit er erträglich ^vird, und er selbst bleibt iinbegriffen.
Verzichten wir auf die Geschichte, so lassen vnv den Bericht
völlig, wie er ist, und haben in der supranaturalen Anschauung
des Schriftstellers, die ja das geschichtlich Unmögliche ausmacht,
unmittelbar das Verständnis für das Ganze.
Nur das Eine ist noch nicht erklärt, welcher An las s für
Markus oder seinesgleichen bestand, die Vorstellung des dämo-
nischen Geheimwissens um den Messias, die in seiner Gesamt-
anschauung vom Verhältnis der Dämonen zu Jesus bereits liegt,
in der Geschichte Jesu wirklich auszuprägen und zu betonen.
Eines solchen Anlasses bedurfte es allerdings.
Hier liegt nun eine bestimmte Vermutung sehr nahe. Der
gegensätzhche Gedanke, dass Jesus als Messias sonst unbekannt
war, wird dabei von Bedeutung gewesen sein. Niemand wusste
von seiner Würde — die Geister erkannten ihn. Hatte jene
Vorstellung ein Interesse, was wir von Markus bereits wissen,
so auch diese. Auf diese Spur leitet ja der Text des Evangeliums
selbst. Markus lässt die Dämonen nicht blos Jesus als Messias
anreden, er betont zweimal (1 24.34), dass sie ihn kennen. Dies
hätte keinen Sinn, wenn er dabei nicht den Gegensatz im Auge
hätte: im Allgemeinen kannte man ihn nicht.
Ich sage nicht, dass damit der Hergang der Entstehung
des Zuges deutlich beschrieben sei. Hierüber kann man kaum
etwas ganz Sicheres und Präzises aufstellen, wie das ja bei
manchem andern zweifellos ungeschichthchen Zuge auch der
Fall ist. Folgendes wäre eine Möglichkeit. Man erzählte sich
zuerst, wie die Dämonen bei dem Nahen ihres Feindes Jesus
sich fürchteten. Das war ein gegebener Gedanke. Weil nun
aber die Vorstellung da war, dass Jesu Messianität unbekannt
war, so fiel es auf, dass die Dämonen eine Ausnahme machten.
Diese Vorstellung wurde dann wichtig und gewann eine be-
stimmte Ausprägung.
Ob Markus an der Messiaserkenntnis der Dämonen noch
ein weiteres Interesse hat als das angegebene, wird sich später
zeigen.
33
Die Gebote, das Messiasgeheimnis zu wahren.
Ich führe die hierhergehörigen Stellen sämtlich auf und
ordne sie in 5 Rubriken.
1) Verbote an die Dämonen.
I25: Und Jesus bedrohte ihn {i7CErif.n]oev avTw): verstumme
{(fif-uod-rfciY) und fahre von ihm aus.
I34: Und er hinderte die Dämonen zu reden, weil sie ihn kannten.
3 12: Und heftig bedrohte er sie, sie sollten ihn nicht offenbar
machen.
2) Verbote nach (andern) Wunderthaten,
I43 — 45 (Der Aussätzige): ^^Und er herrschte ihn heftig an
{s^ißQi^trjod/.iEvog) und trieb ihn alsbald hinaus ^^und sagt
zu ihm: hüte dich {oQa), dass du niemand das Geringste
sagst, vielmehr (aXld) gehe hin, zeige dich dem Priester
und opfere für deine Reinigung, was Moses geboten hat,
zum Zeugnis für sie. •^^Er aber gieng hinaus und begann
es eifrig zu verkünden und den Vorgang ruchbar zu
machen . . .
043 (Tochter des Jairus): Und er befahl ihnen dringend an,
dass es niemand erfahre . . .
Vgl. V. 37: Und er liess niemand mit sich hinein-
gehen ausser Petrus und Jakobus und Johannes, dem
Bruder des Jakobus ... V. 40 : Er aber, nachdem er alle
hinausgetrieben, nimmt den Vater des Kindes und die Mutter
und seine Begleiter und geht hinein, wo das Khid war.
73G (Der Taubstumme): Und er befahl ihnen, es niemand zu
sagen; je mehr er es aber ihnen befahl, desto eifriger
{^lalXov neQiaooTEQov) verkündigten sie es.
Vgl. V. 33: Und er nahm ihn von der Menge weg
bei Seite und legte ihm seine Finger in die Ohren . . .
1) Das (fifJbh'JrjTi besagt an und für sicli nicht, dass .Tesus die
messianischc A.nredc nicht will, sondern es schlägt einfach die Lebens-
äussorung des Dämons nieder, die in seinem Reden liegt. 439 sagt .Jesus
das gleiche Wort zum Meer. (Vgl. B. Weiss, Markusevang. S. 62.
Volkmar S. 89 versteht es nicht übel als eigentliches Bannwort.) Trotz-
dem scheint der Evangelist nach den Parallelen zu meinen, dass Jesus
mit dem Worte auch die mes8ianisch(> Anrede abwehrt.
W r c d 0 , Me-ssiasgoheimnis. 3
34
826 (Der Blinde von Bethsaida): Und er entliess ihn in sein
Haus und sagte : gehe nicht in den Flecken (v. 1. und sag
es niemand im Flecken^).
Vgl. V. 23: Und er fasste den Blinden bei der Hand
und führte ihn heraus aus dem Flecken und spie in
seine Augen
3) Verbote nach dem Petrusbekenntniss.
830 (Unmittelbar nach dem Bekenntnis): Und er bedrohte sie,
sie sollten niemand von ihm sagen.
99 (Nach der Verklärung): Und als sie vom Berge herab-
stiegen, befahl er ihnen, niemand zu erzählen, was sie
gesehen, ausser wann der Sohn des Menschen von den
Toten erstanden wäre.
Vgl. V. 2. 3: ^Und nach sechs Tagen nimmt Jesus
den Petrus und den Jakobus und Johannes und führt sie
auf einen hohen Berg bei Seite (xar idiav) allein [(xovovq).
3 Und er ward vor ihnen verwandelt ....
4) Absicht, das Inkognito zu wahren.
7-24: Von dort aber brach er auf und zog in das Gebiet von
Tyrus. Und da er in ein Haus getreten, wollte er, dass es
niemand erfahre, und er konnte nicht verborgen bleiben.
93of.: 30 Und sie giengen von da fort und stahlen sich durch
Galilaea hin^). und er wollte nicht, dass es jemand erfahre.
31 Denn er lehrte seine Jünger und sagte ihnen: der Sohn
des Menschen wird überantwortet . . .
5) Ein nicht von Jesus selbst ausgehendes Verbot
zu reden.
1047f. (Der Blinde von Jericho): *^Und da er hörte, Jesus
der Nazarener sei es, begann er zu rufen : Sohn Davids
Jesus, erbarme dich mein. "^sUnd es bedrohten ihn Viele,
er möge schweigen ....
1) Daneben andere Varianten. Jedenfalls eine richtige Erläuterung.
2) Das ist gewiss etwas zu stark übersetzt, aber das nctotnoQtvovTo
kommt diesem Sinn nahe. Sie zogen »neben< hin, so dass sie das
(bewohnte) Land eigentlich nicht wirklich besuchten. Vgl. Volkmar,
auch Fritzsche z. St. Die von B*Dacf vertretene L. A. noQtvovTo
ist sicher nicht ursprünglich.
35
Die Stellen unter 4) und 5) enthalten eigentlich keine Ver-
bote Jesu. Weshalb sie hinzugefügt sind, wird keiner Erklärung
bedürfen. Ebenso deutlich ist, weshalb die Stellen über die
Vertrauten Jesu sowie über das Beiseitenehmen der Kranken
mit angefühi-t sind. Die Züge stehen mit Jesu Befehlsworten
in unverkennbarem Zusammenhange: sie sagen selbst schon,
dass es sich um Dinge handelt, die nicht für die OffentUchkeit
sind. An eine Isolierung der Kranken um der Kranken willen
ist also nicht zu denken, wie ja denn das xar ISiav auch im
Verklärungsberichte sich findet.
Bei zahlreichen Wundergescliichten des Markus fehlt das
Gebot zu schweigen (2iff., 3iff. u. s. w.). In der Gerasener-
geschichte wird es auch den Dämonen nach ihrer messianischen
Begrüssung nicht gegeben. Vielmehr sagt Jesus 5 19:
geh hin in dein Haus zu den Deinen und melde
ihnen, was dir der Herr gethan, und wie er sich deiner
erbarmt hat.
Die Form der Befehle ist recht stereotyp. Eine Besonderheit
der Stelle 99 ist die Bemerkung über die Auferstehung. Im
Übrigen fällt zweierlei besonders auf:
1) Die Befehle lauten scharf und bestimmt. Das wiederholt
gebrauchte euivif-iäv kennzeichnet schon an sich diese Strenge;
die Bedeutung des Scheltens, hart Anlassens muss man dabei
mitklingen hören, auch wenn mit »Bedrohen« zu übersetzen ist;
das nollct markiert noch besonders das nachdrückliche Ein-
schärfen. In der Geschichte vom Aussätzigen wird man den
Zornesaffekt {s^ißgii-itiadfievog) damit in Zusammenhang bringen
dürfen. Ich glaube gar nicht, dass er aus den besonderen Um-
ständen dieser Geschichte zu erklären ist, wie man das in ver-
schiedener Weise versucht hat. Mt. 9 30 ei-scheint dasselbe
Ifißgif-iaad^ai in der Geschichte von den beiden Bünden.
2) Ein Motiv dieser Weisungen ist an keiner Stelle aus-
gesprochen. Das ist besonders bemerkenswert. Nur 93o wird
Jesu Absicht, unerkannt durch Galilaea zu ziehen, damit be-
gründet, dass er seine Jünger über sein Leiden belehrte.
Diese Angabe lasse ich zunächst bei Seite.
Die Exegese hat es nicht zu einer allgemein anerkannten
Auslegung dieser Stellen gebracht und, man darf hinzusetzen,
36
iiicht zu einer Auslegung, die den Eindruck der Sicherheit macht.
Übersieht man die besonderen und die allgemeinen Erklärungen,
die geliefert worden sind, so zeigt sich ein äusserst buntes Bild^).
Das schliesst nicht aus, dass eine von ihnen die richtige ist,
aber es kann auch bedeuten, dass man ein Verständnis über-
haupt nicht gefunden hat.
Vorab muss es überaus wahrscheinlich heissen, dass sämtliche
Gebote bei Markus den gleichen Sinn haben. Eür jeden un-
befangenen Leser ist dies der erste Gedanke. Schon die fort-
währende Wiederholung des Zuges zwingt ihn auf, das Fehlen
einer Motivierung aber verstärkt ihn. Weshalb gäbe denn
der Erzähler keinen Wink, wenn er bald an diesen, bald an
jenen Grund dachte? Welcher Leser könnte seine Meinung
erraten? Oder hat er manchmal selbst keinen Grund mehr
gewusst? Dann sollte er ihn in anderen Fällen um so mehr
angeben. Dass er überall sich keinen Grund gedacht hätte,
ist ja doch unmöglich. Man kann also nur vermuten, dass er
annahm, der Leser werde alle diese Bemerkungen mit einem
Gedanken lesen, den er ihm nicht erst zu sagen brauchte. Die
beiden Worte vom Likognito Jesu (724, 9 so) sind hierbei ein-
geschlossen. Sie klingen zu verwandt, um von den Verboten
getrennt zu werden. Fraglich mag es dagegen sein, ob nicht
die Bedrohung seitens der >Vielen« 1048 ihre besondere Be-
deutuTig hat. Somit muss diejenige Erklärung die schlagendste
sein, die einen einheitlichen Gedanken aufweist.
Vor allem ist deshalb davon auszugehen, dass überall an
die Behütung des Messiasgeheimnisses gedacht ist. Direkt
sprechen das ja nur die den Dämonen gegebenen Befehle soAvie
die Stelle 830 und etwa 99 aus. Aber was sollen die der Toten-
erweckung und den Heilungen folgenden Bedrohungen anderes
bedeuten? Die übrigen Stellen legen nichts näher, als dass Jesus
das Stillschweigen in der Voraussetzung fordert, seine Wunder-
that lasse unmittelbar einen Schluss auf sein geheimes Wesen
und seine Würde zu. So müssen wenigstens die ältesten Leser
das Evangelium verstanden, so muss es Markus selbst und gerade
Markus gemeint haben. Denn die Wunder gelten doch im
1) Ich illustriere das durch Exkurs II, auf den auch für die im.
Texte anüredeuteten Ansichten verwiesen sei.
37
ältesten Chiistentum als Zeugnisse für Wesen und Bedeutung
Christi. Gewiss aber hat der Evangelist keine Distinktion ge-
macht zwischen seiner eigenen Auifassung und einer Auffassung
der Zeitgenossen Jesu. Ich brauche mich nicht einmal darauf
zu berufen, dass er ebenso gut wie Matthaeus, Lukas und
Johannes der Meinung sein wird, Jesu Wunder seien auf eine
allgemeine, brennende Messiaserwartung getroffen. So reicht es
auch nicht aus, jedes einzelne Wunder als ein isoliertes Mysterium
vorzustellen, das der Menge vorenthalten wird. Markus rechnet
immer mit dem Eindruck, den der AVunderthäter durch das
Wunder macht. Nach der Stillung des Sturmes fragt man:
wer ist der, der das kann?
Hiernach kommen alle die Erklärungen sofort in Wegfall,
die nur einzelne Stellen aufzuhellen vermögen. Denn sie setzen
eben eine Mehrheit oder einen Wechsel von Beweggründen für
das Verbot Jesu voraus.
Jesus soll den Dämonen verboten haben von seiner Messia-
nität zu reden, weil er Anerkennung aus so unreinem Munde,
»aussei-sittliche« Anerkennung nicht wollte. Es ist die Frage,
ob das überhaupt eine Erklärung aus dem Geiste des Markus
ist. Sicher ist sie für das Verbot nach der Erweckung des
Mädchens oder der Heilung des Taubstummen unbrauchbar.
Ebenso unwahrscheinlich ist der Gedanke, das Verbot habe
hie und da (etwa 736, 826) die Tendenz, Ansprüche des Volkes
an Jesu Wunderthätigkeit abzuwehren, da er Ruhe haben oder
sich den Jüngern widmen wolle. Für die Zeit, wo Jesus nach
Markus ein Wunder auf das andere folgen lässt, muss man
dann eben eine neue Erklärung finden; für die Huldigung der
Dämonen womöglich eine dritte.
So sind auch Gründe der Situation, der Lokalität schwerhch
von Bedeutung. In Gegenden mit heidnischer Bevölkerung will
Jesus verborgen bleiben (724), und ebenda gebietet er dem Be-
sessenen, sein Erlebnis kund zu machen (5i9) i) ; in Galilaea thut
er Wunder vor allen Leuten, Freund und Feind, und in Galilaea
meidet er die Öffentlichkeit (93o). Es ist nichts leichter, als
Gründe auszusinnen, weshalb Jesus hier so, dort so verfährt.
1) Ich setze hier voraus, dass die übliche Erkliirung richtig ist
(s. unten).
38
Aber es ist schwer zu beweisen, dass Markus diese Gründe
gekannt hat.
Die etwas weiter greifende Meinung, Jesus scheue den Ruf
eines Wunderthäters, um nicht von seinem wahren Berufe ab-
gezogen zu werden, oder um nicht eine falsche, sitthch-religiös
wertlose Anerkennung hervorzurufen, passt wieder nicht zu den
Dämonengeschichten, und zu 830 und 99 ebensowenig, ganz ab-
gesehen davon, dass eine Kategorie wie »sittlich- religiös« dem
Markus minder geläufig ist als etwa Klostermann und B. Weiss,
und dass massenhaftes Verrichten von Wundern, wie es Markus
erzählt, ein sonderbares Verfahren ist, wenn man vom einzelnen
Wunder schon solche Folgen befürchtet.
Eine besondere, mit allen möglichen Auffassungen übrigens
häufig zusammengehende Art, diese Verbote Jesu zu beleuchten,
ist dadurch gekennzeichnet, dass man willkürliche Milderungen
mit ihnen vornimmt. Jesus wünschte, dass »nicht viel« von
seinen Wundern gesprochen würde; die Ansicht, er sei der
Messias, sollte sich »nicht allzu sehr« verbreiten; Jesus hat eine
»ablenkende Art« zu sprechen, wenn auf seine Messianität die
Rede kommt. Mit solchen Abschwächungen ist nichts Geringeres
als der wirkliche Sinn der Bemerkungen des Markus von vorn-
herein aufgegeben, damit aber, wie sich zeigen wird, auch das
Verständnis selbst. Begreiflich wird die Abschwächung vielleicht,
weil Jesu Worte so wenig Erfolg haben und so oft durch sein
eigenes Handeln durchkreuzt werden; so kann es scheinen, er
meine sie nicht allzu buchstäblich. Aber es ist streng darauf
zu bestehen, dass Markus strikte, absolute Befehle mitteilt und
nichts weiter.
Übrigens reden gerade solche Kritiker gern in dieser Art,
die das massgebende Motiv für die Gebote der persönlichsten
Empfindung Jesu selbst entnehmen. Jesus soll eine innere
Scheu gehabt haben, von seiner Messiaswürde zu reden, sie der
Öffentlichkeit preiszugeben, sei es weil er mit der Frage, ob er
der Messias sei, selbst noch nicht ganz im Reinen war, sei es
weil er den Gedanken als ein kostbares Glaubensgeheimnis,
eine Sache zwischen ihm und seinem Vater im Innern ver-
schliessen wollte.
Auch diese Lösung befriedigt Avenig. War Jesus seines
messianischen Berufes noch nicht sicher, so konnte er über-
39
haupt nicht Verbote geben, die durchaus den Eindruck hervor-
rufen, dass er wirkhch sei, was er für die ( Jffenthchkeit nicht
sein will *). War er sicher, der Messias zu sein oder zu werden,
und nur beflissen, ein Heiligtum zu hüten, so wollen zunächst
manche Thatsachen der evangelischen Geschichte nicht mehr
stimmen. Stellen wie Mt 11 27 ff., wo Jesus seine Würde Gott
gegenüber offen genug kennzeichnet, oder wie seine Antwort
auf die Anfrage des Täufers (Mt ll2ff.), wo man von der an-
geblichen Scheu nichts bemerkt, mögen hier ganz bei Seite
bleiben, damit wir nicht von Markus abgehen. Aber den Einzug in
Jerusalem muss Jesus — gegen die Berichte, denn nach ihnen
inszeniert er ihn selbst — sich mit innerm AViderstreben abge-
rungen haben 2), da er ja noch kurz zuvor die alte Zurück-
haltung zeigt. Und die öffenthchen Wunder werden rätselhaft,
wenn er bei einigen Wundern solche Furcht hat, dass sein Geheimnis
unter die Leute komme; oder wir müssten die Verbote hier
abermals anders motivieren. Wie kann man ferner bei diesen
schroffen, derben Verboten den Eindruck haben, dass sie der
Ausdruck der zarten Empfindung sind, die ihre Triebfeder sein
soll ? Und ausser den Verboten sind in den Quellen greifbare
Daten nicht aufzuweisen ^), die auf eine solche Stinmiung .Jesu
schliessen Hessen. Zum wenigsten ist eins sicher: Markus hat
von diesem Motive nichts gewusst.
Die am weitesten verbreitete Auffassung leitet die Zurück-
haltung Jesu aus Rücksichten seines Berufes her. Vor allem
spricht man viel von seiner pädagogischen Absicht. Bei den
Jüngern fürchtet er sinnhche Messias Vorstellungen, wenn er
ihnen zu früh einen Gedanken giebt, für den sie noch nicht
reif sind. Überhaupt aber fürchtet er — bei Jüngern wie beim
Volke — eine politische Ausbeutung seiner Würde, nationale
Manifestationen, schliesslich die messianische Revolution. Denn
Volk und Jünger hatten eben nicht seine Messiasidee, sondern
die jüdische, d. h. die politische.
Da ist unter dem einen Namen der Pädagogik eigentlich
1) So schon Bruno Bauer gef^en Struuss.
2) Nach J. Weiss, Nachfolge Christi S.36 hat Jesus sich die Huldi-
gung beim Einzüge in ruhiger, schmerzlicher Gelassenheit gefallen lassen.
3) Die Versuche von J. Weiss, a.a.O. S. 32ff., und .Jesu Predigt
vom Reiche Gottes S. 166 ff. halte ich nicht für gelungen.
40
Verschiedenes verbmiden. Sinnliche Vorstellungen vom Messias,
wie sie die Jünger haben sollen, sind nicht notwendig politisch-
nationale; und während den Jüngern gegenüber die Eücksicht
auf die allmälige und reine Entwicklung des innern Lebens zur
Hauptsache wird, scheint Jesus beim Volke weniger an die Füi--
sorge für seinen religiösen Fortschritt gedacht zu haben als an
die mögliche Gefährdung des eignen Lebenswerkes. Indessen
dies beruhe auf sich.
Es ist merkwürdig, dass sich die Meisten mit dieser Er-
kläining so schnell zufrieden geben. Man scheint es wie etwas
Selbstverständliches zu betrachten, dass Jesus zum Stillschweigen
griff, wenn er die Befürchtungen hegte, die man ihm zuschiebt.
Weshalb soll denn das selbstverständhch sein? Gab es keinen
anderen, keinen natürlicheren Weg? Mich dünkt, ein besserer
wäre gewesen, wenn Jesus, wenigstens den Jüngern gegenüber,
geredet hätte. Weshalb sagt er nicht einfach, dass es mit
dem pohtischen Messias nichts sei, und dass er damit ebenso-
wenig zu schaffen habe wie mit ihren sinnlichen Erwartungen?
Doch stehe es damit, wie es wolle; jedenfalls giebt es wieder
Momente im Berichte des Markus, wo die Erklärung einfach
versagt.
Die Thatsache, dass Jesus bis zum Petrusbekenntnis sich
den Jüngern gegenüber verschliesst, mag man auf diese Weise
begreifen, die Abwehr der lauten Dämouenrufe ebenfalls, und
selbst das Festhalten des Geheimnisses vor dem Volke, nach-
dem Petrus gesprochen hat, mag nicht allzu rätselhaft sein. Aber
warum hat Jesus beim Einzüge in Jerusalem sein Verhalten
geändert und lässt sich ruhig, ja nicht ohne eigene Initiative,
zum Gegenstande einer messianischen Ovation machen? Das
hat noch niemand einleuchtend gezeigt. Denn nicht einmal die
Annahme, Jesu Messianität habe sich in dieser Zeit herum-
gesprochen, ist für diese Haltung eine ausreichende Erklärung.
Dies wäre denn doch die beste Art gewesen, den politischen
Messiasenthusiasmus zu entfesseln, vor dem er so auf der Hut
gewesen sein soll.
Ganz dunkel bleibt, weshalb Jesus, nachdem die Verklärung
vorüber ist, Schweigen anbefiehlt bis zur Auferstehung (9 9).
Pädagogische Absicht kann da doch nicht mehr walten, und bis
zur Auferstehung jüdischem Missverständnisse ausweichen hiesse
41
schliesslich auf den messiaiiischen Anspruch für die Erdenzeit
einfach verzichten. Ob nicht ein besonderes JMotiv die Bemer-
kung 99 verständlich macht, fragen wir nicht; es handelt sich
ja darum, wie viel das angenommene für die Erklärung aller
Stellen leistet. Die Ausrede, das Wort sei ungenau überliefert
oder unecht, lassen wir ebenfalls nicht gelten. Es genügt, dass
es im Markus steht.
Und abermals müssen wir uns auf eine neue Erklärung be-
sinnen für die Verbote nach den Wundern. Soll Jesus bei
seinen Wundern Furcht vor messianischen Demonstrationen ge-
habt, soll diese Furcht sein Handeln geleitet haben, so hätte er
nicht ein einzig Mal vor Vielen heilen dürfen, und am besten
hätte er, wie schon Bruno Bauer i) gesagt hat, gar nichts ge-
than. D. h. die Verbote sind unverständlich.
Nicht selten hat man mit dem »pädagogischen Motive« noch
einen andern Gedanken verbunden. Jesus soll von den Römern
eine Gefährdung seines Werkes befürchtet haben, wenn er all-
zu früh als Messias bekannt geworden wäre. Nimmt man diese
Vorstellung für sich, so ist sie auch schon durch die letzte Be-
merkung über die AVunder erledigt. Was aber kann nach
unsern Berichten überhaupt auf einen solchen Gedanken führen.
wenn Jesus nur im unpolitischen Sinne der Messias hat sein
wollen? Etwa die Thatsache, dass die römische Obrigkeit nicht
von sich aus gegen Jesus eingeschritten ist, sondern auf Veran-
lassung der jüdischen Machthaber?
Mit einer ähnlichen Frage wende ich mich nochmals zum
Hauptpunkte zurück, zur angeblichen erzieherischen Absicht
Jesu. Wichtiger, als dass die Exegese und Kritik sich dabei
um naheliegende Einwände wenig gekümmert hat, scheint mir
noch das Andere, dass sie sich überhaupt nicht gefragt hat, wo-
her sie diesen Gedanken nimmt.
Man darf wohl zweifeln, ob eine Prophetennatur wie Jesus
mit ihrer innerii Selbstgewissheit uud Entschiedenheit, mit ihrem
Bewusstsein, beauftragt zu sein, und ihrem Drange, rücksichts-
los die in der Seele lebenden Gedanken auszusprechen, seehsch
gerade danach geartet ist, in der anschmiegenden Weise des
Seelsorgers, mit den klugen Massnahmen des Erziehers den
1) Kritik der Evangelien IV, S. 101.
42
Menschen gegenüberzutreten. Vielleicht darf man doch ver-
muten, dass auf einem sehr natürlichen Wege das Bild Jesu
nach und nach nicht ganz wenig ins Pastorale, wenn auch noch
so edel Pastorale umgezeichnet worden ist. Allein diese Er-
wägung soll hier keineswegs verfolgt werden. Aber die Frage,
ob Markus über ein pädagogisches Verfahren Jesu etwas an
die Hand giebt. lässt sich doch unmöglich umgehen, wenn man
Markustexte mit diesem Gedanken interpretiert. Und hier be-
kenne ich entschiedenen Zweifel.
Es ist zwar versucht worden, die Idee der Jüngererziehung
sogar zu einem für Markus beherrschenden Gesichtspunkte zu
machen ^). Aber der Versuch ist nicht gelungen, und er ist
eigentlich auch nur begreiflich, wenn man das Evangelium mit
sehr modernen Augen beti-achtet.
Es versteht sich zwar von selbst, dass es manche Momente
in ihm giebt, die sich mit einer Erziehungsidee leicht in Ver-
bindung setzen lassen : die Jünger werden berufen, werden aus-
gesandt, erhalten Lehre und Weisung, Parabeln werden ihnen
erklärt, Weissagungen dürfen sie vernehmen. Aber von einem
Verfahren, dass auf Entwicklung Bedacht nähme, das von
Stufe zu Stufe führte oder vorhandenen Schwächen entgegen-
käme, das also den Namen der Erziehung verdiente, ist nichts
zu merken. Das kann nur der meinen, der die Lücken z\Naschen
den vorhandenen Daten mit seinen subjektiven Vorstellungen
auszufüllen für recht hält, oder der verbindet, was der Erzähler
nicht erkennbar verbunden hat. Der Lehrer ist nicht not-
wendig der Erzieher, der Lehrer kann fast das Gegenteil des
Erziehers sein. Wo finden wir bei Markus Perikopen, die den
pädagogischen Gesichtspunkt klar ausprägen ? Man muss schon
jede Antwort Jesu auf eine Jüngerfrage zur Pädagogik auf-
bauschen. Man muss übersehen, dass nach Markus die Form
1) Besonders Kloster manu (Das Markusevangelium 1867) hat das
gethan und ihm hat sich Zahn in seiner Einleitung in das Neue Testa-
ment II eng angeschlossen. Der Gedanke spielt aber auch sonst eine
Eolle. — Haupt, Zum Verständnis des Apostolates im Neuen Testa-
ment S. 14 ff. sucht die Pädagogik Jesu — wenig glücklich — in ein-
zelnen Eedestücken nachzuweisen, ohne gerade speziell an Markus zu
denken. — Über die Auffassung von Klos terra aun und Zahn einige
Bemerkungen im Exkurs III.
43
der Parabelrede von Jesus gerade nicht gewählt wird, um
schwachem Verständnisse zu Hülfe zu kommen. Man muss
vergessen, dass Jesus, wenn seine Jünger ihn nicht verstehen,
in der Hegel nichts thut, um ihnen verständhch zu werden.
Vollends Begriffe wie »Bedachtnehmen auf eine Entwicklung
der Erkenntnis von innen heraus«, »Erziehung zur Selbständig-
keit der Erkenntnis« fallen ja von vornherein aus der Sphäre
des Markus heraus. Das Einzige, was der Auffassung einen
Schein des Rechtes geben kann, ist, dass sich in der Erkenntnis
der Jünger ein Fortschritt zu zeigen scheint, und dass Jesus
öfter fragt: habt ihr mich noch nicht verstanden? Es wird
später Gelegenheit sein, zu zeigen, dass in beiden Beziehungen
die Erklärung ganz anderswo liegt als im Gedanken der Päda-
gogik. Einstweilen behaupte ich, dass die Interpretation der
auf das Geheimnis bezüglichen Gebote durch diesen Gedanken
sich nicht von selbst versteht, weil er bei Markus fehlt.
Das Gleiche wird aber auch gelten, wenn man bei der
»pädagogischen Absicht Jesu« an seine Besorgnis vor dem Er-
wachen des politisch-messianischen Enthusiasmus denkt. Hat
Markus überhaupt daran gedacht, hat er etwas davon gewusst,
dass Jesus solchem Messiasglauben geflissentlich aus dem Wege
gieng? Der Leser wird den Skeptizismus dieser Frage über-
legen belächeln. Denn mit diesem Gedanken operiert jedermannn.
Allein die Frage muss aufgeworfen werden.
Denken wir uns einen Leser des Markus, der von der Ge-
schichte Jesu nie etwas gehört hat. Er wird sofort merken,
dass die Messiasfi'age von Wichtigkeit ist, aber dass er nach
dem Evangelium auf die Vorstellung einer doppelten Messias-
idee, nämlich einer von Jesus gehegten geistigen und einer
volkstümlichen politischen, geraten sollte, ist völlig unmöglich.
Mit keiner direkten Andeutung hat sie der Erzähler gestreift.
Jesus spricht sich darüber nicht aus, er tadelt Aveder Jünger
noch Volk in dieser Beziehung, er kämpft anscheinend weder
innerlich noch äusserlich gegen eine falsche Messiaserwartung.
Dem Volke merkt man es nicht an, dass es aus diesem Grunde
Jesus nicht nahe kommt. Wir hören Avohl von einem Gegen-
satze seiner Ansichten zur Selbstbeurteilung Jesu. Aber er
liegt nur darin, dass es ihn für den wiedergekehrten Täufer,
den verheissenen Elias, einen der Propheten hält, d. h. nicht
44
für den Messias. Ist das alles zu verstehen, wenn der Evan-
gelist hinter dem ganzen Benehmen Jesu, soweit es sich um die
Messiasfrage handelt, den Gegensatz gegen die politische Mes-
siasanschauung als Haupttriebfeder denkt? Er verrät uns doch
so mancherlei z, B. über seine christologischen Anschauungen,
über die Sinnesart der Gegner Jesu. Er hält es für nötig seine
heidenchristlichen Leser sogar über jüdische Reinigungsgebräuche
(Tsf.) ausdrücklich zu unterrichten. Und hier schweigt er, als
ob sich dieser Gegensatz zur Messiaserwartung der Juden von
selbst verstände?
Man wird mir die AVeissagung vom Leiden und Sterben
^es Menschensohnes, die — anscheinend — ablehnende Art
vom Prädikat des Davidssohnes su sprechen (12 soff.), auch den
Einzug auf dem Friedenstier und die Verhandlung über den
Zinsgroschen i) entgegenhalten. Aber auch hier handelt es sich
nur um Texte, die mit dem fraghchen Gedanken interpretiert
werden, nicht um solche, die ihn aussprechen. Ich bestreite die
Notwendigkeit, ja die Richtigkeit der Interpretation, ohne die
Frage hier nach allen Seiten erledigen zu wollen.
Auf den leidenden Messias komme ich zurück. Der Esel
beim Einzüge in Jerusalem ist nicht sowohl das Tier des
Friedens als vielmehr das Tier der Weissagung (Sach. 9). Sollte
er aber noch den Charakter Jesu kennzeichnen, so wäre ein
Symbol für seine Sanftmut und Demut durchaus noch kein
Symbol für den unpolitischen Messias. Ganz unbefangen lässt
ja Markus selbst das Volk bei dieser Gelegenheit vom Reiche
des Vaters David sprechen, das da kommt (11 lo), und wer sagt
uns, dass er da nur an »ein Phantasiebild im Bewusstsein des
Volkes« denkt? Das leuchtet nur dann ein. wenn die fragHche
Auffassung für Markus schon anderweitig feststeht. Und auch
dann eigentlich noch nicht. Denn wie kommt das Volk mit
seiner Auffassung dazu, in Jesus seinen Messias zu sehen, wenn
der Esel anzeigt, dass er von der Volkserwartung nichts wissen
will? Aber auch die Belehrung über den Christus als Herrn
Davids ist m. E. ganz ohne antipolitische Tendenz. Wenn der
^Titel Davidssohn hier angefochten wird, so fragt sich noch sehr,
1) Über Davidssolin und Zhisgrosclien z. B. Ho 1 tzmann, Xeutest.
Tbeol. I S. 242 ff.
45
ob es geschieht, weil eine verkehrte Meinung über die Art des
messianischen Auftretens oder weil eine falsche, eine zu niedrige
Vorstellung über die Herkunft des Messias darin gefunden
wird — er ist nicht Davids Sohn, sondern Gottes Sohn. Sicher
ist, dass in sehr alter christlicher Zeit die zweite Auffassung
vorhanden gewesen ist. Das beweist der Barnabasbrief (12 lof.) ^).
Die Geschichte vom Zinsgroschen endhch (12i.ifF.) hat mit der
messianischen Frage überhaupt nichts zu thun. Es handelt sich
darum, ob Jesus sich jüdisch-patriotisch, d. h. antirömisch in
einer Frage äussern wird, die jedem jüdischen Lehrer, dem man
ein Bein stellen wollte, ebenso gut hätte vorgelegt werden
können.
Dazu kommt positiv, dass nach Markus selbst Jesus die
Frage des Pilatus, ob er der »König der .luden« sei, ohne
Scheu bejaht (102, vgl. 15 9. 12. is. 26). Denn das ov Xiyeig muss
eine Bejahung sein. Hätte ein Erzähler so berichtet, der in
Jesus ständig den Gegensatz gegen die jüdische Volkserwartung
hineindenkt? Wenn irgend ein Titel politische Farbe trägt, so
ist es dieser. Man vergleiche hier das Johannesevangelium.
Dies bietet etwas von der vorausgesetzten Unterscheidung, wenn
Jesus nicht vom Volke zum König gemacht werden will, und
wenn er sein Reich jedem weltlichen Reiche gegenüberstellt
(615, 18 33. 36f.). Ob das historisch betrachtet ein Vorzug ist,
stehe dahin. Aber dürfen wir Markus ohne Umstände nach
Johannes auslegen? Bezeichnend ist jedenfalls, dass Jesus bei
Johannes dieselbe Pilatusfrage nicht bejaht. Er weicht aus
und betont die Art seines Reiches, während er nach einer
weiteren Frage den Titel »König« allerdings in Anspruch
nimmt (18 33 — 37).
Allein sollte die Auflassung des Markus mit der jüdischen
Messiasvorstellung identisch gewesen sein? Oder sollte er nur
eine einzige Messiasvorstellung gehabt haben? Gewiss weder
das Eine noch das Andere. In einem wesentlichen Punkte
wenigstens muss er sich eines Gegensatzes ziu' jüdischen Mes-
siasvorstellung bewusst gewesen sein, und natürlich hat er diesen
Gegensatz auch Jesus selber zugeschrieben. Dieser Punkt ist
das Leiden und Sterben des Messias. Aber der Gegensatz
1) Hierauf hoffe ich an anderer SteHc näher einzugehen.
46
einer Messiasherrlichkeit ohue Leiden und einer andern mit
Leiden, ja durch Leiden ist ja etwas völlig anderes als der
Gegensatz einer geistigen und einer national-politischen Auf-
fassung im üblichen Sinne. Mit jenem ist der Gedanke an
messianische Umtriebe, Agitation und Revolution keineswegs
gegeben. Und nur auf ihn kommt es hier an. Denn nur auf ihn
könnte sich eine Besorgnis Jesu gründen, wie man sie braucht,
um seine Bemühungen, sich im Verborgenen zu halten, zu motivieren.
Ob Jesus selbst ein Messiasbewusstsein besass, für das die
Yenieinung der Yolkserwartung wesentlich w^ar, soll hier wieder
-gar nicht entschieden werden. Auch wenn es der Fall sein
sollte, vei-steht es sich nicht von selbst, dass Markus sich in
-das wirkHche Bewusstsein Jesu hineingedacht hat. Wäre das
Evangehimi etwa im Jahre 90 — ich behaupte es nicht, ich
setze es niu' — fem von Palaestina, vielleicht in Rom von
einem Christen unbekannter Herkunft geschrieben worden,
warum müsste dieser Christ notwendig einen Sinn für das Ver-
hältnis der Messiasidee Jesu zu der der Juden gehabt haben?
Anderweitige Literatur belehrt uns reichhch, dass die Vor-
stellungen über das Wesen Christi alle möglichen historischen
Verhältnisse des Lebens Jesu überfliegen konnten.
Ebenso wie die eben besprochene Auffassung lässt sich
übrigens auch die Meinung in Zweifel ziehen, dass der Jesus
des Markus sinnliche Vorstellungen vom Messias und seinem
Reiche befürchtet und bekämpft habe. Gewiss verweist er seinen
Jüngern den Ehrgeiz und die Herrschsucht und verlangt das
demütige Dienen, aber dem Petrus verheisst er (102of.) als Lohn
der Selbstverleugnung sinnliche Güter, und auf die Bitte der
Zebedaiten um die Ehrenplätze giebt er eine Antwort, die
voraussetzt, dass es solche Ehrenplätze giebt (lOssff,).
Ich fasse das Ergebnis dieser Betrachtungen zusammen.
Die Exegese hat das fort und fort, bis in die letzte Zeit wieder-
holte Gebot Jesu von seiner Messiaswürde zu schweigen nicht zu
erklären vermocht. Denn sie hat einen einleuchtenden, für den
geschichtlichen Jesus denkbaren und auf alle Einzellälle an-
wendbaren Beweggrund nicht ermittelt. Sie hat dabei zur
Interpretation der Markusberichte Anschauungen verwendet,
deren Besitz für den Evangelisten, um wenig zu sagen, nicht
47
nachgewiesen worden ist. Im Gninde hat sie sich aber um
Markus selbst überhaupt wenig gekümmert, man pflegt ihn ein-
fach zu überspringen und sich direkt ins Leben Jesu zu ver-
setzen, und doch haben wir diese Nachrichten nur aus Markus.
Dieser Thatbestand ist ja kein zwängender Beweis, dass die
Berichte über Jesu Gebote ungeschichthch sind. Aber es
mutet einen doch schon an diesem Punkte recht seltsam an, dass
man behaupten konnte, es gebe in der ganzen evangelischen
Geschichte wohl kaum glaubwürdigere Nachrichten als sie ^).
Notwendig stellt sich hier vielmehr der Verdacht ein, dass sie
ungeschichtlich sein könnten; unter der Voraussetzung der Un-
geschichtlichkeit wäre dann vielleicht die Erklärung zu liefern,
die bei der entgegengesetzten Annahme nicht zu gewinnen war.
Und die Berichte sind in der That un geschichtlich, einer
■wie der andere.
Zuerst ist das klar bei der Abwehr der Dämonen-Huldi-
gung. Haben die Dämonen Jesus nicht als Messias begrüsst,
so kann er es ihnen auch nicht gewehrt haben. Diese Züge
fallen mit ihrer Voraussetzung.
Ein zweites Argument ist schon mehrfach gestreift worden.
Das Evangelium berichtet nicht nur ausdrücklich, dass Jesus
als Wunderthäter weithin bekannt war, es schildert nicht nur
zahh'eiche Wunder in diesem Sinne; auch die Wunderge-
scliichten, in denen die Verbote sich finden, ruhen selbst auf
dieser Vorstellung. Der Aussätzige, Jairus. der Taubstumme
und der Blinde kommen nur darum mit elesus in Beriihrung,
weil seine Wunderkraft in der Leute Munde ist. Das ist also
eine Voraussetzung, von der aus man die Verbote nach den
Wundern ki'itisieren darf. Hat nun Jesus seine Wunder als
Kennzeichen seiner Messianität gedacht, so kann er an dem
Schlüsse, er sei der Messias, keinen Anstoss genommen haben;
d. h. die Verbote bei einzelnen Wundern werden unbegreiflich,
wenn sie anders, wofür alles spricht, messianisch gemeint sind.
Hat Jesus hingegen gar nicht daran gedacht, dass seine Wunder
Schlüsse auf seine Messianität zuliessen, so werden die Verbote
1) Baldensperger S. 243f. Nicht wenis^er stark hat sich schon
Ewald ausgedrückt (Ewald's Jahrb. I S. 117), untor dem Beifall von
Hol tz mann (Synopt. Evang. S. 432).
48
doch wiederum unbegreiflich. Denu 1) weshalb kommt er ge-
rade in diesen Einzelfällen auf den Gedanken, Stillschweigen
zu befehlen, den er sonst nicht hat? und 2) wie kann er
glauben, durch seine Verbote die weitreichende Offenthchkeit
seiner Wirksamkeit unschädlich zu machen?
Drittens entstehen eine Reihe von Bedenken aus den
Wunderberichten selbst, bei denen wir die Verbote finden.
Die Heilung des Aussätzigen (1 4ofi.) kann die geschichtliche
Forschung, die Wunder im strengen Sinne nicht anerkennt,
nicht als geschichtlichen Bericht betrachten ^) ; und wenn wir
ein Quäntchen des Wunderhaften abdingen, indem wir den
Kranken bis zu seiner Ankunft beim Priester »allmälig« ge-
simden lassen ^j, so bleibt die Sache dieselbe. Nun hat man
freilich, gestützt auf die Beobachtung, dass yM&ccQt"Csiv auch
rein erklären heissen kann, aus der Heilung eine Rein-
sprechung durch Jesus (als Grundlage des Beiichtes) gemacht^).
Aber was eine Reinsprechung wert sein soll, auf die die eigent-
Kche Reinsprechung durch den Priester erst noch folgen muss,
bleibt unklar ^). Man müsste also die Geschichte erst noch von
diesem Zuge säubern. Indessen so oder so fällt das Verbot
dahin. Ist die ganze Geschichte späterer Zuwachs der Über-
lieferung, so das Verbot auch. Ist die Reinsprechung der Kern,
so ist das Verbot unsinnig, da es ja auf die öffentliche Wirkung
der Reinsprechung ankommt.
Ich lasse jedoch lieber die Kritik der Wunderberichte als
solcher aus dem Spiel, fi'age also nur, -uie sich die Verbote
darstellen, wenn das Wunder selbst feststeht.
Hier ist zunächst die Geschichte von der Jairustochter sehr
klar. Der Tod des Mädchens ist bekannt geworden, man stellt
Ijereits die Totenklage um sie an. Jesus vollzieht dann im
Beisein der wenigen Zeugen die Erweckung. Aber konnte
dann durch die Entfernung der Leute das Wunder vor der
Menge verborgen werden? Jeder musste ja hernach sehen, dass
1) Holtzmann, HC z. St.: »ein reines Allmaclits wunder«.
2) B. Weiss, L. J. I S. 475, 542.
3) Keim II S. 174 (nach dem Vorgang des alten Paulus), auch
Holtzmann neigt der Auffassung zu.
4) So mit Eecht auch B. Weiss S. 543.
49
das Mädchen lebte, uiul jeder miisste sclüiesseii, dass ihr Wieder-
aufleben dem als Wundennann herbeigeholten Jesus zu danken
war. Polglich war ein Verbot Jesu völlig zwecklos, und weil
es zwecklos war, ist es geschichtlich verstanden sinnlos >). Es
ist hinzuzufügen, dass jede Auffassung des Verbots von diesem
Einwand betroffen wird.
Ganz dasselbe ist von der Heilung des Taubstummen zu
sagen. Auf den Gedanken, durch Isoherung des Kranken und
nachfolgende Weisung das Ruchbarwerden der Heilung zu ver-
hindern, konnte Jesus überhaupt nicht verfjJlen.
Bei der Heilung des Blinden scheint der Befehl: gehe
nicht in den Flecken, etwas mehr Erfolg zu versprechen. Denn
so wird der Blinde von den Leuten, die ihn zu Jesus gebracht
haben, ganz fern gehalten. Aber er wird gleichzeitig in sein
Haus geschickt. Liegt denn das Haus nicht im Flecken?
Davon ist nichts gesagt, und der Gedanke liegt fern, obwohl
die Erklärer ihn ohne Weiteres einschieben 2). Wie soll denn
der Kranke in sein Haus gehen, ohne den Flecken zu be-
rühren? wie soll er im Hause den Leuten verborgen bleiben?
Das sieht auch nicht nach Geschichte aus.
Bei der Geschichte vom Aussätzigen wird das Verbergen
des Wunderthäters denkbarer. Denn hier ist von Bekannten
und Verwandten des Kranken nicht die Rede; namenthch aber
kann die Weisung, er solle sich dem Priester zeigen und das
vorgeschriebene Reinigungsoj)fer darbringen, als ein wirksames
Mittel erscheinen, die Aufmerksamkeit von Jesus abzulenken.
Denn dies und nur dies wird der Sinn dieser Aufforderung
sein: Jesus — d. li. der Jesus des Markus — will sich hinter
dem Ausspruch des Priesters verstecken ^). Eben darum freilich
1) Schon Bleek, Synopt. Erklärung der drei ersten Evangelien
(18()2), I S. 403 sagt ganz ehrlich, dass nach der Weise, wie es sich
hegeben hatte, ein solches Ereignis in einem Orte wie Kapernauni un-
möglich verborgen bleiben konnte. Es folgt dann freilieh der matte
Zusatz: es könnte nur allenfalls gemeint sein, dass sie nicht eigends
darauf ausgehen sollten, es weit und breit zu verkündigen. S. auch
Keim II 8. 471 und Holt/mann z. St.
2) z.B. B. Weiss, L. .1. II Ö. 238, Holtzmann z. St. Anders un.l
richtig B. Bauer, Krit. d. Evang. III S. 336.
3) Das «AA« vnayf y.ik. ist der einfache (Jegensatz des oqk fujthvl
Wrode, Mossiasgehoimnis. ^
50
wird das Verfahren Jesu, das hier erzählt wird, nach anderer
Richtung gerade stark befremden. Daneben verdient erwähnt
zu werden, dass das Verbot eng mit einem Zuge verbunden ist,
der selbst wenig glaubwürdig scheint. Der Aussätzige missachtet
Jesu Wort und breitet die Wunderthat wie zum Trotze aus.
Ein eigentümliches Benehmen gegen den "Wohlthäter und gerade
kein Zeugnis für die Autorität Jesu. Der Zug kehrt aber 736
wieder, und eine weitere Parallele scheint es zu sein, wenn es
7 24 heisst:
In ein Haus eingetreten, wollte er (Jesus), dass es niemand
erfahre, und er vermochte nicht verborgen zu
bleiben.
Diese Stereotj-pie redet deutlich.
Viertens ist für alle Verbote, die vordem Petrusbekenntnis
liegen, noch die Frage nach dem Wissen des Evangelisten zu
erheben.
Will man den Thatbestand nicht verschieben, so darf man
nicht blos sagen, Jesus habe nach Markus bis zu diesem
Momente von seiner messianischen Würde geschwiegen, und das
sei jedenfalls in bester Übereinstimmung mit der Bedeutung des
Bekenntnisses selbst. Markus sagt nicht, Jesus habe geschwiegen,
sondern er habe geschwiegen, obwohl er sich als Messias
wusste, und er habe durch bestimmte Handlungen — eben
die Verbote — seine Absicht zu schweigen kundgethan. Ein
Wissen von diesem bewussten, den messianischen Anspruch ein-
schliessenden, aktiven Schweigen konnte ohne besondere Kunde
nicht überhefert werden. Woher hatte man Kunde, wenn Jesus
sich in Schweigen hüllte? Vielleicht von den Jüngern? Nehmen
wir an, sie seien Zeugen der Verbote gewesen. Dann ist ihnen
der Gedanke, Jesus sei der Messias, so nahegerückt, so glaub-
würdig nahegerückt worden, dass man nicht mehr versteht, weshalb
sie ihn selbst erst so spät finden, und dass das Bekeimtnis des
Petrus seine Spontaneität jedenfalls völlig einbüsst. Nach der
gewöhnlichen Voraussetzung können also die Jünger als Zeugen
gar nicht in Betracht kommen. Woher weiss dann Markus
Bescheid? Woher hat er Berichte, die in Wahrheit sogar ein
f^TjSfv (inrjs. Gesetzliche Tendenzen liegen m. E. fern. Das ds fictQTiiQiov
avTots bedeutet, dass die Leute an dem Spruche des Priesters eine Er-
klärung für die Eeinheit des Kranken haben sollen, die sie zufrieden stellt.
51
"Wissen um die Absicht Jesu voraussetzen, das die Erkenntnis
seiner Messianität bereits einschliesst? Jesus muss nach dem
Jüngerbekenntnis einen förmhchen Unterricht über eine grosse
Zahl seiner früheren Wunderthaten gegeben haben, Oder die
Geheilten müssen ihre Erlebnisse an eine Art Zentralstelle
gemeldet haben, damit nur ja alles in das älteste Evangelium
gelange. Es giebt Kritiker, die sich in ähnlichen Fällen mit
solchen Auskünften beschwichtigen. Die meisten werden an
diese Art der Überlieferung nicht glauben, aber die Frage, wie
berichtet werden konnte, was belichtet wird, werfen sie selten auf.
Vielleicht Hesse sich ausser den genannten Argumenten
noch Anderes gelten machen. Aber auf Gründe wie dass der
Mitwisser im Verlaufe der Erzählung ein wenig viel werden,
dass die Jünger eines wiederholten Verbots gar nicht mehr
hätten bedürfen sollen, lasse ich mich lieber nicht ein.
Sämtliche Nachrichten über die Verbote Jesu, soweit sie
vor dem Jüngerbekenntnis liegen, erweisen sich somit aus mehr
als einem Grunde als unglaubwürdig. Damit entsteht der
dringende Verdacht, dass es sich mit den wenigen übrigen ebenso
verhält. Bei der Stelle 99 muss solcher Verdacht ohnehin auf-
treten. Wird ein Wort historisch sein, das seinen Halt nur in
der Verklärungsgeschichte hat, und das Jesus obendrein die Vor-
aussicht seiner Auferstehung in den Mund legt? Ich prüfe das
nicht weiter. Der Verdacht wird ohnehin zur Gewissheit, wenn
die Anschauung des Markus selbst ermittelt ist. Denn in der
Anschauung des Markus muss die Erklärung liegen, wenn die
Geschichte sie versagt. Ehe wir jedoch nach dem Gedanken
des Markus fragen, berühren wir gewisse andere Nachrichten,
die mit den besprochenen nahe verwandt sind.
Verwandtes. Die Verhüllung durch Rätselrede.
Zweimal, bei der Auferweckung der Tochter des Jairus und
hei der Verklärung, fanden wir die Absicht Jesu, sein Geheim-
nis zu wahren, auch darin ausgedrückt, dass er nur die drei
vertrautesten Jünger mit sich nimmt. Dies geschieht aber auch
bei dem Gebetskampfe in Gethsemane. Ist dieser Zug etwa
ähnlich zu beurteilen ? Geben die drei Vertrauten nach der Vor-
4*
52
Stellung des Markus dieser Szene den Charakter des Geheimen
und Geheimnisvollen?
Die Frage drängt sich noch an zwei weiteren Stellen auf. Bei
der Heilung der Schwiegermutter des Petras gehen mit Jesus die
beiden Biüdeipaare Simon und Andreas, Jakobus und Johannes
ins Haus (l29tf,). Für Simon und Andreas ei-scheint das solort
verständhch, da das Haus als ihr eigenes bezeichnet wird. Die
Mitnahme des Jakobus und Johannes ist gewiss auch wenig
auifallend, da gerade zuvor diese Beiden zusammen mit dem
andern Paare berufen sind. Trotzdem könnte der Erzähler den Ge-
danken haben, dass diese vier Vertrauten die rechten Assistenten
bei einem geheimnisvollen Akte Jesu sind. Allerdings ist von
einer Aufforderung Jesu mitzugehen durchaus nicht die B,ede.
Ebenso fehlt eine Initiative Jesu in dem anderen Falle^
wo er den gleichen ^•ier Jüngern eine Belehi-ung giebt. Zu
ihnen nämlich wird nach Markus die grosse eschatologische
Rede gesprochen (13 3 f.). Sie locken sie hervor durch ihre Frage
nach dem Wann der von Jesus geweissagten Zerstörung
des Tempels und nach dem Zeichen für das Eintreten der
Zukunftsereignisse. Hier fällt aber auf, dass der Erzähler betont^
die Jünger hätten Jesus allein {/.az löiav) gefi-agt. Soll die
eschatologische Rede als eine Geheimlehre hingestellt werden?
Ahnliches hören wir wiederum ül^er den ganzen Jüngerkreis.
Jesus redet luK über das, was den Menschen verunreinigt und
nicht verunreinigt, und die Jünger fi'agen ihn nach dem Sinn
der jtaqa^oKy]. Das geschieht aber nach der ausdrücklichen
Angabe des Markus,
als er ins Haus gegangen war vom Volke weg.
Xach der Heilung des besessenen Knaben fragen sie ihn wieder
■/.aT löiav :
warum konnten wir ihn (den Geist) nicht austreiben?
und auch hier wird dabei bemerkt (9 2s):
nachdem er ins Haus gegangen war.
Ein drittes Mal heisst es nach der an die Phaiisäer gerichteten
Belehrung über die Ehescheidung (lOioV.
und im Hause' (eig ti]v ohiar) fragten ihn die Jünger
wieder hierüber.
Er aber stellt seinerseits bei seinem letzten Besuche in Kapharnaum
(933) erst dann die Frage:
53
was verhandeltet ihr unterwegs?
als er »im Hause angekommen« ist {ev rij ohda yevo^evogy).
In der Frühe des Tages, der auf die l-isff. berichteten
Heilungen folgt, geht Jesus von Kapharnaum fort und begiebt
sich an einen einsamen Ort (la5). Das Motiv dafür scheint
angegeben mit den folgenden Worten:
und er betete dort.
Allein als Petrus und seine Gefährten ihm dann melden, dass
alle ihn suchten, kehrt er nicht zurück, obwohl man anscheinend
weitere Segnungen von seiner Heilkraft begehrt, sondern
spricht (l38):
lasst uns in die benachbarten Marktflecken ziehen,
damit ich auch dort predige. Denn dazu bin ich aus-
gegangen.
Das klingt ganz ähnhch wie der Schluss der folgenden Geschichte
vom Aussätzigen (I45). Er hat dem Kranken Schweigen be-
fohlen, der breitet die Kunde von der Wunderthat erst recht
aus. Deshalb, fährt der Erzähler fort,
konnte er nicht mehr offen in eine Stadt gehen,
sondern er hielt sich draussen an einsamen Orten auf.
Dorthin kam man dann freilich wieder von allerwäris. Ton
einem Rückzuge Jesu (ave^w'^^ff«»') berichtet auch 3t. Jesus
geht ans Meer. Es geschieht das, nachdem die Pharisäer mit
den Herodianern einen Anschlag gegen ihn gemacht haben (Se).
Am Meer wird er von grossen Volksmassen belagert, und er
lässt die Jünger ein Schiff bereit halten
der Menge wegen, damit sie ihn nicht bedrängten.
Er macht freihch von dem Schiffe keinen Gebrauch, sondern
geht nach 3 13 auf »den« Berg. Hängen diese Nachrichten ä)
von Versuchen Jesu, sich der Menge zu entziehen, vielleicht
auch mit seinem Bestreben zusammen, sich ins G-eheimnis zu
hüllen ?
Ich habe nur Fragen ausgesprochen und wollte nur Fragen
aussprechen. Eine sichere ßeui-teilung dieser Züge ist hier un-
möglich. Dass manches auffällig khngt, wird man vielleicht
1) Vgl. hier auch 724: x«( tiafX&wv di oixCav ovS^vn rif^ii-fv yvüJvat.
2) 631 f. übergehe ich mit Absicht.
54
zugeben. Indessen ist damit nicht viel gesagt. Aufsuchen der Ein-
samkeit und Zurückweichen oder vertraute Gespräche mit Jüngern
sind Dinge, die an sich nichts Unnatürliches haben, und die
sehr verschiedene Giünde haben können. Markus braucht daher
mit solchen Bemerkungen nicht gerade etwas sagen zu wollen.
Femer brauchen diese Nachrichten für Markus nicht auf einer
Linie zu stehen. Es wäre so jedenfalls voreilig, über ihren ge-
schichtlichen Wert abzusprechen. Diese Dinge im Auge zu
behalten wird aber nützUch sein. Wir werden später auf sie
zurückkommen.
Ein anderer Punkt steht dagegen in ganz unverkennbarem
Zusammenhange mit dem Gedanken der messianischen Selbst-
verhüllung Jesu, und über ihn lässt sich auch das historische
Urteil mit grosser Entschiedenheit aussprechen. Hierauf gehen
wii' daher sofort näher ein.
Es handelt sich um die eigenartigen Angaben, die Markus
über die Ursache der parabohschen Lehrweise Jesu macht. Es
heisst nach dem Gleichnis vom Säemaun
4 10 — 13: loXJnd als er allein {/.ara f^ovag) war, fragte
ihn seine Umgebung {ol tieql avzovy) samt den Zwölfen
nach den Parabeln. "Und er sprach zu ihnen:
euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes zu Teil
geworden {dldoTaL)\ jenen aber, die di'aussen sind
(rolg *?w)j kommt alles in Parabeln zu, ^^(Jaiiiit sie
»sehend sehen und doch nichts erbhcken und hörend
hören und doch nichts verstehen, auf dass sie nicht um-
kehren und ihnen Vergebung werde«. i^UmJ er spricht
zu ihnen : ihr vei-stehet diese Parabel nicht, wie wollt ihr
alle Parabeln erkennen?
Es folgt hierauf die Deutung der Parabel vom Säemann
nebst einer Reihe von Sprüchen und zwei weiteren Gleichnissen.
Dann lautet der Abschluss der ganzen einheithch gedachten
Perikope :
433. si: 33Un(j ji^it einer Menge solcher Parabeln redete
er zu ihnen das Wort, wie sie es zu hören vermochten;
1) D. h. sein Anhang, vgl. 334 (Holtzmann).
55
34 ohne Parabel aber redete er nichts zu ihnen, seinen
vertrauten 1) Jüngern aber gab er, wenn sie allein waren
(xttT löiav), für alles die Auflösung {euelvEv).
In diesem Texte ist mit aller Klarheit der Gedanke aus-
gesprochen, dass Jesus sich dem Volke gegenüber mit seiner Lehre
ins Geheimnis hüllt. In dieser Tendenz spricht er in Parabeln
und ausschliesslich in Parabeln (V. 33) zur Menge, absichthch
bietet er ihr alles gerade in dieser Form; weil für diese Form
wesentlich ist, dass sie unverständlich ist, die Hörer zwar etwas
vernehmen lässt, aber so, dass sie den Sinn nicht erfassen
können.
Ich brauche diese Exegese nach Jülichers vortrefflichen
Darlegungen^) nicht von Neuem zu begründen. Alle Versuche,
dem Gedanken, dass die Form der parabohschen Lehrweise
als solche das Dunkle und das dunkel Machende ist, seine
Schärfe zu nehmen, hat er bereits völlig ausreichend widerlegt.
Offenbar ist dann der Ausdruck Tiagaßoltj für Markus ganz
gleichwertig mit Rätsel. Wer als Parabelausleger sich für die
Frage interessiert, wie die Evangelisten die Gleichnisse Jesu
behandeln, kann zwar nicht ohne Hecht sagen, dass sie sie wie
Allegorien betrachten. Aber für ihr Bewusstsein und für die
Charakteristik ihrer Anschauung ist nicht dies das Wesentliche,
sondern dass es sich um Hätselbilder handelt.
Der Gedanke, dass Jesus dem Volke die Lehre durch
Gleichnisrede verbirgt, hat seine Kehrseite in dem, was von den
Jüngern gesagt wird. Markus scheidet in aller Form zwischen
einer esoterischen und exoterischen Belehrung Jesu. Den Jüngern
ist nämlich das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben worden.
Man darf das im Sinne des Evangehsten nicht erklären: die
Jünger haben durch ihren Anschluss an Jesus bereits be-
wiesen, dass ihnen irgend welches Verständnis vom Wesen des
Reiches geschenkt ist 3). Auf die Aktivität der Jünger kommt
es hier in keiner Weise an, und »irgend welches Verständnis«
vom Wesen des Reiches ist sicher ein ungenügendes Äquivalent
für tÖ (xvarriQiov v^g ßaaiXelag tov d-eov*). Im Gegenteil, der
1) So darf man vielleicht das idtoig wiedergeben.
2) Jülicher, Gleichnisreden .Jesu I '■* bes. S. 118 — 148.
3) So Holtzmann, HC z. St.
4) Der Fehler liegt darin, dass Holtzmann eine Frage erwägt,.
56
Satz will sagen: ihnen ist bereits das Ganze mitgeteilt worden,
oder das, was den entscheidenden Hauptpunkt aller Erkenntnis
bildet.
Nach diesem Wort über die Jünger kann man die Behand-
lung des Volkes auch durch den Satz ausdrücken : ihm wird
das Geheimnis des Gottesreiches vorenthalten.
Was ist das Geheimnis des Gottesreichs ?
Man erklärt: das geheimnisvolle Wesen des Gottesreiches,
wie es in den Parabeln Jesu, z. B. der vorangehenden
vom Säemann, enthalten ist, also die in den Gleichnissen vom
Himmelreiche verborgene Lehre '). Diese Deutung ist abzulehnen.
Eine spezielle Beziehung der allgemeinen Sätze 4io — 12 auf
bestimmte Gleichnisse existiert gar nicht. Auch wenn Markus
kein einziges Gleichnis mitteilte, wenn er nm- allgemein von Jesu
Parabellehren berichtete, hätte er genau ebenso schreiben können.
Denn jene Sätze beziehen sich nur auf diesen Gedanken der
Gleichnisrede überhaupt. Der beste Beweis ist das deöotai^).
Das kann nicht mnschrieben werden: euch ist beschieden worden,
durch Deutung der Parabeln das in ihnen nieder-
gelegte Geheimnis zu erfahren. Wenn Mt. 13 11 lautet:
vfAiv deöozai yvcjvai rd ^vaTrJQia rf^g ßaaileiag tcov
oiQavwv,
so haben wir hier allerdings diesen Gedanken. Aber Matthaeus
sagt eben nicht umsonst yvcovat. und nicht umsonst r« (.tvortjoi a;
auch bildet er recht verständig den Gegensatz:
l-ABivoig öe Ol öedoiaL'^).
Bei Markus ist die stillschweigende Ergänzung eines solchen
yvojvai nicht nur willküi-hch, sie vernichtet auch den schönen
die den Evangelisten nicht gekümmert hat: was haben die geschichtlichen
Jünger damals schon an Erkenntnis haben können? Markus denkt
hier nicht historisch.
1) Vgl. B. Weiss, Das Markusevang. und bei Meyer ^ z. St.
2) Jülich er I S. 124.
3j Luk. 810 hat zu denselben Worten den viel mangelhafteren
Gegensatz: rotg St lomoig iv naQaßoluTg. Man kann ja auch in diesen
Text einen Sinn bringen (Jülicher I S. 127 und J. Weiss bei Meyer,
Lukas * z. St.). Aber der Eindruck bleibt, dass die beiden Hälften
nicht zu einander passen. Den Grundsatz: das Schwierigere das
Ursprünglichere (.1. Weiss), darf man hier nicht anwenden.
57
Gegensatz seines Textes. Denn »euch ist es beschieden den
Geheinisinn der Parabeln zu erfassen, den anderen aber konnnt
alles in Parabeln, in dunkler Rede zu« — ist ein schlechter
Gegensatz. Der Evangelist sagt statt dessen: ihr habt Klarheit
"über das Tiefste und Höchste bekommen, die draussen«i) tappen
im Dunkeln und sollen es^).
Was das Geheimnis des Reiches Gottes ist, sagt der Er-
zähler nicht, er setzt a])er voraus oder lässt Jesus voraussetzen,
dass der Begrift' bekannt und klar ist. Für uns ist der Inhalt
und Umfang des Begriffes zunächst unbestimmt. Und der
Genetiv zr^g ßaailsiag rov d^eov, der auf to f^ivar^Qinv folgt, giebt
in diesem Fall keine Begrenzung, die sich nicht ohnehin von
selbst verstände 3). Denn m. E. liegt hier irgend Avelches konkrete
Bild einer ßaaileia rov d-eov gar nicht mehr vor. Die Frage,
ob es sich um ein gegenwärtiges oder zukünftiges Reich handle,
ist daher von vornherein gegenstandslos. Ebenso muss man hier
nicht vom »Wesen« des Reiches sprechen. Der Ausdruck ist be-
reits ganz formelhaft und daher ebenso wenig eine Verdeutlichung,
als wenn vom {.ivaTijQiov tov d^sov oder rfjg TtlotEcog die Rede
1) Weshalb dieser Ausdruck nicht eigentlich und räumlich zu
verstehen sein soll (J. Weiss, Die Parabelrede bei Markus. Stiidd. und
Kritt. 1891, S. 298, 300 (nach Fein e, Jahrbb. f. prot. Theol. XIV S. 412 f.),
auch Jülicher I S. 122, der hier die erste Aufl. S. 126 m. E. nicht
verbessert^), sehe ich nicht ein. Jesus ist von Markus nach V. 10 in
der Einsamkeit mit seinen Vertrauten gedacht. Die andern sind dem
gegenüber in der That »draussen«. Markus könnte sogar stillschweigends
an einen Aufenthalt im Hause gedacht haben (vgl. 7 17 ff.). Beim Aus-
sätzigen (l4ofF.) pflegt man einen solchen auch vorauszusetzen, obwohl
davon direkt nichts gesagt ist. Die Frage ist ohne Belang, aber wenn
Markus »Jesus hier geradezu von den ,, Ungläubigen" im Gegensatze
zur christlichen Gemeinde« reden Hesse, so wäre das ein Stilfehler, den
ich nicht ohne Grund bei ihm annehmen möchte.
2) J. Weiss hat in der eben zitierten Abhandlung S. 298 f. (vgl.
auch Die Predigt Jesu vom Eeiche Gottes "■' S. 45) die Hypothese ver-
treten, Mr. 4 IIa ruhe auf einem älteren Texte, der in Mt. 13iia {yvcHvai)
und bei Luk. noch vorliege. Ich halte das nicht für annehmbar, gehe
jedoch nicht darauf ein, da ich prinzipiell in dieser Arbeit mich an den
gegebeiu'n Text des Markus halte. S. übrigens Jülicher I S. 129 f.
3) Beachte die Stellung des Genetivs hinter ö^i^orut, die ihn tonlos
macht.
58
wäre, oder als wenn ynr vom Geheimnis -des Christentums«
sprächen. Man verbaut sich ohne diese Annahme geradezu das
Vei-ständnis. Denn man muss dann notwendig fragen, was denn
am Reiche Gottes das Geheimnisvolle sei, und kann eine rechte
Antwort darauf nicht finden. Bedenkhch wäre die Auslegung
freilich, wenn sie einen ganz snigulären Gebrauch von ßaoiXeia
Tov O^toc voraussetzte. Aber es giebt nicht wenige Stellen in.
den E van gehen und in der Apostelgeschichte, wo derselbe formel-
hafte Gebrauch angenommen werden muss^).
Der nähere Sinn des fivoTrJQinv, ^vie Markus ihn denkt, kann
also nur nach seiner Gesamtauffassung bestimmt werden. Da
dürfte es sachHch ja recht zutreffend sein, weim Stellen wie-
Eph. I9, Kol. I25 ff., 22 f. u. a. als Parallelen herangezogen
werden^), und danach erklärt wird: das Mystenum ist Christus
selber. Immerhin ist es gut, zunächst bei Markus stehen zu
bleiben. Hier ergiebt sich nun eigentlich, dass die gesamte
Lehre Christi unter den Begriff fällt. Denn wenn ;:die draussen«
alles »in Gleichnissen« erhalten, wenn sie also von der Lehre
Christi im Grunde gar nichts fassen können, so muss eben alles
eigentlich Geheimlehre sein.
Ich glaube, dies Urteil lässt sich auch nach andern Stellen
aufrecht erhalten. Es schhesst aber nicht im Geringsten aus,
dass für Markus gewisse Dinge der eigentliche Kern des
Mysteriums sind, dass er an sie vorzüglich denkt, wenn er das
AVort gebraucht.
Hieriiber haben wir einstweilen soviel erfahren, dass ein
Hauptstück dieses Mysteriums lautet: Jesus ist der Messias, der
Sohn Gottes. Wenn Jesus sich nach Markus als Messias ver-
1) Das Gleichnis vom Schalksknechte handelt z. B. nach der Über-
schrift (Mt. I823) vom Himmelreiche. Eine Anschauung vom Keiche
lässt sich ihm aber keineswegs entnehmen. Und schon Titius, Jesu
Lehre vom Keiche Gottes (Neutestam. Lehre von der Seligkeit I) S. 179
hat mit Eecbt darauf hingewiesen, dass in der Apostelgeschichte sehr oft
:>der Ausdruck Keich Gottes als ganz allgemeine und zusammenfassende
Bezeichnung für den Inhalt der Predigt des Evangeliums« gilt. VgL
z. B. die Wendung If'yfiv [tvayytXd^iaUui, xriovaaitv) Tic nfoi Tfjg ßaaiXttctg^
ToC diov Act. I3, 812, 198.
2) J. AVeiss, Studd. u. Kritt. 1891 S. 301, auch B. Weiss bei
Meyer z. St.
59
birgt, so haben wir das Recht, das f.iioiriQiov rr^g ßaoiketag toi
i^eoc durch diese Thatsache zu interpretieren ').
Markus spricht in unserm Texte noch einen zweiten Ge-
danken aus. Er ist mit dem besprochenen verwandt, darf aber,
wie schon angedeutet ist, nicht mit ihm identitiziert werden.
Die Jünger stehen nämhch auch darin über dem Volke, dass
sie eine Auslegung der Gleichnisse erhalten. Natürlich ent-
halten ja die Gleichnisse Jesu, trotzdem sie eigentlich nur des
Volkes wegen da sind, tiefe Gedanken ^j. Den Jüngern werden
sie erschlossen.
Diese Vorstellung würde also dem Texte des Matthaeus
(13 u) entsprechen. Die Parabeln enthalten hiernach auch und
im Besondern Geheimlehre, die für die Jünger bestimmt ist.
Man wird fragen, was in den Gleichnissen das Geheimnis-
volle ist. Es ist zu bezweifeln, dass Markus sich darüber Ge-
danken gemacht hat, oder dass er einen besondeni Inhalt als
geheime Lehre gedacht hat.
Weshalb soll eigentlich die Lehre des Gleichnisses vom
Säemann, väe sie der Evangehst in der mitgeteilten Deutmig
giebt, geheimnisvoller sein als irgend etwas anderes, was Jesus
sonst verkündet? Was ist besonders geheimnisvoll daran, dass
das Wort Gottes bei den verschiedenen Menschen einen ver-
schiedenen Erfolg hat, oder dass Stumpfsinn, Leichtsinn und
Weltsinn um die Frucht des Wortes betrügen? Es ist wichtig,
dass man hierauf keine befriedigende Antwort geben kann. Denn
es stellt den Sinn des Evangelisten klar. Die Exegeten wissen
freilich viel von den »Grundgesetzen des Gottesreichs« u. dgl.
zu sagen, die in dem Gleichnis offenbar werden. Aber dieser
Begriff passt schlecht in das Evangelium, und jedenfalls leuchten
die Erklärungen, die man giebt, nicht ein.
Wir haben eine, wie mir scheint, sehr deutUche und darum
wertvolle Parallele in dem bereits erwähnten Worte über das,
was den Menschen verunreinigt (Ti-ff.). Es kann kein Zweifel
sein, dass da ganz die gleiche Anschauung vorliegt wie in
unserm Falle. Die Jünger fragen Jesus nach dem Sinn der
1) Auch Jülicher I. ö. 123 umschreibt das iTf'Jorai: sie haben in.
Jesus den Messias erkannt.
2) Jülicher I. S. 126.
60
TtagaßoXrj, und sie erhalten allein die Deutung. Man muss
damit zusammennehmen, dass die Parabel selbst nach V. 14
zum Volke gesprochen wird, es wird eigens herangerufen, um
sie zu vernehmen. Ich frage nun wieder: weshalb soll die
Wahrheit, dass »von innen aus dem Herzen« allerlei Böses
kommt, das den Menschen verunreinigt — denn dies ist die
Deutung — geheimer sein als ein beliebiger moralischer Spruch,
der ohne Bild auftritt?
Es ist oflenbar: dem Schriftsteller schwebt hier nicht ein
bestimmter Gedankeninhalt als das Geheime vor, um dessen
willen Jesus dann das bedeckende parabolische Gewand über
seine Rede breiten würde, sondern er schliesst ganz einfach von
der blossen Form aus: weil Jesus parabolisch-rätselhaft spricht,
so hat er Geheimes mitgeteilt und mitteilen wollen.
Es darf vielleicht angemerkt werden, dass hier einer der Gründe
liegt für den Unterschied der evangelischen Parabelauifassung
und -deutung von der der späteren Allegoristen. Dieser Unter-
schied ist doch nicht ganz unbedeutend und von Jülicher wohl
unterschätzt worden. Es ist zu beachten, dass die Deutungen
von Parabeln, die bei Markus und Matthaeus vorliegen, immer-
hin recht einfach sind und sich im Kreise naheliegender An-
wendungen halten. Ebenso, dass nur ein paar Deutungen
gegeben werden, eni besonderer Drang zu deuten also nicht
sichtbar wird ^). Die Evangelisten haben eben nach ihrer Auf-
fassung keine Nötigung, Besonderes aus den Parabeln heraus-
zupressen. Was sie enthalten, ist ohne Weiteres Geheimlehre.
Für die allegorisierenden Kirchenväter dagegen kommt es ent-
weder darauf an, dass wirklich ein besonders mysteriöser Inhalt
gewonnen wird, oder dass wenigstens ein kunstvoll gefertigter
Geheimschlüssel angewendet wird, der in jedem Worte einen
gar nicht zu ahnenden Sinn erschliesst.
Der Bericht des Markus über das Parabellehren Jesu ist
1) Harnack hat gelegentlich bemerkt (Über das gnostische
Buch Pistis Sophia T. u. U. VII, 2 S. 55) : schon die Evangelisten hätten,
teils weil sie den einfachen Sinn der Sprüche Jesu nicht mehr verstan-
den, teils weil sie ihn »tiefer« verstehen wollten, die Auslegung in
falsche Bahnen geführt. Das zweite »teils« würde ich nicht unter-
schreiben.
61
völlig unliistorisch. Auch das brauche ich nicht mehr weitläufig
zu beweisen. JüUcher ist zwar nicht der Erste gewesen, der
den geschichtlichen Wert dieser Angaben verneint hat^), aber
seine Ausführungen haben doch das Beste dazu gethan, dass in
diesem Punkte bereits ein weitreichendes Einverständnis unter
den Kritikern l)esteht.
In der That, die Meinung des Markus vom Eätselcharakter
und vom Yerhüllungszweck der Parabelrede schlägt den Parabeln
selbst, wie sie in den Evangelien vorliegen, schlägt dem Wesen der
Parabel überhaupt, der ihr eingeborenen Bestimmung zu veranschau-
lichen, zu erklären oder zu beweisen, geradezu ins Gesicht. Jesus
aber schreibt diese Meinung ein Verfahren zu, dessen Grausamkeit
wetteifert mit seiner Sonderbarkeit und Zwecklosigkeit. Denn
unverständhche Reden zu dem Zwecke zu sprechen, um Andere
damit zu verstocken, ist grausam, diese Wirkung von solchen
Reden — und zwar von Gleichnissen! — erwarten ist sonderbar
und mehr als das, und eine Unempfänglichkeit herbeiführen
wollen, die in Wahrheit schon da ist, ist zwecklos.
Unter diesen Umständen sollte man darauf verzichten, noch
irgend einen Fetzen eines echten Jesuswortes im Texte zu suchen
und gar noch einen ursprünglichen Sinn des Echten von dem
bei Markus überlieferten Sinne zu unterscheiden. J. Weiss
nennt den V. 11 — mit gewissen Modifikationen — ein »gewiss
ursprüngliches« Wort (aus einem nicht mehr erhaltenen Zu-
sammenhange), und insoweit stimmt ihm Jülicher bei^). Ich
sehe hierin ein blosses Geschmacksurteil , wie sie auf diesem
Gebiete häufig sind. Das Wort, dass den Jüngern das Ge-
heimnis des Reiches Gottes gegeben ist, oder meinetwegen
auch, dass es ihnen beschieden sei, die Mysterien zu erkennen,
bringt mit seinem Gegensatze die Anschauung des Evangelisten
auf den präzisesten Ausdruck. Warum es dann eine andere
Quelle haben soll als eben diese Anschauung, der man das
tJbrige zuschreibt, ist nicht zu verstehen.
1) Vgl. z. B. Strauss, L. J. f. d. deutsche Volk S. 254 Anra., Br.
Bauer, Kritik der Evangelien 11 S. 271fF., bes. 275 (hier manche richtige
Bemerkung).
2) .T. Weiss, Studd.n.Krit. 1891 S. 302tf., Jülichorl S. 130 Anm.,
134, vgl. jedoch ö. 135.
62
Freilich Matthaeus und Lukas haben einen gemeinsamen
Text gegenüber Markus, der also aus Markus nicht zu begreifen
ist; sie sagen beide:
vf.ui' df.dozai yviovai xa f.ivaiil]Qia irjg ßaaiXeiag tüv
olqavMv (Luk. rov d-eov).
Aber was folgt daraus? Sicher nicht, dass das Wort echt ist,
sondern höchstens, dass beide Evangelisten eine von Markus
unabhängige Form des Wortes vor sich hatten. Aber auch dies folgt
nicht mit irgend welcher Sicherheit. Denn die Übereinstimmung
des Matthaeus und Lukas kann sich noch ganz anders erklären,
z. B. dadurch, dass in uralter Zeit ein Evangelium nach dem
andern korrigiert wurde. Um eines yv(~)vai und eines Plurals willen
solche Hypothesen zu bilden scheint daher bedenklich. Versucht
man die Entstehung der von Markus überlieferten AVorte Jesu zu
begreifen, so gewährt die Annahme einer echten Grundlage auch
nicht die mindeste Erleichterung, denn die Anschauung die in
diesen Worten hervortritt, gehört ungeteilt dem Evangelisten
und seinesgleichen.
Die Auffassung ^) des Markus von der Tendenz der para-
bolischen Lehrweise Jesu ist nicht aus einer Reflexion über den
Inhalt vorliegender Parabeln hervorgegangen, sie ist auch gar
nicht an vorhandenen Parabeln kontroliert; man fragte nicht,
wie sie zu ihnen stimme, wenn man sie auch auf ein paar
Exemplare anwandte. Nicht einmal besondere Beobachtungen
darüber, dass unter den Reden Jesu das Parabolische besonders
reich vertreten war, sind eine notwendige Voraussetzung für die
Bildung der Theorie. Sie hätte auch schon entstehen können,
wenn die Überlieferung nur wenige einzelne Parabeln gekannt,
und selbst wenn sie ganz unbestimmt erzählt hätte, dass Jesus
viel in Parabeln geredet habe.
Mit einer derartigen Überlieferung war nämlich für die,
die von den Gleichnissen Jesu keinen Eindruck dui'ch eigenes
Hören oder unmittelbare Berichte hatten, die Meinung, Jesus
habe schwer verständlich oder unverständlich geredet, von selbst
und ohne weiteres gegeben. Denn dass die Parabel ein Rätsel
1) Mit den folgenden Bemerkungen hoffe ich Jülichers Auf-
fassung von der Entstehung dieser Tradition [l. S. 146 ff) richtig zu modi-
fizieren.
63
sei, war der der Zeit geläufige Begriff '). Dieser Ausgangspunkt
der Anschauung ist also völlig klar.
Nun könnte man sehr wohl denken, dass solche dunkle
Redeweise Jesu wie ein schwieriges Problem erschien, dass man
nach ihrem Grunde fragte, den Grund dann in den Hörern ent-
deckte und so durch Reflexion zu der eigentümlichen Vorstellung
vom Zwecke der Parabelrede gelangte, wie sie vorhegt. Allein
der Hergang kann auch etwas anders gewesen sein, und ich
glaube es.
Wir haben die Anschauung kennengelernt, dass Jesus seine
Messianität als ein ängstlich zu wahrendes Geheimnis betrachtete.
Ganz abgesehen von den Parabeln also gab es den Gedanken:
das Grösste, was Jesus sagen konnte, hat er mit Fleiss für sich
behalten. Obwohl noch nicht klar ist, was das für Markus be-
deutet, spricht doch, wie gesagt, alles dafür, dass die Auffassung
der Parabelrede mit dieser Anschauung irgendwie zusammen-
hängt. Denn beide Male verbirgt Jesus die göttliche Wahrheit.
Wenn man nun jene Anschauung von der Selbstverhüllung Jesu
bereits hegte, so konnte der Gedanke, dass er in unverständ-
hchen Bildern gesprochen habe, gar nicht so befremdlich und
rätselhaft sein, es war s. z. s. schon ein 0 rt für ihn vorhanden.
Jesus beobachtete in der Parabelrede nur ein Verfahren, das er
sonst auch beobachtet hatte. Gerade diese Anschauung
also 2) erklärt es, dass man die durch den Ausdruck Ttagaßolrj
nahegelegte Vorstellung aufgriff, dass man in ihr etwas Wichtiges
sah und ihr nachgieng.
Dass dann die Parabelrede als Sprache für das Volk (im
Unterschiede von den Jüngern) betrachtet wurde, verstehen wir
sofort, wenn wiederum, wie ich hier vorgreifend voraussetze, die
umfassendere Meinung schon bestand, Jesus habe sich den
Jüngern zwar offenbart, der Menge dagegen verschlossen. Es
1) Naeb weise bei Jülicher, z. B. I. S. 33 ff, 44 ff, 210. Justin ver-
steht unter nctnctßokaC weissagende Worte des alten Testaments. "ßV
■naQttßoX^ ist z. B. Dial. c. Tryph. c. 52 Synonym von xty.idvf^^ivwg.
Ep. Barn 172 heisst h' naQnßolnlg xtic'^ni einfach soviel wie im Ver-
borgenen liegen.
2) Anders läge es natürlich, wenn der ganze Verhüllungsgedanke
seinen Anlass in der Parabelvurstellung hätte. Darüber später.
64
wird dabei nicht einmal nötig sein, die besondere Art dieser
Menge, d. h. die Schändlichkeit ihres Verhaltens gegenüber Jesus
zu betonen oder auf das »messiasfeindliche, messiasmörderische
Judenvolk« zu verweisen ^). Das wird noch klarer werden. Sollte
dieses Moment überhaupt hereinspielen, so wäre es eine unter-
geordnete Beziehung.
Deshalb scheint es mir nicht glücklich, wenn man die
synoptische Parabeltheorie eine theologische Zurechtlegung des
thatsächlichen Misserfolges genannt hat, den Jesu messianisches
Auftreten innerhalb seines Volkes erfahren hatte ^). Das Motiv,
diesen Misserfolg zu erklären, hat die Theorie nicht geschaffen;
sie ist, auf der Grundlage der üblichen Ansicht vom Wesen
des Gleichnisses, hervorgewachsen aus der allgemeinen An-
schauung vom Geheimnis im Leben Jesu und von der ver-
schiedenen Stellung der Jünger und des Volkes zu diesem Ge-
heimnis. Mit diesen Momenten ist sie vollständig erklärt.
Wir fanden bei Markus zwei nahe verwandte Vorstellungen:
1) zum Volke sprach Jesus in Parabeln d. h, verhüllt, zu den
Jüngern offen, 2) dem Volke blieben die Parabeln dunkel, den
Jüngern wurden sie ausgelegt. Welche Vorstellung soll als die
ursprän gliche, welche als die abgeleitete gelten? Mit voller
Sicherheit lässt sich das vielleicht nicht sagen. Aber man wird
vermuten, dass die erste die ursprüngliche war. Denn sie ant-
wortet auf die Frage : weshalb hat Jesus in Parabeln gesprochen ?
die andere s. z. s. auf die Frage: was Avird aus der in den
Parabeln enthaltenen Lehre? Jene Frage war aber naturgemäss
der Ausgangspunkt. Sagte man einmal, der Parabelvortrag er-
folgte, um dem Volke die Lehre Jesu zu verbergen, so trat der
zweite Gedanke dann leicht hinzu. Auch in den /ra^sa/joAat
musste doch wirkliche Lehre stecken. Musste sie dann doch
auch für irgend jemand sein, so konnte sie nur für die Jünger
sein. Ihnen aber musste sie natürlich ei^st durch besondere
1) So Jülicher. Erdenkt dabei an das urinoTt ^niGTQtipwaiv y.u\
(((f(&^ ((vroig 4i2. Immerhin ist das aber nur Zitat. Und 8i7f. wird
von der Verhärtung der Jünger, wenn natürlich auch nicht ganz ebenso,
doch sehr ähnlich wie 4 12 vom Volke gesprochen.
2) Holtzmann HC z. St., ebenso schon Ötrauss a. a. 0. Das
bekannte Wort von der »hypochondrischen Betrachtungsweise« der Evan-
gelisten trifft auch die Stimmung nicht gut.
65
Deutung zugänglicli gemacht werden, da sie eben 6»^ 7caQaßolfj
gegeben war.
Das kritische Ergebnis, das ohne diese Erklärung für die
Entstehung der eigentümhchen Auflassung schon feststehen
würde, durch sie aber den positiven Abschluss findet, ist für
uns von Wichtigkeit. Es zeigt sicli, der Gedanke des Messias-
geheimnisses reicht über die Wunder und die messianischen
Anreden von Dämonen oder Jüngern hinaus. Und wenn wir
hier so unverkennbar deuthch auf dem Boden späterer Gemeinde-
auffassung stehen, so verstärkt das noch die früheren kritischen
Ausführungen. Wie fern steht doch dieser Anschauung das ge-
schichthche Leben Jesu! Nicht die leiseste Empfindung, die
das Hören der wirklichen Gleichnisse Jesu erregen konnte und
erregen musste, klingt mehr hindurch. Will man zeigen, was
für unhistorische Vorstellungen bei Markus möglich sind, so
wird dieser Punkt immer ein ausgezeichnetes Beispiel sein.
Eben darum aber darf man sich nicht begnügen, ihn gleich-
mütig als geschichtlich wertlos zu buchen, sondern man muss
an ihm lernen für Anderes.
Erwähnung verdient zum Schlüsse noch eins. Wir haben
in diesem Texte sowohl die Bemerkung, die Jünger hätten
Jesus nach den Parabeln gefragt, als er mit ihnen allein
war, wie die andere, dass er ihnen die Auflösung der Parabeln
stets y^az idiai> gab. In diesem Falle ist also wenigstens
deutlich, dass diese Bemerkungen vom Alleinsein auch ein Aus-
fiuss der Anschauung des Evangelisten sind und nicht eine
historische Notiz. Gleiches gilt dann aber ohne Weiteres von
der parallelen Stelle 7 17, wo Jesus von den Jüngern erst ge-
fragt wird, nachdem er die Menge verlassen hat und ins Haus
gegangen ist.
Der Sinn des Geheimnisses.
In der Geschichte Jesu haben wir bisher kein Motiv ge-
funden, das uns seine bewusste Selbstverhüllung, wie sie bei
Markus geschildert wird, einleuchtend und befriedigend erklärte.
Ebenso wenig aber liess sich erkennen, dass Markus sich die
gleichmässig in vielen einzelnen Nachrichten ausgeprägte Haltung
Wrede, Messiasgeheimnis. 5
66
Jesu aus den eigentümlichen Bedingungen, Verhältnissen und
Vorgängen des geschichtlichen Lebens Jesu gedeutet habe. Ich
gehe weiter und behaupte: ein geschichtliches Motiv
kommt wirklich gar nicht in Frage; positiv: die Idee
des Messiasgeheimnisses ist eine theologische Vor-
stellung.
Eine verhältnismässig wenig beachtete Stelle liefert den
Schlüssel für die Anschauung. Mir ist sie wenigstens
recht eigentlich der Ausgangspunkt für die Erkenntnis dieser
ganzen Gedankenreihen gewesen, und insofern halte ich sie für
eins der wichtigsten Worte, die Markus geschrieben hat. Es
ist der Befehl, den Jesus nach der Verklärung erteilt (9 9):
Und als sie vom Berge herabstiegen, befahl er ihnen,
niemand zu erzählen, was sie gesehn, ausser wenn der
Sohn des Menschen von den Toten erstanden wäre.
Man schliesst aus diesem Worte, dass die Verklärung als
eine Art Vorwegnähme, eine Vorausdarstellung der Auferstehung
Jesu oder als eine Weissagung seiner Wiederkunft in Herrlich-
keit gedacht sei, und erklärt hiermit dann wieder den Sinn des
AVortes »). Die wahre Bedeutung des Gesichtes, das den Ver-
trauten Jesu zu Teil wurde, wäre doch erst nach der Auf-
erstehung erkennbar gewesen. Also sollte man bis dahin nicht
davon reden.
Jene Deutung des Vorganges als Weissagungsbild des
Künftigen mag gar nicht falsch sein. Aber wird damit klar,
weshalb Jesus einen ausdrücklichen Befehl giebt? AVar die
Bedeutung der Verklärung erst später zu erkennen, so scheint
es ziemlich unschädlich, wenn man früher von ihr hörte. Zu-
dem hat Jesus nach Markus über sein Kommen in Herrlich-
keit unmittelbar zuvor vor aller Ohren gesprochen (8 38 vgl. 34).
Weshalb soll dann der Vorgang auf dem Berge Geheimnis
bleiben? Doch viel wichtiger ist etwas Anderes.
Diese Auffassung trennt das Gebot Jesu von seinen Parallelen,
sie giebt ihm eine Motivieruag, an die man in keinem einzigen
der andern Fälle denkt. Über den Eindruck, dass diese Stelle
1) Z. B. Holt z mann und B. "Weiss (Das Markusevang. und bei
Meyer ) z. St.
67
den andern gleichartig ist, kommt man aber nicht hinweg. Die
Erklärer haben das auch immer wieder empfunden'). D. h. es
muss sich auch hier um die Wahrung des messianischen Ge-
heimnisses handeln. Kein Exeget hätte das überhaupt je be-
zweifelt, wenn der Befehl nicht mit der Angabe des Termins
»bis zur Auferstehung« aufträte. Denn der Text selbst redet
ja ausdiiicklich von der Messianität.
Gewiss zeigt die Verklärungsgeschichte, wie Pseudopetrus
sagt^), die }.ieyalsi6Tt]g, die Herrlichkeit oder Majestät Jesu,
d. h. sie zeigt etwas Überirdisches, was im irdischen Leben
Jesu keinen Platz hat. Aber damit ist keinerlei Gegensatz zur
Messianität gegeben. Das mrd sich im Verlaufe unserer Unter-
suchung von selbst ergeben. Ganz ausdrücklich aber hören wir
von der Messianität, wenn die Stimme vom Himmel ruft: ^
Dies ist mein geliebter Sohn, auf ihn höret.
"Was das Auftreten des Moses und Elias auch immer bedeuten
möge — dieses himmlische Zeugnis, das den Abschluss der
Szene bildet, kann doch nur als eine Art Deutung des ganzen
Vorgangs betrachtet werden. Und es versteht sich von selbst,
dass das Gebot, über das Gesehene zu schweigen, dies
Gehörte mit umfasst. Dann ist in der That klar, dass
der Inhalt dieses Gebots mit dem der übrigen im Grunde
zusammenfällt.
Weshalb sollte nun der Zusatz von der Auferstehung uns
hindern, an die Geheimhaltung der Messiaswürde zudenken?
Erfassen wir nur herzhaft den Gedanken, auf den uns die Sache
führt. Es ergiebt sich: während seines Erdenlebens ist
Jesu Messianität überhaupt Geheimnis und soll es
sein; niemand — ausser den Vertrauten Jesu — soll
von ihr erfahren; mit der Auferstehung aber erfolgt
die Entschleierung.
Dies ist in der That der entscheidende Gedanke,
die Pointe der ganzen Auffassung des Markus.
1) Z. B. Weisse I S. 542. Auch Holtzmann sagt trotz der
erwähnten Auslegung — unter Hinweis auf 829 — sehr treffend: (die
Jünger) werden eingeführt iu das Geheimnis der Gottessohnschal't.
2) 2. Petr. liG über die "Verklärung: . . . ^nömai yivri&ivttg lijs
ixtivov fxeyaldoTtjTog.
5*
68
Damit haben wii- denn sofort die Erklärmig aller Verbote
Jesu, Auch nach dem Petrusbekenntnis hätte Jesus sagen
können: redet zu niemand von mir, bis ich auferstanden bin.
Auch den Dämonen gegenüber rechnet er auf seine Verborgenheit
bis zu diesem Zeitpimkte. Es ist nicht schwieriger diesen
Gedanken häufig bei Markus anzunehmen als ihn einmal zu
finden. Und es ist notwendig ihn überall vorauszusetzen, wenn
der eine Fall den andern gleichartig ist. Im Übrigen werden
im Weiteren noch zwei Bestätigmigen der Exegese hinzu-
kommen. Einmal wird sie sich dadm*ch erproben, dass sie sich
fi-uchtbar für das Verständnis des Markus erweist. Sodann ist
es möglich, eine nah verwandte Anschauung nachzuweisen, in
der namenthch die Auferstehung eine ganz analoge Bedeutung
hat wie hier.
Alles Suchen nach Beweggmnden füi' die Zmückhaltung
Jesu, die in seiner pei-sönlichen Stimmung, in der Art und
Absicht seines Wirkens, der Eigentümhchkeit der jeweihgen
Situation lägen, ist hiermit endgültig verljanut. Die positive
Erklärung für den Sinn des Geheimnisses drückt der Kritik,
die an den verschiedenen Versuchen solcher Art geübt wurde,
das Siegel auf.
Die Ungeschichthchkeit der Verbote wird hier aber noch
einmal am Ganzen ofienbar. Niemand, der die Meinung hat,
dass Jesus sich für den Messias gehalten habe, Avird glauben,
dass er Zeit seines Lebens als solcher nur den Jüngern bekannt
geworden sei — schon weil dann seine Yermleilung mit der
Messianität nichts mehr zu thun hätte. Sollen aljer unvorsichtige
und schwatzhafte Jünger das Geheimnis ausgeplaudert haben^
oder soll es durch »Eindiiicke von Jesu Wü-ken« en-aten sein,
so bleibt es jedenfalls ein Rätsel, wie er überhaupt dauernde
V'erborgenheit wollen konnte. Im Übrigen sagt das »bis zur
Auferstehung« schon deuthch genug, dass es sich hier um An-
schauung, nicht um Geschichte handelt.
Auch hier aber kann nicht ein einzelner historischer Fall^) —
das müsste denn das Verbot nach dem Petrusbekenntnis sein^
das, isohert betrachtet, nichts besondres gegen sich hat — al&
1) Vgl. oben S. 30 f. — Strauss spricht von einer derartigen
Möjjlichkeit I S. 477.
69
der Aiilass und Ausgangspunkt für die Angaben des Evangeliums
gelten. Die Entstehung einer eigentümlichen Anschauung
wird bei dieser kümmerlichen Annahme um nichts deuthcher,
während der eine Zug sich aus dieser Anschauung wieder gerade
^0 gut begreift me alle übrigen.
Eine besondere Motivierung haben mr — ausser der in-
direkten, die 09 vorliegt — bei den Verboten -nicht gefunden.
Diese Thatsache musste auffallen, hier aber verliert sie das Auf-
fallende. Wenn der Jesus, der auf Erden wirkt und redet,
einfach immer im Verborgenen bleiben will, wenn er in diesem
Sinne absolute Verbote giebt, so kommen besondere Gründe
eben nicht in Frage. Es handelt sich um eine allgemeine, be-
herrschende Ansicht von der Messianität, die dem Evangelisten
so deutlich ausgesprochen scheint in seinen Angaben, die ihm
selbst so selbstverständlich ist, dass er Auseinandersetzungen nicht
zu geben braucht.
Indessen man wird fragen: wie kann Markus diese Ansicht
hegen, wo er so manches Datum bringt, das ihr strikt entgegen
ist? Beim Einzüge in Jerusalem lässt Jesus sich selbst als
Messias feiern, der Bhnde in Jericho nennt ihn Sohn Davids,
vor dem Hohenpriester bekennt er sich unumwunden zur Gottes-
sohnschaft. Und Markus soll gedacht haben, dass er seine
Würde bis zum Tode geheimhielt? Ich lasse dies Bedenken
nicht gelten. Ein Andres ist es, ob der Gedanke da ist, ein
Andres, ob er widerspruchslos von Markus durchgeführt ist. Was
in der Geschichte sich stossen müsste, kann in den Gedanken
neben einander stehen. Von solchen Fragen wird später zu
reden sein. Für jetzt genügt es, dass nur unsere Auslegung
der Stelle 9o wirklich gerecht wird.
In Jesu Belehrung über das Parabelreden begegnete uns
eine Parallele zu dem Verbergen der Messianität. Durch die
Exegese von Oo tritt nunmehr ein anderes Wort des Parabel-
abschnittes in ein helles Licht.
Nachdem Jesus die Auslegung der Parabel vom Säemann
beendet hat, sagt er bei Markus 421.22:
2' Kommt etwa die Lampe, um unter den Scheffel oder
unter das Bett gesetzt zu werden, nicht vielmehr, uiti
auf den Leuchter gesetzt zu werden? ^2 Denn nichts ist
70
verborgen, ausser damit es geoffenbart werde, und nichts
ward geheim, als damit es an den Tag [slg (paveqov)
komme.
Dies Wort oder besser diese beiden Sprüche sind ja auf
keinen Fall von Markus geschaffen. Aber wenn er sie an dieser
Stelle bringt, so geschieht es nicht in halber Verlegenheit oder
in mühsamer Gedankenvereinigung, wie wenn ihn das Bestreben
leitete, solche Logien nicht umkommen zu lassen, sondern es
geschieht, um einen im Zusammenhange wichtigen Gedanken aus-
zusprechen. Markus hat mit den Versen, die vom Zweck der
Parabelrede handeln (4io — is), das Reflektieren über die para-
bolische Lehrweise nicht abgethan, die Verwandtschaft des
Schlusses (V. 33.34) verrät schon, dass es den ganzen Abschnitt
beheiTscht.
Jülicher hat in seinem Gleichniswerke i) den Versen 21 und
22 eine enge Beziehung auf den Schluss der Deutung des
Säemannsgleichnisses gegeben. Sie sollen fortführen , was hier
von dem Ertrage des guten Landes gesagt ist, d. h. sie sollen
die Unerlässlichkeit des Fruchtbring-ens darthun. »Wie man
eine Lampe doch nicht unter den Scheffel schiebt, sondern oben
auf den Leuchter stellt (wo sie weithin Licht spendet), so muss
auch der Same des Wortes Gottes auf guten Boden ausgestreut
werden und reiche Früchte bringen«. Was »offenbar« werden
und an den Tag kommen soll, sind demnach die Früchte
des Glaubens. Diese Gedankenverbindung finde ich sehr
unnatürhch.
Die Stelle bezieht sich vielmehr zurück auf den Gedanken,
dass in den Parabehi Geheimes mitgeteilt wird. Einstweilen
erhalten das nur die Jünger, Aber was sie erhalten, sollen sie
einst — ich verdeutliche: nach der Auferstehung — ent-
hüllen und verbreiten. Denn alles Geheimnis ist nur zeitweilig;
es drängt auf eine Offenbarung hin. Der Einwand Jühchers,
die Weisung, die erhaltene Erkenntnis zu verbreiten, bedeute
den gröbsten Widerspruch zu 4iif., wo die Geheimhaltung
gerade zur Pflicht gemacht werde, erweist sich damit von selbst
1) II S. 86, 92. Nach J. Weiss, Studd. u. Kritt. 1891 S. 310f.,
der jedoch für den Markustext die übliche Deutung zugeben will.
71
als ein Missverständnis des Textgedaukeiis^). Vielmehr ist dies Wort
eine ebenso notAveiidige Ergänzung zur Lehre vom Geheimsinn der
Parabeln wie der Gedanke, dass nach Jesu Tode die Messianität
öffentlich werden wird, zu dem Gedanken, dass sie es vorher nicht
ist. Bleiben wir freilich, wie die gewöhnliche Auslegung thut, bei
der unbestimmten Vorstellung einer späteren Ausbreitung der
erlangten Erkenntnis stehen, so wird der Gedanke des Markus
nur halb und unklar erkannt. Es kommt darauf an, dass er
die Auferstehung Jesu als den Scheidepunkt zweier Perioden
betrachtet.
Ich nannte den Gedanken des Markus einen theologischen
Gedanken, um damit auszudrücken, dass er nicht den Charakter
einer geschichtlichen, — gleichgiltig ob einer geschichtlich richtigen
oder nur aus der Geschichte gedachten — Vorstellung besitzt.
Die theologische Art des Gedankens wird aber erst ganz klar,
wenn wir fragen, wie Markus sich das eigentliche Objekt der
Geheimhaltung gedacht hat. Die kürzeste und für uns wichtigste
Antwort lautet: es ist durchaus supranatural gedacht.
Diese Thatsache steht ganz; abgesehen von der Frage des
Geheimnisses fest. Es genüge an einige der wichtigsten Daten
des Evangeliums zu eiinnern^).
Gleich in seinem Anfange haben wir die hervorragend be-
deutungsvolle und sehr klare Erzählung von der Taufe Jesu.
Ich muss vorab bemerken, dass es ein starkes Missverständnis
des Markus ist, wenn die neuere Kritik so manchmal^) hier eine
1) Selbst wenn bei Markus (v,'ie bei Mt. 5i5, Luk. 8i6) der Text
ein ln\ Xv/vCctq Ti&rjaiv enthielte, würde das Präsens, das Juli eher
gegen B. Weiss betont, an dem futurischen Sinn des Ganzen nicht
das Mindeste ändern.
2) ,Die folgenden Gedanken sind grösstenteils schon mehrfach aus-
gesprochen worden. Vieles findet sich z. B. bei Volk mar. Besonders
aber sei hier verwiesen auf Hoekstra, De Christologie van het
canonieke Marcus-Evangelie in der Theologisch Tijdschrift V (1871), so-
dann auf die verwandte Abhandlung von Martin Schulze, Der Plan
des Markusevangeliums, Zeitschr. für wiss. Theol. XXXVII (1894)
S. 332 ff., die zahlreiche gute Beobachtungen enthält, in Bezug auf den
»Plan« des Markus freilich auch manches Anfechtbare.
;}) Anders z. B. Holsten, Bibl. theol. Studien, Zeitschr. f. wiss.
Theol. 1891 S. 408: Markus habe keine onTttaCn inovQÜviog darstellen wollen..
72
blosse Vision Jesu, d. h. einen lediglich innern Vorgang be-
richtet findet. Sie würde auch schwerlich so urteilen, wenn sie
nicht selbst so gern mit diesem Gedanken geschichtlich operierte.
Markus sagt zwar von Jesus lio:
siÖEv oyiiCoj.itvov^ rovg ovqavovq xrA.,
aber man kan)i auch objektive Vorgänge •)sehen«, und Markus
hat nicht den geringsten Zweifel gelassen, dass er sich den
Vorgang genau so objektiv denkt wie irgend ein andrer Evangelist^).
Denn einmal würde eine Vision in jenem Sinne seiner Auffassung
garnicht genügen. Im Fortgang der Erzählung kommt es gerade
darauf an, dass Jesus den Geist wirklich erhalten hat ^ 1 12 treibt
ihn der Geist in die Wüste. FolgHch muss zuvor geschildert
sein — wie das denn auch selten geleugnet wird — , dass der Geist
objektiv aus dem Himmel auf ihn herabgefahren ist. Zweitens
aber heisst es nicht: rl/,ovo€v ffojvrjv s/. nov ovqavcjv, sondern:
'/.al cf'CJvt] [eyarsTo] £/. zöjv ocgandv,
die Stimme erscholl wirklich, nämlich aus dem geöfEheten Himmel.
Damit ist jedes ßecht verschwunden, sich auf das eidev zu
steifen. Markus könnte gerade so gut wie das Ebioniten-EvangeHum
auch geschiieben haben:
YMi ojg avY^hi^ev arco xov idaTog, rivolyri 0 av o\
oiqav 0 1^).
Mit dem allen ist nicht gesagt, das Markus das Eidev von Un-
gefähr gebrauche. Solche Vorgänge in der höheren Sphäre
»schaut':- man eben, oder die Dinge »erscheinen«, oder mau
1) Das Wesen des Vorgangs, wie ihn 3Iarkus denkt, wird an sich
dadurch nicht berührt, ob Jesus allein oder der Täufer und noch andere
mit ihm die Erlebenden sind. Die blosse Alternative: »Vorgang vor den
geistigen Sinnen« und »äusserlich wahrnehmbarer Vorgang« (Job. Borne-
mann, Die Taufe Christi durch Johannes in der dogmat. Beurteilung
der Christi. Theologen der vier ersten Jahrhunderte (1896) S. 9) reicht
hier nicht aus. Auch von Mehreren würde oder könnte Markus sagen:
fldov. Vgl. das aläov bei der Verklärung (99). Einen gewissen Unter-
schied macht es jedoch aus, ob der übersinnliche Vorgang auf ein be-
stimmtes — wie immer begrenztes — Publikum berechnet ist oder
nicht. Im zweiten Falle tritt er einfach in die gemeine Wirklichkeit
des Geschehens hinein.
2) S. Nestle, Novi Test. Graeci Supplementum jx 75. Die Stelle
fährt fort: y.cl £?J(v to nvtiua tov &6ov iv iidei nfoiarfoü; y.ctTÜ.-
d-ovarig xrk.
73
»hört« die Stimmen, aber die Vorgänge, Dinge oder Laute sind
Wirklichkeit. Ganz denselben Wechsel zwischen dem einfachen
Bericht von Thatsachen und der Erwähnung des Sehens oder
Erscheinens tinden wir auch in der Verklärungsszene, die ja
schon darum keine Vision im üblichen Sinne sein kann, weil
der schauende Petrus in ihr handelnd auftritt ').
Demnach empfängt Jesus bei der Taufe objektiv den Geist,
und dass der Geist nicht »sittliche Antriebe, Kräfte« u. dgl.
bedeutet, dass er eine schlechthin supranaturale Grösse ist,
braucht nicht bewiesen zu werden. Wenn die Stimme von oben
Jesus dann aber als den »Sohn Gottes« bezeugt, so kann das
nicht mehr blos ein theokratischer Name sein, ebensowenig kann
es ein Ausdruck für die Liebe Gottes zu Jesus oder für seine
menschliche Frömmigkeit sein, sondern es ist die adäquate Be-
zeichnung des übernatürlichen Wesens Jesu, das durch den
Empfang des Geistes entstanden ist.
Dem grundlegenden Datum der Taufe Jesu entspricht die
weitere Erzählung. In der Wüste hat der Gottessohn eine
persönliche Begegnung mit dem Teufel (I12 f.). Sein Leben ist
erfüllt von dem Kampfe mit den teuflischen Mächten. Leib-
haftig sozusagen trifft Jesus mit ihnen zusammen, wie es eben
nur für Jemand möglich ist, der nicht »Mensch«, sondern über-
natürliches Wesen ist. Wir erkennen hier, die Thatsache,
dass ihn die Dämonen erkennen, ist im Markus-
evangelium nicht etwas Besonderes, sie steht nur im
Einklänge mit der ganzen Christologie des Evangeliums. Mit
der Schilderung der AVunderkraft ist es nicht anders. Diese
Wunder thut der Gottessohn, in Kraft des Geistes. Bei der
Verklärung erschallt dann noch einmal ein göttliches Zeugnis
über ihn. Dies Zeugnis kann in der That nur Gott geben.
Menschliche Einsicht reicht nicht zu dieser Erkenntnis hinan.
Man müsste sich wundern, wenn ein Schriftsteller, der diese
Anschauungen hegt, den Begriff des Sohnes Gottes auch in andrer
Weise verwendete, als es in der Taufgeschichte der Fall ist. Denn
man würde ihm damit zutrauen, dass er historisch denkt und
1) Instruktiv ist hier auch der Vcrgleit-li der Geschichte von Sauls
Bekehrung in der Apostelgeschichte (c. 9, 22, 2()). Beachte z. B. den
Wechsel der Vorstellung 97 und 229.
74
unterscheidet. Es ist also von vornherein unwahrscheinlich, dass
der Name Gottessohn manchmal, etwa im Munde der Dämonen
(5 7) oder des Hohenpriesters (14 ei) einen rein theokratischen
Sinn habe*). Weil man an diesen Stellen, wenn man sie isoliert,
\delleicht mit dieser Bedeutung auskommen könnte, ist noch
nicht gewiss, dass die Bedeutung vorliegt. Man muss vielmehr
vermuten, hat Markus einmal einen über das Theokratische
hinausgehenden Sinn in den Titel gelegt, so ist er gezwungen^
ihn überall zu denken.
Das Evangelium bestätigt das durch zwei bemerkenswerte
Stellen, einmal gerade durch den Bericht vom Yerhör vor dem
Hohenpriester, sodann durch das Wort des Centurio unter dem
Kreuze.
In der Bejahung seiner Frage, ob Jesus der Christus, der
Sohn des Hochgelobten sei, sieht der Hohepriester Gottes-
lästerung und damit das todeswürdige Verbrechen. Man findet
die Gotteslästerung in der Begel darin, dass ein geringer^
schwacher, ohnmächtiger Mensch sich die höchste Würde an-
gemasst habe^ die es für einen Israeliten geben konnte, die
Würde des gottgesandten Messias. Die stillschweigende oder aus-
gesprochene Schlussfolgerung, die dabei zu Grunde liegt, ist diese:
würde die Blasphemie in der Anmassung göttlicher Herrlichkeit
und göttlichen Wesens gefunden, so hätte Jesus vne der Hohe-
priester den Titel »Gottessohn« in dogmatisch-metaphysischem
Sinne verstanden, und das ist historisch unmöglich. Diese Art
der Argumentation ist ebenso gefährlich, wie sie häufig ist. Wir
dürfen niemals sagen: hätte dies Datum diesen Sinn, so würde
es in die Geschichte Jesu nicht passen, also muss es einen
andern Sinn haben. Was das Datum bedeutet, ist vielmehr
immer die erste, für sich zu beantwortende Frage; was die
Geschichte dann damit anfangen kann, ist eine Sache, die nach-
her kommt.
Nun ist nach jüdischem Rechte der Thatbestand eines
»Gidduf«, einer Blasphemie, die mit Steinigung zu ahnden ist,
und bei der die Richter die Kleider zerreissen, nur dann ge-
geben, wenn A\irklich eine Verwünschung oder Schmähung des
Namens Gottes ausgesprochen wird. Also ist die blosse Be-
hauptung der Messianität nach jüdischen Begriffen noch gar keine
1) So Holtzmann, Neutest. Theol. I S. 265 f.
75
Gotteslästerung. Ebensowenig versteht man aber auch, wie ein
christhcher Autor, wenn er nur an den jüdischen Begriff des
Messias dachte — der Messias ist doch für den Juden kein götthches
Wesen — , hier eine Gotteslästerung finden konnte. Dagegen
wird alles klar, wenn Markus die Bezeichnung »Gottessohn«
supranatural und metaphysisch gemeint hat. Dann lag in dem
Ansprüche Jesu eine Beeinträchtigung der göttlichen Ehre, eine
lästerliche Gleichstellung mit Gott. Wenn nun ohnehin dieser
Begriff des Gottessohnes bei Markus vorliegt und deshalb auch
hier zu erwarten ist, so kann man in der That nicht länger zweifeln,
dass er dem Hohenpriester den Namen in dem Sinne in den
Mund legt, der für seinen christHchen Glauben in ihm liegt i).
Über das Bekenntnis des (heidnischen) Hauptmanns erzählt
Markus lös? — so:
37 Jesus aber that einen lauten Schrei {(fcovi]v ^leydlriv)
und verschied. 3» Und der Vorhang im Tempel zerriss
in zwei Stücke von oben bis unten. ^^Da aber der
Hauptmann, der dabei stand ihm gegenüber, gewahrte,
dass er auf diese Weise {ovzwg) verschied, sprach er:
Dieser Mensch war wahrhaftig Gottes Sohn^).
1) Man vergleiche zu dieser Ausführung M. Joel, Blicke in die
Eeliglonsgeschichte zu Anfang des zweiten christl. Jahrhunderts II (1883),
S. 64 ff. und vor allem die sehr lesenswerte Darlegung von Brandt,
Die evang. Gesch. und der Ursprung des Christenturas S. 62 ff. — Be-
sonders bemerkenswert ist, dass auch Dalman in seinem so belehrenden
und tüchtigen, nur freilich einer geschichtlichen Anschauung von der
evangelischen Überlieferung allzusehr ermangelnden Buche »Worte
Jesu« I S. 257 urteilt: »Niemals hätte mau aus blosser Inanspruchnahme
des Messiastitels eine „Gotteslästerung" kon8truiert<'. Schwächlich er-
scheint es dann allerdings, wenn D. die Gotteslästerung in dem Worte
vom Sitzen des Menschensohnes zur Kechten Gottes findet (1462). Dass
für den Bericht die Bejahung der hohenpriesterlichen Frage der eigent-
liche Puiikt ist, der das Verbrechen konstituiert, leidet doch keinen
Zweifel (s. übrigens Brandt S. 66). — Joel und Brandt haben auch
auf die Thatsache hingewiesen, dass der Talmud von einer »Gottes-
lästerung« Jesu nichts weiss, vielmehr nur von Volksverführung. Die
Blasphemie stimmte eben nicht zu den jüdischen Begriffen. — Ohne
die Berücksichtigung dieser Begriffe findet sich die richtige Auffassung
z. B. bei M. Schulze S. 35i»: man kommt eben schon nach dem
Evangelium selbst darauf.
2) Der Text von V. 39 hat viele Varianten, die wichtigste ist der
76
Markus miiss hier meinen, dass der Hauptmann etwas
"Wunderbares wahrnahm, das ihn zu seinem Bekenntnis zwang.
Die Art und Weise des Sterbens überwältigt ihn. Der Erzähler
kann dabei — nach bekannter Auslegung — nur au den lauten
Schrei des Sterbenden gedacht haben oder an das Zerreissen
des Tempelvorhangs. Für uns ist das einerlei. Es kommt
lediglich darauf an, dass auch hier iiög d^eov deutlich als ein
metaphysisches Prädikat erecheint. Man sollte aber nicht sagen,
der Hauptmann erkenne in Jesus einen Göttersohn oder Heros i).
"Was nach historischen Begriffen für den Mann möglich war, ist eine
Frage für sich^). Obwohl Uog d-eov ohne Artikel erscheint, will
Markus offenbar gerade sagen: dieser Hauptmann muss unter
■der Gewalt der Thatsachen die Wahrheit des christlichen
Glaubens von Jesus anerkennen und ihr Zeugnis geben 3).
Xach diesen Ausführungen kann denn nicht mehr zweifel-
haft sein, wie Markus den Xamen Messias, Xgcorog gemeint hat.
Er ist ihm gerade so wenig ein blos theokratischer Name und
gerade so sehr eine Bezeichnung des übernatürlichen Wesens
Jesu wie der Titel Sohn Gottes. Man muss das nachdrücklich
betonen, weil gerade an den Namen XQiOTog sich leicht das
Missverständnis knüpft, als hätte Markus hier eine Vorstellung,
"wie sie der historischen Betrachtung entspricht. Die historische
Betrachtung denkt sich das Urteil: dies ist der Messias, bei
Jesus, wenn auch noch so anders, doch prinzipiell ähnlich zu
Stande gekommen wie bei Bar Koziba und seinesgleichen, nämlich
dm'ch die Haltung der Persönlichkeit, diu'ch Reden und Auf-
treten, durch geschichtliche Ereignisse. Der EvangeHst ist von
solchen Gedanken weit entfernt. Die immer wiederkehrenden
Zusatz xmi^etg hinter dem oltco;. Vgl. hierzu und überhaupt Brandt
S. 266 ff.
1) Z. B. Hol tz mann z. St.
2) Lukas hat freilich die Unmöglichkeit gefühlt. Er lässt den
Hauptmann — im Zusammenhange mit dem von ihm berichteten Ab-
schiedsworte Jesu (2346) — bezeugen, dass Jesus wirklich gerecht (d.h.
unschuldig) gewesen sei (V. 47). D. h. er hat Markus »ins Ethische
übersetzt« (Brandt) und, was noch wichtiger ist. rationalisiert, oder
mit Volkmar zu reden, prosaisiert.
3) Die zweifelnde Frage Brandts: Hatte Markus vielleicht doch
nur 1**0? geschrieben ? würde ich deshalb unbedingt verneinen.
77
V'ersuche^), ilim eine Unterscheidung der Begriffe Messias und
Gottessohn beizulegen, ich mehie, eine Wert Unterscheidung,
müssen prinzipiell als falsch erkannt werden.
Um einen Nachweis aus dem Sprachgebrauche, etwa aus
der Verbindung beider Ausdrücke an einer Stelle (14 gi, li) kann
es sich hier keineswegs handeln. Aber wenn Markus einmal
den Sohn Gottes und den Messias identifizierte, so konnte er
überhaupt gar keinen Begriff vom Messias haben, der unter dem
zurückbheb, was der Sohn Gottes bedeutete, oder, anders aus-
gedrückt, was Jesus seinem eigenen Glauben Avar. Denkbar
mag ja sein, dass er eine falsche oder unzm'eichende (jüdische)
Messiasvorstellung von der richtigen unterschied. Aber für sich
selbst konnte er vom Messias nicht sprechen, ohne der Vorstellung
alles das hinzuzurechnen, was ihm an Jesus wesentlich war.
Jede andere Vorstellung nötigt Markus wie einen modernen
Kritiker zu denken, der die einzelnen Prädikate sorglich aus-
einanderhält und jedes für sich betrachtet.
Werfen wir hier einen Blick auf das Petrusbekenntnis.
Justin sagt^), der Jünger habe Jesus 'Aaxa zr^v tov /lazQog
an:oy.aXvilHv erkannt. Er fusst da auf Matthaeus, nach dem
Jesus dem Petrus antwortet (16 17):
Selig bist du, Simon Barjona, denn Fleisch und Blut
haben es dir nicht geoffenbart, sondern mein Vater im
Himmel.
1) Ich gebe hier nur einige Belege aus Darstellungen, denen meine
Auffassung dieser Begriffe sonst nah verwandt ist. Hoekstra meint
S. 153: Als Sohn Gottes sei Jesus nur Gutt und den Dämonen vor
seinem Tode bekannt, als Christus oder Davidssohn auch einigen Menschen.
M. Schulze S. 358 findet es (ähnlich auch Hoekstra) bedeutsam, dass
beim Petrusbekenntnis die Gottessohnsehaft fehle. Es sei nur an den
landläufigen (politischen) Sinn des Messiastitels gedacht. — Auch
Volkmar unterscheidet gelegentlich ohne Grund zwischen 6 X()iaT6g
und 6 mbg tov if^tov (auch ö nyios t. (^. 1 24) (S. 584, 237). — Dalman
leitet S. 225 das vtbs tov d-tov der Evangelisten in den Bekenntnissen der
Dämonen daher, dass Jesus den Geistern gegenüber weniger der Messias
sei, als derjenige, in dem Gott auf Erden erscheint. Dalman hält die
Aufgabe der Kritik für erledigt, wenn man an solchen Stellen (vgl.
auch die Frage des Hohenpriesters) für ö vwg toC ihiov ein o X^ioTog
einsetzt.
2) Dial. c. Tryph. c. 100.
über Justins Meinung wird Xiemand im Zweifel sein.
Matthaeus aber führt ganz ebenso das Wissen des Petrus in
aller Form auf übernatüi-lichen Ursprung zurück i). Markus nun
hat hier lediglich die nackte Bekenntnisaussage (829):
Du bist der Messias.
Ihr Sinn kann also nur aus seiner Gesamtauffassung näher be-
stimmt werden. Danach ist aber klar, dass er die Art der Er-
kenntnis, die Petrus zeigt, ebenso gedacht haben muss wie
Matthaeus. Petrus kann so nur sprechen kraft einer über-
natürhch gewirkten Erkenntnis. An anderer Stelle sagt Markus
das ja auch selbst. »Euch ist das Geheimnis des Reiches
Gottes gegeben worden«. Das Geheimnis kann immer nur
»gegeben« werden. Das gehört zu seinem Begriffe. Denn sein
Inhalt übersteigt alle Menschengedanken. Hieran mag man er-
messen, wie verkehrt, wie fremd dem Geiste des Evangelisten
die Annahme so manches Kiitikers ist, dass Markus hier ein
endliches Ergebnis von Vorbereitungen Jesu und von innern
Entwicklungen der Jünger schildern wolle. Was könnte denn
Erziehung, was menschliches Schhessen, Beobachten, Durchdenken
hier zum Erkennen beitragen?
Es ist noch eins hinzuzufügen. Auch die Lehre Jesu
nimmt an dem übermenschlichen Charakter der Person Teil. Es
Hegt das in der Natur der Sache. Ist das Lehren eine wesent-
liche Funktion dieses Messias, so wird es seine Art tragen.
Markus hat das aber auch durch bestimmte Aussagen an die
Hand gegeben. Dahin gehört nieder das Wort vom Mysteiium
des Reiches Gottes. Jesus bnngt doch dieses Mysterium, enthält
er es aber dem Volke vor, so liegt darin, dass es götthche
Weisheit und göttliches Wissen ist, was seinen Inhalt ausmacht.
Etwas Verwandtes hegt aber auch vor, wenn der Evangehst
bemerkt (I22):
er lehrte sie wie ein Inhalier von Gewalt (wg i^ovoiav
l'xiov) und nicht wie die Schriftgelehrten.
Matthaeus hat dies Wort hinter der Bergrede (7-29), mid dieser
Umstand bestimmt den Klang, den es für uns zu haben pflegt.
1\ Charakteristisch modernisierend Klöpper, Der Sohn des
Menschen in den synopt. Evangelien, Zeitschr. für wiss. Theol. 1899,
S. 172: Jesus sage von Petrus, sein Bekenntnis sei durch göttliche
Lenkung seines religiösen Bewusstseins zu Stande gekommen.
79
Wir denken an die unmittelbare, originale, prophetisch mächtige
und prophetisch sichere, die Gemüter überwältigende Art der
Rede Jesu, insbesondere seiner ethischen Predigt. Markus wird
hieran nicht gedacht haben. In seinem Zusammenhange macht
das Wort einen ganz andern Eindruck. Volkmar umschreibt
das cog t^ovaiav tyiov ganz richtig: »wie Einer, dem eine über-
natürliche, göttliche oder dämonische Gewalt inne wohnt«.
Weil sie die Offenbarung einer solchen göttlichen Macht ist,
wirkt seine Predigt auf das Volk wie etwas Unerhörtes, In
diesem Sinne ruft es aus: xaLv^] didayri (I27); in diesem Sinne
betrachtet es die Lehre und die Macht über die unreinen Geister
als Ausfluss einer und derselben Gewalt; in diesem Sinne sagt
Markus, dass man vor Staunen ausser sich war über sein Lehren.
Charakteristisch ist dabei, dass Markus den Inhalt der Lehre
unbestimmt lässt. Es kommt ihm hier in der That auf den
Inhalt nicht an. Wenn man aber die von Markus berichtete
Wirkung nach dem Inhalte begreifen wollte, so dürfte man sich
schwerlich an den im Evangelium mitgeteilten Worten Jesu
orientieren oder wenigstens nur an ganz bestimmten. Denn
diese Vorstellung von der Lehrweise ist nicht aus dem Eindruck
überlieferter Sprüche und Reden Jesu erwachsen. Kongenialer
dem Evangelium wäre der Gedanke an die Mitteilung der gött-
lichen Wahrheiten, wie sie für Markus und die Gemeinde seiner
Zeit das Wesenthche des christlichen Glaubens sind. Ich sage
nicht, dass diese Vorstellung bei Markus greifbar gegeben ist.
Gerade explicite könnte er sie hier aus guten Gründen nicht
aussprechen. Aber den Text mit dem stillen Gedanken an das
zu lesen, was für Markus selbst die »neue« Lehre ist, scheint
mir weder impassend noch unmöglich.
Fassen, wir zusammen. Es ergiebt sich, dass Jesu Wesen
und was mit ihm zusammenhängt, an und für sich, seiner Natur
nach ein Geheimnis ist, nicht blos ein Geheimnis seines Bewusst-
seins, sondern ein s. z. s. objektives Geheimnis. Daraus folgt nun
freihch noch gar nicht, dass dies Geheimnis im Erdenleben Jesu
immer Geheimnis bleiben muss, dass er selbst auf die Geheim-
haltung unausgesetzt bedacht ist. Diese Idee ist vielmehr bis
jetzt noch ganz unverständlich. Einstweilen stellen wir nur fest,
dass die Verheimlichung der Messianität bei Markus von einer
80
theologischen, nicht - geschichÜicheii Auffassung der Messiauität
begleitet ist. mit ihr im Zusammenhange steht und durch sie
einen bestimmten Sinn bekommt.
Ich h'age zuletzt, was für Dinge im Einzelnen als Inhalt
des Geheimnisses oder deutlicher als Gegenstand der Geheim-
haltung gedacht sind. Darüber ist folgendes zu sagen.
Geheimnis ist zunächst die Messianität oder die Gottessohn-
schaft Jesu.
Geheimnis ist das Wunderwirken, das das Kennzeichen
der Messianität ist und diese ven-aten würde.
Geheimnis ist die ganze Lehre Jesu, weil sie der Menge
ganz verborgen wird.
Geheimnis ist der Sinn der Parabeln im Speziellen, da er
nur den Jüngern erschlossen wird und auch ihnen nicht ohne
Deutung.
Das sind Bestimmungen von vei-schiedenem Umfange und
verschiedenem Werte. Die Vorstellungen vom Geheimnis der
Person und vom Geheimnis der Lehre gehen übrigens in ge-
wissem Sinne in einander über. Denn die Gottessohnschaft Jesu
kann eben auch als Inhalt der Lehre gedacht werden und wird
thatsächKch so gedacht.
Es ist aber ein spezieller Punkt noch besonders hervorzuheben.
Geheimnis ist in ausgezeichnetem Sinne auch die Not-
wendigkeit des Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu. Das
ergiebt sich bereits aus einer der liisher ])etrachteten Stellen.
Markus sagt 9 30, dass Jesus zuletzt in Galilaea seine An-
Avesenheit verbergen wollte, und fügt hinzu (V. 31):
denn er lehrte seine Jünger und sprach zu ihnen: des
Menschen Sohn wird in der Menschen Hände ül)ernefert,
und sie werden ihn töten, und getötet wird er nach drei
Tagen auferstehen.
Der Gedanke wird hier von den Erklärern in der Eegel
nicht in seiner Schärfe erfasst. Man darf' nämhch nicht dabei
stehen bleiben, dass Jesus mit seinen Jüngern allein sein wollte^
um sich ganz ihnen zu widmen und dabei besonders sie
auf das bevoi-stehende Leiden vorzubereiten i). Es kommt hier
1) B. Weiss, Das Markusevang. S. 313.
81
auf das Lehren im Allgemeinen nicht an, sondern gerade auf
den besondern Inhalt. AVillJesus aber verborgen bleiben, wie
Markus doch sagt, weil er diese Lehre mitteilt, so liegt die
Pointe darin, dass eben diese Lehre auch und in besonderem
Sinne i-ivotiQiov ist. Deshalb fordert sie Geheimhaltung, darf
keine Zeugen haben. Aus diesem Grunde also ist Jesus auf
das Inkognito in Galilaea bedacht.
Uns mag dieser Gedanke sehr fremdartig berühren. Denn
wir wenden ein: um das Geheimnis des Leidens im engen, ver-
trauten Kreise zu besprechen, brauchte Jesus ja nur dann und
wann sich mit den Jüngern zurückzuziehen, woran ihn doch
niemand hindern konnte; und kaum das brauchte er. Nichts-
destoweniger ist es der Gedanke des Erzählers: Jesus verbirgt
sich in Galilaea, weil er den Jüngern das Geheimnis des Todes
und der Auferstehung übermittelt. Jeder Versuch aber, dies
durch Ergänzung von Zwischen gedanken geschichtlich vorstell-
barer zumachen, z. B. die Interpretation : Jesus musste fürchten
so überlaufen zu werden, dass er für die Belehrung der Jünger
nicht die nötige Zeit und Ruhe behielt, ist abzulehnen, er beein-
trächtigt die Eigentümlichkeit der vorliegenden Vorstellung.
Die Ergänzung des Bisherigen, die diese Stelle liefert, ist
von Wert. Dass Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu als spezi-
hsches Mysterium betrachtet wird, versteht sich nach bekannten alt-
christlichen Anschauungen nicht schwer.
Die Verborgenheit trotz der Offenbarung,
In dem Teile des Evangeliums, der auf das Petrusbekenntnis
folgt, und aus dem wir bisher nur einzelne Züge herangezogen
haben, tritt nichts so stark hervor wie eben die Weissagungen
vom Leiden, Sterben und Auferstehen. Markus berichtet aber
auffallender Weise, dass diese Weissagungen von den
Jüngern nicht verstanden wurden. Diese Angaben
müssen ins Auge gefasst werden. A'ielleicht weiss sie sich der
Wrede, Mossiasgeheimiiis. b
Leser nach dem Ergebnis des letzten Abschnittes bereits zu
deuten. Ich möchte sie jedoch ebenso genau prüfen wie die
bisher betrachteten Züge und in der Kritik lieber zu pedantisch
als zu sorglos erscheinen.
Die Weissagungen selbst interessieren uns hier an und für
sich nicht. Allein sie stehen in engster Verbindung mit den
Äusserungen über das Verständnis der Jünger ; das Urteil über
sie ist daher auch hierfür von Bedeutung, und, wie sich zeigen
wird, von nicht geringer. So können sie nicht übergangen werden.
Die Weissagungen vom Leiden^ Sterben und Auferstehen Jesu.
Uns sind hier vornehmhch vier Äusserungen wichtig, vnr
können uns zwar nicht schlechthin auf sie beschränken, aber wir
stellen sie in den Vordergrund.
831.32: äiXJnd er begann sie zu belehren, es müsse') der Sohn
des Menschen viel leiden und verworfen werden von den
Altesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten
mid nach drei Tagen auferstehen; 32und frei heraus
(naQQr^oia) redete er das Wort.
931: (Denn) er lehrte seine Jünger und sprach zu ihnen: der
Sohn des Menschen wird ausgeliefert in die Hände der
Menschen, und sie werden ihn töten, und getötet wird
er nach drei Tagen auferstehen.
IO32 — 34: 32 ... . Und er nahm wieder die Zwölf zu sich und
begann ihnen zu sagen von den Dingen, die ihm wider-
fahren sollten : ^agiehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem,
und der Sohn des Menschen wird den Hohenpriestern
und den Schriftgelehrten ausgeliefert werden, und sie
werden ihn zum Tode verurteilen und ihn den Heiden
ausliefern; und sie werden ihn verspotten und ihn an-
speien und ihn geissein und töten, und nach drei Tagen
wird er auferstehen.
Hierzu kommt dann als vierte Stelle 99.
1) Ob man mit direkter oder indirekter Kede übersetzt, ist sachlich
gleichgiltig. Der volle Parallelismus zu den beiden andern Stellen wird
auch im zweiten Falle nicht beeinträchtigt. Künstlich unterscheidet
B. Weiss, L. J. II S. 290, Das Markusevang., S. 350.
83
Im Ausdruck sind diesen Worten nächstverwandt die
Stellen 9r2, 142i.4i. Es ist auch hier davon die Rede, dass
des »Menschen Sohn< viel leiden« muss oder »ausgeliefert« wird-
An den beiden ersten Stellen wird dabei angedeutet, dass das
Leiden der Weissagung der Schrift entspricht. Ausserdem
kommen in Betracht lOssf.is, 12Gff. lof., 147f.i8 (Voraussage
des Verrats), 1424.27.28 (Voraussage der Flucht der Jünger,
Vorangehen nach Galilaea), 1430 (Weissagung der Verleugnung).
Nur ein Teil dieser zahlreichen, den ganzen letzten Ab-
schnitt des Markus in der That beherrschenden Worte sind
formelle Weissagungen. Nicht selten tritt der Gedanke des
Leidens wie eine selbstverständliche Sache auf; der Redende
deutet nur kurz und in einem Tone darauf hin, als wenn es
keine Schwierigkeit des Verständnisses gäbe.
«
AVie Markus diese Voraussagungen Jesu sich gedacht hat,
ist nicht schwer zu erkennen. Es ist ein grosser L-rtum zu
meinen, dass Jesus in diesem Evangelium erst von Caesarea
Phihppi an den Tod ins Auge fasse und zwar nur als »Ratschluss
Gottes, dem er sich bis zu allerletzt nur schwer und fast wider-
willig ergebe« ^). Vielmehr steht die Notwendigkeit des Todes
ihm von Anfeng an fest. Das beweist schon das Wort von der
Trauer über das Scheiden des Bräutigams (2io, 20). Und über-
all nachher tritt das Wissen um diese Notwendigkeit als ein
völhg sicheres, fertiges und abgeschlossenes auf. Nur die
Gethsemaneszene erweckt einen andern Eindruck, sie ver-
langt ihre besondere Beurteilung, kann aber die bezeichnete
Thatsache nicht aufheben.
Wie könnte Markus auch anders denken? Der Tod Jesu
ist ebenso wie die Auferstehung ein Bestandteil seines messia-
nischen Werkes, und ein wesentlicher. Markus kennt ja schon
«ine erlösende Bedeutung dieses Todes|; er hat das Abendmahls-
wort (1424) wie das Wort vom Lösegeld (10 45); es versteht sich
aber ohnehin von selbst. Markus kennt erst recht eine
Vorherbestinnnung des Leidens Jesu, enthalten im Schriftwort.
Wie kann sich Jesus da als Messias wissen, ohne die Not-
wendigkeit von Leiden, Tod und Auferstehung in seinen messia-
1) Wernle, Synopt. Frage S. 200.
84
iiischen Beruf von vornherein einzurechnen? Ja, wenn diese Not-
wendigkeit eine Notwendigkeit des geschichtHchen Verlaufs wäre?
wie es die moderne Wissenschaft vorstellt ! Aber wer darf das
del Tov iiov Toc c(vd^QW7tov Ttad-Eiv so erläutern! Gewiss, Markus
giebt geschichtliche Daten über die Feindschaft von Volksoberen
und Pharisäern, aber sie bezeichnen nur die an sich belanglose
Modalität für den Vollzug des göttlichen Ratschlusses, wie denn
m. E. diese Daten gar nicht so deutlich ausfallen, um den xlus-
gang des Lebens Jesu leicht aus ihnen zu begreifen ^). Es ist
deshalb auch ohne Frage die Meinung des Markus, dass Jesus
nach Jerusalem zieht, weil er dort sterben will, auch an Einzel-
heiten des Berichtes lässt sich das erkennen ^). Man müsste sich
den Evangelisten geradezu als einen gänzlich ausserhalb der Ge-
meinde seiner Zeit stehenden Mann vorstellen, wenn er eine andere
Auffassung haben soll. Denn die Gemeinde hat in seiner Zeit
zweifellos so über Jesu Tod und über Jesu Auffassung seines
Todes gedacht.
Dazu kommt noch eins. Die Vorhersagungen, die Jesus
hier giebt, können nur als ^Äusserungen eines übermenschlichen
Wissens betrachtet werden; sie entsprechen den Ereignissen so
pünktlich, wie es nur wirkliche Weissagung vermag. Ein solches
Wissen aber entsteht nicht in einem historischen Momente, diu'ch
Verkettung der Umstände, es ist der Ausfluss einer höheren
Natm' und mit dieser ohne Weiteres da. Und eben weil dies
Wissen übernatürlich ist, erscheint sein Inhalt als Geheimnis ^j.
Es folgt hieraus sofort, dass die Einzelheiten in den Weis-
sagungen fiir Markus nicht bedeutungslos sind. Natürlich ist
die Verkündigung des Leidens und Sterbens überhaupt zunächst
das AVichtigste, aber in den Einzelheiten tritt gerade die Natur
des Wissens Jesu am klagten hervor. Eine besondere Bedeutung
haben solche Einzelweissagungen, wenn sie Thatsachen betreffen,
denen etwas L'rationales ftir die Gemeinde anhaftet, me dass
Jesus von einem Jünger verraten werden konnte, dass ein Petrus
ihn verleugnet hat, dass die Jünger insgesamt die Flucht er-
griffen. In fester Verbindung aber steht mit der Verkündigung
1) Anders Holtzmann, Xeutest. Theol. I. S. 288.
2) Hoekstra S. 176, M. Schill ze, S. 370, auf dessen gute Be-
merkungen S. 360£F. überhaupt verwiesen sei.
3) Oben S. 80 f.
85
des Leidens und Sterbens die der Auferstehung. Die einzelne
Stelle kann davon schweigen, wie sie auch blos von ihr reden
kann. Aber der eigentliche Gedanke umfasst immer
beides, denn ohne die Auferstehung kann ein alter
Christ das Leiden und Sterben nicht denken. Es muss
dies betont werden, weil die Weissagung der Auferstehung leicht
mit etwas anderem Masse gemessen wird wie die des Todes.
Wer sie streicht, giebt den Evangehsten einen andern Sinn.
Wie behandelt nun die Kritik diese Berichte des Evangeliums ?
Äusserst verschieden, wird man sagen, wenn man die Urteile
im Einzelnen mustert, und doch recht gleichartig. Denn zweierlei
ist all den mannigfachen Versuchen gemeinsam: man sub-
trahiert und man deutet um. Dass Jesus dreimal in so
stereotyper Form gesprochen hätte, wie es die drei Stellen 831,
931, lOasf., an die Hand geben, ist unw^ahi-scheinhch, also hat
der Evangelist hier nur aus literarisch-rhetorischen Rücksichten,
um eine kunstvolle Symmetrie zu schaffen oder um seiner Dar-
stellung eine bestimmte Stimmung zu geben, vervielfacht^). Man
findet das Ursprüngliche dann hinter dem Petrusbekenntnis^),
aber auch an der Stelle 1032ff. ^), und warum nicht auch bei
931^)? Gern wird das »nach drei Tagen« abgezogen^), denn
das ist ja zu klar eine eigenthche Prädiktion, oder man spricht
auch von der »blos andeutenden« A¥eissagung der Auferstehung ••).
Aber andere gehen weiter und streichen auch die Auferstehung
selbst ''). Denn daran konnte der geschichtliche Jesus nicht
denken, die echte Restitutionserwartung ist vielmehr die Weis-
sagung der Parusie. Holsten^) geht noch einen Schritt weiter
1) Z. B. J. Weiss, Reich Gottes S. 171. 2) So meistens.
3) Wellhausen, Skizzen und Vorarbeiten VI S. 211.
4) J. Weiss, S. 172.
5) Dazu scheint selbst B. Weiss geneigt, L. J. II S. 293. Zu 831
(Das Markusevang. S. 285) erklärt er allerdings: nuoh drei Tagen, d. h.
in kürzester Frist (!)
6) Titius S. 25. T. »beweist« sogar mit diesem »blos andeutend».
7) Z.B.Weizsäcker S.5(J9f, Keim II S. 563 ff., auchStrauss,
L. J. f. d. deutsche Volk S. 235.
8) Holsten, zum Evangelium des Petrus und Paulus S. 151tf.,
bes. S. 173 ff. Auch Bibl. theol. Studien, Zeitschr. für wissensch. Theol.
1891, S. 71.
86
rückwärts und streicht mit der Auferstehung auch den Tod, nur
mit dem Leiden kann Jesus zunächst gerechnet haben , der
Leidensverkündigung ist das Übrige später nachgewachsen. Der
Ausdruck der Notwendigkeit des Leidens wird manchmal fest-
gehalten, oft aber auch fallen gelassen. Fast allgemein werden
dann die konkreten Einzelheiten des Leidensbildes preisgegeben.
Sie sind leicht erklärliche Modifikationen nach dem wirkhchen
Gange der Dinge.
Die Umdeutung betrifft namentlich eben die Notwendig-
keit des Leidens und Todes. Jesus wurde durch den Gang
seiner Wirksamkeit, durch die wachsende Feindschaft der Gegner
und Gewalthaber dazu geführt, mit seinem Tode zu rechnen.
Es sind also lediglich Ahnungen Jesu, mit denen wir zu thun
haben. Nein, sagen andere, wenn Jesus seinen Tod nach dem
Gange der Dinge wahrscheinlich fand, so musste er ihm bei
seinem messianischen Bewusstsein zum Problem werden. Und
das Problem war ei'st dann gelöst, wenn er den Tod in dies
Bewusstsein aufnahm, wenn ihm der Tod zu einer rehgiösen
Notwendigkeit wurde, zu dem gottgeordneten Wege, sein Werk
hinauszuführen 1). .Man wird auch hier noch eine sehr starke
Umdeutung des Markus bemerken. Der Unterschied ist so gross,
wie der Unterschied zwischen der geschichtlichen Denkweise
eines modernen Theologen und der ungeschichthchen eines alt-
gläubigen überhaupt. Von dieser Auffassung aus wird übrigens
auch die Auferetehungsverkündigung wieder annehmbarer. Jesus
konnte beim Tode nicht stehen bleiben, ohne sich selbst aufzu-
geben. Freilich so wie die evangelische Voraussagung lautet,
kann er nicht wohl gesprochen haben, aber Triumphworte muss
er geredet haben, die dann umgestaltet wurden ^).
Was ist nun das Richtige unter all diesen verschiedenen
Meinungen s)? Das wäre sch^ver zu entscheiden. Denn jeder
Forscher verfährt schliesslich so, dass er von den überlieferten
Worten dasjenige beibehält, was sich seiner Konstruktion der
1) Diese Anschauung hat besonders Baldensperger vertreten,
s. aber auch Weizsäcker, Untersuch, z. ev. Gesch. S. 475fF., Holtz-
mann, Neuteet. Theol. I S. 288 f., 295, J. Weiss S. 103.
2) Holtzmann I S. 306.
3) Auf einige neuere Äusserungen über das Thema gehe ich im Ex-
kurs IV näher ein.
87
Thatsachen und seiner Auffassung von geschichtlicher Möglich-
keit einfügen lässt, das Übrige aber abstösst. Die Thatsache
dass die AVorte den Sinn, in dem sie überliefert sind, mehr oder
weniger einbüssen, bekümmert ihn dabei sehr wenig.
Ohne Zweifel werden hier ja sehr richtige Gedanken aus-
gesprochen. Dass diese Leidensweissagungen schematisch sind,
dass sie Dinge enthalten, die Jesus nicht gewusst haben kann,
dass Jesus insbesondere das absolute Wunder einer sofortigen
Wiederkehr ins Leben nicht prophezeit haben kann, ist offenbar.
Aber ich fürchte, wir werden auf diesem Wege nie über stark
subjektive Urteile hinauskommen, wir müssen das kritische Ver-
fahren ändern.
Weshalb zog Jesus nach Jerusalem? Nicht um dort zu
sterben, wie es die dogmatische Ansicht der Evangelisten will-
Aber auch schwerlich blos um einer kultischen Pflicht willen,
wenn er annehmen musste, dass dabei sein ganzes Wirken und
Werk die grösste Gefahr lief. Viel besser scheint die Antwort:
um in Jerusalem zu wirken und entscheidend zu wirken i). Da
müsste freilich der jerusalemische Aufenthalt uns in den Evan-
gelien in einer starken Verkürzung und Verblassung vorliegen.
Dafür lässt sich aber auch vieles sagen ^).
War dies aber die Absicht Jesu, dann konnte er seinen
Tod nicht als gewiss betrachten, der Gedanke an ihn oder doch
an drohende Leiden mochte als Möglichkeit zeitweilig hervor-
treten, aber er konnte zunächst nicht dominieren. Im Voraus-
blick gab es ja nicht blos die Möglichkeiten, die nachher Wirklich-
keit wurden. Und Jesus glaubte an den Gott, dessen Sache
er führte.
Femer. Die Jünger zeigen sich beim Tode Jesu ratlos und
1) Vgl. hierzu We iz8;icl<er, Apost. Zeitalter S. 15. Gelegentlich
sei hier bemerkt, dass die ^Untersuchungen über die evang. Geschichte«
auch ganz abgesehen von der Stellung zum Johannesevangelium in keiner
Weise als Zeugnis für die späteren Anschauungen dieses Forschers
gelten dürfen. Das Apost. Zeitalter und spätere Rezensionen lassen
erkennen, dass er sich sehr weit von seinem einstigen Standpunkte ent-
fernt hat. Nicht ohne Grund aber nehme ich trotzdem auf die »Unter-
suchungen« in dieser Arbeit häufig Bezug.
2) Schon Weisse I S. 42{t hat Ahnliches ausgesprochen.
gänzlich erschüttert, sie fliehen und denken zunächst nicht an
die MögKchkeit seiner Auferstehung. Das sieht nicht danach
aus, als ob sie durch Jesus auf die Ereignisse wirklich vorbereitet
worden wären. Freilich kann auch der Eintritt erwarteter Dinge
die Fassung nehmen, aber hier scheint jede Hoffnung zunächst
gänzlich ausgelöscht zu sein.
Diese und ähnliche Betrachtungen mögen viel Wahrscheinlich-
keit haben. Gleichwohl möchte ich sie nicht zum Ausgangs-
punkte für die Beurteilung der Weissagungen nehmen. Evi-
denz ist hier schwer zu erreichen, Täuschungen sind nicht
ausgeschlossen, und die Rede wird leicht Gegenrede finden.
Auf alle Fälle wäre es kühn zu behaupten, dass Jesus vor den
letzten Tagen niemals Leidens- und selbst Todesahnungen ge-
äussert haben könne, so gewiss es schwer, sehr schwer vorzu-
stellen ist, dass er von Weitem zu einer wirklichen G ewissheit
des Todes, zu einer messianischen AVertung, zu einer das ganze
Bewusstsein ausfüllenden Macht des Gedankens gelangte.
Es muss festgehalten werden: das erste, das gegebene
Tü'itische Objekt sind gar nicht die Möglichkeiten des Lebens
Jesu, sondern es sind die vorliegenden bestimmten Texte der
Evangehen. Die Form und der Inhalt dieser Texte redet aber
auch eine Sprache, die nicht misszuverstehen ist.
Sie sind nichts als ein kurzes Summarium der Leidens-
geschichte, »allerdings im Futurum« *). Bei einem Worte wie
1032ff. muss das jeder sofort zugeben. Da hören wir von den
handelnden Subjekten der Leidensgeschichte, von Hohenpriestern
und Schriftgelehrten und Heiden, vom Todesurteil, von den be-
sonderen Äusserungen der Feindschaft gegen Jesus, wie sie die
Leidensgeschichte thatsächlich berichtet. »Präziser kann man in
wenigen Worten die Leidensgeschichte überhaupt nicht erzählen«.
Aber bei den einfacheren Stellen ist es nicht anders. Auch 9 31
ist eine Erzählung. Ausliefern in die Hände der Menschen,
töten, auferstehen nach drei Tagen — das sind che drei Haupt-
stationen des historischen Berichts.
1) Ich kann hier im "Wesentlichen nur wiederholen, was Eichhorn,
Das Abendmahl im X. T. (1898) S. 11 ff. ausgeführt hat. Doch haben
meine Bemerkungen eine etwas andere Spitze.
89
Nun ist es eine Thatsaclie, die als solche auch von der-
Kritik nicht leicht l^estritten wird, dass es ein wesentliches Be-
dürfnis für die altchristliche Gemeinde war, zu glauben, Jesus
habe sein Leiden und ebenso seine Auferstehung selbst voraus-
gewusst und vorausgesagt. Jesus hatte nicht blos leiden müssen,
sondern leiden wollen; jeder Gedanke, als hätte er von seinem
Tode überrascht werden können, musste abgewehrt werden. Und
für die Wahrheit der Auferstehung war es ebenfalls ein wesent-
liches Zeugnis, wenn Jesus sie selbst geweissagt hatte. Man
hatte noch ein anderes Mittel, das dem gleichen Zwecke diente,
den Beweis aus der alttestamentlichen Weissagung, aber darum
war dieses nicht geringeren Wertes.
So notwendig wie z. B, in der Frage der Mission, in der
Beurteilung des Judentums, in der Erwartung der Parusie, im
Punkte der befremdlichen Schicksale der Gemeinde, d. h. der
Verfolgungen, in allerlei sonstigen Anschauungen vom Messias
musste daher auch hier eine Korrektur der Überlieferung vom
Leben Jesu eintreten, einfach weil die Gemeinde keine Vor-
stellung von ihm haben koniite, die hinter ihren eigenen (xlaubens-
interessen zurückblieb oder ihnen gar widersprach.
So schiessen denn die Todes- und Auferstehungsweissagungen
auch förmlich vor unsern Augen auf. Lukas (llao) kennt die
Beziehung des Wortes vom Zeichen des Propheten Jona auf die
Auferstehung noch nicht, Matthaeus hat sie (12 lo) und zwar
als direktes Herrenwort, und jedermann hält ihn hier für sekundär.
Das synoptische Wort vom Abbrechen des Tempels erscheint
bei Johannes mit der unmöglichen Deutung, dass Jesus da vom
Töten und Erstehenlassen seines Leibes gesprochen habe (2-21).
Lukas bringt 1725 eine Leidensweissagung im üblichen Stile, die
den andern Texten fehlt, und lässt Jesus 246 einen Rückblick
auf eine Leidensweissagung werfen, von dem die Parallelen
nichts wissen. Nahe verwandt ist auch, dass er in die Ver-
klärungsgeschichte einen Vers hineinscliiebt, nach dem Moses
und Elias den Ausgang Jesu in Jerusalem voraussagen (93i).
Treffen wir demnach im Markus auf diese Äusserungen,
so ist das Urteil gegeben, dass wir hier Zeugnisse und Erzeug-
nisse dieses historischen Prozesses vor uns haben. Denn dass
der Prozess erst nach Markus begonnen habe, ist eine iVusicht,
die keine Widerlegung verdient. Und die Stellen sind ihrem
90
Charakter nach eben ganz deuth'ch. Sie sind die genaueste
FonuuHerung des Gedankens, dass Jesus die Leidensgeschichte,
wie sie wirklich geschehen war, pünktlich vorausgewusst habe.
Sie gehören demnach in das Kapitel von der altchristlichen
Apologetik. D. h. für die Darstellung des wirkhchen Lebens
Jesu existieren sie einfach nicht. Wir brauchen also hier in der
That gar keine Eeflexionen darüber anzustellen, Avas im All-
gemeinen im Leben Jesu für wahrscheinlich gelten muss. Es.
genügt völlig, dass wir über den Wert dieser bestimmten Texte
Klarheit finden.
Die Kritik urteilt anders. Sie findet in den Leidens-
verkündigungen einen historischen Kern. Es ist angezeigt, diese
Auffassung etwas näher anzusehen.
Auf den »historischen Kern« trifft man immer wieder. Im
Allgemeinen lässt sich ja nicht bestreiten, dass der Gedanke
ein Recht hat. Aljer die heutige Evangehenkritik handhabt
ihn in einer Weise, der ich mssenschaftliche Berechtigung nicht
zugestehen kann.
Dem Taufbericht soll ein inneres Erlebnis Jesu, etwa eine
Vision zu Grunde liegen, mit der Yersuchungs- und Verklärungs-
geschichte soll es ähnlich stehen. Die Erkenntnis des Messias
durch die Dämonen wird auf die einfache Anrede eines oder
einiger Geisteskranker zurückgeführt. Geschichten wie die von
der Speisung oder vom Seewandeln oder vom Seesturm oder
vom Aussätzigen sind durch Lmbildung einfacherer und glaub-
hafter Vorgänge entstanden. Zahlreiche Worte Jesu, z. B. vom
Anteil der Heiden am Heil, und so auch diese vielen Spmche
vom Leiden mid Auferstehen haben durch Umformung eines
Ursprünglichen ihre evangelische Gestalt gewonnen. Von anderen
Stoffen, bei denen Erweiterungen oder andere Veränderungen
wahrscheinlicher sein mögen, sehe ich ganz ab.
Offenbar liegt in dieser Auffassung eine eigentümliche
Gesamtvorstellung von der evangelischen Überlieferung. Diese
durchgreifende Umgestaltung des Kernes wäre geradezu eine der
wichtigsten Thatsachen in der Geschichte der evangehschen
Tradition. Allein man bildet eine solche Gesamtvoretellung
eigentlich nicht, weil man mit dem -Kerne« immer von Fall
zu Fall operiert. Thäte man es, so müsste man an dem Ver-
91
fahren selbst wohl etwas irre werden. Denn wenn wir alle
Augenblicke die Gestaltung einer Vision oder eines innern Er-
lebnisses zum objektiven Vorgange, einer ziemlich trivialen
Begebenheit zum Wunder und alle Augen1)licke eine ganz gleich-
artige Modelung und ümfärbung zahlreicher umlaufender Herren-
worte annehmen sollen, so wird die Erklärung selbst verdächtig.
Doch die Hauptsache scheint mir Folgendes. Wenn man
mit einem Kerne arbeiten will, so muss man wirklich auf einen
Kern stossen. Es kommt gerade alles darauf an, dass in einer
anfechtbaren Geschichte oder einem Worte etwas nachgewiesen
wird, was jede andere Erklärung des vorliegenden Gebildes un-
wahrscheinlich oder wenigstens zweifelhaft macht. Es muss
etwas Unausgeglichenes, Kontrastierendes in ihm sein, das auf
die Unterscheidung eines Alteren und eines Späteren führt, oder
etwas Hartes, Besonderes, was aus Ideen nicht zu begreifen ist.
Hier giebt es nun gar kein besseres Beisj^iel als eben Todes-
und Auferstehungsweissagungen wie 831, Gsi, lOsaf. Wo steckt
denn hier etwas Konkretes, Individuelles, das sich der Auflösung
wddersetzte, das man wie andere Logien Jesu allenfalls unerfindbar^)
nennen könnte? Wo ist ein Anzeichen verschiedenartiger
Schichten? Wir haben den nackten Ausdruck der Gemeinde-
anschauuug vor uns und weiter nichts. Die letzte erkennbare
Spm" vom Oiiginalen wäre hier offenbar verschwunden, und zwar
sonderbarerweise j e d e s m a 1 verschwunden, man kann deshalb
weder sagen, was, noch wie es umgebildet sein soll. Über
beides aber sollte man wenigstens einige Rechenschaft geben
können, wenn man irgend etwas Sicheres ermitteln will. Es
ist unmöglich, über diese Fragen so leicht und mit so un-
bestimmten und ungreifbaren Angaben hinwegzugehen, wie es
von Seiten der Kritiker geschieht.
Oder sollen wir die Worte ganz preisgeben und nur daran
festhalten, dass »eine Erinnerung« an einen ganz bestimmteii
Moment vorliegt, in dem Jesus von diesen Dingen gesprochen
hätte? Allein diese Worte Jesu begegnen uns in allen möglichen
Momenten, eine oder ein paar Situationen für die geschieht-
Heben erklären ist ein Urteil, dass jeder Evidenz entbehrt,
zumal in einer Schrift wie der des Markus, die nicht blos hier
1) Ich setze voraus, dass raan mit diesem »uncrlindliar« nicht ganz.
so freigebig ist, wie es üblich ist.
92
Unhistorisclies enthält. Ich nehme auch die Stelle 831 nicht
aus. Es ist zwar am ehesten begreiflich, wenn man hier be-
sonders die »Erinnerung« gefunden hat, weil man einen bestimmten
Pragmatismus im Markus fand. Für uns hat sich dieser Pragma-
tismus bereits aufgelöst und wird sich noch mehr auflösen, und
die Betonung des rJQiaro erkannten wir als einen Irrtum. Aber
noch mehr! Es liegt ja auch an sich gar nicht in der Natur
solcher Worte, die der Ausdruck einer Anschauung sind, an
eine bestimmte Stelle der Überlieferung gebunden zu sein.
Weshalb sollen -wir dann von der Annahme ausgehen, dass es so
war? Erst die schriftHche Fixierung der Tradition wird ihnen
vermuthch eine feste Stelle gesichert haben. Es ist deshalb sehr
wohl möglich, ja, wie mich dünkt, recht wahrscheinlich i), dass
die drei mehrfach angeführten Weissagungen vor Markus über-
haupt niemals mit dem Bekenntnis des Petrus, der Reise durch
Galilaea oder dem Aufbruch nach Jerusalem verbunden gewesen
sind. Wer an abstrakten Möglichkeiten Gefallen findet, kann
ja sagen, mit der Möglichkeit von Avirklichen Todesahnungen
Jesu^) sei doch auch die andere Möglichkeit gegeben, dass die
Gemeindeanschauung sich mit einer historischen Erinnemng ver-
schmolz oder an sie anknüpfte. Zugegeben. Aber zu erkennen wäre
da für uns dann jedenfalls nichts mehr; denn zur Erklänmg jedes
einzelnen Wortes bedarf es wahrlich keiner Erinnerung. Es ist
jedoch auch unwahrscheinlich, weil die Erinnerung eben nichts
von dem wirklichen Worte Jesu festgehalten hätte.
Demnach ist die übliche kiitische Behandlung dieser
Weissagungen entschieden abzulehnen. Die Kritik operiert hier
wie so manchmal mit einem Quidj)roquo, denn sie schiebt Ge-
danken unter, die kein Evangelist gehabt hat; sie macht sich
einen ursprünglichen Gehalt der Worte in offenbarer Willkür
zurecht, und sie erleichtert mit der Annahme des Kernes die
Erklärung der konkreten Gestalt der Worte keineswegs, giebt
vielmehr nur das Rätsel auf, wie der Kern bei seiner Entwicke-
lung abhanden kommen konnte.
1) Vgl. Br. Bauer. Kritik der Evangelien III S. 50.
2) Vgl. oben S. 88.
93
Die Stellung der Jünger zu den Weissagimgeti.
Langsam nur, so hat man gesagt, haben sich die Jünger
Jesu in seine Todesgedanken gefunden. Ganz besondere Mühe
wendet Jesu auf, ihr Verständnis zu fördern, immer von Neuem
kommt er auf den Punkt zurück ; sie aber köiuien sich von ihren
alten Vorstellungen nicht sofort losmachen, und bis zum wirklichen
Eintritt des Endes erreichen sie keine volle Klarheit i).
Das Evangelium sagt nicht so, ja es widerspiicht einer
solchen Darstellung.
Die Weissagung wird zwar oft wiederholt. Aber von einer
Bemühung Jesu, den Jüngern den fremdartigen Gedanken nahe-
zubringen, ist nichts zu spüren, und so wird auch Markus nicht
daran denken. Die Weissagung tritt vielmehr immer ganz un-
vermittelt an die Jünger heran, und charakteristisch ist gerade,
dass jeder Versuch, der Fassungskraft der Schüler zu helfen,
fehlt. Denn einen solchen Versuch erwarten wir von Jesus, in
der Erwägung, es müsse ihm daran gelegen haben, verständlich
zu werden. Mag er das erste Mal, als Petrus ihm den Gedanken
wehren will (832), zu erregt sein, um an das Erklären zu denken,
hernach, wo er wiederholt auf die Verständnislosigkeit der Jünger
gestossen ist, vermisst man die Erläuterung um so mehr.
Ebenso falsch ist es aber von einem langsamen Verstehen
der Jünger zu sprechen. Markus weiss nur von einem einfachen
Mangel an Verständnis. Jeder Fortschritt wird hier nur ein-
getragen, und in dem »langsam« liegt ein verschämtes Ein-
geständnis, dass ein Fortschritt nicht nachweisbar ist. Liesse
sich vielleicht sagen, dass die Zebedaiden 10 39 die vorangehende,
übrigens nur indirekte AVeissagung Jesu begreifen, so hat sie
doch auch Petrus 832 bereits irgendwie begriffen, wenn er sich gegen
sie sträubt, und trotzdem wird 9 10 und 932 hervorgehoben, dass
Jesu Rede für die Jünger ganz dunkel blieb.
Die beiden letzten Stellen mögen den Ausgangspunkt für
die weitere Betrachtung bilden. Es heisst 9 10:
1) S. z. B. Weizsäcker, Untersuch, z. ev. GeBch. S. 475, 478,
480, 486, 507, 546, auch Zahn, Einl. in das N. T. II S. '226.
94
Und sie hielten das Wort fest {cor koyov h.qazY^oo.v).
unter sich verhandelnd: was heisst dies (ro) »von den
Toten auferstanden sein«?
Ganz parallel lautet 932:
Sie aber verstanden das Wort lucht, und sie fürchteten
sich, ihn zu fragen.
Man deutet hier die ersten Worte in der Regel auf das
Festhalten an dem (vorhergehenden) Verbote Jesu i). Unmöglich
ist das wohl nicht. Wahrscheinhcher ist mir, dass unter dem
'^^6yo(; das Wort von der Auferstehung gemeint ist. Dies, das
besondere, wichtige Wort entfiel ihnen nicht, sondern sie »be-
hielten es bei sich« ^), und das zeigt sich in ihrem Verhandeln.
Wenn Mr. 73. 4. s vom /.occnTiv der naQadoaig redet, so liegt
darin kehie Nötigung, ).öyo<i hier als Befehlswort zu fassen. Und
der Schluss des Verses legt eben sehr nahe, dass es auf das
Wort von der Auferstehung besonders ankommt.
Diese Bemerkungen haben öfter zu dem Schlüsse Ver-
anlassung gegeben, Jesus könne so deutlich, wie in den voran-
gehenden Weissagungen geschieht, vom Ausgange seines Lebens
nicht gesj)rochen haben. Diesen Schluss lassen wir bei Seite,
aber die Auffassung der Stellen, auf der er ruht, ist richtig.
Jesus spricht von seinem Leiden und Auferstehen in so dürren
Worten, dass man nicht begreift, wie da etwas unverständlich
sein soll.
Eben deshalb hat man dann umgekehrt wieder das Nicht-
Terstehen verständhcher zu machen versucht. Es bedeutet nur,
dass die Jünger, weil sie immer noch den Thron des Davidssohnes
im Kopfe hatten, beim Messias Leiden und Tod sich nicht
denken konnten, und, was die Auferstehung angeht, dass sie sich
mcht vorstellig machen koimten, wie so bald nach dem Tode
ein solcher Vorgang eintreten solle 3). Aber so lautet der Text
1) S. bes. B. Weiss, Das Markusev. S. 299 f. Anders Meyer,
auch Klostermann.
2) Weizsäcker's Übersetzung-.
3) Nach J. Weiss, Eeich Gottes S. 171 ist das Nichtverstehen
Mr. 932 dadurch bedingt, dass Jesus den Terminus »Menschensohn« in
-seiner Weissagung gebraucht: ein offenbares Missverständuis des Markus,
wie aus meiner weitern Ausführung von selbst erhellen wird.
95
nicht. Sie fragen sich: was ist und bedeutet dies von Jesus
eben gebrauchte Wort von der Auferstehung? Es fehlt ihnen,
Avie Strauss ganz richtig sagt ^), das Wortvei-ständnis, oder sie
hören das Wort wie den Laut einer fremden Sprache, Trotz-
dem halten sie es fest, man möchte hinzudenken, um es für
eine Zeit zu bewahren, in der dann das Verständnis kam. Ich
führe hier noch die Parallelstelle zu 932 aus Lukas an.
Luk. 9^5 heisst es:
Sie aber verstanden dies Wort nicht, und es war vor
ihnen verborgen, auf dass (iva) sie es nicht merken sollten,
und sie fürchteten sich, ihn über dieses Wort zu befragen.
Hier wird anscheinend das Nichtverstehen sogar auf göttliche
Absicht zurückgeführt. So wenig denkt Lukas an einen aus
guten natürlichen Gründen verständlichen Mangel der Erkenntnis.
J)iese Wendung hat Markus zwar nicht, aber der Lukastext
kann bestätigen, dass er an ein ganz eigentliches, krasses ayvoelv
denkt.
Li der That, so ist die Meinung des Evangelisten vom
Unverstände der Jünger beschaffen. Wer hier mildert und zurecht-
legt, V e r 1 ä s s t seinen Sinn. Und damit ist schon klar,
dass diese Worte keinen historischen Charakter haben. Sie
werfen also auch noch ein Licht auf die vorangehenden
Weissagungen. Umgekehrt beweist ja die Ungeschichtlichkeit
dieser wieder allein schon ihre Ungeschichtlichkeit; denn ohne
die Weissagungen stehen sie in der Luft.
Ein Verständnis ist jedoch damit nicht gewonnen. Aber
wir haben bei Markus eine Anschauung gefunden, die es liefert.
Der Gedanke an das Messiasgeheimnis liegt hier doch sehr nahe.
Wir haben, wenn nicht ihn selbst, so doch einen nah verwandten
Gedanken vor uns. Man kann es so ausdrücken : Jesus macht
zwar seinen Jüngern gegenüber aus seinem Leiden und Auferstehen
kein Geheimnis, aber es bleibt ihnen ein Geheimnis. Nach-
her, ist stillschweigends hinzugedacht, d. h. natürlich von der Auf-
erstehung an, fällts ihnen wie Schuppen von den Augen.
So verliert es allerdings alles Befremdliche, dass die Jünger
sich so stumpf zeigen. Der Zug wird sinnvoll und im Sinne
1) Strauss, Leben Jesu II S. 313.
96
des Markus vernünftig. Denn dass Erdenmenschen bei der Ver-
kündigung eines übermenschlichen Geheimnisses sich verwirrt an
den Kopf fassen, ist ganz in der Ordnung, wenn sie anders noch
nicht begreifen sollen.
Mit diesem Ergebnis treten wir an zwei weitere Stellen
heran, die im engen Zusammenhange mit den beiden Weissagungen
8:31 und 10 33 f. stehen.
832.33: 32 Und frei heraus redete er das Wort. Und
Petrus nahm ihn zu sich her (TtQoolaßni-tevoQ) und begann
ihn zu schelten. 33j]r aber wandte sich ab {i/tioTQaq^eig)
und blickte auf seine Jünger und schalt ihn und spricht:
gehe hinter mich, Satan; denn du sinnest nicht, was
Gottes, sondern was der Menschen ist.
Die andere Weissagung hat nicht ein Nachspiel, aber eine
Einleitung, die hierher gehört.
1082 : Sie waren aber unterwegs {Iv rtj 6()Vp) im Hinauf-
gehen nach Jerusalem, und es schritt Jesus ihnen voraus,
[und sie waren bestürzt (id-a[.ißoivro)], sie aber nach-
folgend [die aber nachfolgten,] fürchteten sich. Und er
nahm wieder die Zwölf zu sich und fieng an ihnen zu
sagen von den Dingen, die ihm widerfahren sollten.
Die zw-eite Stelle betrachte ich zuerst. Es scheint mir
nicht zu kühn, hier eine Emendation vorzuschlagen *). Das xat
ii^ai-iiiorrio wird auszustossen sein; denkbar wäre vielleicht auch,
dass der Text ursprünghch gelautet hätte:
Jesus gieng voran, sie aber nachfolgend gerieten in Staunen
{id^a/LißoiVTO statt scpoßovvTo).
Jedenfalls ist der handschriftliche Text nicht erträglich.
Aber auch wenn wir uns an ihn halten, ist die Hauptsache
klar. Es liegt unter allen Umständen der Gedanke vor, dass
die Jünger von Staunen oder Bestürzung ergriffen wurden, weil
sie Jesus auf dem Wege nach Jerusalem vorausschreiten sahen.
Das kann keine gleichgiltige Bemerkung sein. Schon weil die
Weissagung folgt, liegt es nahe, dass hier nicht eine Erinnerung
an eine wirkliche Szene zu Grunde liegt. Sollen die buch-
stäblich gefasst recht belanglosen Nebenurastände der Szene
1) Vgl. Exkurs V.
97
geschichtlich sein, wenn ihr eigentlicher Inhalt — eben die
Weissagung — ungeschichtlich ist ? Man wird also in den ein-
leitenden Aborten einen Gedanken des Schriftstellers suchen, und
eben dann wirklich einen Gedanken, keine neutrale Notiz. Dieser
drängt sich aber auch schon von selbst auf.
AVenn Jesus »vorausschreitet« auf dem Wege nach Jeru-
salem, so meint dieses Evangelium damit, dass er mutig und
mit AVillen in das Leiden und Sterben geht, das ihm ja eben
von Gott befohlen ist ^). Mit dieser Haltung kontrastiert aber
das Benehmen der Jünger. Sie sind betroft'en, sie beben vor
Jerusalem zurück. Dariii steckt offenbar schon ein Wissen um
das, was Jesus dort begegnen soll. Man könnte deshalb sagen,
dass die Jünger hier das Verständnis zeigen, das sie nach 9io
und 9:32 vermissen Hessen. Indessen wäre es schwerlich richtig,
dies zu betonen '^). Vielmehr muss man hier imr eine Variante
derselben Vorstellung erkennen. Es liegt in dem ed^af.ißovvj;o
oder hcfoßovvio ein Sichsträuben und Zaudern. Sie vermögen
Jesus nicht willig und leicht zu folgen. Und das müssten sie
thun, weim sie wirklich Verständnis, das wahre Verständnis
für die göttliche Notwendigkeit seines Thuns besässen. Also
auch hier bleibt ihnen der leidende Messias in Wahrheit
Geheimnis 3).
An diese Äusserung des Unverstandes knüpft dann der
Erzähler die neue Belehrung über das Leiden. Von seilest fügt
es sich zu früheren Daten, dass aus der grösseren Menge des
Anhangs — sie ist unter den a'/.oXovd^ovvT€g zu verstehen —
die Zwölfe ausgesondert werden, um die wunderbare Lehre zu
vernehmen. Sie haben kein besseres Verständnis gezeigt als
alle andern, aber sie erhalten den Aufschluss, der den andern
nicht zu Teil wird.
Gerade die neue Belehrung zeigt, wie wenig dem Evange-
listen darauf ankommt, dass die Jünger durch ihr Benehmen
eine ganz richtige Auflassung vom Zweck der E.eise nach Jeru-
1) B. Weiss, Das Marluisov. S. 349: Jesus gieiig wie ge-
wöhnlich (!) ihnen voran.
2) Falsch betont es auch Volk mar S. 499: »Gerade das dritte
Mal sollten sie verstanden haben«.
3) Auch Keim III S. 39 f., der 10:>2 als »sinnige Dichtung« be-
urteilt, sjiriclit liier vom »mysteriösen ('Lristus«
Wrede, Messiasfjülieimiiis. 7
98
salem schon verraten haben. Sein Gedankengang ist hier:
Jesus trifft auf Unverstand und giebt darum Belehrung. Das
ist korrekt. Dass auch die umgekehrte Folge der Gedanken im
Texte steckt, wie sie uns sonst begegnet, d. h., dass das d^ai-tßeiad^ai
über Jesu kühnes Vorwärtsschreiten schon eine Kenntnis —
nur nicht Erkenntnis — des Leidensweges einschliesst, ist ihm
minder klar gewesen als dem kritischen Leser. Andernfalls
hätte er die neue Belehrung nicht gebracht.
Die andere kleine Szene (8 32 f.), die in Frage steht, sieht
an und für sich ganz lebensvoll aus. Sie scheint förmlich zur
Stimmungsschilderung einzuladen; . und so wissen denn auch
malerisch veranlagte Forscher über den niederschmetternden
Eindruck, den Jesu Eröffnung über das Leiden auf die Jünger
machte, über das leidenschaftliche, aber aus inniger Liebe zu Jesus
stammende Aufbrausen des Petrus und über den Unwillen Jesu,
der durch diese versucherische Einrede sich in der errungenen
Leidensfreudigkeit beunruhigt und sittlich beklemmt') fühlte,
mancherlei zu sagen.
Allein wenn die vorangehende Weissagung nicht Geschichte
ist, so kann auch dieses Stück nicht Geschichte sein, da es nur
der Widerhall der Weissagung ist.
Ist mit dieser Auffassung die Bezeichnung »Satan« für
Petrus unverträglich ? 2) Kann so nur der geschichtliche Jesus
gesprochen haben? Lukas lässt in der Parallele (92of.) das
Wort, ja die ganze kleine Szene fort; vermutlich ist ein Haupt-
grund dafür eben dieser herbe Ausdruck gewesen 3). Aber daraus
kann nicht folgen, dass ein alter Christ Jesus ein solches Wort
über den grossen Jünger nicht habe in den Mund legen können*).
Heisst es 817 von allen Jüngern, dass sie ein verstocktes Herz
haben, und ist das kein wirkliches Wort Jesu — 652 sagt über-
dies Markus selbst das Gleiche — , so haben wir etwas sehr
Ahnliches. So weichherzig wie wir Heutigen haben die Evange-
listen auch nicht empfunden. Sie scheuen sich gar nicht, Jesus
1) Keim II S. 577. 2) S. Wernle, Synopt. Frage S. 198.
3) Wernle, S. 31.
4) B. Weiss (L. J. II S. 277 ff.), der die Szene selbst nicht an-
tastet, möchte sogar gerade dies Wort dem Markus zuschieben, der
damit freilich eine tiefwahre Eeflexion über die Bedeutung der Szene
ausgesprochen haben soll.
99
äusserst harte, schroffe Worte zuzuschreiben. Der Bhndheit,
dem Unglauben gegenüber sind sie ebenso verdient wie der
Bosheit gegenüber.
Oder soll es für den histoiischen Charakter der Szene be-
weisen, dass nicht die Jünger überhaupt, sondern Petrus allein
so getadelt wird? Es fragt sich denn doch noch sehr, ob Petrus
für den Evangelisten mehr Repräsentant oder mehr Individualität
ist. Überdies ist es schon darum recht natürlich, dass Petrus
hier der Gescholtene ist, weil derselbe Petrus eben zuvor der
Bekennende ist.
Indessen man wird unsern obigen Schluss umkehren : nicht
die Leidensweissagung verdächtigt diese Szene, vielmehr stützt
der lebensvolle Charakter der Szene die Leidensweissagung, er
beweist, dass hier doch eine, ob auch noch so dunkle, Erinnerung
an einen historischen Moment vorliegt. Das wäre erwägenswert,
wenn die Szene einen individuellen Charakter besässe. In
Wahrheit ist das nicht der Fall^).
Wir haben hier nur Gedanken des Evangelisten, die wir
schon kennen. Petrus hat hier offenbar auch den Sinn der
Weissagung begriffen; das setzt sein Auftreten voraus. Und
doch hat er ihn — das ist wieder das Wesentliche — nicht
begriffen. Demi sonst könnte er sich gegen die Ankündigung
nicht zur Wehr setzen. Er hat eben nur menschhche Gedanken
(cfQOvei m Tojv avdQMTtcov) — der Evangelist wird dabei nicht
an seine Liebe zu Jesus gedacht haben, sondern einfach daran,
dass ein leidender Messias für Petrus eine Unmöglichkeit ist — ,
die götthchen Dinge und Geheimnisse [va rnv d-eov)'^) bleiben
ihm fremd. So wendet Jesus ihm unwillig den Rücken und
1) Die individuelle Wahrheit der Szene hat namentlich Weisse I
S. 531 stark betont: jedes Wort zu ihrer Verteidigung sei überflüBsig'.
Allein Weisse folgt hier nur einem Eindrucke, er hat die hier in
Frage stehenden Gedanken des Evangeliums aber nicht v(Tstanden und
setzt überdies voraus, dass der Erzähler den Berieht unmittelbar aus
dem Munde des Petrus habe. — Dass hier etwas ganz Ähnliches vor-
liegt wie l)ei den Worten vom Unverstände der Jünger, ist übrigens ein
Oedanke, dem die verschiedensten Kritiker ganz unwillkürlich Ausdruck
gegeben haben.
2) »Ethisch« darf das nicht erklärt werden. .
100
spricht zu ihm das Wort, das diese Bewegung zu interpretieren
scheint i) :
geh hinter mich, Satan 2).
Mit solcher Gesinnung, solcher Stumpfheit gegen Gottes E.at-
schluss kann er, der Wissende, ja nichts zu thun haben.
Es ist aber noch eins zu beachten. Auch hier scheint
sich der Gedanke auszuprägen, dass gegenüber solchem ver-
ständnislosen Jüngersinn Jesus selbst mit vollem Mute, mit
Willen in das Leiden hineingeht. Denn
frei heraus {TtaQQv^öicc) redete er das Wort —
das düi-fte hier bedeuten: mit Mut und Fi-eudigkeit, furchtlos
und sicher ^). Ich denke, es liegt eine Sinnparallele vor zu dem
Gedanken, dass Jesus auf dem AVege nach Jerusalem mutvoll
voranschreitet. Der Sprachgebrauch bei Johannes legt zwar die
Bedeutung »ohne Rückhalt« für das naQqiqoiq besonders nahe^).
Auch so ergäbe sich ein für Markus passender Sinn: er redete
(das Geheime) offen ; der Gegensatz zu einem früheren verhüllten
Eeden brauchte dabei keineswegs gedacht zu sein, auf ihn
deutet ja nichts hin. Indessen wird Tiag^rjoia im Sinne von
Freimut, Zuversicht, Freudigkeit oft genug auch gerade vom
Reden») gebraucht, und in diesem Sinne ergiebt es einen für
diesen Text besonders passenden Gedanken 0).
1) Es liegt doch recht nahe, dass das oniaw /.lov dem IniaTQuifSig
korrespondiert. Jesus, von Petrus »herangenommen«, wendet sich von
dein Jünger ah, so kommt dieser hinter ihn zu stehen. Dass das
i7iiaT(ia(feis im Texte nicht ein Siehumwenden zu Petrus hin bedeutet,
betrachte ich mit B. Weiss gegen Volkmar und Kloster manu als
sicher. Das im- bezieht sich auf die Jünger. Dann wird das Wort,
wenn auch nicht ganz so resolut wie das OTgat^tis bei Mt. I623, schon
auf die Entrüstung Jesu deuten. Das oniaio fxov entspricht also der
geschilderten Situation.
2) Die Bedeutung des atacevcl ist mir nicht ganz klar. Die gewöhn-
liche Beziehung auf den Gedanken der Versuchung ist zwar gewiss nicht
unpassend. Für den Matthaeustext ist dieser Sinn wegen des erklärenden
axdvd'alov ti ifxov gesichert (1623, vgl. auch 4io). Bei Markus fehlt aber
eine Erläuterung. Könnte acuaväg einfach ein derbes Schimpfwort sein?
3) Die gleiche Deutung bei M. Schulze S. 370.
4) Z. B. Job. 7l3.26, 1024, 1625.29.
5) Vgl. Act. 229, 4i3. 29.31 u. a. St. Dass hier nicht der Dativ
nciQQfiaia gebraucht wird, wird nicht zu betonen sein.
6) Aus dem Gedankenkreise des Markus würde auch eine dritte-
101
Hiernach ist offenbar, dass auch diese Szene kein Moment
enthalt, das nicht aus den Gedanken des Markus leicht zu ver-
stehen wäre. Sie hat einen durchaus typischen Charakter. Sollte
dennoch irgend ein Eest von Historischem in ihr stecken, so
wäre er jedenfolls für uns verloren.
Es folgt aus diesen Betrachtungen, dass der Zusammen-
hang, in dem die vier besonders hervorgehobenen Weissagungen
stehen, ebenso gleichartig ist Avie sie selbst. Jedesmal korrespon-
diert der Weissagung ein Verhalten der Jünger, das sie als
blind und unverständig gegenüber dem göttlichen Geheimnis
erscheinen lässt. Das ist Schema. Dieser Schematismus aber,
mag er nun einer besondern schriftstellerischen Absicht des Markus
entspringen oder blos ein Zeugnis für das Sichvordrängen einer
bestimmten Anschauung und einer ihm natürlichen Assoziation
sein, bestätigt uns noch einmal, dass wir hier den Gedanken
des Autors oder seiner Zeit gegenüberstehen, nicht aber der
wirklichen Geschichte.
Wir müssen die Untersuchung hier erweitern. Das Ver-
ständnis fehlt den Jüngern gerade bei den Todes- und Auf-
erstehungsverkündigungen. Ist darauf Nachdruck zu legen?
Es ist Material vorhanden, die Frage zu beantworten.
Das Verständnis der Jünger üherhaupt. Offenbarung und
Geheimnis.
Nach dem Markusevangelium zeigen sich die
Jünger im ganzen Verlaufe der Geschichte unfähig,
Jesus zu begreifen').
Ich schreibe auch hier die Stellen aus, um anschaulich zu
machen, welche Bedeutung dieser Gedanke für Markus besitzt.
4 13: Ihr vei-stehet diese Parabel nicht, wie wollt ihr alle
Parabeln verstehen?
Auffassung nicht herausfallen: Jesus hat diese Dinge ganz offen d. h.
unmissverständlich vorhergesagt, das wäre dann im apologetischen Sinne
zu verstehen. Für dii^ Erzählung des Markus passt diese Bedeutung
nicht gut.
1) Vgl. Ritschi, Theol. .Talirbb. 1851, S. 517.
102
440.41 (Seesturai): ^o Warum seid ihr furchtsam? Habt ihr
noch keinen Glauben? ^lUnd sie fürchteten sich sehr
und sprachen zu einander: wer ist wohl dieser, dass
selbst der Wind und die See ihm gehorchen?
600 — 52 (Seewandeln): ^^Denn alle sahen ihn und gerieten in
Bestürzung {eTaQaj^d-iqoav). Er aber redete alsbald
mit ihnen und sagt zu ihnen: fasset Mut, ich bin es,
fürchtet euch nicht. ^^Und er stieg zu ihnen in das
Schilf, und der Wind beruhigte sich, und sie kamen
ganz ausser sich; ^^denn sie hatten kein Verständnis-
gewonnen über den Broten, sondern ihr Herz war ver-
stockt (TteTTWQCüfievr]).
7 18 (Nach der Ttaqaßolri von dem Verunreinigenden, deren
Sinn die Jünger erfragen): Und er spricht zu ihnen:
so verständnislos seid auch ihr ? Merket ihr nicht, das&
alles, was von aussen in den Menschen eingeht, ihn
nicht verunreinigen kann . . . . ?
8 16 — 21: (Jesus hat gesagt: sehet euch vor vor dem Sauerteige
der Pharisäer und dem Sauerteige des Herodes). ^^Und
sie besprachen sich unter einander: wir haben keine
Brote (Nach V. 14 hatten sie nur ein Brot mitge-
nommen). i'^Und er erkannte es und sagt zu ihnen:
was besprecht ihr euch darüber, dass ihr keine Brote
habt? Merket und vei-stehet ihr noch nicht? Ein ver-
stocktes Herz habt ihr! is» Augen habt ihr und sehet
nicht und Ohren habt ihr und höret nicht«. i^ünd
ihr habt kein Gedächtnis — da ich die fünf Brote ge-
brochen habe für die fünftausend, wieviel Körbe voll
Brocken höbet ihr auf? Sie sagen zu ihm : zwölf. ^oUnd
da ich die sieben für die viertausend (gebrochen habe),.
von wie vielen Flechtkörben höbet ihr da Füllungen
von Brocken auf? und sie sagen zu ihm: sieben,
äiTJnd er sagte zu ihnen: verstehet ihr noch nicht?
95. ü (Verklärung): ^Und Petrus antwortete und spricht zu
Jesus: Rabbi, hier ist für uns gut sein, und wir wollen
drei Zelte machen, eins für dich und eins für Moses
und eins für Elias. ^Denn er wusste nicht, was er
sagen sollte; denn sie waren erschrocken {excfoßoL).
9 19: (Der Vater des dämonischen Knaben sagt, dass die
103
Jünger den Dämon nicht auszutreiben vermochten).
Und er antwortete und sprach zu ihnen: o ungläubiges
Geschlecht! Wie lange sollich bei euch sein, wie lange
soll ich euch ertragen? ....
10 24-. (Die Reichen kommen schwer in das Reich Gottes).
Die Jünger aber waren betroffen o!) seinen Worten
(vgl. V. 26).
1437-41: Der dreimalige Schlaf der Jünger in Gethsemane;
V. 40 : denn ihre Augen waren schwer, und sie wussten
nicht, was sie ihm antworten sollten.
Das AVort über das Verständnis der Parabeln kann nur als
Tadel aufgefasst werden i). Das zeigt schon die parallele Be-
merkung 7 18. Man könnte fragen, ob hier nicht ein Widerspruch
zu der Vorstellung vorliege, dass die Parabeln Rätselrede sind,
und dass die Jünger regelmässig eine Auflösung bekommen.
Kann etwas an sich Dunkles durch den Einfluss des Unterrichtes
allmälig dem Verständnis zugänglicher werden (vgl. Tis)? Viel-
leicht Hesse sich da doch eine Antwort finden. Jedenfalls stört
Markus diese Frage keinen Augenblick. Er giebt einer ihm
wichtigen Idee Ausdruck, einerlei ob er dabei ganz konsequent
ist oder nicht. — Das Wort 9 in scheint mir an die Jünger,
nicht aber an den Vater des Knaben gerichtet zu sein 1) wegen
des aitolQ, das unmittelbar vorangeht, 2) wegen des 'nog itoxe
TCQog hiag 80o^iai, das doch nur auf die Jünger recht passen
will, 3) wegen der vielen Parallelen.
Wir haben in allen diesen Stellen oftenbar eine feste Vor-
stellung von der Haltung der Jünger; ihr Unverstand zeigt sich
den Worten Jesu gegenüber, noch deutlicher aber tritt er her-
vor, wenn eine mächtige That des Herrn ihnen die Augen
öffnen könnte, sie sind da völlig ratlos.
Leicht verständUchc Varianten der Vorstellung sind es, wenn
bald von Mangel an Einsicht, bald von Mangel an Glauben,
bald von Staunen, bald von Furcht die Rede ist. Erkenntnis
und Glauben fallen für Markus nahezu zusammen. Die Fm-cht
setzt das Fehlen der Erkenntnis voraus, ebenso das Staunen.
Die Unfähigkeit, die die .Jünger bei der Dämonenaustreibung
1) Ebenso Jülicher I Ö. 2\ö (gegen B. Weiss).
104
beweisen, hat ihren Grund darin, dass sie von Jesus noch nicht
gelernt haben, was sie hätten lernen sollen.
Muss ich nun noch darauf hinweisen, dass diese Stellen
mit den Proben des Jüngenerständnisses nach den Leidens-
weissagungen so verwandt sind, dass sie notwendig ebenso ge-
wertet werden müssen wie sie? Muss ich daran erinnern, dass
Worte wie 4 13, 7i8 schon oben als un geschichtlich erkannt worden
sind, dass andere Worte ganz an der streng wunderhaft gefassten
Erzählung hängen, die vorangeht, und sich damit sofort als er-
dichtete Worte kennzeichnen ? Ich denke, jeder muss ohne alle
besonderen Gründe sehen, dass solche Jünger, wie Markus sie
uns hier vorführt. Jünger, die nach allem Wunderbaren, was
sie von Jesus sehen, nie klüger über ihn werden, Vertraute, die
kein Vertrauen zu ihm haljen, ihm furchtsam gegenül)erstehen
wie einem unheimlichen Rätsel und sich scheu hinter seinem
Rücken über sein Wesen unterhalten ^), keine Gestalten der
Wirklichkeit sind.
Indessen verdienen zwei Stellen noch besondei*s hervorge-
hoben zu werden: 6üo — 52 und 8 ig — 21. Einmal zeigen sie uns
so ausgezeichnet, was Markus den Jüngern zuzutrauen vermag.
Und viel wichtiger, als die Stellen zu streichen, ist es in der
That, aus ihnen den Autor besser kennen zu lernen. Sodann
ist es immer besonders zu schätzen, wenn wir einmal geradezu
erklären können: hier sehen wir, wie der Autor aus
seinen Vorstellungen Geschichte macht. Und das ist hier
möglich.
Volkmar sagt wiederholt -). der Evangelist schildere den
»Blödsinn« der Jünger. Das ist derb, aber sachlich zutreffend.
In der That legt er ihnen 652 ausdrücklich den Unverstand bei,
sie hätten nach der vorangegangenen Speisung noch nicht gemerkt,
dass Jesus Wunderkraft besitze 3). Denn anders kann die Stelle
nicht gefasst werden. Die Schlussbemerkung sagt auch ganz
1) 441; vgl. dazu auch 932: sie fürchteten sich, ihn zufrag:en.
2) S. 338 ff, 404, 409, ähnlich Hoekstra S. 165. Nicht gut spricht
Volkmar übrigens vom »jüdischen« Blödsinn der Jünger. Treffendes
auch bei Br. Bauer III S. 14ff.
3) Vgl. auch bei der zweiten Speisung die Frage (84), wie man
so Viele in der Wüste sättitren kimne.
105
bestiimiit: ihr Herz war veretockt. Ebenso stark ist es, wenn
sie beim Sauerteig der Pharisäer und des Herodes meinen^
Jesus hätte ihren Mangel an Brot im Auge. Man denke sich
das Bild der wirkhchen Jünger und lege ihnen die Vorstellung
bei, Jesus Avolle sie warnen, von »den« Pharisäern oder von
Herodes Sauerteig zu holen ! Dabei kehrt die andere Voi-stellung
wieder. Jesus setzt voraus, dass sie ihm nicht zutrauen Brot
zu schaffen (817). Sie haben eben in ihrer Verhärtung sogar
beide wunderbare Speisungen ganz vergessen, und doch müssen
sie sich unter den Fragen Jesu daran eriimern i). Wie kommt es.
dass eigentlich Niemandem recht bewusst ist, dass solche Dinge
in unserm ältesten Evangelium zu lesen sind 2)?
Dass aber der Evangelist selbst hier arbeitet, zeigt schon 652.
Denn eine solche Motivierung ist ihrer Natur nach keine Sache
der Überlieferung. Noch deutlicher zeigt es die andere Stelle.
Denn hier ruht das Gespräch Jesu mit den Jüngern ganz auf
der vorangehenden literarischen Komposition. Es setzt
nämlich voraus, dass zwei Speisungsgeschichten erzählt sind, und
es hält die beiden Geschichten bis auf »die Zahlen«, »ja bis auf
die Benennung der Körbe« ^) {v.öffivoi 643, a/tvQi'deg Ss) genau
auseinander.
1) Wio B. Weiss (L. J. II S. 234 ff.) sieh dieser unbequemen
Stelle entledigt, ist ein besonders schönes Beispiel seiner apologetischen
Kunst. Er weiss z. B., dass es sich nicht ura ein blosses Missver-
ständnis handelte. Jesus erinnert die Jünger an die wunderbare
Speisung »natürlich nicht, um sie anzuleiten, dass sie künftig nicht für
Brot zu sorgen brauchten, weil er ihr tägliches Bedürfnis mit Wunder-
macht befriedigen könne-, aber damit sie sich sagen sollten, dass er.,
sich um die (äussern) »Dinge, an die sie dachten, nicht bemühen werde,
sondern von geistlichen Dingen reden müsse, wenn er von jenen zu
reden schien«. (S. 236). -W. findet schliesslich in der Stelle »eine merk-
würdige (!) Bestätigung für die Geschichtlichkeit des Speisungswunders«.
2) Wie ist dies Missverständnis und was ihm folgt entstanden?
Das ist nicht so leicht anzugeben, und doch kann das kritische Urteil
nicht zweifelhaft sein. Es ist nützlich, hieran zu erinnern, wenn man
bezweifeln sollte, dass ein Stück wie die Szene zwischen Jesus und
Petrus 832 f. sich leicht in späterer Zeit bilden konnte.
3) Holtzraann z. St. — Ganz fernliegend und ein Missverständnis
des Charakters der Stelle ist übrigens H.'s Bemerkung, die Verse dienten
wohl dem Zwecke der Lebrbildung: die darin enthaltene Klage werde
<lenjenigen Lesern und Hörern gelten, welche nicht iil)er die buchstäb-
106
Das Material, das Markus für die Schilderung der Jünger
bietet, habe ich in der obigen Übersicht nicht erschöpft. So könnten
Stellen wie 10 13 hierher gehören, wo die Jünger den Kindern
wehren, oder 10 3s, wo Jesus auf die Bitte der Zebedaiden ant-
wortet:
ihr wisset nicht, was ihr verlangt.
Sicher hat Markus in der Flucht der Jünger (14 a») bei der
Gefangennahme Jesu dieselbe Haltung wiedergefunden, die er
in seinem ganzen Evangelium gezeichnet hat. — Ich erwähne
hier auch die Stelle 14 20 ff., wo Petrus und alle andern Jünger
gegenüber der Weissagung ihres Abfalls ihre Festigkeit beteuern.
Hier liegt nicht das Motiv des Unverstandes vor, aber auch
diese Stelle ist den Jüngern nicht günstig. Da der Leser weiss,
dass Jesus mit seiner Prophezeiung Recht behalten wird, so
muss ihm die Rede der Jünger als thörichter Selbstbetrug, wenn
nicht gar als Maulheldentum erscheinen. 10 39 könnte ein ähn-
licher Gedanke vorliegen. Doch ist das kaum der Fall ').
Ich habe alle solche Stellen absichtlich ausgeschieden, um
mich an das Deuthche zu halten, d. h. an denjenigen Stoff, der
ebenso sichtlich die Anschauung des Markus ausprägt, wie
er un geschichtlich ist. Die Notiz von der Flucht der Jünger
z. B. möchte ich für eine richtige Nachricht halten, zwar nicht,,
weil schon ein Schriftbeweis bei Markus dafür vorliegt (1427),.
aber aus andern Gründen. — Dass ich die Nachricht vom
Schlaf der Jünger in Gethsemane zu den »deutlichen« Stellen
gerechnet habe, wird keiner Rechtfertigung bedürfen. Schlafende
Jünger, wie Markus sie schildert, wären wenigstens die schlechtesten
Bürgen für die erhabene Szene.
Man darf sich über diese Schilderung der Jünger nicht
wundern, man darf durchaus nicht den Einwand bringen, dass
es unbegreiflich sei, wie in einer Zeit, wo die .Jünger schon eine
höhere Schätzung genossen, jemand sie so ungünstig gezeichnet
haben sollte. AVer einen Augenblick auf den Gedanken käme^
dass Markus den Jüngern abgeneigt sei, wird ihn doch sofort
liehe Deutung- und Fassung der Speisungsgoschichte hinaus kommen
können.
1) Mehr für sich hat Volkmars Meinung (S. 500), dass hier der
Märtyrertod der Zebedaiden vorausgesetzt werde.
107
wieder fallen lassen. Im Gedanken des Evangelisten vemnehrt
es die Jünger gar nicht eigentlich, dass sie sich so l)enehmen;
denn während des Lebens Jesu, sagen wir: während der Zeit
des Geheimnisses, ist das ganz natürhch. Jedenfalls ist die
Hochschätzung der Apostel hiermit durchaus verträghch. Denn
diese gilt eben, sofern es sich um die Personen handelt, den
späteren Aposteln, den Aposteln, die nach der Auferstehung
Jesu keine Stumpfheit und keine BHndheit mehr kennen. Eben
das, was sie nachher geworden sind, tritt in das hellste Licht
durch das, was sie vorher waren. Danelien spielt eine andere
Kontrastwirkung mit: ihr Unverstand bildet eine Fohe für Jesu
Höhe und Grösse.
Es giebt übrigens eine lehrreiche altchristliche Parallele zu
dieser Zeichnung der Jünger. Im Barnabasbiiefe heisst es 5 9:
Als er aber seine eigenen Apostel, die das Evangelium
verkünden sollten, auswählte, die über alle Sünde hinaus
sündig waren [ovrag rf.ieQ 7cuoar ctj^iaQTi'av avoiACoteQOvg),.
damit er zeigte, er sei nicht gekommen. Gerechte zu rufen,
sondern Sünder (Mt 9 is), — da offenbarte er, dass er
Gottes Sohn sei.
Es könnte nach dieser Stelle nicht befremden, wenn eines
Tages ein Evangelium ans Licht käme, in dem von den Jüngern
allerlei Sünden berichtet wären. Denn dass Barnabas hier einer
reinen Privatmeinung Ausdruck giebt, ist gar nicht wahrscheinlich.
Vielleicht setzt doch auch des Celsus Vorwurf, Jesus habe sich
berüchtigte {eTtiQQritovg) Leute, die schHmmsten {7iovriQ0T(aocg)
Zöllner und Fischer zu Aposteln gewählt, eine derartige Tradition
voraus!); wenigstens glaube ich der Gelehrsamkeit des Origenes
nicht gern, dass Celsus hier wohl vom Barnabasbriefe »literarisch
abhängig« sei 2). Übrigens liegen im Neuen Testamente selbst
Daten vor, die in näherem oder fernerem Zusammenhange mit
der Anschauung des Barnabas stehen. Nicht umsonst zitiert
Barnabas ein Wort, das gerade bei der Berufung des Zöllners
Matthaeus berichtet wird. Das Lukasevangelium zeigt uns eine
Schilderung der Sünderfreundschaft Jesu, die doch wohl schon
1) Origenes, Contra Celsum I 62. 63.
2) Origenoß sagt (c.63): o»(v {aui^ der xaDohx!] ^TTiaToki] des Bar-
nabas) 6 Kilaog knßwv rir/n f'i^tv iniQQr'jTovg xi<i 7iovi]QotÜtoi<; tovs-
(IttüOtÜXovs.
108
eine Steigerung älterer Anschauungen darstellt. Im ei-sten
Timotlieusbriefe (lis) muss sich Paulus den ersten unter den
Sündern nennen. Doch wir haben hier die Auffassung des ßar-
nabas nicht zu erklären, es gilt nur die Parallele zu Markus
-ZU betonen.
Nichts wäre wieder falscher, als um der starken Ausdrücke
willen zu meinen, der Verfasser habe gering von den Aposteln
gedacht i). Denn der Tadel trifft gar nicht die Zeit ihrer
Apostelschaft, die für den Glauben des Barnabas allein in Be-
tracht kommt, sondern ihre Vergangenheit. Die Übertreibung,
die man in den Worten hervorbel)t, ist eigentlich nicht grösser
als die des Markus in Stellen wie 6 52 und 8 16 ff., sie liegt nur auf
einem andern Gel )iete; man könnte die Jünger des Markus nach
solchen Stellen rnig Ttaaav avoiav davvETOJVSQOvg nennen. Im
Übrigen ist diese Übertreibung charakteristisch. Denn solche
Motive haben eine gewisse Tendenz, sich zu steigern und zu
verdicken. Bei Barnabas empfinden wir sofort die weite Ent-
fernung vom Historischen; geschieht es bei Markus nicht, so
kommt es nicht daher, dass diese Entfernung geringer wäre.
Es wird nun deutlich geworden sein, dass das Markus-
evangelium einen Fortschritt in der Erkenntnis der
Jünger gar nicht kennt, ja dass es prinzipiell verkehrt ist,
ihn hier zu suchen. Es ist deshalb immerhin ein Aus-
legungsfehler, wenn man das ovtiio ovrieTs; durch die Bezug-
nahme auf eine einzelne Erklänmg Jesu erläutert. Z. B. darf
man nicht sagen, das otTto) 817 stelle gegenüber 7i8 eine
Steigerung dar, da die Jünger inzwischen ja immer neue Ge-
legenheit gehabt hätten, sich im Verstehen der Lehrweise Jesu
zu üben'"*). Es hiess 4 41 ja auch schon:
OV/tO) hyßZE TtioTlVj
1) Gegen diese Meinung von Hil genfei d und Baur, die an die
Zwölf als Judenapostel denken, vgl. J. G. Müller, Erkl. des Barnabas-
briefes (1869), S. 144 f., auch Harnack, Patr. apost. opp. z. St.
2) B. Weiss, das Markusev. S. 275. Aus ähnlichem Grunde ist es
anfechtbar, dass diese gesteigerte Unempfänglichkeit eine »Vorbereitung
auf ihren gänzlichen Mangel an Verständnis für die Leidensweissagungen«
sei (Holtzmann zu <Si7). 44i, 652 u. s. w. können doch nicht auch
blos »Vorbereitung« in diesem Sinne sein. Umo-ekehrt ist aber auch in
109
In Wahrheit heisst es immer ovnco; während des Zusammen-
lebens der Jünger mit Jesus. Das Wort köimte auch schon im
ersten Kapitel des Evangeliums stehen. Es drückt sicli darin
aus, dass die Jünger nach dem, Avas sie von Jesus sehen und
hören, durchaus zur Erkenntnis kommen müssten, wenn nicht
eben ihre Augen gehalten wären,
Hiermitisiesdenn nun auch endgiltig klar geworden, dass von
dem Gedanken einer Erziehung der Jünger i) bei Markus nicht
die Rede sein kaim, wenn man nicht darunter etwas versteht,
was nicht mehr Erziehung ist. In jedem Momente ist das Ver-
hältnis der Jünger zu den Offenbarungen Jesu das gleiche, in
jedem Momente seine tadelnde Verwunderung über ihr Verhalten
dieselbe. Und das muss nach Markus so sein. Dann kann er
aber nicht denken, dass Jesus die Jünger allmälig weiterführe.
Freilich finden wir, dass die Jünger ihn manchmal wieder
ohne Schwierigkeit verstehen. Das beweist abermals nur, dass
die Anschauung nicht überall zur Herrschaft gekommen ist. Bei
ilirer Künstlichkeit ist das ganz natürlich.
Ich muss aber einen Punkt noch besonders klar stellen.
Die Kritik findet folgende Stufenfolge im Markus: zuerst all-
gemeines Nichtverstehen, dann Verständnis der Messianität Jesu
(827ft'.), von da an nur noch Unfähigkeit, die Art dieser Messia-
nität, d. h. den Leidensgedanken' zu begreifen. Somit erscheint
das Verhalten der Jünger bei den Leidensweissagungen als etwas
Besonderes, und dies ist der Grund der eigentümlichen Er-
scheinung, dass die Verständnislosigkeit gegenüber diesen Weis-
sagungen weit mehr die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken
pflegt als die analogen Züge, die sich sonst im Evangelium
finden.
Aber die Aufnahme der Weissagungen ist nichts Besonderes
für Markus. Die völlige Gleichartigkeit aller andern Proben
des Jüngerverständnisses deutet nur auf eine einzige sich gleich
bleibende Anschauung hin. Einen Wink, der dennoch auf jenen
Fortschritt hindeutete, sucht man vergebens. Und ist die Frage,
weshalb der Erzähler, wenn er einmal eine Stufenfolge zeigen
Stcll(Mi wie 8 17 f. keine »durch den Kontrast motivierende Vorbereitung
des Bekenntnisses Petri« zu sehen. (Hi Igenfeld, das Markusevang.
(1850) S. 56). Der Unverstand dauert ja fort.
1) Vgl. oben S. 41 ft'.
110
wollte, die Jünger nicht bchliesslich auch zur Erkenntnis des
leidenden Messias hiuauführt, vielleicht kein zwingendes Ar-
gument, so kann man doch nicht übersehen, dass die Stumpf-
heit der Jünger in der späteren Zeit keineswegs blos bei den
Weissagungen hervortritt. Das zeigen Stellen wie 95.6 und 9i9.
Aber denkt Markus nicht doch bei der Schwierigkeit, die
die Leidensweissagungen den Jüngern bereiten, an ein Motiv^
das sonst nicht in Frage kommt, nämlich an die jüdische Art
ihrer Messiaserwartung ? Ich denke, es rechtfertigt sich hier viel-
mehr gerade, was fmher ') über die Bedeutung dieser jüdischen
Messiaserwartung für das Evangelium ausgeführt wurde. Markus
schweigt von ihr ja gänzlich. Das giebt gewiss noch nicht das
Recht zu behaupten, dass er von einem jüdischen Messiasbegriffe
überhaupt nichts gewusst hal^e. Insofern wäre also gar nichts
dagegen einzuwenden, wenn man sagt : die Jünger sind als Juden
gedacht, sie stellen sich einen Messias in Herrlichkeit und
Macht vor, der Gedanke eines leidenden Messias ist ihnen daher
fremd. Allein man muss erkennen, dass dies bei Markus nicht
das Wesentliche ist, wenn er überhaupt daran gedacht hat. So
lauten seine Aussagen über den Unverstand der Jünger ja wahr-
lich nicht, dass eine rationale Motivierung dieser Art sie erklärte.
Es heisst nicht, dass ihnen der Gedanke eines leidenden Messias
fremd Avar, sondern ganz einfach, dass sie das > AVort nicht ver-
standen«. Und wo nicht vom Leiden, sondern nur von der Auf-
erstehung die Rede ist (9,io), haben wir ganz 'dasselbe. Der
leidende Messias ist in Wahrheit in demselben Sinne
Geheimnis wie der Messias überhaupt, seine Wundermacht und
sein übermenschliches Wesen, eben die Gleichartigkeit der
sonstigen Schilderung der Jünger beweist es. Die Leidens-
weissagung erscheint als dunkel und unbegreiflich nicht von
realen Verhältnissen des Lebens Jesu aus, sondern von den
dogmatischen Gedanken einer spätem Zeit aus. die im Leiden
und Tode Jesu den paradoxen göttlichen Ratschluss findet.
Denkt man sich, Jesus hätte sich auch aus den Heiden Jünger
geworben, so würden sie für Markus den Worten Jesu im Kerne
.^enau ebenso gegenüberstehen wie die jüdischen Schüler.
1) Oben S. 4,3 ff.
111
Was wir bisher über die Jünger ermittelt haben, bedarf
noch einer wesentHchen Ergänzung, Es ist angedeutet, aber
noch nicht gebührend betont worden, dass ihi-e beharrhche Ver-
ständnislosigkeit ein Korrelat hat. Sie korrespondiert nänüich
der fortgesetzten Offenbarung, die die Jünger empfangen, und
sie kontrastiert mit ihr.
Die Jünger bilden die ständige Begleitung Jesu und sind
so notwendig die Zeugen seiner Selbstoftenbarung in Thaten
und Worten. Damit wird freilich noch nicht klar, wie weit
der Evangelist auf diese Thatsache Wert legt. Aber wir haben
den Gedanken, dass die Jünger Offenbarungsempfänger sind,
schon vielfach scharf ausgeprägt gefunden.
Eine zusammenfassende Äusserung liegt vor in dem Worte:
Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben
worden (4ii).
Damit ist im Grunde alles gesagt. Der Erzähler hat vor diesem
Worte eigentlich wenig gethan, um zu zeigen, wie Jesus den
Jüngern dies Geheimnis übermittelt. Bei einem andern Autor
müsste daher ein solches Urteil vielleicht befremden. Bei Markus
darf man sich daran nicht stossen. Sein Urteil entstellt eben
nicht erst auf Grund einzelner Äusserungen der Oifenbarungs-
thätigkeit Christi. Es hat vielmehr den Charakter einer fertigen
Gesamtansicht, die sich deshalb auch vor allem Einzelnen Aus-
druck schaffen kann.
Natürlich wird sie aber auch im Einzelnen erkennbar.
Gleich die Bemerkung desselben Zusammenhanges, dass Jesus
den Jüngern die unverständlichen Parabeln erschliesst, gehört
dahin. Deutlich sind ferner die Weissagungen vom Leiden und
Auferstehen als besondere Oft'enbarungen markiert, so weini
Jesus sich im Verborgenen zu halten sucht, um sie mitzuteilen
(93o), so wenn er sie, wie übrigens auch bei andern Worten geschieht,
speziell an die Jünger, unter Ausschluss des Volkes, richtet (831,
vgl. 34, IO32, 133), Ebenso werden grosse Wunder, wie die
Stillung des Sturmes und die Speisungen, durch den nachfolgen-
den Tadel als beabsichtigte Manifestationen Jesu charakterisiert.
Endlich erinnern wir uns, dass Jesus bei der Auferweckung der
Jairustochter und bei der Verklärung nur die drei Vertrauten
zulässt, diese also absichtlich die geheimnisvollen Vorgänge schauen
112
lassen Avill. Xiimentlicli die Verklärung ist als eine Art Ein-
weihung ins Geheimnis gedacht. Nicht erwähnt ist bisher die
Nachricht, dass Jesus bei der Aussendung den Jüngern »Gewalt
über die unreinen Geister« verleiht (67). Nach 612.13 ist die
Yolhnacht zu predigen und die Macht überhaupt zu heilen hin-
zuzudenken. Das darf man doch auch hierherziehen, so gut
wie das Fehlschlagen der Heilung des Knaben in das Kapitel
des Jüngerunverstandes und -Unglaubens gehört (9 19).
Der Kreis der Offenbarungsempfänger ist bei Markus bald
enger, bald weiter. Es ergeben sich leicht folgende Stufen:
Petrus, die Drei, die Vier, die Zwölf, der weitere Anhang ein-
schliesslich der Zwölf (01 TtsQi acrbv gcv colg öiööe/ia 4 10, vgl.
332, 1082). Von Petrus wird allerdings nirgends eine besondere
Offenbarung belichtet. Denn in der Szene von Caesarea
Phihppi wird ihm nichts mitgeteilt, er bekennt nur. Aber es
lässt sich kaum bezweifeln, dass der Evangelist ihn doch auch
in dieser Hinsicht an die Spitze aller Jünger stellt, und auch
die genannte Szene wird auf diesem Gedanken ruhen.
Man darf fragen: lässt sich bei den Offenbarungen Jesu
nachweisen, dass je nach ihrer grösseren oder geringeren Be-
deutung der engere oder der weitere Kreis von Jesus berück-
sichtigt wird? Es ist in der That vielleicht kein Zufall, dass
gerade l)ei einem so gewaltigen Wunder wie der Auferweckung
des Mädchens und bei einem so geheimnisvollen Vorgange wie
der Verklärung die drei Vertrauten erscheinen. Eine wirkliche
Durchführung des Gedankens ist dennoch nicht möglich. Ich
wüsste wenigstens nicht anzugeben, weshalb die eschatologische
Rede an die vier näheren Jünger 1), die doch sicher nicht un-
wichtigeren Leidensweissagungen an die Zwölf und die Belehrung
über die Parabeln an den weiteren Kreis gerichtet werden. Es
niuss auch bedacht werden, dass Markus in allen diesen Fällen
nicht gleichmässig frei zu verfahren braucht. Es kann hier der
Fall sein, dort aber kann er eine bereits vorliegende Tradition
wiedergeben.
Wenn nun die Offenbarungen Jesu den Jüngern ob ihres
Unverstandes verschleiert bleiljen, und zwar den Vertrauten genau
1) Im Hinblick auf die folgende Rede und im Zusammenhange mit
den übrigen Momenten muss man doch vermuten, dass auch dies keine
historische Nachricht ist.
113
so wie den ITlmgen, so kann das doch nicht heissen, dass sie
gar nichts für sie bedeuten. Viehiiehr wird Markus ineinen,
dass sie eben doch in den Besitz der Jünger gelangen. Gewisser-
massen dinghch werden sie ihnen zu Teil, sie führen bei ihnen
eine Art latenten Daseins, bis die Zeit kommt, wo die Binde
von ihren Augen genommen wird, d. h. bis zur Auferstehung.
In diesem Momente wird dann die ganze Selbstdarstellung Jesu
nachtrcäglich wirksam. Das Unverstandene wird nun Erkenntnis,
und die Erkenntnis wird jetzt verbreitet und muss verbreitet
werden. So erhalten die Jünger doch trotz aller ßhndheit von
Jesus selbst die Ausrüstung, die sie notwendig haben müssen,
um seine Zeugen, seine Apostel zu sein. Denn diese ihre
Qualität beruht auf dem, was sie von ihm selbst empfangen und
überliefert erhalten haben,
Markus hat diese Gedanken in seinem Evangelium, so viel
ich sehe, nicht wirklich ausgesprochen. Aber er kann keine
andere Auffassung gehabt haben. Die Bevorzugung der Jünger
vor der Menge, die esoterische Belehrung, die ihnen zu Teil
wird, kann doch nichts Zweck- und Wirkungsloses sein. Und
das Aväre sie, wenn dabei der Blick nicht stets über die Periode
der Blindheit hinausgienge. Ein paar Mal schimmert der Gedanke
doch wohl auch erkennbar durch. In dem Parabelabschnitt tritt
abgesehen von 4 1.3 das Motiv des Verständnismangels zurück,
die Jünger erhalten z. B. die Deutung des Gleichnisses, und es
wird die direkte Weisung erteilt, einst das jetzt Geheime zu
offenbaren (42if,), Auch das »festhalten« des unverstandenen
Wortes vom Auferstehen (9 10) schien i) darauf zu deuten, dass
die Vertrauten trotz aller momentanen Unfähigkeit den wert-
vollsten Besitz in sich aufnehmen.
Neben dem Gedanken, dass die Jünger die Offenbarung
erhalten, steht der andere, dass sie dem Volke vorenthalten wird.
Der eine ist immer mit dem andern gegeben. Trotzdem darf
man fragen, ob beide für Markus die gleiche Wichtigkeit haben.
Ich meine, der Accent fällt auf den positiven Gedanken
über die Jünger; der andere ist mehr die Folie. Wenn be-
sondere Offenbarungsträger da sind, muss es andere geben, die
von der Offenbarung ausgeschlossen werden. In dem Parabel-
1) Oben S. 1)4.
Wrode, Messiasgeheimnis. g
114
abschnitt wird freilich dies Zweite nicht weniger stark betont.
Allein liier ist auch ein besonderer Anlass vorhanden, es steht
eben die besondere parabolische Lehrweise Jesu in Frage, die
für das Volk bestimmt ist. Nim ist zwar auch dort, wo einfach
von der Wahrung des Geheimnisses die Rede isti), immer hinzu-
zudenken, dass die Messianität der Menge verborgen wird ; denn
den Jüngern soll sie gerade nicht verborgen bleiben. Indessen
hier wird der Nachdruck auch wieder viel mehr darauf gelegt,
dass Jesus überhaupt sein Geheimnis nicht laut werden lässt,
als dass er es gerade dem Volke — etwa um seiner Beschaffen-
heit willen — verbirgt. Es wird doch nicht zufälhg sein, dass
in den Stoffen, in denen die Anschauung vorliegt, von Unverstand,
Bosheit, Verstocktheit der Menge wenig die Rede ist 2).
Das Ergebnis der gesamten bisherigen Untersuchungen lässt
sich folgendermassen zusammenfassen.
Wir finden bei Markus zwei Gedanken:
1) Jesus hält seine Messianität, so lange er auf
Erden ist, geheim.
2) Den Jüngern freilich offenbart er sich im
Gegensatze zum Volke, aber auch ihnen bleibt er in
seinen Offenbarungen einstweilen unverständlich.
Beiden Gedanken, die vielfach in einander
übergehen, liegt die gemeinsame Anschauung zu
Grunde, dass die wirkliche Erkenntnis dessen, was
er ist, erst mit seiner Auferstehung beginnt.
Dieser Gedanke der geheimen Messianität hat
bei Markus eine bedeutende Ausdehnung. Er be-
herrscht viele Worte Jesu, zahlreiche Wunder-
geschichten und überhaupt den gesamten Verlauf
der Geschichtserzählung.
1) Vgl. S. 22—81. »
2) An dieser Stelle wird wohl klar, dass es richtig ist, bei der
Erklärung der Parabeltheorie nicht die Messiasfeindschaft des Juden-
volkes zu betonen. Vgl. S. 64.
115
4.
Rückblick auf Markus.
Die bisherige Darlegung verfolgte den Zweck, die Anschauung
vom Messiasgeheimnis, wie sie bei Markus vorliegt, als solche
zu entwickeln. Es ist jedoch notwendig, Ergänzungen hinzu-
zufügen. Es gilt einige Fragen zu berühren, die sich bei der
Untersuchung dieser Zusammenhänge aufdrängen, mid einige
Folgerungen für das Markusevangelium schärfer zu ziehen, als
bisher geschehen ist.
Das Petrnsbekenntnis im Markusevangelium.
Ist der Gedanke der geheimen Messianität richtig bestimmt
worden, so ergiebt sich unmittelbar, dass Markus kein
Wissen darüber besessen hat, wann Jesus als
Messias bekannt geworden ist, ja dass er für diese Frage
im historischen Sinne überhaupt gar kein Interesse gehabt hat.
Es ist möglich, dass in dem Traditionsstoffe, den er bringt,
Daten liegen, die sich in dieser Hinsicht verwerten lassen. Es
ist auch möglich, dass zur Zeit des Markus anderswo ein solches
Wissen vorhanden war. Es ist ferner möghch, dass in den-
jenigen Bestandteilen der synoptischen Tradition, die von Markus
unabhängig sind, Anhaltspunkte für diese Frage vorliegen. Alles
dies kümmert uns hier nicht, wir stellen nur fest, dass in der
messianischen Gesamttradition, die der älteste der Evangelisten
bietet, und von der die beiden andern Synoptiker in dem Haupt-
teile ihrer Geschichtserzählung bestimmt werden, ein Wissen
dieser Art nicht wahrzunehmen ist.
Klarer als durch die einleitenden Erörterungen i) ist damit
«rwiesen, dass das Bekenntnis des Petrus bei Caesarea Phihppi
von Markus nicht als der Zielpunkt einer Entwicklung oder
als eine Epoche im Leben Jesu gedacht sein kann. Im
Einzelnen ergaben sich zwei Thatsachen, die diese Annahme
widerlegen. Einmal hat sich die gewöhnliche Ansicht, dass
Jesus sich auch den Jüngern bis zu diesem Momente verborgen
1) S. 9—22.
116
habe, als unrichtig herausgestellt: es werden ihnen vielmehr
längst vorher die höchsten Offenbarungen zu Teil. Sodann hat
dies Bekenntnis für das Verhalten der Jünger bei Markus gar
keine Folgen: ihre Untähigkeit Jesus zu begreifen ist nachher
nicht geringer als zuvor. Auch daran kann man übrigens erinnern,
dass trotz dieser Szene die Verklärung eine neue Einführung
in das Geheimnis bringt.
Wie sollen wir dann das Bekenntnis bei Markus verstehen?
Welche Bedeutung hat es für ihn gehabt? Bei dieser Frage
verweile ich zuerst.
Hat Markus das Bekenntnis wirklich als etwas Ausser-
ordentliches und Xeues gedacht, so muss man sagen, dass diese
Meinung auf seine Gesamtdarstellung keinen Einfluss übt; er
wüi'de eine Episode schildern, ohne zu ahnen, was sie eigenthch
bedeutet, oder ohne zu durchdenken, welche Folgerungen sich
aus ihrem Inhalt ergeben.
Unmöglich ist das an sich nicht. Das kann uns Matthaeus
zeigen. Bei Matthaeus erscheint die Szene nämlich in Wahr-
heit mit weit grösserer Deuthchkeit als ein bedeutungsvoller,
feierhcher Moment im Leben der Jünger als bei Markus. Denn
hier haben wir den Lobi^reis dieser von Petrus ausgesprochenen
Erkenntnis und die Auszeichnung des Bekenners. Trotzdem
ist gewiss, dass das Bekenntnis im Matthaeus nichts Neues ist;
denn schon in der Erzählung vom Seewandeln ist Jesus von
den Jüngern als wahrhaftiger Sohn Gottes l^ezeichnet worden
(I433). Und einen bemerkbaren Einfluss auf die folgende Dar-
stellung hat es auch nicht. Die einzelne Perikope hat ihre
Bedeutung also nur in sich selbst. Etwas Verwandtes ist es,
wenn Matthaeus (16 21) die Leidensweissagung bestimmt datiert
{ärco tÖtb) und doch das Wort vom Scheiden des Bräutigams
(9iö) und vom Jonaszeichen (12 40) zuvor biingt.
Nun liesse sich sagen: Matthaeus ist kein originaler Schrift-
steller, er ist von Markus abhängig ; deshalb ist es nicht wunder-
bar, dass die Erzählung bei ihm ganz episodenhaft ist. Aber
etwas Ahnliches könnte ja auch für Markus gelten. Er könnte
hier eine wie immer geartete Überlieferung wiedergeben ; als ein
einzelnes, mit dem Übrigen nicht weiter in Beziehung gesetztes
Stück hätte er sie in seine Erzählung eingestellt.
117
Dennoch ist es gar nicht wahrscheinhch, dass Markus hier
etwas so AiisserordentUches zu berichten meinte. Denn in der
Stelle deutet eigentlich nichts darauf hin.
Man ist sehr in Gefahr, diese Szene unwillküi'lich nach
Matthaeus zu interpretieren; es geschieht überaus häufig. Man
muss aber bei der Erklärung des Markus vöUig vergessen, dass
es einen Matthaeusbericht giebt. Ich selbst habe früher i) zwar
bemerkt, dass der Inhalt des Bekenntnisses bei Markus nach
der Analogie des Matthaeus aufzufassen, d. h. ebenso über-
natüriich gedacht sei wie bei ihm. Ich nehme das auch nicht
zurück; denn es ergiebt sich aus allen Prämissen des Markus.
Etwas ganz Anderes aber ist es, den Markusbericht in das Licht
der Sehgpreisung zu rücken, die Jesus bei Matthaeus über
Petrus ausspricht. Mir scheint gerade nichts charaktenstischei;
als dass der Markustext hiervon völhg schweigt. Würde er
schweigen, wenn es darauf ankäme, das Bekenntnis als eine
grosse That des Jüngers zu feiern ?
Das heisst keineswegs, dass es zufälhg und bedeutungslos
ist, wenn ein Jünger, und gerade Petrus, das Bekenntnis aus-
spricht. Die Einleitung der Szene macht das deuthch. Was
»die Menschen« nicht wissen, die von Jesus nur die geringeren
Vorstellungen hegen, dass er Johannes der Täufer oder Ehas
oder einer der Propheten sei, dem kann Petrus als der Wort-
führer der Zwölfe Ausdruck geben, da ihm »das Geheimnis«
gegeben worden ist. Aber hiermit ist nicht gesagt, dass in dem
Bekenntnis ein Verdienst oder eine Entscheidung des Petrus
geschildert werden soll. Denn Jesus bekundet nach dem Texte
keineriei Freude oder Überraschung über das Bekenntnis. Seme
ganze Antwort besteht in dem Befehle, über seine Person nicht
zu sprechen. i u u •
Schon Keim 2) hat die Bemerkung gemacht, man habe bei
Markus (und Lukas) »ganz den Eindruck, wie wenn das Be-
kenntnis selbst als ein unzeitgemässes getadelt oder, wie es heisst,
,gescholten' werden sollte«. Keim ist damit auf der richtigen
Spur gewesen. Der Bericht des Markus schweigt nicht nur von
dem Makarismus Jesu, er passt sogar zu ihm wie die Faust
1) S. 78.
2) II S. 550. Keim weist daun diese Darstellung des Markus ala
unmöglich zurück — zu Gunsten des Matthaeus.
118
aufs Auge^). Man wird auch Matthaeus ein gemsses Geftüil
hierfür zuschreiben dürfen. Es ist kaum Zufall, dass er aus dem
herben iTtEvifiriaev des Markus ein farbloses dieocet/MTo ge-
macht hat.
Abgesehen von der Einleitung ist die Geschichte bei
Markus eine volle Parallele zu den besiDrochenen Dämonen-
geschichten, und hiernach muss sie m. E. verstanden werden. Sie
enthält wie diese zwei Momente ^) : das Aussprechen des höchsten
Wissens von Jesus und das sofortige Einschreiten Jesu, um eine
Verlautbarung dieses Wissens zu hindern. Ich erinnere ausser-
dem daran, wie bei der Verklärung die Stimme vom Himmel
wiederum das Geheimnis ausspricht, und -wie auch dort das
Verbot sich anschliesst.
Betrachtet man diese Fälle zusammen, so entsteht der Ein-
druck, dass das Wesenthche in diesen Erzählungen für den
Evangelisten nicht in dem hegt, worin sie verschieden sind,
sondern in dem Gemeinsamen. Dass hier der Dämon, dort der
Jünger, dort die Stimme von oben sagt, was Jesus ist, — dieser
Unterschied ist schwerlich die Hauptsache. Diese einzelnen
Grössen sind ja msofeni höchst wichtig, als das Wissen des
sonst von niemand Gewussten bei ihnen begreifhch und natürhch
ist, und besonders insofern, als sie — bei der Himmelsstimme
empfindet das jeder, und hier muss es gewiss in besonderer
Weise empfunden werden — die Wahrheit des Ausgesprochenen
verbürgen. Das Wichtigste aber, soweit man hier überhaupt
distinguieren kann, ist doch der Inhalt der Kundgebung und
die Abwehr Jesu, die allerdings das Reden über diesen Punkt
als »unzeitgemäss« hinstellt, wenn auch nicht in dem historischen
Sinne, den Keim im Auge gehabt haben wh'd.
Ich komme also zu einer Auslegung dieses Berichts, die
der gewöhnlichen Auffassung ganz entgegengesetzt ist. Der
Erkenntnis der Jünger steht logisch nicht ihr eigener hüherer
Erkenntnismangel gegenüber, sondern die Nichterkenntnis Anderer.
1) Die Überschrift »Die Offenbarung des Messiasgeheimnisses«, die
Hucks Synopse dem Abschnitt 827 — 33 giebt, ist also, sofern sie für
Markus zunächst gedacht ist, geradezu falsch. Besser sagt der alte
Wilke (Urevangelist S. 6) in seiner Tabelle : Jesus verbietet den Jüngern
zu sagen, dass er der Messias sei.
2) Vgl. besonders 3nf.
119
Daher soll hier nicht sowohl von einem Moment des Jüngerlebens
erzählt werden als von dem, was Jesus ist und doch noch nicht
öffentlich sein kann.
Damit verliert freihch die Szene ganz die ausgezeichnete
Bedeutung, die ihr überall zugeschrieben wird. Wer darum
an der Richtigkeit der Auffassung zweifelt, der mache sich klar,
wie stark eine exegetische oder kritische Tradition das Urteil
gefangen nehmen kann, wie leicht der Eindruck des Matthaeus-
berichtes hier mitwirkt, und namentlich auch, wie sehr die Küi'ze
und Dürftigkeit der wirklichen Angaben des Markus absticht
von den Gedanken, die die verschiedensten Erklärer und Kritiker
hier finden. Denn in der That, dieser Kontrast fällt auf. Von
der Feierlichkeit der Stunde, von der Bedeutung der That des
Petrus, von dem Inhalt der erreichten Erkenntnis, von der
Stimmung Jesu wie der Jünger ist so manches gesagt worden,
aber wenig Eindruck hat es gemacht, dass Markus nichts davon
sagt. Ich meine keineswegs, dass der Historiker unter allen
Umständen an den trockenen Wortlaut eines schlichten Berichtes
gebannt ist. Er hat das Recht, ihn durch Deutung zu beseelen,
indem er ihn in ein grösseres Gefüge von Daten einstellt. Aber
dies Recht ist an Bedingungen geknüpft, die hier nicht erfüllt sind^).
Den Widerspruch, dass Petrus an dieser Stelle eine Er-
kenntnis zeigt, die er oder seinesgleichen sonst nicht verraten,
lasse ich hier unberührt. Er ist aus dem Evangelium in keinem
Falle fortzuschaffen, ob die gegebene Erklärung richtig ist oder
nicht. Markus hat freilich niemals von den Jüngern direkt
gesagt: sie wussten nicht, dass er der Messias sei, oder: sie ver-
standen nicht, dass er meinte, er sei Gottes Sohn; aber wenn
sie nicht wissen, wer er ist, oder welche Wunderkrait ihm
eignet, so ist das eine gleichbedeutende Aussage.
Neben dem Sinne des Petrusbekenntnisses ist seine
Stellung ins Auge zu fassen.
1) Will man sieb einen Eindruck davon verschaffen, wie weit die
einzelnen Ausdeutungen differieren, — zum Beweise, wie subjektiv das
Verfahren ist — , so vergleiche man etwa die Ausführungen voa
Weizsäcker, Untersuchungen S. 470ff., Klostermann S. 176,.
Keim II S. 545 ff., B. Weiss II, bes. S. 270, J. Weiss, Nachfolge
Jesu S. 31 ff.
120
Man betont die Verbindung mit der Leidensweissaguug und
die Nähe der Verklärungsgeschichte, dazu die Thatsache, dass
die Leidensweissagungen sich von da an immer wiederholen.
Hierdurch markiere der Evangelist die Bedeutung des Um-
schwunges im Verhältnisse Jesu und der Jünger.
Auch dies kann ich natürlich nicht zugeben. Wenn das
Bekenntnis des Petrus in c. 2 oder c. 12 stände, die Leidens-
weissagungen in c. 3 — 8 und 12 — 14 verstreut wären, die Ver-
klärung in c. 6 gelesen würde, so würde m. E, sachlich, d. h.
für den Gedanken des Markus gar nichts geändert. Eben-
sogut könnte in c. 12 noch eine Dämonengeschichte erzählt sein,
oder das Verbot Jesu, das dem Aussätzigen zu Teil wird, in
der Leidensgeschichte (wäre da Platz für ein Wunder) auf-
tauchen. Das will sagen: das historische Bewusstsein des
Evangelisten würde keinen Anstoss an einer solchen Umordnung
nehmen, weil sein theologisches sie gestatten würde. Wir haben
dafür direkte Beweise: in der Leidensweissagung 2 19.20, in dem
Worte 4 11, dass das f.ivanqQiov des Reiches Gottes den Jüngern
schon gegeben worden sei, auch in messianisch gearteten Aus-
sagen Jesu am Anfange des Evangeliums. Der Hauptbeweis
aber liegt immer darin, dass das Geheimnis während seines
ganzen Lebens dasselbe ist, und dass die Jünger ihm allezeit
gleich gegenüberstehen.
Die gewöhnliche kritische Ansicht trägt eine Bewegung in
die Geschichtserzählung des Evangeliums hinein, die nur künstlich
ist. Auch an einem ande]"n Punkte lässt sich diese Beobachtung
machen. Man spricht von einer Steigerung des Gegensatzes
zwischen Jesus und seinen Feinden im Markusevangelium. Ich
kann davon nicht viel wahrnehmen. Schon nach den Sabbats-
verletzungen im Anfange ^^^rd erzählt, dass Pharisäer und
Herodianer einen Anschlag gegen Jesu Leben machen (Se), Ist
etwa bei dem Gespräche über die Reinigung in c. 7 oder bei
den Streitverhandlungen in c. 11 und 12 der Konflikt merkbar
schärfer geworden? In Wahrheit enthält bereits 3g eine so starke
Aussage, dass sie eigentlich nur noch durch den Eintritt aktiver
Feindseligkeiten überboten werden kann; und dies nach zwei
Sabbatsverletzungen nicht aus Frevel, sondern aus Not und
Barmherzigkeit ! Der Grund liegt auf der Hand. Der Evangelist
denkt die Pharisäer und ihresgleichen von vornherein als die
121
Todfeinde Jesu; so können sie sich auch von vornherein ent-
sprechend benehmen *).
Ich lasse dabei die Frage ganz offeii, ob Markus in kleineren
Zusammenhängen Steigerungen beabsichtigt hat, ob beispielsweise
das Motiv 3 g eine Steigerung gegenüber den vorhergehenden
Daten über das Verhalten der Feinde Jesu bedeutet. Solche
Steigerungen kann im rhetorischen Interesse auch der Erzähler
bringen, der von einer Entwicklung im Ganzen keine Anschauung
hat. Bei Markus wird man auch hier vorsichtig urteilen müssen.
Ich möchte z. B. bezweifeln, dass er mit Absicht die dritte der
drei bekannten Leidensweissagungen (IO32 ff.) deutlicher und ge-
nauer gestaltet habe als die vorhergehenden 2).
Mit der Behauptung, dass in der Reihenfolge der ver-
schiedenen messianischen Geschichtsmomente keine für die An-
schauung des Markus wesentlichen Gedanken stecken, ist nun
aber keineswegs gesagt, dass diese Anordnung ledighch zufällig
sei. Sie kann in einigen Beziehungen durch den wirklichen
Gang der Geschichte oder durch eine bereits traditionell ge-
wordene Folge der Erzählungen bedingt sein. Darüber lässt sich
indessen ohne gründliche Prüfung nichts ausmachen. Aber unter
allen Umständen wird noch ein anderer Gesichtspunkt die Ge-
staltung des Stoffes wesentlich bestimmen, das ist die sachliche
Verwandtschaft der Erzählungen oder Erzählungsmotive. Dieser
Gesichtspunkt müsste sich ja allen denen besonders empfehlen,
die den Markus nach der Erinnerung an die Vorträge des Petrus
schreiben lassen. Denn damit ist die Annahme einer genauen
Chronologie nicht leicht verträglich.
Der Gedanke ist nichts Neues, und man hat hier längst
manche wertvolle Beobachtung gemacht a). Jedoch ist der
Charakter des Evangeliums in dieser Richtung schwerlich schon
ganz zutreffend bestimmt worden. Leicht denkt man sich das
Verfahren des Markus zu kunstvoll, man findet zu viel be-
1) Das räumt im Grunde auch Hultzraaun ein, wenn er HC
S. 10 bemerkt, dass mit 3o auticipando der 11 18, 12 13 gekenn-
zeichnete Punkt erreicht sei.
2) So z. B. Br. Bauer, Kritik der Evaug. III S. 50, Holtzraann,
Synopt. Evang. S. 485, 491.
3) Z. B. B. Weiss, L. J. I S. 46 ff.
122
absichtigte Symmetrie ^). Aber auch die formalen Gesichtspunkte,
die den Autor leiten, werden nicht immer mit der nötigen
Vorsicht festgestellt. Z. B. werfe ich die Frage auf, ob der
Evangelist wirklich, wie man sagt 2), von der grossen öffentlichen
Volkswirksamkeit Jesu fortschreiten will zum allmäligen Rück-
züge von ihr (614 — 826) imd weiter zur Belehrung der Jünger
im engsten Kreise (827 — IO45). Dass dieser Eindruck entstehen
kann, leugne ich nicht. Aber ob irgend welche Anschauung
von dem Gange der Geschichte dabei zu Grunde liegt? Ob der
Eindruck nicht ein blosser Reflex der Thatsache ist, dass sich
hier und dort verwandte Stoffe von ganz bestimmtem Charakter
zusammen finden? Bringt Markus in dem Abschnitte 827 — IO4&
Leidensweissagungen, Worte über die Nachfolge im Leiden, über
das Herrschen und Dienen, Bezeugungen der Messianität Jesu, so
begreift es sich leicht, dass hier im Ganzen die Jünger die Emplänger
der Belehrungen sind. Ob jedoch der Abschnitt streng nach der
Intention des Evangelisten charakterisiert wird, wenn man ihn
»Jüngerabschnitt« nennt, ist sehr die Frage 3). Denn das Ent-
scheidende wird der Inhalt der Belehrungen und Erzählungen sein.
Hätte man dem Evangelisten gesagt, Jesus habe sich vom Volke
vor der Leidenszeit zurückgezogen und den Jüngern allein ge-
widmet, so wäre ihm das vermutlich etwas Neues gewesen'*).
Doch ich bin in Gefahr abzuschweifen. Für uns kommt
es lediglich auf die Thatsache an, dass verwandte Stoffe im
Evangelium gern verbunden werden, und dass Motive der Dar-
stellung, die dem Erzähler wichtig sind, zum guten Teile an
1) Z.B. Br. Bauer, III S. 46f., IV S. 25, viellach Volkmar, immer-
hin auch B. Weiss a. a. 0. Schriftstellerische Kunst findet man u. a. in
der Dreiheit der Leidensweissagungen in dem Abschnitt 827 — IO45. Allein
•weshalb bringt Markus dann noch viele andere Leidensweissagungen?
2) B. Weiss, S. 47 f. Wernle, Synopt. Frage S. 196.
3) Das Volk fehlt doch auch hier keineswegs. Vgl. 834, 9i4fF.^
lOiff. (auch Pharisäer), IO13. 32. 46. lOi sagt Markus z. B. ausdrücklich
von den oykob: y.iu w? tio}(^tt, nükiv ^Jiöaaxiv iiurovs.
4) Ähnliches wäre dagegen einzuwenden, wenn Hilgenfeld, Die
Evang. S. 145 betont, dass im Markus der anfangs ungeteilt günstige
Eindruck des Auftretens Jesu einerseits in die Feindschaft der herrschen-
den Parteien und die nach und nach hervortretende Unempfänglichkeit
des Volkes, andrerseits in die sehr allmälig entwickelte Empfänglichkeit
des Jüngerkreises auseinandergehe. Vgl. S. 127, 129.
123
einzelnen Stellen des Evangeliums gehäuft auftreten, als könnte
seine Phantasie über die schon berührten Themen nicht leicht
hinauskommen. Die Wiederholung der Leidensweissagungen
besonders in c. 8 — 10 ist mis schon aufgefallen, ebenso die gleich-
massige Charakteristik der Jünger bei dieser Gelegenheit. Diese
Punkte sind um so lehrreicher, als es sich hier jedenfalls um
nicht - historische Stoffe handelt. Dass die Erzählimgen 2i — Se
durch den Gedanken der Pharisäerfeindschaft zusammengehalten
werden, ist bekannt. Am klarsten ist die Sachordnung in der
Zusammenstellung der beiden Sabbatsgeschichten am Schlüsse
des Abschnitts. Ein deutliches Beispiel der Sachordnung ist
ferner die Verbindung der Gleichnisse in c. 4 sowie die That-
sache, dass in c. 11 und 12 ein Streitgespräch dem andern folgt i).
Dass da nicht die historische Reihenfolge massgebend ist, ist
doch wohl gewiss. Schnell hintereinander folgen die beiden
Speisungsgeschichteu. Die Dämonengeschichten mit dem Motive
der Dämonenerkenntnis wiederholen sich gerade in der ersten
Partie des Evangeliums. Die Wundergeschichten erscheinen
vorzugsweise in grossen Hauptmassen. Im Schlussteile schliessen
sich in sehr ähnlicher Art die verwandten Stücke von der Frage
wer der Grösste sei, und vom künftigen Ehrenplatze an die
Leidensweissagungen an (c. 9 und 10). Zweimal ist kurz nach
einander von Jesus und den Kindern die Rede.
Hiermit ist die Bedeutung der Assoziation für das Evan-
gelium nicht erschöpft. Für unsern Zweck genügen diese x\n-
deutungen, d. h. sie genügen, um zu zeigen, dass es an einer
Erklärung für die Nachbarschaft von Petrusbekeuutnis, Leidens-
weissagung und Verklärung und für das Einsetzen so zahlreicher
Leidens Weissagungen mit Ssi nicht fehlt.
Naturgemäss stehen diese Weissagungen nahe vor dem
Leiden selbst, ebenso wie das Ende der erzählten Geschichte
die Weissagung vom Ende, d. h. die eschatologische Rede an
sich gezogen haben wird. Verklärung und Petrusbekenntnis sind
inhaltlich nah verwandt. Und dass mit der Erklärung über den
Messias die Erklärung über sein Leiden sich verknüpft, ist an
sich nicht schwer zu verstehen. Es drängt sich aber noch eine
besondere Vermutung auf. Wird das Verheimlichen der Messia-
1) B. Weiss I S. 46.
124
nität bis zur Auferstehung gefordert, so klingt es ganz wie
eine Motivierung, wenn nun gesagt wird, dass der Mensclien-
sohn leiden, sterben und auferstehen müsse. Weil dies alles
noch bevoi-steht, darf für jetzt vom Messias noch niemand
sprechen. — Bei den Weissagungen stehen dann die Äusser-
ungen der blöden Jünger. So kommt es zu dem Eindruck, dass
die Messianität von jetzt an zwar klar, der Leidensgedanke da-
gegen allein noch unklar sei.
Widersprüche.
Sobald der dogmatische Gedanke sich mit der Geschichts-
darstellung verbindet, hinterlässt das seine Spuren, d. h. man
kann immer auf Widersprüche in der Erzählung gefasst sein.
Wir wissen, dass es auch hier an solchen nicht fehlt. Die
Öffentlichkeit der Wunder reimt sich nicht mit dem Befehl, von
ge^sässen Wundern zu schweigen. Den sonstigen Massregeln
der Geheimhaltung stehen ganz offene messianische Äusserungen
Jesu oder Daten wie der messianische Einzug gegenüber. Die
Leidensweissagungen, die den Jüngern unverständlich bleiben und
bleiben sollen, werden von ihnen doch auch Avieder verstanden,
und Jesus setzt das nach seiner Art zu reden manchmal wie
etwas Selbstverständliches voraus. Ja, sie werden auch zu
anderen gesprochen, obwohl sie doch nur für die Jünger sind.
Denn auch die Jünger des Johannes mit den Pharisäern, auch
die jüdischen Oberen bekommen Hinweise auf den Messiastod
zu hören (2i9£, 126ff.). Ebenso ist die Parabelanschauung
keineswegs dm-chgeführt. Auf die Beschuldigung, er treibe die
Dämonen durch Beelzebul aus, antwortet Jesus iv TtagaßoXaJg,
und seine Eechtiertigung soll doch natürlich verstanden werden.
Nach dem Gleichnisse von den bösen AVeingärtnern sagt Markus
selbst
12 12: sie verstanden, dass er auf sie hin das Gleichnis
sprach ^).
Das Volk bestaunt ferner die gewaltige, neue Lehre Jesu
(I22), scheint also doch ein Organ dafür zu haben, es emptängt
1) Hierin klingt freilich noch durch, dass eine naoccßolrj eigent-
lich unverständlich ist.
125
ja auch bikllose Belehrungen, andrerseits bleibt ihm alles dunkel.
Auch das wird man zu den Widersprüchen rechnen dürfen, dass
die Jünger bald die empfangene Macht, Teufel auszutreiben,
mit Erfolg gebrauchen (613), bald den Dämonen gegenüber macht-
los erscheinen (9i8ff.).
Handelte es sich imn um nichts weiter als um eine mangel-
hafte Dm-chführung der Anschauung, so verlohnte es sich kaum,
darauf zurückzukommen. Im Hauptpunkte ist jedoch der Wider-
spi-uch so auftallend, dass man darüber nicht hinweggehen kann.
Wie erklärt es sich, dass im Evangelium das Thun und damit
das Wesen Jesu so an die Öffentlichkeit tritt und so weithin
bekannt wird, wenn er immer wieder bemüht ist, es zu ver-
bergen ?
Am nächsten liegt der Gedanke, dass der Evangelist tradi-
tionelle Stoffe übernommen hat, in denen der Gedanke der ge-
heimen Messianität nicht lag. So lässt sich in der That dies
und jenes erklären. Leicht lässt sich z. B. diese Erklärung
für den Einzug in Jerusalem durchführen. Indessen reicht
dieser Gesichtspunkt keineswegs aus. Es bietet sich aber noch
ein zweiter und zunächst wichtigerer dar.
Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die Anschauung vom
Messiasgeheimnis nicht nur zufällig Widersprüche mit sich
bringen konnte, sondern beinah notwendig solche hervorrufen
musste. Hätte der Evangelist nämlich diese Anschauung strikt
durchgeführt, hätte sein Jesus sich wirklich streng im Verborgenen
gehalten, so wäre sein Leben für ihn kaum mehr erzählenswert
gewesen.
Ein Leben Jesu schreiben liiess für Markus nicht irgend
etwas von Jesus berichten, es hiess vielmehr ganz einfach ein
Leben voll messianischer Manifestationen erzählen. Je mehr
das Einzelne mit dem Mittelpunkte des Ganzen, der Messianität
in Beziehung stand, desto mehr war es wert, berichtet zu wer-
den; je unbedeutender es nach diesem Massstabe war, desto
gleichgiltiger wurde es dem Erzähler. Denn das leidet keinen
Zweifel, sein Zweck war ja eben der, Jesus mit seiner Schrift
als Sohn Gottes zu schildern und zu erweisen. Wollte und
konnte der Evangelist sich also nicht darauf beschränken, interne
Offenbarungen für die Jünger mitzuteilen, musste er Jesus
handelnd darstellen, so musste er ihn auch mit seinem messia-
126
nischen Thuii und Reden an die sich wenden lassen, unter denen
er gelebt hatte. Damit waren fortwährende Widersprüche so gut
wie unvermeidlich. Der Jesus, der nach aussen wirkte und sich kund
that, musste aber sogar der eigentliche Gegenstand der Er-
zählung sein. Denn der Jesus, der sich verbarg, liess sich
nicht wirklich schildern. Es konnte nur immer wie in einer
Art Anmerkung zu allen möglichen Offenbarungen hinzugefügt
werden: was Jesus aber that, that er im Geheimen. Solche
Anmerkungen, in denen die Offenbarungen Jesu sozusagen halb
zurückgenommen werden, sind die Verbote und die verwandten
Züge. Es hesse sich denken, dass Markus noch häufiger von
ihnen Gebrauch machte. Aber wirkliche Konsequenz war hier
nicht möglich.
Diese Erkenntnis, dass der Gedanke des Messiasgeheim-
nisses innerhalb eines Lebens Jesu mit einem innern
Widerspruche behaftet ist, ist für das Verständnis des Markus
von Bedeutung. Dennoch hellt auch sie den Thatbestand im
Evangelium noch nicht genügend auf.
Die merkwürdigste Erscheinung ist nämlich nicht, dass Jesus
überhaupt als öffentlicher und weithin bekannter AVunderthäter
erscheint, sondern dass gerade hart neben den Gedanken, dass
er verborgen bleiben will, die ausdrückliche Angabe gestellt wird,
dass man seinem Verbote zuwiderhandelte und seinen Ruf immer
mehr- ausbreitete. Diesen Zug haben wir bisher dreimal ge-
funden (I45, 7 36 f., 724), genauer zweimal; denn die dritte dieser
Stellen lautet etwas anders. Aber sie ist doch eine offenbare
Parallele. Die Abweichung ist aber gerade von Wert. Denn
sie zeigt deutlich, dass der Evangelist an den ersten beiden
Stellen in keiner Weise beabsichtigt, die undankbare, ungehor-
same Gesinnung der geheilten Kranken zu kennzeichnen. 7 24 ist
ja von bestimmten Menschen gar nicht die Rede. Es heisst
einfach :
Als er in ein Haus gegangen war, wollte er, dass es nie-
mand einführe;
und doch wird hinzugesetzt:
und er vermochte nicht verborgen zu bleiben.
Der Evangehst sagt also mit dürren Worten : was Jesus wollte,
geschah nicht ; er will das Geheimnis, und er wird nur bekannter.
Nun ist es doch ganz unmöglich, Markus die Meinung zu-
127
zutrauen, die Verbote Jesu seien nicht so ernst und strenge ge-
dacht, wie sie lauten.
Andrerseits kann der Gedanke, den der Buchstabe darbietet,
dass Jesu eigenste Absicht vereitelt wurde, nicht das sein, was
Markus sagen will. Dass der wirkhche Wille Jesu von Menschen
dm-chkreuzt werden könnte, ist sogar eine Vorstellung, die für
ihn nach all seinen Voraussetzungen unerträglich sein müsste.
Und er denkt ja auch durchaus nicht daran, dass Jesu Ge-
heimnis aufgehört hätte, Geheinnns zu sein ; auf die Nachrichten
von der Ausbreitung der Wunderthaten folgen immer neue Ver-
bote, d. h. das Geheimnis besteht weiter.
Endhch ist aber gerade hier auch der Ausweg abgeschnitten,
dass es sich in den fraglichen Notizen um einen historischen
Zug handle, der vom Evangelisten beibehalten werde, weil er
nun einmal da war. Diese Bemerkungen haften ja ganz an
den voraufgehenden Verboten oder — 7-24 — an der Erklärang,
dass Jesus nicht erkannt werden wollte; ohne diese wären sie
überhaupt nicht da. Ist es nun die eigenste Anschauung
des Markus, dass Jesus auf die Geheimhaltung seiner Thaten
und seiner Person bedacht war, so kann auch das, was darauf
folgt, nur die eigenste Anschauung des Markus darstellen. Und
das beweist auch schon die Wiederkehr des Zuges. Sie zeigt,
dass es sich um einen Gedanken handelt, der dem Verfasser
positiv wertvoll ist. Es genügt also gar nicht, von einer not-
gedrungen hinzunehmenden, halb wider seinen Willen sich ein-
stellenden Inkonsequenz zu reden.
Das Interesse, das Markus an diesem Gedanken nimmt, ist
an sich auch sehr verständlich. Zu den Wundern Jesu gehört
notwendig das Ansehen und der Ruhm des Wunderthäters.
Zumal wenn die Wunder als Offenbarungen seiner Grösse und
Macht gedacht sind, wenn sie einen bestimmten Eindruck von
ihm erzeugen sollen. So liegt eine Anerkennung Jesu darin,
dass seine That verbreitet wird. Es zeugt für ihn, dass alle
Welt erfährt, was er vermag, und betroffen bekennen muss:
er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören
und die Sprachlosen reden (73?).
Es bricht seine Herrlichkeit daraus hervor, dass er verborgen
bleiben möchte und doch alsbald bekaimt wird. Der einfache
128
Bibelleser verstellt den Evangelisten, wennihm etwas Triumphieren-
des aus diesen Bemerkungen entgegen klingt.
Ich ziehe etwas Verwandtes heran. Man könnte leicht
meinen, dass die messianische Anrede der Dämonen oder das
Messiasbekenntnis des Petrus im Sinne des Erzählers ledighch
die Bedeutung hätten, ein Anlass für das Gebot des Schweigens
zu sein. Aber das ist gewiss nicht richtig, wie denn gelegent-
lich ein solches Bekenntnis der Messianität auch ohne nach-
folgendes Gebot berichtet wird (5?). Jedes derartige Bekennt-
nis ist ein Zeugnis für Jesus, er empfangt damit in den Augen
des Erzählers wie des Lesers eine Beglaubigung i). Deshalb
ist immer beides von Bedeutung: das Aussprechen
der grossen AVahrheit und das Verbot des Aus-
sprechens.
Jener befremdliche Widerspruch bleibt bestehen. Er ist
auch durch keine Kunst wegzubringen oder auch nur zu mildern.
Der Evangelist hat zwei entgegen gesetze Motive, in seinem
Bewusstsein aber stossen sie sich nicht. Er bringt das eine
zum Ausdruck und dicht daneben das andere. Das eine ruft
sogar das andere erst hervor.
Diese Nebeneinanderstellung ist nur möglich, wenn der Er-
zähler gar nicht empfand, welche Folgerungen die Beflexion
aus jedem der beiden Gedanken für das Geschichtsbild ziehen
muss, d. h. wenn er ganz anders schreibt, als wir zunächst von
ihm erwarten. Die Erklärung liegt also zuletzt im Charakter
des Schriftstellers.
Hierauf müssen wir näher eingehen, und zwar nicht blos
um dieser Stellen willen. Denn es tritt hier nur eine Eigen-
tümhchkeit des Erzählers hervor, die wir an vielen andern
Punkten wiederfinden.
Die Exegese muss die bisherige Anschauung von
der schriftstellerischen Art des Markus erheblich
modifizieren. Das ist eine Folgerung aus unserer Unter-
1) Bei Dalman I S. 229 finde ich folgende richtige Bemerkung
über die Gottesstirame bei der Taufe : »Die Evangelisten erzählen davon
nicht wegen der Bedeutung, die das Ergehen einer solchen Gottes-
stimme etwa für Jesus haben konnte, sondern im Sinne von gewichtigen
Zeugnissen, dass Jesus wirklich das war, als was seine Jünger ihn der
Welt verkündigen.« Das trifft mit meiner Auffassung zusammen.
129
suchung, die als solche klar gestellt sein will. Manche der dem
Markus zugeschriebenen Vorstellungen wird aber wiederum auch
verständlicher werden, wenn wir uns — natürlich nur soweit
das im Rahmen dieser Arbeit möglich ist — ein allgemeines
Urteil über diesen Punkt zu bilden suchen.
Markus als Schriftsteller.
Die heutige Evangelienforschung geht durchweg davon aus,
dass Markus bei seiner Geschichtserzählung die wirklichen Ver-
hältnisse des Lebens Jesu annähenid deuthch, wenn auch nicht
lückenlos, vor Augen habe. Sie setzt voraus, dass er aus dem
Leben Jesu heraus denke, die einzelnen Züge seiner Ge-
schichte nach den realen Umständen dieses Lebens, nach den
realen Gedanken und Empfindungen Jesu motiviere und die
Ereignisse, die er schildert, im geschichtlich - psychologischen
Sinne verkette.
Hiernach interpretiert und hiernach kritisiert sie das Evan-
gelium im Einzelnen. Sie nimmt wohl chronologische Ver-
schiebungen, sachliche Ungenauigkeiten, Änderungen im Wort-
laut der Jesu zugeschriebenen iVussprüche, auch einen Zusatz
späterer dogmatischer Autfassung an. Aber sie operiert doch
überall mit den psychologischen Notwendigkeiten und Wahr-
scheinlichkeiten, die für die handelnden Personen in den an-
gegebenen Situationen bestanden, sie motiviert hiernach, ergänzt
die Nachrichten durch die Konsequenzen, die sich nach natür-
licher Rechimng aus ihnen ergeben, und bekleidet so das Gerippe
düner Daten mit Fleisch.
Diese Ansicht und dies Verfahren muss prinzipiell
als falsch erkannt werden. Es muss offen gesagt werden :
Markus hat keine wirkliche Anschauung mehr vom
geschichtlichen Leben Jesu.
Ich will damit keineswegs über den geschichtlichen Charakter
der Stoffe absprechen, die ich nicht untersucht habe. Von diesen
Stoffen kann hier ganz abgesehen werden. Was wir näher ge-
prüft hal)en, reicht aus, das Urteil zu begründen.
Es verstellt sich von selbst, dass Markus eine ganze Reihe
geschichtlicher oder geschichtlich gearteter Vorstellungen besitzt.
Wrede, Messiusgeheünnis. 9
r
130
Jesus ist als Lehrer aufgetreten, zuerst und hauptsächlich
in Galilaea. Er ist von einem Kreise von Jüngern umgeben,
zieht mit ihnen umher und giebt ihnen Unterweisung. Unter
ihnen sind einige seine besonderen Vertrauten. Eine grössere
Menge schliesst sich manchmal an die Jünger an. Gern redet
er in Parabeln. Neben dem Lehren steht sein Wunderthuu.
Es erregt xlufsehen, er wird überlaufen. Besonders hat er es
mit den dämonischen Kranken zu thun. Soweit er dem Volke
begegnet, verschmäht er nicht die Gemeinschaft von Zöllnern
imd Sündern. Dem Gesetze gegenüber nimmt er eine freiere
Stellung ein. Er stösst auf die Gegnerschaft der Pharisäer und
der jüdischen Obrigkeit. Sie stellen ihm nach und suchen ihn
zu Falle zu bringen. Schliesslich gelingt es ihnen, nachdem er
nicht nur den Boden Judäas, sondern Jerusalem selbst betreten
hat. Er leidet und mrd zum Tode verurteilt. Die römische
Obrigkeit wirkt dabei mit.
Dies etwa werden die Hauptsachen sein. Dazu kommt ja
nun manches Detail tür die Wunder, die Reden, das Lokale.
Man mag daraus Züge von Bedeutung abstrahieren können.
Aber für die Anschauung des Markus und damit für seine
Gesamtdarstellung ist es nicht von Bedeutung. Denn es handelt
sich bei diesem Detail nicht um eigentliche Faktoren, um be-
hen'schende, charakteiistische Züge der Geschichte. Soweit
diese in Frage kommen, sind fast alle Vorstellungen ganz all-
gemein und unbestimmt. Ein konkretes Bild eines Lebens ist
mit ihnen in keiner Weise gegeben, nm* der äussere Rahmen
oder meinetwegen ein paar dürftige Umrisslinien.
Das Gewebe der Darstellung, wie sie ist, entsteht nun aber
erst, indem zu dem Aufzug dieser allgemeinen geschichtlichen
Vorstellungen ein starker Einschlag von dogmatisch gearteten
Gedanken kommt, i) Zum Teil vei-schmelzen sie sich mit den
geschichtlichen Momenten, zum Teil stehen sie neben und
zwischen ihnen.
Dogmatisch gedacht ist die Person Jesu, sie ist Träger einer
bestimmten gottverhehenen Würde, oder was damit zusammen-
fällt, sie ist ein höheres, übermenschliches Wesen. Jesus handelt
1) Vgl. auch S. 71 ff.
131
mit göttlicher Macht, die Zukunft weiss er voraus. Die Be-
weggründe seines Handehis ergeben sich nicht aus menschlicher
Eigenart, menschlichen Zielen und Notwendigkeiten. Das eine,
durchgreifende Motiv bildet vielmehr ein über dem menschhchen
Verstehen liegender göttlicher Ratschluss. Ihn sucht er zu ver-
wirklichen, handelnd und leidend. Die Lehre Jesu ist dem-
gemäss übernatürlich. Er hat das Wissen, das kein Mensch
von sich aus besitzen kann. Allein er verbirgt es, verbirgt sein
eigenes Wesen, weil er von Anfang an den Blick schon auf den
Zielpunkt der ganzen Geschichte richtet, auf die Auferstehung,
die das Geheime erst oifenbar machen soll — für die Menschen.
Denn in der jenseitigen Welt ist er bekannt. Und mit ihr
steht er auf Erden schon in Verbindung, indem er an den
Geistern seine Kraft beweist oder den Himmel offen sieht.
Aber auch die andern Hauptfaktoren der Geschichte sind
theologisch oder dogmatisch gedacht. Die Jünger ihrem Wesen
nach Empfänger höchster Offenbarung, freilich verständnislose
und zwar nach höherer Notwendigkeit verständnislose ; das Volk
seinem Wesen nach Nicht- Empfänger der Offenbarung; die
eigentlichen Feinde Jesu von Anfang an, gewissermassen essentiell,
voll der Bosheit und des Widerspruchs, die, soweit die Menschen
im Spiele sind, das Ende, aber damit die Herrlichkeit herauf-
führen.
Diese Momente, und nicht die geschichthchen an sich, stellen
das eigenthch Bewegende und Bestimmende in der Erzählung
des Markus dar. Sie geben die Farbe. An ihnen hängt natürhch
das Interesse, auf sie richtet sich das eigenthche Denken des
Schriftstellers. Deshalb bleibt es wahr: als Gesamtdarstellung
bietet das Evangelium keine historische Anschauung mehr
vom wirklichen Leten Jesu. Nur blasse Reste einer solchen
sind in eine übergeschichtliche Glaubensauffassung übergegangen.
Das Markusevangelium gehört in diesem Sinne in die Dogmen-
geschichte.
Hiernach muss man Markus exegetisch behandeln. Denn
hierauf l)eruht schliesslich die formelle Art seiner Geschichts-
darstellung. In dieser Hinsicht hebe ich zur Charakteristik nur
zwei Züge hervor.
Betrachtet man die verschiedenen Stücke des Berichtes
9 *
132
zusammen, so ergiebt sicli, class im Allgemeinen keine innere
Folge zwischen ihnen hergestellt ist. Mehrere Geschichten wer-
den zwar öfter durch dieselbe Situation, durch eine chrono-
logische oder sonstige Bemerkung zusammen gehalten, es sondern
sich kleinere Ganze aus, es wird auch einmal wie 652, 8 17 ff.
auf etwas Früheres zurückgegriffen, im Ganzen aber steht ein
Stück neben dem Anderen. Ein Zusammenhang besteht freilich
doch, aber es ist der Zusammenhang des Gedankens, nicht der
der geschichtlichen Entwicklung. Vielleicht liesse sich ja denken,
dass Markus auch die dogmatischen oder halb dogmatischen
Vorstellungen, die er formell als geschichtliche Motive giebt, mit
einer Art geschichtlichen Lebens beseelt hätte, in ihnen auf
seine Art geschichtlich dächte. Für einen leidlich naiven Schrift-
steller alter Zeit ist das fi'eilich äusserst unwahrscheinlich. Und
jedenfalls thut es Markus nicht. Wir sahen, er hat keine Be-
ziehung hergestellt zwischen den mancherlei Verboten, den ver-
schiedenen Weissagungen über Sterben und Auferstehen, den
verschiedenen Äusserungen des Jüngerunverstandes. Er hat vom
einen Punkte seiner Darstellung thatsächlich nicht zum andern
gedacht.
Daraus folgt, dass es unerlaubt ist, aus seinen Angaben
Folgerungen zu bilden, die er nicht selbst gebildet hat, oder
Verknüpfungen vorzunehmen, die nicht offenbar sind. B. Weiss
bemerkt gelegentlich ^) zu der Angabe 6 u, wonach Jesu Name
auch am Hofe des Herodes bekannt wurde, es sei das die Folge
der (voraufgehenden) Jüngeraussendung gewesen, die die Auf-
merksamkeit in viel weiteren Kreisen auf Jesus gelenkt hätte.
Diese Bemerkung verdient keineswegs besonderen Tadel, denn
solche Verbindungshnien werden zu Dutzenden im Evangehum
gezogen. Das Beispiel ist auch nicht besonders drastisch. Um
so mehr ist es typisch. Bei solchen Verknüpfungen liegt eine
falsche Gesamtvorstellung von der schriftstellerischen Art des
Markus zu Grunde. Mit keiner Silbe hat er angedeutet, dass
er zwei Fakta in eine Verbindung gebracht wissen will, die er
nacheinander erzählt. Deshalb darf man sie nicht herstellen.
Ein zweites betrifft den einzelnen Bericht, und dies
ist noch lehrreicher. Es zeigt sich, dass dieser Schriftsteller
1) Das Markuserang. S. 213.
133
nur eine geringe Fähigkeit hat, sich i n die historische
Situation zu versetzen, die er angiebt. SeineVorstellungen
sind äusserst kurz. Sonst könnten sich nicht so sonderbare,
reahstisch betrachtet ganz unvorstellbare Dinge in den einzelnen
Berichten finden.
Dass das Verbot, von der Auferweckung des Mädchens zu
sprechen, nicht durchführbar war '), war nicht schwer zu merken,
Markus merkt es nicht. Aber hier ist die ündenkbarkeit doch
noch einigermassen verdeckt. Ganz offen liegt sie zu Tage,
wenn auf das Gebot zu schweigen das Ausposaunen seitens der
Geheilten folgt. Markus fragt sich nicht, was dann aus dem
Geheimnis wird. Eine ähnliche Wahrnehmung drängt sich bei
der Stelle I24 — 27 auf. Man bestaunt Jesu Macht über die
Dämonen, das setzt voraus, dass man Zeuge der vorangehenden
Austreibung gewesen ist und dann doch auch Zeuge des
Gesprächs Jesu mit dem Dämon. Der Dämon hat ja aber das
Geheimnis vom Heiligen Gottes ausgeschrieen, und das darf
nach Markus niemand hören. Den gleichen Eindruck kann
man 3 11. 12 empfangen, und man hat ihn empfangen 2).
So vergisst Markus auch wohl sehr rasch seine eigene Vor-
aussetzung. Nach 733 ist er mit dem Taubstummen allein.
736 aber lautet:
und er gebot ihnen, es niemand zu sagen; je mehr er
aber ihnen gebot, desto reichlicher verkündeten sie es 2).
Dass da nicht etwa die Jünger stillschweigends als Zeugen ge-
dacht sind, zeigt der zweite Satz ; die Jünger sind gewiss nicht
die Verkünder. Man hilft sich dadurch, dass man die Leute,
die den Kranken zu Jesus bringen (V. 32), nicht mit zu dem
oxXoq rechnet, von dem Jesus ihn isohert (V. 33). Aber nur diese
Leute können der ox^og sein, wenn man V. 33 natürlich erklärt,
oder sie müssen wenigstens zum oy^Xog gehören. Es heisst ja nur:
er nahm ihn vom Volke bei Seite.
In Wahrheit hat Markus die zuerst gegebene Situation ver-
1) Vgl. oben S. 48 f.
2) Hilgonfeld, die Evangelien S. 131, aber auch Holtzmann
HC S. 7 : vor einer grossen Menge rufen ihn die Dämonen als Messias
aus.
3) Schon Br. Bauer, Kritik der Evangelien III S. 136 betonte
den Widerspruch.
134
schoben. Erst denkt er den Kranken mit Jesus allein, dann
hält er zwar die Vorstellung der Isolierung, wie das Verbot
zeigt, fest, aber er denkt die tJbrigen mit dem Kranken dabei
zusammen, ohne zu empfinden, dass das Verbot an die Mehrheit
keine Verbesserung ist.
Nimmt man solche Züge wahr, dann werden auch einige
frühere Auslegungen gerechtfertigt erscheinen, die zunächst be-
fremden mochten.
In der That ^), Markus denkt bei der Geschichte vom
Blinden zu Bethsaida nicht daran, dass seine Wohnung ausser-
halb der im Texte genannten /.(Lf^a^ liege. Aus dem Flecken
hat Jesus laut 823 ihn herausgeführt; folglich ist er im Flecken
heimisch gedacht. Wir haben hier also keine Daten einzu-
schwärzen, die Markus nicht verrät, sondern einfach zu lernen,
dass er bei seinen Vorstellungen die simpelsten Folgerungen
übersehen kann. Das Haus bedeutet die Isolierung; der Flecken
die Öffenthchkeit. Der Blinde soll deshalb ins Haus und nicht
in den Flecken gehen. Das genügt Markus; was daraus folgt,
dass das Haus im Flecken hegt, macht ihm keine Sorgen.
Ebenso genügt es dem EvangeHsten zu sagen, dass Jesus
sich in Gahlaea verbarg (9 30). Wie Jesus das augefangen hat,
wenn er gerade Galilaea durchzog, daran hat er nicht gedacht.
Er berichtet sogar ganz ruhig, dass Jesus bei dieser Wanderung
nach Kapharnaum kam (933), wo er ja nach den eigenen Er-
zählungen am allerb ekanntesten war. Auch da aber wird die
Isolierung rasch hergestellt, indem es heisst, dass Jesus »ins
Haus« kam. Im Hause stellt er dann ein Kind in die Mitte
der Jünger. Wo kommt das her, wenn er sich zu verbergen
sucht ? Das Kind passt zum Gedanken, denn Jesus spricht über
das Gross-seiu-wollen, aber es passt nicht zur Situation.
Ich mache auch darauf aufmerksam, dass Jesus während
der Wanderung auf die Verhandlung der Jünger über die Frage,
wer der Grösste sei, nicht eingeht, im Hause dann aber sofort fragt:
wovon sprächet ihr unterwegs ? (V. 33). Markus sagt sich nicht,
dass man doch auch »unterwegs« eine geheime Belehrung geben
kann. »Unterwegs« ist für ihn allem Anschein nach doch so
viel wie »öffentlich«. Im gleichen Zusammenhange hatten wir
1) Vgl. S. 49.
135
den Gedanken, dass Jesus, um von dem Geheimnis des Leidens,
Sterbens und Auferstehens zu den Jüngern zu reden, sich über-
haupt vor der Welt verbirgt (9o0.3i). Wir lehnten die Ergänzung
vermittelnder Vorstellungen ab ^), und wir bleiben dabei. Markus
(lenkt ganz einfach: wenn man ein Geheimnis mitteilen will, so
meidet man die Leute. Er merkt aber nicht, dass der Apparat —
das heimliche Reisen durch Galilaea — für den gedachten
Zweck zu gross, um nicht zu sagen, ungeheuerlich ist.
Die innere Vorstellbnrkeit ist bei den einzelnen Erzählungen
mannigfach verschieden. Es überrascht aber nicht, dass gerade
da die offenbarsten Verstösse sich finden, wo die Ideen des Ver-
fassers, die wir kennen lernten, sich besonders Ausdruck ver-
schaffen. Markus liegt hier eben nichts anderes am Herzen,
als diese Ideen in der Geschichte auszuprägen. Er stellt das
dogmatische Motiv — und an jeder beliebigen Stelle kann er
diese Lichter aufsetzen — kurzweg in die Erzählung hinein, und
kümmert sich wenig darum, wie es sich nun als geschichtlicher
Zug in seiner Umgebung ausnimmt. Das ist sein Verfahren.
Wer es begreift, wird ihn aber zugleich entschuldigen. Ge-
schichtlich verstanden enthältMarkus eine ganze Anzahl schlimmer
Sinnlosigkeiten. Nimmt man als Idee, was Idee ist, so befreit
man ihn davon, d. h. man wird auf sie kein Gewicht legen.
Man würdigt sie als wohl begreifliche Begleiterscheinungen einer
Schriftstellerei, die etwas unbeholfen aus Gedanken Geschichte
zu formen sucht.
Was speziell die Idee des Geheimnisses anlangt, so hat
Markus ihr den nacktesten Ausdruck in den Verboten gegeben;
aber daneben hat er sie in einer ganzen Reihe anschaulicher
Vorstellungen ausgeprägt, ob er diese nun selbst geschaffen oder
bereits vorgefunden hat. AVir haben als solche kennen gelernt:
das Alleinsein mit den Jüngern und speziell mit den Vertrauten,
das heimliche Reisen, den Rückzug vom Volke in die Einsam-
keit, das Aufsuchen des Hauses oder — - bei Kranken — das ins
Haus Schicken. Ich verweise auch auf die früher'^) zusammenge-
stellten Notizen. Dass die meisten von ihnen in diesen Zusammen-
hang gehören, wird nun keines Beweises mehr bedürfen. Man muss
1) S. 81. 2) S. 51 ff.
136
nur vorbehalten, dass einzelne dieser Züge, wie die Vorstellung
des Rückzugs, des Aufsuchens der Einsamkeit oder des Hauses
gelegentlich auch eine weniger ideelle Motivierung empfangen:
Jesus wird von den Leuten belästigt, oder ihm wird von den
Gegnern nachgestellt,
Nachträglich darf hier noch das Ersteigen »des Berges<c
oder »eines hohen Berges« genannt werden. Das scheint bis-
weilen auch hierher zu gehören. Nachdem Jesus 3 12 das Verbot
ausgesprochen, steigt er 3 13 auf »den« Berg und nimmt hier die
jedenfalls feierlich gedachte Jüngerwahl vor. Diesen Berg soll
man nicht auf der Landkarte suchen.. Die Exegeten denken ja
auch wegen der vorausgehenden Situation nicht an einen einzelnen
Berg, sondern an die Bergeshöhe, das Gebirge im Gegensatz
zum Seeufer. Aber das heisst t6 cQog nicht. Es ist ein ideeller
Bergi). Der Berg oder ein Berg ist für IVIarkus jederzeit eben-
so zur Hand, wo er ihn braucht, wie ein 8Qrji.iog roTtog, wie das
Haus oder ein Haus. Ähnlich wie 3 12 heisst es 92, wo dm-ch
die Erwähnung der Vertrauten und die Betonung des Allein-
seins mit ihnen das Mysterium so stark markiert ist, dass Jesus
die Jünger auf einen hohen Berg 2) führte. Es kann hier freiHch
mehr die Vorstellung zu Grunde hegen, dass ein hoher Berg
die angemessene Stätte für eine solche Offenbarung ist v/ie die
Verkläi-ung, als dass er ein einsamer Ort ist. Aber beides be-
rührt sich.
Alle diese anschaulichen Vorstellungen streut Markus, wo
und wie er will, in seine Darstellung hinein. Man kann ihn da
sehr gut beobachten. Gelegentlich sieht man auch, dass in der
Belehrung Jesu das zum Geheimnis Gestempelte inhaltlich nichts
besonders Mysteriöses hat, jedenfalls nicht mehr als anderes, was
allen mitgeteilt wird. Ein solcher Fall liegt 10 10 vor, wo er
über die Ehescheidung zu den Jüngern »besonders« redet,
während er über dasselbe Thema zuvor den Pharisäern Rede
gestanden hat. Hier ist der Gedanke der geheimen Belehrung
offenbar zur Manier geworden. —
1) So Volkmar, auf dessen Ausführung S. 240 ff. ich verweise,
ohne mir alles Einzelne anzueignen.
2) 2. Petr. lis: fr toj'ooü t o) äyiur. eine treffliche Erklärung »des
Berges« (Volkmar S. 4G2j.
137
Anhangsweise sei es gestattet, hier noch ein paar einzehie
Stellen zu besprechen, die gerade an diesem Punkte erst recht
verständlich werden, und die ich ungern unerörtert lasse.
Zuerst verweise ich nochmals auf den Passus l32ff. Er ist
ungemein charakteiistisch. In Kurzem wechseln hier die beiden
Motive der Verheimlichung und des Offenbarwerdens dreimal :
1) V. 32—34 Jesus als Wunderthäter bekannt und über-
laufen ; V. 35—39 Rückzug in die Einsamkeit und in die Nach-
barschaft (V. 34 schon das Verbot an die Dämonen).
2) V. 44 das Verbot an den Aussätzigeu; V. 45 a das
Kundmachen.
3) V. 45 b das Meiden der Stadt und Aufsuchen der Ein-
samkeit; trotzdem aber wieder der Zulauf.
So schlägt die eine Vorstellung immer wieder in die andere
um. Das erste Mal ist die Sache freilich etwas verschleiert.
V, 35 heisst es, dass Jesus in der Einsamkeit betete, und V. 38
motiviert er sein Fortgehen in andere Städte damit, dass er ge-
kommen sei, auch dort zu predigen. Aber der Gedanke, dass
er sich vor der Öffentlichkeit verbergen will, scheint mir doch
deuthch im Texte zu liegeii. Man beachte, wie die beiden Vor-
stellungen: Rückzug in die Einsamkeit und Aufsuchen anderer
Städte in diesem Gedanken ihr Gemeinsames haben, wie der
zweiten Vorstellung das Jüngerwort vorangeht:
alle suchen dich (V. 37),
und wie gleich V. 45 das Meiden der Stadt und das Aufsuchen
der Einsamkeit sich wiederholt. Wenn von Jesu Beten die
Rede ist, so wird das als ein Motiv anzusehen sein, das Markus
ebenfalls geläufig ist, wenn auch noch nicht so geläufig wie
Lukas, und hier gelegentlich als an passender Stelle eingestreut
wird. Und das Wort von dem Berufe Jesu, auch anderswo zu
predigen, das ja doch schon wegen des ug xovzo yctq &Bijl8^ov
sich als eine retrospektive Betrachtung Späterer zu erkennen
giebt, soll, wie mir scheint, nur einen plausiblen Grund für die
Jünger bilden, weshalb Jesus auf ihre Aufforderung nicht ein-
geht, lässt aber den Gedanken offen, dass sein wahrer Beweg-
grund ist, dahin zu gehen, wo er unbekamit ist.
Beachtung verdient auch, dass Jesus 2i doch schon wieder
in Kapharnaum anlangt. Der Evangelist setzt freilich hinzu:
öl' rif.ieqoiv, aber dadurch wird es nicht wesenthch natürlicher.
138
dass Jesus die el^en gemiedene Stadt wieder aufsucht. Nach
V. 39 soll Jesus in diesen »Tagen« die Synagogen von ganz
Galilaea besucht haben.
Eine zweite Stelle ist 834:
Und er rief die Menge samt den Jüngern herzu und
sj^rach zu ihnen: Avill jemand mir nachgehen, der verleugne
sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir.
Weshalb ruft Jesus nach der Szene mit Petrus die Menge
heran und richtet an sie eine solche Mahnung ? Eine befriedigende
Erklänmg ist mir nicht bekannt geworden. Ich vermute Folgendes.
Wir haben hier ein Korrelat zu der Erscheinung, dass
Jesus sich mit den Jüngern vom Volke absondert und dann
eine Belehrung mysteriösen Charakters giebt. Die Szene, die
das Petrusbekenntnis und die Leidensweissagung enthält, ist als
eine Geheimszene gedacht. Nun wird der Vorhang, wie er
sonst dm'ch die Isolierung niedergelassen wird, wieder aufge-
zogen, indem die Öffentlichkeit wiederhergestellt wird. Das und
nichts Anderes dürfte die Erwähnung der Menge bedeuten.
Etwas zu ermitteln, was diese Eede gerade für die Menge recht
geeignet erscheinen Hesse, wird nicht gelingen. Ich zitiere
Holtzmann. Er meint, die Betonung der Leidensbereitschaft
»als Vorbedingung für jeden weiterhin beabsichtigten Anschluss
an ihn verstehe sich besser gegenüber einem grösseren Hörer-
kreise, daraus Einige geneigt schienen, es jetzt noch
mit ihm zu wagen, als gegenüber solchen, die schon länger
eingeschult waren«'). Das ist von der Annahme ausgesagt, als
ob sich Markus hier eine geschichtliche Vorstellung mache.
Allein der Gedanke an einige zm- Nachfolge Geneigte hegt ja
durchaus fern. Nach Markus muss man vielmehr eigentlich
sagen, die Eede passt für den o/Aoc ihrem Inhalt nach gerade
nicht. Denn das Nachfolgen und Aufnehmen des Kreuzes
setzt doch den Leidensgedanken voraus, der nm- für die Jünger
ist. Daran hat Markus hier nur nicht gedacht. Die Erklärung
für das Publikum der Eede liegt eben ganz im Vorhergehenden.
Ist nun aber vom oyloc, vorher gar nicht die Eede gewesen^),
1) HC z. St. Ähnlich B. Weiss, Das Markusev. z. St.
2) Matthaeus scheint das aufgefallen zu sein, da er die Worte über
die Leidensnachfolge (16 24) ausdrücklich an die Jünger gerichtet
sein lässt.
139
so bedarf es nicht irgend welcher Erwägungen aus der Situation,
um ihn V. 34 zur Stelle zu schaffen. Man erklärt: da die
Jünger vorher allein mit Jesus auf dem Wege waren, so müsse
er jetzt in einem Flecken gedacht werden, doch komme dem
Erzähler auf den AVechsel der Sitution nichts an (!) i). Allerdings^
Jesus »muss« an einem Orte gedacht werden, wo überhaupt eine
Menge ist — wenn eine geschichtlich mögliche Situation wirklich
vorgestellt wird. Die Stelle enthält aber doch wohl einige Auf-
fordermig, dies kleine »wenn« über dem »muss« nicht ganz zu
vergessen. Von der Menge gilt bei Markus nur ganz dasselbe
wie vom Hause und ähnlichen Vorstellungen: er hat sie jederzeit
zur Hand, wo er sie braucht. Und sie ist stets nicht weit,
sobald er an die Jünger denkt.
Man vergleiche noch lu^). Mit den Pharisäern und einigen
Schriftgelehrten kommt Jesus ins Gespräch über das Hände-
waschen (7iff.). Dann ruft er »wieder die Menge heran« und
giebt ihr die Parabel zu hören. Danach Rückzug ins Haus von
der Menge weg und Deutung der Parabel für die Jünger. Hier
haben wir das Umgekehrte wie im vorigen Zusammenhange.
Dass »die Menge« aber erscheint, ist nicht viel weniger über-
raschend als 834. Zwar denkt Markus hier daran, dass er zuvor
(653 ff.) von einer Menge gesprochen hat (vgl. das TtdXiv), aber
die Szene 7 1 ff. ist doch ein Stück für sich mit einer neuen
Situation. Offenbar ist es nur die »Parabel«, die die Menge aus
der Versenkung hervorholt, weil Parabel und Menge zusammen-
gehören. Hat man Markus hier einmal verstanden, so wirkt
eine ernsthaft buchstäbliche Fassung seiner Angaben komisch.
Die Menge hat nichts von dem Gespräche mit den Gesetzes-
männern gehört, bekommt dann aber eine Parabel zu hören, die
sich auf das Nichtgehörte bezieht, und muss sich mit der Parabel
selbst abspeisen lassen, denn die Deutung und Bedeutung ist
wieder nichts für sie!
Drittens ein Wort über die Stelle der Gerasenergeschichte
1) B. Weiss a. a. 0. Trotzdem W. eine Erklärung für das Eeden
zum Volke weiss (s. 0.), bemerkt er doch, das unmotivierte Erscheinen
des Volkes falle auf. »Der Grund, weshalb Markus den ox^og herbeizieht,
kann . . nur (!) darin liegen, dass die apostolische Quelle diese Sprüche
an den o/i-og gerichtet sein liess . . . .«
2) S. auch 7 33.
140
5 19.20. Die Bitte des Geheilten, ihn begleiten zu dürfen, schlägt
Jesus ab. Er trägt ihm nur auf, den Seinen mitzuteilen, was
ihm der Herr gethan habe.
Es erechien uns diese Stelle fi'üher als eine Ausnahme von
der sonstigen Praxis Jesu. So fasst man sie auch meistens auf.
Man meint, dass Jesus für die Heidengegend eine Verkündigung
seiner That wünschen konnte, wie er sie unter den Juden nicht
wollte^). Diese Auslegung ist ganz begreiflich, macht aber nichts-
destoweniger den Eindruck einer Verlegenheitserklärung. Warum
konnte Jesu Ruf von dieser Gegend sich nicht in rein jüdische
Distrikte verbreiten? Diese Frage wäre vom Standpunkte der
gewöhnlichen Auffassung der Verbote zu stellen. Von unserm
Standpunkt liegt die Frage nahe : ist dieser Widerspruch zu dem
sonstigen Verfahren Jesu nicht gar zu grell? Warum macht
der Evangelist auch im Texte nicht ausdrücklich bemerklich, dass
es sich hier um Heidengebiet handle?
Sollte die scheinbare Abweichung von den anderen Ver-
boten nicht ii^ Wahrheit eine Parallele sein? Jesus sagt:
Gehe hin in dein Haus zu den Deinen und melde
{c'cnayyei'/.ov) ihnen, was der Herr (o y.vQiog) dir gethan,
und vde er sich deiner erbannt hat.
Im Hause, in der Familie ist die Kunde von der Wohlthat gut
aufgehoben. Der Gerasener thut nun aber etwas Anderes, er
macht es wie der Aussätzige und der Stumme (I45, Tse vgl. 724):
Und er gieng hin und begann in der Dekapolis zu
verkünden {/iriQiOGeiv, predigen), was ihm Jesus [hier
heisst es nicht: der Herr!] gethan hatte, und alle ver-
wunderten sich.
Die beiden Sätze sind freilich nicht formell in Gegensatz gestellt.
Und weil ^vir so manchmal das »Haus« als Ort der Heimlichkeit
gefunden haben, braucht es nicht immer diesen Sinn zu haben.
Am Ende könnte auch ein Erzähler, der von der Ausbreitung
1) Z. B. Kitschl, Theol. Jahrbb. 1851 S. 514, Holtzmann,
HC S. 8. — B. Weiss, Das Markusevang. S. 181 sagt richtig: »auch
hier sorgt Jesus nicht für die Ausbreitung seiner Heilwunder, welche
er nach I44 nicht wünscht«. Aber die Fortsetzung: er »will nur die
vollzogene Heilthat der Familie des Geheilten zum Segen setzen«, ist
wohl mehr im modern erbaulichen Geschmacke als im Geschmacke dea
Markus.
141
der Thiiteii Jesu ohne Scheu spricht, auch ihm selbst einmal
eine Aufforderung zur Verkündigung des AVunders in den Mund
gelegt haben, wenn er von einem besondern Motive geleitet war^
etwa eine erste Predigt unter den Heiden andeuten wollte*).
Allein Jesus sagt eben nicht, der Dämonische möge »nach Hause«
gehen und seine That in der Heimat ausbreiten. So denke ich,
die Ähnlichkeit mit anderen Stellen vom ol-A.og^), der sachHche
Gegensatz, der zwischen dem Gebot Jesu und der Handlungs-
weise des Geheilten doch nicht zu leugnen ist, die Übereinstimmuiig,
die diese Stelle so mit den Verboten gewinnt, sind starke Stützen
für die vorgeschlagene Deutung. Dass Jesus dem Manne seine
Bitte versagt, wird man dann auch hiernach verstehen müssen:
er will ihn nicht mitnehmen aus Besorgnis, von ihm verraten zu
werden. Irgend einen Sinn wird dieser Zug doch haben, und
er steht im Gegensatze zu der Anweisung ins Haus zu gehen.
Die Mitteilung an die Hausgenossen schliesst die Vorstellung der
Heimlichkeit so wenig aus wie die Erwähnung der Mehrheit 736.
Endhch darf die recht charakteristische Stelle 724.25 hier
nochmals genannt werden.
24 Von dort aber brach er auf und zog in das Gebiet von
Tyrus. Und da er in ein 3) Haus eingetreten, wollte er,
dass es niemand erfahre, und er konnte nicht verborgen
bleiben. ^^^ Sondern alsbald hatte eine Frau von ihm ge-
hört, deren Töchterchen einen unreinen Geist hatte, kam
und fiel ihm zu P'üssen
Trotzdem es den Anschein haben könntej als ob Jesus aus
andern Gründen das Haus betrete*) und dann seine Anwesenheit
dort verbergen wolle, wird doch das Haus selbst als Schlupf-
winkel gedacht sein. Nun könnte man fi-agen: weshalb bedai"!
es in einem unbekannten Lande noch eines besonderen Versteckes?
1) Vgl. Volkmar S. 310.
2) Namentlich mit 826: er schickte ihn in sein Haus.
3) Es wäre nicht so ganz unmöglich, dass die LA.: (ts rrjv oixCuv
die von D Orig. bezeugt ist, hier ursprünglich wäre. Der Artikel könnte
leicht als unpassend erschienen sein. 7 17 und 928 schwanken die H SS.
ebenfalls zwischen olxog mit und ohne Artikel. Übrigens ist »das Haus«
nicht zu scharf zu betonen. Markus denkt in diesen Fällen nicht etwa
an ein bestimmtes Haus, er nennt das Haus im Gegensatz zum Wege
(wie B. Weiss richtig zu 933 sagt) oder überhaupt zu einem »Draussen«.
4j B. Weiss bei Meyer: um dort zu herbergen.
142
würde dann al^er von Wissenden darauf verwiesen werden, dass
Jesus nach 3 8 vielen Tyi'iern und Sidoniern l)ekannt war. Fragen
darf man aber, was ein solches Versteck nützen soll, wenn Jesus
überhaupt verborgen bleiben will und doch nicht immer dort
bleiben kann, oder weshalb er sich hier verbirgt '), wenn er sich
sonst nicht verbirgt. Jeder empfindet ferner das Miss Verhältnis
zwischen dem Gebiet von Tyi'us und »einem« Hause. Um es
kurz zu sagen, Markus nähert sich in dieser Situationsschilderung
dem Märchenstile, Man könnte so von einem verkleideten
spanischen Prinzen erzählen, der ins französische Gebiet zog: er
gieng dort in ein Haus, weil er nicht erkannt werden wollte,
aber man erfuhr doch, dass er da wäre, auch eine arme Frau
hörte es und suchte ihn auf 2). —
Die vielgepriesene Anschaulichkeit des Markus wird nach
unsern Ausführungen auch wohl etwas anders beurteilt werden
müssen, als gewöhnhch geschieht 3). Zunächst ergiebt sich, dass
manche Züge, die als anschauliche Momente gelten, in AVahrheit
Anschauungsmomente sind. Vielleicht ist Ähnliches avich an
andern Punkten zu erkennen. Es wird sich im Markus noch
manche interessante Beobachtung machen lassen. Gerade wo
das Material in Frage konnnt, das ich l^ehandelt habe, fällt im
Grunde eine starke Unanschauhchkeit auf, wenn sie auch nicht
immer so gross ist wie 72a. Nicht als ob die andern Synoptiker
in den Parallelen anschaulicher wären. Der Unterschied ist
vielmehr dieser: Markus reizt durch seine konkreten Bemerkungen
stärker das Verlangen nach Anschauung und lässt es doch un-
befriedigt. Ein kurzes, hastiges Wort Jesu oder Anderer, und
1) B. Weiss (bei Meyer) antwortet: er will sicL. der Ausbildung
der schwachen Jünger widmen. Deshalb soll er überhaupt dies Gebiet
aufgesucht haben. Weshalb sagt dann der Text von diesem Haupt-
punkte nichts? Die Eeise in das Gebiet von Tyrus wird offenbar nur
wegen der Geschichte von der Syrophoenizierin erzählt. Denn abgesehen
davon ist der Aufenthalt in diesem Heidengebiete leer. Bereits Tsiwird
Jesus wieder nach dem Galiläischen See versetzt.
2) Über die Stelle 1047 f, die nicht gut in diesen Zusammenhang
passt, vgl. Exkurs VI.
3) J. Weiss, Keieh Gottes S. 38 f. äussert sich zu meiner Freude
skeptischer als die Meisten, ebenso hinsichtlich der Chronologie des
Markus.
143
eine kurze Bemerkung über den Eindruck, den es gemacht,
rasche, plötzHche Ortsveränderungen im Ganzen und innerhalb
der einzehien Szene, Aäelfacher Wechsel in der Umgebung Jesu,
Volk oder Jünger treten hervor und treten wieder zurück. Es
fehlen die psychologischen und sonstigen Motivierungen, die den
Vorgängen erst greifbare Gestalt geben würden. Sie fehlen aber
nicht, weil sie hinzuzudenken wären, sondern weil sie überhaupt
nicht gedacht sind. So macht das Auftreten Jesu und der
andern Personen des Dramas vielfach den Eindruck des Hastigen,
Schemenhaften, fast Gespenstischen. Freilich nicht hierdurch
allein. Gälte es eine erschöpfende Schilderung, so Aväre namentlich
zu zeigen, wie die übermenschlichen Züge Jesu zu diesem Eindruck
beitragen.
Doch das Evangelium enthält auch wirklich manches An-
schauliche. Hier aber bildet der ganze Charakter der Schrift
eine Mahnung, Anschaulichkeit nicht zu rasch und zu sorglos
als Kennzeichen der Geschichtlichkeit zu betrachten. Markus
kann sich sehr wohl gegenüber den späteren Evangelisten auch
durch die grössere Anschaulichkeit als der ältere bewähren.
Aber dies relative Urteil bedeutet wenig für die absolute
Schätzung. Eine Schrift kann einen stark sekundären, ja sogar
ganz apokryphen Charakter haben und dennoch viel An-
schaulichkeit zeigen. Es kommt immer darauf an. wie diese
geartet ist.
Die Auflassung von der schriftstellerischen Art des Markus-
evangehuras, die ich nach einigen Seiten der üblichen kritischen
Behandlung der Schrift entgegengestellt habe, entspricht einiger-
massen der Auffassung, der die wissenschaftliche Kritik — ich
meine die unbefangene — bei einer andern Schrift selber folgt,
— beim Johannesevangelium. Es verdient das hervorgehoben
zu werden, weil es zeigt, dass hier keine unüberbrückbare Kluft
der exegetisch - kritischen Methode besteht, und weil man am
Johannesevangelium für Markus lernen kann.
Wenn Johannes Jesus sagen lässt(734):
ihr werdet mich suchen und nicht finden, und wo ich bin,
dahin könnt ihr nicht kommen,
und darauf, obschon Jesus zuvor ausgesprochen, er werde zu
dem gehen, der ihn gesandt habe, die Juden fragen lässt:
144
wo will dieser hingehen, dass wir ihn nicht finden sollen?
will er etwa in die Diaspora der Griechen gehen und die
Griechen lehren? —
so werden es sehr Viele als eine grobe Geschmacklosigkeit er-
kennen, hier durch psychologische Vermittlungen das Unvorstell-
bare vorstellbar zu machen. — Wenn die Johannesjünger auf
die Erfolge Jesu eifersüchtig sind, obgleich sie selbst erklären,
das Zeugnis ihres Meisters über Jesus, das solche Eifersucht
unmöglich macht, gehört zu haben (826), so nimmt man das als
etwas bei Johannes gar nicht Auffallendes ruhig hin. — Wenn
der Evangelist erzählt:
Einige . . wollten ihn greifen, aber niemand legte die
Hände an ihn (744 vgl. 7 30, 820),
so weiss jeder, dass ein so absolut unanschaulicher Zug nicht
durch Erwägung der Situation verständlich zu machen ist,
sondern aus den Gedanken des Evangelisten seine Beleuchtung
empfängt, nach denen Jesus einerseits fortwährend von Tod-
feindschaft umgeben ist, andrerseits aber nach dem oberen
Ratschluss so lange gefeit ist, bis »seine Stunde da ist«. Und
wer, der die Art des Johannesevangeliums einmal erkannt hat,
könnte vereuchen, in den Streitgesprächen Jesu, wo nichts vom
Flecke kommt, auch nur einen leidlichen Fortschritt nachzu-
weisen? AVer sieht nicht, dass es Johannes fernliegt, in den
natürlichen Konsequenzen seiner Angaben zu denken? Gewiss
ist hier manches noch nicht so selbstverständlich geworden, wie
es sein sollte. Und deshalb fällt der Accent noch nicht immer
genug auf das, was der Schriftsteller in den sonderbaren geschicht-
lichen Formen sagen will, worauf er doch fallen muss, wenn man
ihm gerecht werden will. Aber prinzipiell ist das Richtige da.
Aus solchen Eigentümlichkeiten kann man aber in der
That für Markus lernen. Natürlich denke ich nicht daran, den
Unterschied ZAvischen ihm und Johannes zu verwischen. Er ist
gewiss sehr gross. Die Gedankenblässe des vierten Evangeliums
zeigt Markus denn doch nicht, er hat es nicht mit einem ent-
wickelten Dogma zu thun, er polemisiert und verteidigt nicht
wie Johannes, er ist von einer ganz andern Naivetät, er steht,
was den realen Boden der Geschichte Jesu, z. B. die Örtlich-
keiten, betrifit, ganz anders da, er hat ein wesentlich anderes
Verhältnis zur Tradition als Johannes.
145
Aber — die prinzipielle Verwandtschaft ist doch weit grösser,
als man gemeinhin denkt, eben weil auch Markus schon vom
wirklichen Leben Jesu sehr weit entfernt und von dogmatisch
gearteten Auffassungen beherrscht ist. Man betrachte Markus
durch ein starkes Vergrösserungsglas, und man hat etwa eine
Schriftstellerei, wie sie Johannes zeigt.
Schlussbemerkungen.
Ist die Anschauung vom Messiasgeheimnis die Ei-findung
des Markus? Das ist eine ganz unmögliche Vorstellung.
Schon aus Markus selbst lässt sich das bestimmt erkennen.
Das ganze Leben Jesu ist bei ihm mit den verschiedenen
Momenten dieser Anschauung übersponnen. Die einzehien Vor-
stellungen liegen in mancherlei Varianten vor. Es ist viel Un-
ausgeglichenes in ihnen. Dergleichen ist nicht das Werk eines
Einzelnen.
Namentlich aber ist das klar, wenn man den Inhalt erwägt.
Wie käme Markus dazu, einen solchen Gedanken in eine Tradition
einzuführen, die nichts von ihm wusste ? Dafür lässt sich keine
Erklärung ersinnen. Historisch ist der Gedanke aus Markus
unmittelbar noch gar nicht zu verstehen. Er ist fertig da,
Markus steht unter seinem Zwange, so dass man nicht einmal
von einer »Tendenz« reden darf. Aber wo kommt er her? —
Es handelt sich also um eine Anschauung, die grössere Kreise,
wenn auch nicht notwendig grosse Kreise, beherrscht haben
muss.
Damit soll ein Anteil des Markus an seiner Darstellung,
und sogar ein wichtiger Anteil, nicht geleugnet sein. Im Rück-
bhcke erkennt man ja leicht, dass vieles von dem, was er sagt,
ihm gar nicht überliefert werden konnte, vorausgesetzt, dass
nicht schriftliche Quellen zu Grunde liegen. Eine Kritik, die '
das vergisst, muss Markus mit einem Gedächtnis für das Farb-
lose ausstatten, wie es in der ganzen Weltgeschichte noch nicht
vorgekommen ist. Leidensweissagungen in der Art, wie sie uns
beschäftigten, wird es vor Markus gegeben haben. Aber die
bestimmte Formulierung, die Stelle, an der Markus sie bringt,
konnte höchstens im Ausnahmefalle überliefert werden. Dass
Jesus sich mit seinen Jüngern oftmals ins Haus zurückzog, hat
Wrede, Messiasgeheimnis. 10
146
man vielleicht schon vor Markus erzählt, aber unmöglich kann
es Erinnerung an Gehörtes sein, wenn der Erzähler Jesus bei
diesem Worte im Hause sein, bei jenem das ganze Volk anreden
lässt. Und wie sollte ihm überliefert gewesen sein, bei welchem
"Wunder Jesus das Verbot aussprach, bei welchem er es vergass,
bei welchem er von der Menge umdrängt war, bei welchem nicht?
So könnte man fortfahren. Die Motive selbst werden mindestens
teihveise nicht das Eigentum des Evangelisten sein, aber wie
er sie in concreto verwendet, das ist jedenfalls seine eigene
Arbeit, und insofern kann man auch hier und da von einer
Manier des Markus reden 1). Wie sich Traditionelles und Eigenes
im Einzelnen verteilt, wird auch eine besondere Untersuchung
nicht dm"chweg feststellen können. Man muss es vermischt
lassen, wie es ist.
Diese Beobachtung wird übrigens auch für die Be-
urteilmig anderer Züge des Evangelimns nützlich werden
können. Es ist nicht ganz wenig darin, was seiner Natur nach
nicht überhefert werden konnte oder höchstens von einem Augen-
zeugen, der auch des Gleichgiltigen sich erinnern kann. Markus
aber war kein Augenzeuge.
Am Ende dieser Betrachtungen über Markus sei an ein
Datum aus der Geschichte der Kritik erinnert.
Eine ältere Periode der neutestamentlichen Forschung hat
manchmal von einem mysteriösen Charakter des Markus-
evangeliums gesprochen. Schon Schleiermacher hat es gethan.
Er rechnete dahin namenthch das Besondersuehmen der Kranken,
dann die Manipulationen und die Anwendung sinnhcher JVüttel
bei den Wunderheilungen Jesu^). Manche derartige Bemerkung
hat dann Strauss gemacht. Das Mysteriöse gefalle Markus.
Die Heilung des Taubstummen, des Blinden, der Jairustochter
seien als Mysterien gedacht, die Vertrauten Jesu als Geweihte
1) Z. B. finde ich sie 724, weil gar nichts Bestiinrates genannt ist,
worauf sich das Verbergen bezieht.
2) Sohleiermacher, Einleitung in das X. T. S. 313. Nach
Strauss, L. J. f. d. deutsche Volk S. 128 (Schleiermacher war
mir nicht zugänglich).
147
und Eingeweihte, vor denen die Mysterien sich begeben könnten i).
Keim sagt: »Geheimnisvoll wie in keinem der älteren Evangelien
ist diese (Jesu) Persönlichkeit.« Er redet von einer untergehenden
Menschheit, einer aufgehenden Gottheit in Fleischgestalt bei
Markus, von der bedenklichen Perspektive eines Zauberlebens
und weist u. a. hin auf die rätselhaften einsamen Reisen Jesu
und auf »sein Incognito aus Belieben und nicht aus Not-
wendigkeit« 2). Auch andere Forscher, wie Hilgenfeld 3), haben
Andeutungen in dieser Richtung*).
Es handelt sich hier freilich nur um einige Eindrücke.
Denn wdrklich untersucht hat man die Sache nicht, und alle
die Genannten haben die eigentliche Anschauung des Markus
und ihren Zusammenhang nicht erkannt. Aber wir haben ge-
sehen, die Eindrücke waren richtig. Und es ist charakteristisch,
dass man sie gewann. Wie kommt es, dass diese Kritiker hier
eine richtigere Empfindung für den Charakter des Evangeliums
ven-aten als die meisten Neueren?
Sie haben den Markus unbefangener betrachtet, weil sie
ihn als den späteren Evangelisten dachten, später wenigstens als
Matthaeus. Das gab ihm gegenüber eine gewisse Freiheit der
Betrachtung. Fast möchte man hinzufügen: die Augen des
Gegners sehen scharf. Namentlich bei Keim kann man sehen,
wie man diese Dinge beobachtete, weil man darin Waffen fand
gegen eine Auffassung, die den Markus vorzog.
Umgekehrt ist leicht verständlich, weshalb all die vielen
sich so stark hervordrängenden Züge dieses Gedankeukomplexes
in neuester Zeit das Urteil über Markus so wenig beeinflusst
haben. Die Ansicht über das Alter des Markus, gegenüber den
1) St raus 8, L. J. II S. 74 f.. 137, vgl. auch 314; L. J. f. d.
deutsche Volk S. 272, 420, 429, 445. Strauss rechnet zum Mysteriösen
besonders auch den Gebrauch der Formeln Afc^«*« (734) und ^aXid-c
xovfj, (54i), indem er wie manche andere Erklärer (wohl mit Kecht)
annimmt, dass die Fremdsprache von Bedeutung ist für die Zauberkraft
der Formel.
2) Keim, I S. 90 f. (vgl. die ganze Schilderung), 97, 100, II S.522f.,
III S. 39 f.
3) Hilgenfeld, Markusevang. S. 58, Die Evangelien S. 149.
4) Von Gelehrten wie V 0 1 k m a r sehe ich hier ab. Vgl. aber
Exkurs VII.
10*
148
beiden andern Synoptikern und im absoluten Sinne, auch die
Annahme spezieller Beziehung zu Petrus hat die Betrachtung
an sich schon befangen gemacht. Im Speziellen aber ist dann
auch die einmal gefasste Meinung vom Plane des Evangeliums
nicht ohne Wirkung gewesen. So scharfsinnig sie entwickelt
sein mag, so bedeutende Gelehrte sich ihrer angenommen
haben: wir können hier behaupten, dass sie ein starkes
Hindernis für die Erkenntnis des Markus gewesen ist. Denn
sie führte dazu, viele Dinge zu übersehen, die ihr entgegen,
aber für das Evangelium wichtig sind.
Schleiermacher hat schon davon gesprochen, dass sich
dieses Evangelium dem apokryphen Charakter zuneige^). Wie
er das gemeint hat, beruhe auf sich. Aber das scheint mir
gewiss: käme heute dies Evangelium aus einem Grabe zmn
ersten Male ans Licht, so würde dies Urteil nicht vereinzelt
gefällt werden, und man würde viele von den Zügen, die
hierher gehören, mit grösster Leichtigkeit erkennen, während
heute eine bestimmte kritische Gewöhnung sie den BHcken
entzieht.
Wer nun die dargelegte Auffassung des Markus im
Wesentlichen überzeugend findet, dem kommen wahi-scheinlich
leicht Zweifel an der Prioiität des Markus vor Matthaeus
und Lukas. Vielleicht werden sie vom Wunsche unterstützt.
AVünscheuswert wäre es in der That im höchsten Grade, dass
ein solches Evangehum nicht das älteste ist. Aber Wünsche
sind niemals Gründe. Ich kann hier ja keinen Beweis versuchen,
ich spreche nur meine Ansicht aus.
Soviel, aber auch nur soviel ist richtig : gewisse Stützen für
die Voranstellung des Markus, namenthch eben der Gedanke,
dass in ihm der Entwicklungsgang des öffentlichen Lebens
Jesu noch erkennbar vorliege, erweisen sich als morsch. Aber
mögen sie zusammenbrechen; es bleiben doch genug Pfeiler
stehen, die aus besserem Holze sind. Ich stimme namentlich
Holtzmann — und ich darf hinzufügen, auch Wende — völlig
bei, wenn er bemerkt ä), die Stärke der Markushypothese liege
1) Keim I S. 100.
2) Holtzmann, Einleitung in das N. T.^ S. 367.
149
recht eigentlich darin, class der Reihenfolge der Erzählungen
bei Matthaeus und Lukas die Reihenfolge bei Markus zu
Grunde liege. Daran ändert unsere Untersuchung gar nichts.
Im Übrigen giebt uns vielleicht der nächste Abschnitt Gelegen-
heit, hier und da zu zeigen, dass der befremdende Charakter
der Markusdarstellung kein Gnmd ist, sie für jünger als die
des Matthaeus zu halten.
Zweiter Abschnitt.
Die späteren Evangelien.
Matthaens nnd Lukas.
Matthaeus und Lukas sind beide keine originalen Schrift-
steller. Ausser Markus liegen ihnen zweifellos noch andere
Quellen oder Quelleiifragmente zu Grunde. Dies scheint unsere
Aufgabe diesen Evangehen gegenüber sehr kompliziert zu machen-
Nach der Auflassung der Schriftsteller selbst müssen wir unter
allen Umständen fragen; denn dass beide Evangelisten keine
blossen Abschreiber gewesen sind, steht hinreichend fest. Aber
können wir die Quellen ignorieren ? Ist es nicht eine Frage von selbst-
ständiger Bedeutung, was sie zu dem Gedanken der geheimen
Messianität sagen?
Wir brauchen dieser Frage doch nicht nachzugehen. Zu-
nächst sind diese Quellen, insbesondere die s. g. Spruchquelle,
für uns keine so deuthchen und abgeschlossenen Grössen, um
damit operieren zu können wie mit einem vor uns liegenden
Evangelium. Namenthch ist es sehr wahrscheinHch, dass die
angenommene Spruchsammlung, ehe sie in die Evangehen des
Matthaeus und Lukas übergieng, schon eine Geschichte erlebt
hat 1).
Das Wort Mt. II25 = Luk. 10 21:
Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels mid der Erde,
1) Vgl. Wernle, Synopt. Frage S. 231f., auch Jülicher, Ein-
leitung in das N. T. ^- * S. 284.
151
dass du dieses vor Weisen und Verständigen verborgen
hast, und hast es Unmündigen geoffenbart,
erinnert an den Gedanken, dass den Jüngern eine Enthüllung
der göttlichen Geheimnisse zu Teil geworden ist; es ist mit
Eecht oftmals mit der Antwort Jesu auf das Petrusbekenntnis
(Mt. 16 17) zusammengestellt worden. Rechnet man es der Spruch-
quelle zu, so ist das quellenkritisch betrachtet berechtigt, sobald
man überhaupt die Matthaeus und Lukas gemeinsamen Rede-
stoffe auf eine solche Quelle zurückführt. Aber wer sagt uns,
dass es sich hier um einen ursprünglichen Bestandteil der Spruch-
sammlung handelt und nicht um einen späteren Zuwachs, sei
es nun alter oder junger Herkunft? 1) Und ohne eine Entscheidung
hierüber ist für das geschichtliche Urteil, auf das es uns an-
kommt, wenig gewonnen.
Die Hauptsache aber ist, dass die sämtlichen Redestücke
der beiden Evangelien, die man der Spruchquelle zuzuweisen
pflegt, oder für die man Sonderquellen annimmt, für unser Problem
auf jeden Fall nur ein äusserst geringfügiges Material bieten.
Hiervon kann sich jeder leicht überzeugen.
Wir halten uns also an Matthaeus und Lukas, wie sie uns
vorhegen, rechnen natürlich aber damit, dass ihre Daten nicht
ohne Weiteres als der Ausdruck ihrer eigenen Anschauungen
zu betrachten sind, eben weil sie zum grössten Teile nur Über-
nommenes reproduzieren und neu bearbeiten. Eine Hauptfi'age
wird dann sein müssen: wie wird der Stoff des Markus, den wir
untersucht haben, in den beiden Evangelien behandelt? Stellen
lässt sich die Frage, da der Geschichtsstoff des Markus im Ganzen
in ihnen wiederkehrt. So erwarten wir hier unmittelbar einen
Blick in die Geschichte der Anschauung zu thun, die uns
interessiert. Wieweit noch andere Fragen in Betracht kommen,
lässt sich vorweg nicht bestimmen.
Matthaeus.
AVie verhält sich der Bericht des Matthaeus zunächst zu
den Verboten Jesu und zu den sonstigen Momenten, in denen sich
bei Markus ausdrückt, dass Jesus unbekannt bleiben will?
1) Brandt S. 537, Wer nie S. 232.
152
Matthaeus hat eine Eeihe dieser Züge konserviert. Die
Verbote begegnen uns bei der Geschichte vom Aussätzigen (8 4)^
bei einem zusammenfassenden Bericht über Jesu Heilungen
12 16 (=Mr. 3 12), beim Petrusbekenntnis (16 20), beim Abstieg
vom Verklärungsberge (17 9), hier ebenfalls mit der Zeitbestimmung
über die Aufei-stehung.
Dem stehen nun aber nicht wenige Abweichungen gegen-
über. Die Verbote an die Dämonen fehlen. Die Geschichte
vom Dämonischen zu Kapharnaum fällt nämlich ganz aus. Das
Verbot Mr. I34 bleibt fort, obgleich die Schilderung, in der es
steht, Mt. 8 16. 17 ihre Parallele hat. Das Verbot Mr. 3 12 ist bei
Matthaeus an Geheilte im Allgemeinen gerichtet (12 16). Auch
die Begrüssung des Messias durch die Dämonen fällt damit an
allen diesen Stellen fort. Beibehalten ist sie jedoch in der
Gadarenergescliichte (8 29= Mr. 5?). Hier aber bleibt die "Weisung
Jesu an den Geheilten (Mr. 5 19. 20) wieder ohne Seitenstück.
Die Geschichte von der Jairustochter enthält weder das
Verbot noch den Zug von den drei Vertrauten; im Schlussverse
(926) lesen wir dagegen die Bemerkung:
Und die Kunde hiervon gieng aus in jenes Land.
Die Geschichten vom Taubstummen (Mr. Tsiff.) und Blinden
(Mr. 8 22 ff.), in denen neben den Verboten auch die IsoHenmg
der Kranken sich findet, haben bei Matthaeus überhaupt keine
direkte Parallele. Jedoch hören wir in der allgemeinen Schilde-
rung (15290".), die der Stellung nach Mr. Tsiff. entspricht, auch
von Stummen, die geheilt wurden; ferner erzählt Mt. 932if. von
der Heilung eines stummen, 1222 0". von der eines blinden und
stummen Dämonischen. Jedesmal werden Bemerkungen über
die Bewunderung des Volkes (lösi, Qss, 12 23) hinzugefügt, von
Geheimhaltung ist nicht die Rede. Andererseits findet sich für
die Blindenheilung eine Art Ersatz in der Geschichte von den
beiden Blinden 927ff., die in der Erzählungsart an die andere
Blindenheilung in Jericho (20290".) erinnert; hier aber wird vom
Geheimnis ganz in der Weise des Markus gesprochen. Die
beiden Blinden schreien Jesus an (92?):
Erbarm dich unser, Sohn Davids,
darauf begiebt er sich ins Haus und dahin folgen ihm die
iJlinden. Am Schlüsse (V. 30.31) heisst es:
äoUnd es herrschte sie Jesus zornig an {h'EßQi^r^d^r] avTolg)
153
und sprach: sehet zu, dass es niemand erfahre. ^^Sie
aber giengen hinaus, und machten ihn kund in jenem
ganzen Lande.
Die Angaben, dass Jesus in der Gegend von Tyrus und
nachher in Gahlaea unbekannt bleiben wollte (Mr. 724, 9 so)
bietet Matthaeus nicht, obwohl der Zusammenhang, in dem sie
stehen, wieder reproduziert wird (152if., 17 22f). Ebenso finden
sich die Angaben über das Aufsuchen der Einsamkeit und be-
nachbarter Städte (Mr. laö — 38.45) nicht wieder.
Diese Übersicht beweist schon, dass die Anschauung vom
messianischen Geheimnis für Matthaeus nicht mehr die Bedeutung
besitzt wie für Markus. Man wird freilich sehr vorsichtig urteilen
müssen, wenn man nach dem Grunde der Auslassungen im
Einzelnen fragt. Es lässt sich nicht übersehen, dass Matthaeus
in seinen Berichten auch vieles Andere auslässt, was Markus
bietet *). Wie stark sind z. B. die Geschichten von den Gada-
renern, von der Tochter des Jairus, vom blutflüssigen "Weibe
zusammengeschrumpft. In der Geschichte vom Aussätzigen fehlt
hinter dem Verbote die Verkündigung des Wunders durch den
Geheilten; nach andern Stellen sollte man meinen, der Zug
müsste dem Matthaeus besonders sympathisch gewesen sein.
Das blosse Streben nach Kürzung scheint hier also stark mit-
jzuspielen. Aber es kann doch nicht zufällig sein, dass ihm ge-
rade die Verbote und die nächst verwandten Züge so oft zum
Opfer fallen. Im Markusberichte sind es Hauptmomente,
Pointen der Erzählung. Matthaeus hätte sie nicht übergangen,
wenn er sie ebenso geschätzt hätte. Ich denke, so darf man
urteilen.
Am auffallendsten ist das Verhalten des Matthaeus bei den
Zügen, die die Dämonen betreffen. Der Kampf Jesu gegen
die Dämonen spielt bei ihm überhaupt eine wesentlich geringere
KoUe als bei Markus. Es ist charakteristisch, dass er wohl
häufiger als Markus von daif-ioviCoi-ievoi redet, aber viel weniger
von öaii-wvia und TtvevfAara axcc^agra. Was Markus über das
Zusammentreffen Jesu mit den Dämonen und über die Lebens-
1) Ich nehme dabei an, dass Matthaeus auch hier durchweg auf
unserem Markus ruht: bekanntlich ein bestrittener Satz.
154
äusserungen der 7ivev^aTa zu berichten weiss, tritt durchweg in
den Hintergrund. In der Gadarenergeschichte fehlt auch das
Gespräch über den Namen Legion (Mr. 59), in der Geschichte
vom mondsüchtigen Knaben (Mt. 17 uff.) vermisst man ebenfalls
manches.
Fast möchte man aber meinen, dass ihm das an die Dämonen
gerichtete Verbot Jesu nebst der Betonung ihrer Messias-
erkenntnis geradezu unsympathisch und anstössig gewesen sei.
Namentlich könnte hierfür die Schilderung 12i5.i6 angeführt
werden. Matthaeus sagt hier ganz A\de Markus:
und er gebot ihnen, sie sollten ihn [avTÖv) nicht offen-
bar machen.
Während aber bei Markus das Dämonenbekenntnis:
du bist der Sohn Gottes
vorangeht, heisst es bei Matthaeus mimittelbar zuvor:
und er heilte sie alle,
der Befehl Jesu richtet sich also an die vielen Geheilten —
von Dämonischen redet Matthaeus hier überhaupt nicht. Ein
Anzeichen dafür, dass Matthaeus hier sekundär ist, kann man
schon darin fijiden, dass das alrov bei ihm minder gut passt
als bei Markus ^). Giebt er nun aber dem Befehl, statt ihn
einfach auszulassen, eine andere Adresse, so sieht das ganz aus
wie eine absichtliche Korrektur. Ist ihm das Reden der
Dämonen und Jesu Einschreiten dagegen befremdend, vielleicht
phantastisch erschienen? Der Gedanke hegt nahe, und die An-
nahme wird dadurch noch nicht unmöghch, dass in der Gada-
renergeschichte die Aiu'ede des Messias nicht gestrichen ist.
Aber schon die Beibehaltung dieses Zuges macht das Urteil
unsicher ; und Matthaeus hat auch an unserer Stelle den Markus-
bericht stark zusammengezogen. So könnte sich die Änderung
auch ohne eine besondre Absicht erklären. Gewiss ist aber^
dass die Zeugnisse der Dämonen für Jesus, die Betonung ihrer
Erkenntnis und die an sie gerichteten Verbote keinen besonderen
Wert für Matthaeus mehr gehabt haben.
Die zuletzt berührte Stelle ist noch in anderer "Hinsicht von
Bedeutung. Ich denke dabei nicht an den handgreiflichen
Widerspruch, der darin hegt, dass Jesus viele heilt und allen
1) Volkmar Ö. 239.
155
das Verbot giebt, wie er ja auch dem Aussätzigen vor dem
versammelten ox^og (81) Schweigen gebietet. Das sind freihch
gegenüber Markus Kennzeichen des sekundären Berichtes^).
Und ganz so offenbar hat Markus doch an keiner Stelle gegen
die Wahrscheinlichkeit vei'stossen, weder l24ff. noch 3 12 noch
auch 736.
Aber viel bemerkenswerter ist, dass Matthaeus hier einen
Fingerzeig giebt, wie er das Gebot verstanden hat. Er findet
nämlich auch dann, dass Jesus es ausspricht, das j^rophetische
Wort der Schrift erfüllt und führt (12i8ff.) dafür die Stelle
Jes. 42iff. an:
i^Siehe da, mein Knecht, den ich erwählt habe, mein
Geliebter, an dem meine Seele Wohlgefallen hatte. Ich
will meinen Geist auf ihn legen, und er wird den Völkern
Gericht verkünden. i^Er wird nicht streiten noch
schreien, undmanwird seine Stimme nicht hören
auf den Gassen, ^o^erstossenes Rohr wird er nicht
zerbrechen und glimmenden Docht nicht auslöschen, bis
er das Recht hinausführt zum Siege. ^iXJnd auf seinen
Namen Averden Völker hoffen.
Dieser Schriftbeweis verrät uns, dass Matthaeus hier in dem
Verbote Jesu einen Beweis seiner Bescheidenheit, seiner stillen
Zurückhaltung gefunden hat. Denn wie auch immer die andern
Worte des Zitats anzuwenden sind, der 19. Vers kann sich nur
auf das Verbot beziehen. Und dieser Vers wird auch der
Hauptpunkt des Zitats sein, der die ganze Anführung ver-
anlasst hat. Der Schriftbeweis ^) ist aber so künsthch und
gezwungen, dass man vermuten möchte, er wäre dem Autor gar
nicht eingefallen, wenn er nicht das Verbot zuvor schon als
Äusserung einer aller Ruhmredigkeit abgeneigten Sinnesart ver-
standen hätte. Auf jeden Fall hat hier das Verbot dem Markus
gegenüber eine Umdeutung erfahren, die einer Aufgabe des
ursprünglichen Sinnes gleichkommt. Ob Matthaeus es überall
so gemeint hat, wo er es bei den AVundern Jesu bringt, lasse
1) So urteilten schon Wilke und Br. Bauer.
2) Justin beweist mit dem gleichen Zitat bei etwas andern)
Wortlaut Dial. c. Tryph. c. 123, dass Jesus die Namen Jacob und
Israel in der Prophetie trage und danach auch die Christen.
156
ich dahingestellt. Ich meine, das Zitat schliesst gar nicht aus,
dass er auch andere Beziehungen hineingelegt hat. Solche will-
kommenen Deutungen von Schriftworten werden liier gemacht
und dort wieder vergessen. Aber der eine deutliche Fall genügt
doch, um auch an diesem Punkte zu erkennen, dass der Ge-
danke des Markus dem Matthaeus schon fremd geworden ist.
Daran ändert es auch nichts, dass Matthaeus in der Ge-
schichte von den beiden Blinden Züge eingefügt hat, die so
ganz der Art des Markus entsprechen. Er hat hier Motive
nachgebildet, die ihm aus der Lektüre des Markus geläufig
waren — der Schluss der Erzählung scheint speziell auf dem
Schluss der Geschichte vom Aussätzigen zu ruhen i) — , aber er
hat damit nicht einer seine Geschichtserzählung beherrschenden
Auffassung Ausdruck gegeben.
Bei dem Verbot nach dem Petrusbekenntnis und nach der
Verklärung ist an die Bescheidenheit Jesu wohl nicht gedacht. Liest
man die erste Stelle, so könnte man sich trotz allem in die
Gedanken des Markus versetzt fühlen. Allerdings ist das Ver-
bot hier von dem Bekenntnis durch den Makarismus auf Petrus
getrennt, damit wird der schlagende Gegensatz, der bei Markus
im Kundthun der Messiaswürde und sofoi-t darauf folgenden
Einschreiten Jesu liegt, vÖlhg verdunkelt 2). Aber das Verbot
selbst mit dem AVortlaut (16 20):
sie sollten niemand sagen, dass er der Christus sei,
und ebenso sein Zusammenhang mit der Versicherung Jesu,
dass Petrus nur kraft göttlicher Erleuchtung solches Wissen
habe aussprechen können, legen die Folgerung nahe, dass Jesu
Messianität ein Geheimnis ist, das den Jüngern erst jetzt auf-
gegangen ist, allen andern aber nach wie vor verhüllt bleibt.
Allein die Folgerung kann Matthaeus nach seiner ganzen Dar-
stellung nicht wirklich gezogen haben. Darüber ist schon das
Nötige gesagt worden. Es bleibt diese Stelle also ein isohertes
Moment. Matthaeus hätte das Verbot wohl schwerlich ohne
Vorlage geschrieben. Das Gleiche darf man bei dem Worte
1) Vgl. bes. zu dem InßQifi^&r] avrotg (930) Mr. I43, zu 931
Mr. I45, ausserdem Mr. I44 und 543 (B. Weiss, Das Matthaeusevan-
gelium und seine Lukasparallelen (1876) S. 254).
2) Vgl. auch oben S. 117 f.
157
nach der Verklärung vermuten. Matthaeus wird dabei wahr-
scheinlich nicht so wie Markus an das Messiasgeheimnis, sondern
speziell nur an den einzelnen wunderbaren Vorgang (das o^a^im 17 9)
gedacht haben. Dies Urteil wird freihch weniger durch die
Stelle selbst nahegelegt als durch die Beobachtungen, die über
das Verhältnis des Matthaeus zu Markus im Allgemeinen zu
machen waren.
Was Matthaeus über die Parabellehre Jesu sagt, kann
den Eindi'uck eines starken Unterschiedes von Markus
nicht beeinträchtigen. Wenn er ihm hier wenigstens nahe steht,
so handelt es sich eben um einen besonderen Punkt, der keine
Schlüsse hinsichthch der Gesamthaltung erlaubt. Diese Er-
klärung der parabohschen Lehre hätte auch ein Autor über-
nehmen können, der alle Verbote Jesu systematisch ge-
tilgt hätte. Übrigens ist es nicht ganz ohne Bedeutung, dass
Matthaeus den Hauptgedanken des Markus: Jesus verhüllt sich
durch die Parabeln vor dem Volke, zwar nicht gänzlich ver-
missen (13s4), aber doch zurücktreten lässt hinter der Frage,
wem die Deutung der in ihnen beschlossenen Geheimnisse, der
y,s/,QV{.i!xeva a/tö yMtaßoXiig (1335), zu teil wird.
Sehr klar liegt die Sache an dem andern Haujjtpunkte.
Das Urteil über die Jünger lautet bei Matthaeus wesentlich
anders als bei Markus 1).
Wenn im Parabelkapitel der Tadel der Jünger wegen ihrer
Frage (Mr. 4 13) fehlt, so mag das belanglos sein, da nach der
Fassung der Frage ein Tadel nicht folgen kann. Die Jünger
erscheinen aber ferner gegenüber dem Volke nicht blos als die
mehr Empfangenden, sondern auch als die wahrhaft Empfäng-
lichen und Verständnisvollen. Ihre Augen sehen, wo die des
Volkes blind sind, ihre Ohren hören, wo die der Andern schwer-
hörig sind. So wird hier (ISief.) ein Spruch angewendet
der sich gegen diese Anwendung sträubt. Denn das Wort:
1'^ Wahrlich ich sage euch, dass viele Propheten und Ge-
rechte zu sehen begehi-ten, was ihr sehet, und es nicht
sahen, und zu hören, was ihr hört, und es nicht hörten,
1) Das Wesentliche hat sehr gut schon Ritschi, Theol. Jahrbb.
1851 S. 517 gesagt. Vgl. aucli Holt z mann, Synopt. Evangelien
S. 43(5, der aber zu zurückhaltend urteilt.
158
sagt deutlich, dass es bei der voraufgehenden Seligpreisung auf
den Inhalt des Gesehenen und Gehörten ankommt, nicht aber,
wie Matthaeus deutet, auf das richtige oder wirkliche Sehen
und Hören im Gegensatze zu einem blos äusserlichen oder nur
scheinbaren ^). So steht auch am Schlüsse des ganzen Parabel-
abschnitts eine Bemerkung, die ausdrücklich das Begreifen der
Jünger konstatiert. Jesus fragt 13 5i:
habt ihr das alles verstanden? Sie sagen zu ihm: ja.
Nach dem Wort von der Auferstehung 179 (= Mr. 99)
hören wir nichts davon, dass die Jünger nach der Bedeutung
des Ausdrucks fragen (Mr. 9io). Nach der s. g. 2. Leidens-
weissagung (Mr. 931 = Mt. 1722 f.) heisst es nicht, dass die
Jünger die Worte nicht begriffen. Dagegen sagt Matthaeus:
und sie wurden sehr betrübt.
Die Bemerkung vor der dritten Leidensweissagung über das
Staunen oder die Furcht der Gefolgschaft Jesu beim Zuge nach
Jerusalem (Mr. 10 32) fehlt wieder ganz, trotz deuthcher Bezug-
nahme auf den Markustext 'ä).
Sehr charakteristisch ist der Abschluss der Geschichte
vom Seestumi. Bei Matthaeus fragen nicht die Jünger, sondern
»die Menschen« (Mt. 827), wer der sei, dem Wind und Wellen
gehorchen. Wo kommen die her? Zeugen des wunderkräftigen
Befehlswortes sind ja nur die Jünger gewesen. Also eine
offenbare Korrektur. Ahnlich ist es, wenn nicht blos die Be-
merkung des Markus nach der Geschichte vom Seewandeln,
die Jünger hätten an den Broten noch kein Verständnis ge-
wonnen, ausfällt, sondern an der parallelen Stelle nach der
Szene vom sinkenden Petrus der Schluss folgt:
die im Fahrzeuge aber fielen vor ihm nieder und sprachen :
du bist wahrhaftig Gottes Sohn (1433).
Das sind alles durchaus beweisende Züge. Und deshalb
wird man es auch ähnlich erklären, wenn Matthaeus (2O20) nicht
die Zebedaiden selbst, sondern ihre Mutter für sie bitten lässt.
Die Bitte ist für die beiden Apostel selbst zu thöricht. Dass
Matthaeus hier bewusst geändert hat, geht auch daraus hervor,
1) Der richtige Sinn bei Lukas 10 23 f.
2) Vgl. das iv Ttj 66äi Mt. 20 n, das nach den vorangehenden
Worten unerwartet kommt, und bei Markus die Worte: r,aav öe ii' ti]
öJw dvaßaivovTig /.iX.
159
dass er die Änderung nicht durchführt. Denn er lässt Jesus
ganz wie Mr. 10 38 fortfahren:
Ihr wisst nicht, was ihr bittet (20 22).
Man kann diesen Dingen gegenüber auf entgegengesetzte Züge
hinweisen. Nach dem Gespräche über das Händewaschen bittet
Petrus um die Deutung der Parabel. Jesus sagt auch hier
(Mt. 15 16):
Immer noch seid auch ihr ohne Einsicht?
In der Erzählung vom Seesturm ist von Furchtsamkeit und
Kleinglauben der Jünger die Rede (826). Als Petrus unterzu-
gehen droht, ruft Jesus (14 31):
du Kleingläubiger, warum zweifeltest du?
Das Widerstreben des Petrus gegen den Gedanken an Leiden
und Tod samt der Bezeichnung des Jüngers als oaraväg bleibt
erhalten (16 23). Sogar das Missverständnis vom Sauerteige der
Pharisäer kehrt wieder, und Jesus spricht auch hier sein ovtho
vobIte; (16 9).
Das alles beweist nur, dass Matthaeus es nicht vermocht
bat, die Beweise der Schwäche und Unfähigkeit der Jünger
die er in seiner Quelle fand, ganz auszutilgen; er zeigt darin
die Halbheit des Späteren. Es kann aber nicht darin iiTe
machen, dass er prinzipiell eine andere Auffassung von ihnen
hat als Markus. Überdies zeigt gerade ein Text wie der vom
Sauerteige der Pharisäer besonders deutlich, wie er überall ge-
mildert hat. Die scharfen Worte, dass das Herz der Jünger
verstockt sei, dass sie Augen haben und doch nicht sehen,
bleiben fort. Das gelinde oliyoTzioTOL (lös) setzt Matthaeus
hinzu, und am Schlüsse folgt eine versöhnende Bemerkung:
da verstanden sie, dass er nicht gemeint hatte, sie
sollten sich vor dem Sauerteige der Pharisäer und Sad-
ducäer in Acht nehmen, sondern vor der Lehre der
Pharisäer und Sadducäer^).
So sind zwar einige momentane Schwächen der Erkennt-
nis im Bilde der Jünger zurückgeblieben. Aber diese belasten
sie nicht allzusehr.
Die durchgreifende Änderung, die Matthaeus vorgenommen
hat, ist unmittelbar verständlich. Reflexionen über die Natürlich-
1) Ähnlich ausser 1351 auch 17 13 (nach dorn Eliasgespräch).
160
keit oder Unnatürlichkeit des von Markus Berichteten haben
ihn dabei gewiss nicht bestimmt. Vielmehr war für seine dog-
matische Schätzung der Apostel das Bild des Markus nicht
mehr erträglich. Die scharfe Scheidung der Jünger vor der
Auferstehung und der späteren Jünger kennt er nicht mehr.
Dann musste ihm die Zeichnimg des Markus allerdings bedenk-
lich werden. Man möchte fast sagen, dass diese Entwicklung
von Mai'kus zu Matthaeus einmal kommen musste, wenn man
auch einen Zeitpunkt für diese Notwendigkeit nicht angeben
kann. Im übrigen sehen wir hier von einer neuen Seite, dass
der Gedanke von einer Verljorgenheit des Messias auf Erden,
wie ihn Markus zeigt, bei Matthaeus bereits sehr verblichen ist.
Das ist in gutem Einklänge mit dem, was über die Verbote
Jesu ermittelt wurde. Ich w^ürde freiHch nicht sagen, es sei ein
neuer Beweis für diesen Punkt.
In einer andern Beziehung hatte Matthaeus keinen Grund,
die Aussagen des Vorgängers über die Jünger zii ändern. Wir
erwarten, dass er für alles, was ihre besondere Dignität als Offen-
barungsempfänger und demnach ihre Scheidung von der Masse
angeht, mehr Sinn hai; als für ihren Unverstand und ihre Stumpfheit.
Und so ist es auch. Untergeordnete Abweichungen sind dabei
vorbehalten.
Scharf tiitt die Bevorzugung der Jünger vor dem Volke
im Parabelkapitel hervor. Schon in der Frage der Jünger
verrät sie sich. Denn sie fragen 13 lo, als wüssten sie Jesu
Antwort schon voraus:
warum redest du in Parabeln zu ihnen?^)
Im Übrigen bedarf es keiner weiteren Erörterung dieser Stelle.
So ei-scheinen auch nach der Parabel von der Verunreinigung die
Jünger wie bei Markus als die Empfänger der Deutung (15 12. 15).
Und ganz im Stile des Markus hat Matthaeus der Erkläning
des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen eine eigene,
wenn auch an Worte der Vorlage sich anlehnende, kleine Ein-
leitung vorangestellt. Jesus entlässt die Massen und begiebt
sich in das Haus. Dort bitten ihn dann die Jünger um die
Deutung 2).
1) Wernle, Synopt. Frage S. 165.
2) Das ist bei Matthaeus nichts Tadelnswertes — trotz 15 17.
161
Aber auch sonst wird mancher besonders wichtigen Belehrung
und Oftenbarung der private Charakter, wie ihn Markus betont,
ausdrückhch bewahrt. Die Jünger oder die Vertrauten sind mit
Jesus allein bei der Verklärung (17 1), bei der Frage, weshalb
die Austreibung des Dämons nicht gehngen wollte (17 lo), bei
der Leidensweissagung (20 17), bei der Frage nach den letzten
Dingen (243)^). Sonst sei noch erwähnt, dass auch die Berg-
rede als Jüngerbelehrung gedacht ist. Denn Jesus geht nach
5i, da er die Massen sieht, auf den Berg, und da treten die
Jünger zu ihm heran ^), die Lehre zu empfangen. Das ist freilich
am Schlüsse (728) wieder vergessen.
Vor allem darf hier aber der Zusatz zum Petrusbekenntnis
nicht übersehen werden, der Preis des Bekenntnisses und des
Bekenners. Ob dieser Text in seinem jetzigen Wortlaut ganz
dem ursprünglichen Matthaeus angehört, lasse ich unentschieden.
Dagegen nehme ich als wahrscheinlich an, dass Matthaeus den
Zusatz selbst gemacht hat. Das ist der nächste Gedanke. Eine
eigentliche Quelle scheint mir deshalb nicht wahrscheinlich, weil
es merkwürdig wäre, dass die ganze Szene — das darf man
sagen — nach Markus erzählt und nur ein einzelnes Wort aus
der zweiten Vorlage aufgenommen wäre. Und ohne das Be-
kenntnis wenigstens kann der Makarismus nicht existiert haben.
Prinzipiellen Anstoss kann der Gedanke an einen Zusatz des
Matthaeus doch auch nicht bereiten. Oder man müsste von
den zahlreichen apokryphen Herrenworten nichts gelernt haben,
die doch auch von irgend jemand geschaffen sein müssen. Dass
die Jünger etwas wissen, was der Menge unbekannt ist, sagte
schon der Markustext. Vielleicht auf Grund davon stellt nun
Matthaeus durch das neue Wort die Grösse der Jüngererkenntnis
ins Licht. Stammt es nicht von Matthaeus, so darf man in ihm
doch einen treuen Ausdruck seiner eigensten Gedanken finden.
Denn dass Jesu Wesen in seiner übernatürlichen Art nicht ohne
Weiteres erkennbar ist, meint natürlich auch er.
1) Die Worte über den Leidensweg der Jünger sind bei Mt. I624
ebenfalls an die Jünger gerichtet. Die Abweichung von Mr. 834 wurde
S. 138- berührt.
2) IlQoafji.{)^ov avTw ol fialhriTaC, sagt Matthaeus sehr gern, auch
wenn sie schon zuvor mit Jesus zusammen sind. T/Qoai^Qxsa&at gebraucht
er überhaupt öfter als alle sonstigen Schriften des N.T. zusammen.
Wrede, Messiasgobeimnis. H
162
Es Hessen sich noch mehr Züge für die Schätzung der
Jünger aus dem Evangehum sammehi. Unter ihnen tritt Petrus
durch manche Angabe noch stärker in den Vordergrund als bei
Markus 1). Das ist bekannt.
Auch diese dem Markus so nahestehenden Gedanken über
die Jünger empfangen durch den Zusammenhang des Ganzen
bei Matthaeus doch wieder einen etwas anderen Sinn als bei
Markus. Man kann ja auch bei Matthaeus von einer geheimen
Belehrung sprechen, und von hier aus versteht man auch wohl
besonders gut, dass der Evangelist dem Gedanken, die Messianität
Jesu solle nicht verkündet werden (I620), noch etwas abgewinnen
konnte. Indessen ist doch das Entscheidende nicht sowohl die
Heimlichkeit als die Besonderheit der Erkenntnis.
Bei Markus ist die Heimlichkeit der Offenbarungen
wesentlich, die ganze Erscheinung Jesu in ihrer höheren
und wahren Bedeutung muss verborgen bleiben. Matthaeus hat
diesen Gedanken nicht mehr. Nur Reste davon sind noch vor-
handen. Das Geheimnis ist ein gelegentliches Motiv der Er-
zählung, weil die Überlieferung es nun einmal darbot. Ein
wirklich beherrschendes Interesse hat dagegen für ihn der Ge-
danke, dass die Jünger die Lehre Christi und die wahre Er-
kenntnis seiner Person verbürgen und repräsentieren. Der Aus-
druck dafür ist ihm der Gedanke, dass Jesus ihnen giebt,
w as er der Menge vorenthält. Die Heimlichkeit ist also insofern
nicht das Wesenthche ; oder es ist nicht gedacht an den Unter-
schied zweier Zeiten, eine Zeit der Verborgenheit und eine Zeit
der Offenbarung. Vielleicht ist es auch nicht zufällig, dass der
Spruch von der Enthüllung des Verhüllten bei Matthaeus (10 26
vgl. 27) in einer anderen Beleuchtung steht als bei Markus. Er
redet zwar auch bei jenem von einem künftigen Offenbarmachen
1) 15i5 wird Petrus zugeschrieben, was Mr. 7 17 von deu Jüngern
sagt. Petrus wird auch sonst in späteren Berichten hervorgehoben, wo
der ältere ihn nicht nennt; vgl. Luk. 845 (0 IJstqos xcu ot avv avTcp)
und Mr. 531. Ich verstehe so auch das conversus dixit Simoni im Frag-
ment des Hebräerevangeliums vom reichen Jüngling (gegen Harnack,
Chronologie der altchristl. Literatur I S. 649). — Übrigens irrt,Wernle
Synopt. Frage S. 166, li>8, wenn er damit, dass Matthaeus über Markus
hinaus manches Anfechtbare von Petrus berichtet, die Güte der Nach-
richten des Markus über den Apostel erhärten will.
163
empfangener Geheimnisse durch die Jünger. Der Nachdruck
liegt aber doch nicht darauf, dass das Geheime kund werden
soll, sondern dass man dreist und furchtlos einst hinaus-
predigen soll, was man in der Stille vernommen.
Doch das mag unsicher sein. Jedenfalls lässt sich nicht
verkennen, dass die Anschauung des Matthaeus von den Jüngern
in ihrem Kerne nichts weiter ist als die allgemeine kirchliche
Anschauung, dass sie die massgebenden Zeugen des Lebens
Jesu und die Urempfänger und legitimen Repräsentanten seiner
Lehre sind.
Von der Christusanschauung des Matthaeusevangeliums im
Allgemeinen ist nicht die Rede gewesen. Sie braucht hier auch
nicht berührt zu werden. Das Zurücktreten der geheimen
Messianität bedeutet natürlich nicht, dass das Christusbild
menschlicher oder weniger metaphysisch und supranatm-al aus-
fällt als bei Markus. Der Eindruck könnte hier und da ent-
stehen, aber er entspricht nicht den wirklichen Gedanken des
Evangelisten. Das geht nicht l)los aus der Kindheitsgeschichte
des Evangeliums hervor.
Liikas.
Das dritte Evangelium macht in unserer Frage einen er-
heblich anderen Eindruck als Matthaeus. In den Überein-
stimmungen mit Markus wie in den Abweichungen bemerkt
man mehr Verschiedenes als Gemeinsames. Es drängt sich so
bald der Gedanke auf, dass die leitenden Anschauungen einiger-
massen verschieden sind. Die Auffassung des Lukas zu fixieren
bereitet aber besondere Schwierigkeit. Denn die Herübernahme
von Zügen des Markus lässt sich ebenso leicht missverstehen
wie die tlbergehung anderer, und die hellen Schlaglichter, die
das eine wie das andere sogleich l)eleuchteten, vermisst man im
Gegensatz zu Matthaeus. Wir können uns hier eben darum
auch nicht auf die eigentlichen Parallelen zu Markus beschränken ;
und wemi wir doch nach der eigenen Auffassung des Lukas
suchen, so ist in einem Evangelium, das in solchem Masse auf
Quellen ruht, auch aus diesem Grunde Vorsicht geboten. Eine
gewisse Hilfe gewährt es, dass wir von der Hand desselben
11*
164
Verfassers in der Apostelgeschichte noch ein zweites Werk
haben. Wo beide übereinstimmende Anschauungen zeigen, kann
man m. E. mit gewissen Kautelen annehmen, dass wir dem
Autor selbst gegenüberstehen. Der Versuch ein Verständnis zu
gewinnen muss jedenfalls gemacht werden.
Auf besondere Quellenhypothesen nehme ich auch hier, wo
man es vielleicht besonders erwartet, keine Rücksicht. Ich
oi)eriere nur mit der einfachen Voraussetzung, dass Lukas das
Markusevangelium vor sich gehabt hat, und dass er selber an
seiner Erzählung auch einigen Anteil hat. Das mag ein Mangel
sein, aber wollte ich mir erst durch eine Auseinandersetzung
mit neueren kritischen Auffassungen einen Boden bereiten, so
müsste ich darüber zunächst ein eigenes Buch schreiben.
Ich beginne mit einem sehr klaroi und zugleich sehr wert-
vollen Punkte.
Der Gedanke des Markus fordert, dass mit der Auferstehung
das Geheimnis der Erdenzeit der offenen Verkündigung weiche;
die Jünger aber müsseii mit diesem Augenblicke die Erkenntnis
gewinnen, die sie als Zeugen des irdischen Lebens Jesu nicht
finden konnten. Hiernach könnte man erwarten, dass Markus
in seinem Auferstehungsberichte von dem Aufgang dieser Er-
kenntnis oder von einer nunmehr verstandenen Belehrung
erzählt hätte. Nun fehlt dieser Auferstehungsbericht in der
Hauptsache. Sollen wir schliessen, dass der verlorene Schluss
des Evangeliums thatsächlich Derartiges enthalten hat? Mich
dünkt, dazu läge weit mehr Grund vor als zu dem Postulate,
dass der Markusschluss eine Restitution des Petrus nach seiner
Versündigung erzählt haben müsset). Ich möchte jedoch gar
keine Vermutung hierüljer aussprechen. Bei der Auferstehung
kommt für einen alten Christen so mancherlei in Betracht, dass
es immer misslich bleibt zu behaupten, er müsse gerade dies
und jenes besonders in der Erzählung ausgeprägt haben.
Indessen ist es von solcher Erwägung aus besonders schätz-
bar, dass uns der Auferstehungsbericht des Lukas nun wirklich
1) Kohrbach, Die Berichte über die Auferstehung Jesu Christi
(1898), S. 40. Kohrbach wagt auch (S. 56 ff.) die Vermutung, dass
ein Mt. 16 17 — 19 nahe verwandtes Wort im Markusschlusse gestanden
habe.
165
erzählt, wie der auferstandene Jesus den Jüngern das einst
Vei-schleierte durch ausdrückHche Belehrung förmlich aufdeckt.
Den Jüngern von Emmaus entgegnet er auf ihre bewegliche
und nur von leiser Ahnung erhellte Klage (24 25 f.):
0 ihr Unverständigen, deren Herz so schwer glaubt an
alles, was die Propheten geredet haben. Musste nicht
der Christus also leiden und in seine Herrhchkeit ein-
gehen ? 1)
Dies weist er ihnen denn aus den Weissagungen der Schriften
nach. Doch bei dieser Erzählung sind die Belehrungen Jesu
eng mit dem Gange der Geschichte verkjiüpft und könnten daher
durch ihn allein bedingt scheinen. Deshalb ist die spätere
Szene (2436—49) vor den Worten über das Scheiden Jesu für
uns noch bemerkenswerter.
Den Beweis, dass er der Auferstandene sei, hat hier Jesus
vor den versammelten Jüngern bereits geführt, indem er sich hat
betrachten und betasten lassen und vor aller Augen gegessen
hat. JDennoch greift er nun zurück auf die früher unfassbaren
Worte, ausdrücklich beinift er sich darauf, dass er den Jüngern
vorhergesagt ^), es müsse sich alles an ihm erfüllen, was in Gesetz^
Propheten und Psalmen geschrieben stehe, und »öffnet ihnen den
Verstand zur Einsicht in die Schriften«, die eben vom Leiden
und Auferstehen des Messias vornehmlich reden. Diese Belehrung
dient also nicht der unmittelbaren Überführung von der Realität
der Auferstehung, sie fliesst auch nicht wie der Hinweis
auf die künftige Aufgabe der Jünger oder die Verheissung des
Geistes aus dem naheliegenden Gedanken an die Zukunft, die
mit der Auferstehung sich eröffnet, sondern sie hat ihren Zweck
in sich selbst. Sie ist das Gegenbild oder die einfache Er-
gänzung zu der früheren Haltung der Jünger. Dem Rätsel
folgt die Lösung, das blinde Auge wird aufgethan.
Die gleiche Anschauung hat aber auch in dem Parallel-
berichte der Apostelgeschichte Ausdruck gefunden (Act. 1 3). Die
Belehrungen, in denen Jesus während der vierzig Tage ra Tteql
TTJg [-^aoileiag xov &eoü behandelt, sind gewiss in erster Linie
nach der Analogie von Luk. 24 3) zu verstehen, wobei natürlich
1) Nach Weizsäckers Übersetzung.
2) 2444: (JVTOi Ol koyoi fiov ovg iXcilrjaa ttqos im«? in uJv avv i\utr xtI.
3) Vgl. auch Wen dt bei Meyer" z. St.
166
die Zukunftspersi^ektive (Y. 47 fF.) mit in Frage kommt. Der Ausdruck
Tcc nsQi TYß ßaaileiag tov dsov wird wieder formelhaft gemeint
sein, so dass die Yorstellung des Reiches nicht zw betonen ist^).
Lukas giebt also Act. Is keineswegs eine leere Bestimmung, bei
der er sich nichts Näheres gedacht hätte, sondern der unljestimmte
Ausdruck ist die Abbre\'iatur einer ganz bestimmten Anschauung.
Die Idee einer zweiten und höheren Periode der Jünger-
belehrung, die weiterhin in der Geschichte eine erhöhte Be-
deutung gewinnt, steht demnach hier, wo sie uns zum ersten
Male begegnet, in unverkennl)arem Zusammenhange mit der An-
schauung, die "wir verfolgen.
Das Geheimnis, um das es sich hier handelt, ist die Not-
wendigkeit des Leidens und Sterbens. Es ist daher keine
Überraschung, dass Lukas bei den Leidensweissagungen die Er-
klänmgen des älteren EvangeHsten über die Jünger ungeschwächt
aufnimmt. Er überbietet sie beinah noch. Die Stelle Mr. 9io
— nach dem Wort über die Auferstehung — lässt er freilich
aus. Dagegen sagt er 945 nach der »zweiten« Leidens-
weissagung :
Sie aber verstanden das Wort nicht, und es war vor ihnen
verborgen, damit {iva) sie es nicht begreifen
sollten, und sie fürchteten sich, ihn über dies Wort zu
fi'agen.
Der Gedanke der göttlichen Absicht bei diesem Nichtbegreifen
ist nicht abzuschwächen. Bei der dritten Leidensweissagung 2)
aber übergeht Lukas zwar die Einleitung vom Voranschreiten
Jesu nach Jerusalem, aber wie zum Ersätze bildet er eine der
vorigen gleichartige Bemerkung neu(1834):
Und sie verstanden nichts von diesen Dingen, und es
war dieses Wort vor ihnen verborgen, und sie begriffen
das Gesagte nicht.
Dieser Punkt ist also vollkommen deutlich. Damit ist jedoch
nicht ausgemacht, dass Lukas überhaupt die Ansicht des
1) Vgl. oben S. 57 f. le halte ich nicht für einen Gegengrund.
2) Jesus weist hier darauf hin, dass das Leiden u. s. w. in der
Schrift geweissagt sei. Die Voraussagung des Leidens durch Jesus
tritt bald als ein selbständiges apologetisches Motiv neben der Voraus-
sagung durch die Schrift hervor, bald sind beide Gedanken kombiniert,
indem Jesus die Schriftweissagung geltend macht.
167
Markus von den Jüngern teilt. Wie erscheinen sie bei ihm
abgesehen von den Weissagungen?
Dass sie auch hier vom Volke unterschieden werden und
Lehren empfangen, von denen das Volk ausgeschlossen bleibt,
verstellt sich fast von selbst. Sie dürfen schauen, was viele
Propheten und Könige vergebhch zu schauen begehrten (l023f.).
Es kann nicht darauf ankommen, unbedeutende Abweichungen
von Markus zu registrieren, die es auch in dieser Hinsicht giebt.
Wir fragen nur nach dem Urteil über die Erkenntnis und den
Glauben der Jünger.
Nimmt man das Lukasevangehum ganz für sich, so wird
man doch einen wesentlich andern Eindruck empfangen als bei
Markus. Die Thorheit und Blindheit der Jünger ist im All-
gemeinen kein hervorstechender Zug der Schilderung. Der
Vergleich mit Markus lässt das näher erkennen.
Eine Rüge über verkehrtes Fragen nach »den Parabeln«
spricht Jesus auch hier nicht aus, obgleich die Frage der Jünger
(89) eine solche veranlassen könnte. Die stärksten Beweise der
Verständiiislosigkeit bei Markus — vgl. 652, Sieff. — kehren
nicht wieder. Das Schlafen der Jünger in Gethsemane — denn
die Jünger, nicht blos die Vertrauten lässt Lukas anwesend^ sein
— scheint durch die Motivierung: sie schliefen ano r^g h'Tnqg,
zu einer Äusserung entschuldbarer und fast rührender mensch-
licher Schwäche zu werden (2245); das dreimalige Schlafen
fällt fort. Der Schlaf bei der Verklärung, den Lukas wohl nach
dieser Gebetsszene eingeführt hat (932), wird schon deshalb keinen
besonderen Tadel der Jünger ausdrücken. Vielleicht soll er die
thörichte Rede des Petrus erklären i). Die Szene scheint bei
Lukas als Nachtszene gedacht zu sein. Der Bericht, nach dem
Petrus sich der Leidenseröffnung widersetzt, bleibt fort. Die
Vermutung, dass Lukas die Anrede des Petrus als Satan zu
stark war, ist kaum abzuweisen. Aber deshalb brauchte die
ganze Szene noch nicht gestrichen zu werden. Lukas wird noch
mehr missfallen haben, z. B. das respektlose eTTiTi^iav des Petrus,
aber überhaupt die ganze Disharmonie zwischen Jünger und
Meister. Die Flucht der Jünger (Mr. 14 so) wird ebenfalls von
1) Volkmar S. 458 f.
168
Lukas übergangen. Liegt in seiner Meinung, class die Er-
scheinungen des Auferstandenen in Jemsalem stattfinden, eine
genügende Erklärung? Eine momentane Flucht war dadurch
ja nicht ausgeschlossen. Die entsprechende Weissagung (Mr.
1427.28) fehlt ebenfalls ganz, nicht etwablos das Wort vom Vor-
angehen nach Galilaea. Das Wort an Simon, das gewisser-
massen an die Stelle tritt (Luk. 22 31 f.), klingt wesentHch milder.
Eine (TCgenrechnung lässt sich nun allerdings auch bei
Lukas aufstellen. Xach dem Seestunn fi-agt Jesus (825):
Wo ist euer Glaube?
und voll Furcht und Verwuudenmg fragen die Jünger wie bei
Markus :
Wer ist denn dieser, dass er auch den Winden gebietet
und dem Wasser, und sie gehorchen ihm?
Die Jünger bleiben ferner unfähig, den Dämon aus dem Knaben
auszutreiben, trotz ihrer Ausrüstung mit der Macht über die
Dämonen (9i), und die Rüge des »ungläubigen und verkehrten
Geschlechtes« könnte zur Not auch hier (9 41) auf die Jünger
gehen. Wahrscheinlich ist es mir freilich nicht; denn in dem
folgenden Wort:
führe deinen Sohn her,
wird der Vater des Knaben angeredet. Von der (piloverKia
der Jünger zu sprechen hat Lukas sich nicht gescheut (22 24).
Besonders aber kann man sagen, dass das Ausbleiben ge-
rade der gröbsten Züge des Markus (652, Sieff.; vgl. auch Tis)
nichts beweise, da sie der sog. »grossen Lücke« des Lukas
(Mr. 640 — 826) angehören. Ich glaube nun allerdings, dass Lukas
auch diese Partie des Markus gekannt hati), dass er das Wort
vom Sauerteig der Pharisäer (12 1) auch nur aus Markus hat,
und dass er nicht von ungefähr statt des jämmerlichen Missver-
ständnisses der Jünger nur die kurze Deutung des »Sauer-
teigs« anschhesst:
der da ist die Heuchelei.
Immerliin ist das eine Streitfrage, und der Beweis, dass Lukas
an jenen Bemerkungen des Markus Anstoss genommen hat,
lässt sich nicht führen.
1) We rille, Synopt. Frage S. 5. Anders z. B. J. Weiss in dem
Exkurse zu Luk. 9 17 (Komm. S. 432 ff.).
169
So offen wie bei Matthaeus liegt nach dem allen die Sache
bei Lukas freilich nicht. Man wird ja auch in Anschlag bringen
müssen, dass Milderungen im Einzelnen sich mit dem Festhalten
der Hauptsache recht wohl verbinden könnten. Gerade einem
Lukas wäre es zuzutrauen, dass er aus Rücksichten der Ver-
ständigkeit oder aus ästhetischen Rücksichten manches allzu
Krasse beseitigt hätte. Gleichwohl spricht ein sehr starker Ein-
dinick dafür, dass Lukas die Anschauung des Markus von der
Unfähigkeit der Jünger nicht mehr hat, und das Beibehalten
mancher Züge bereitet dabei keine Schwierigkeit. Es kommt
nämhch noch hinzu, dass er in seinen eigenen Zuthaten, soviel
ich sehe, nirgends darauf ausgeht, die Schwäche der Jünger her-
vorzuheben. Im Gegenteil liegen da ein paar Äusserungen vor,
wie sie Markus kaum geschrieben hätte.
Die Jünger erhalten z. B. 22-28 folgenden Lobspruch:
Ihr seid es, die bei mir ausgeharrt haben in meinen An-
fechtungen.
Doch mag dies nichts beweisen, da ich nicht bewiesen habe,
<lass das Wort von Lukas selbst ist. Charakteristisch erscheint
mir jedoch das Wort der emmauntischen Jünger (242i):
wir (aber) hofften, er sei der, der Israel erlösen soll.
Hierin wird man jedenfalls des Lukas eigene Vorstellung wieder-
finden dürfen '). Mir scheint, Markus hätte so die Jünger vor
der Auferstehung nicht charakterisiert.
Ist das Bisherige im Wesentlichen richtig, so folgt, dass
bei Lukas die Auffassung des Markus von den Jüngern nur in
einem bestimmten Punkte wirklich lebendig ist: verständnis-
los stehen sie dem Leiden Jesu gegenüber. Das bedarf
aber der Verdeutlichung.
Lukas giebt schon in jenem Wort der Emmausjünger
zu erkennen, wie er sich die Jünger näher denkt. Sie waren
Israeliten und teilten daher die Erwartung Israels. Darum gieng
alle ihre Hoffnung nur auf die Erlösung und Befreiung des
Volkes. Das Leiden Jesu musste ihnen so etwas Fremdes und
etwas Vernichtendes sein.
In der Apostelgeschichte begegnet uns eine nah verwandte
Vorstellung. Act. le richten die Jünger an Jesus die Frage:
1) Vgl. das Folgende.
170
Herr, stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich
wieder her?
Das ist nicht nach dem Sinne des Verfassers selbst gefragt, wie
er denn in der Antwort Jesu (V. 8) indirekt eine Konjektur
dieses partikularistischen Gedankens giebt. Aber er nimmt an,
dass die Jünger damals im Gegensatze zur späteren Zeit
so jüdisch -partikularistisch denken^). Offenbar sind sie hier
trotz der geschehenen Auferstehung noch auf dem alten Stand-
punkte gedacht. Weshallj, wird sich später von sell)st er-
geben.
Aus der gleichen Vorstellung ist auch die Bemerkung
Luk. 19 11 geflossen. Jesus nähert sich Jerusalem, diesem von
Lukas seit 9.51 immer wieder ins Gedächtnis gerufenen 2) Ziele —
seiner Wanderung und in Wahrheit der ganzen Geschiclite. Die
Nähe der Königsstadt Jerusalem bringt die begleitende Volks-
menge auf die Meinung,
nun müsse alsbald das Reich Gottes erscheinen.
Dieser Erwartung steuert dann das Gleichnis von den Minen
(Pfunden). Dejm der vornehme Mann, der in ein fernes Land
reist (vor dem Antritt der Herrschaft), ist für Lukas Jesus. Dass
der Evangelist — denn gewiss redet er hier — ganz dieselbe
Meinung den Jüngern hätte zuschreiben können, zeigt eben Act. le.
Lukas legt also den Jüngern als Juden eine Messiaser-
wartung bei, die man immerhin national-pohtisch heissen mag.
Um so mehr ist zu betonen, dass er die früher besprochene
Auffassung, mit der man alle Evangelien zu interpretieren pflegt,
doch nicht hegt.
Auch er denkt nicht an eine Furcht Jesu, weltlichen Hoff-
nungen Vorschub zu leisten, an die Besorgnis, falsche Be-
geisterung bei den Jüngern und im Volke wachzurufen oder
das Auge der römischen Obrigkeit auf sich zu lenken. Ich
finde nichts, was darauf hindeutete. Die Jünger verhalten sich
doch auch, ebenso wie das Volk, völlig passiv und zuwartend,
obwohl sie ihn mit der Hoffnung, er werde Israel das Reich
aufrichten, immerfort begleiten. Ihre Vorstellung erscheint
eigentlich auch gar nicht als Äusserung einer fleischlichen, un-
1) Vgl. meine Bemerkungen, Göttingor gel. Anz. 1895, S. 499 f.,
sowie Ov erb eck und Wen dt z. St.
2) 953, 1322, 17 11, 18 31, 19 11. 28.
171
etliisclien Sinnesart. Dass sie öoBcc vom Messias und beim
Messias erwarten, ist gar nicht verkehrt. Denn auf sie strebt
ja auch Jesus zu. Sie wissen nur nicht den AVeg, der zu ilu-
führt 1). Und dies Nichtwissen ist — freiheh neben dem irrigen
Partikularismus — alles, worauf es ankommt. Ihre Erwartung
verschliesst ihnen ein göttliches Geheimnis, das ist es, was der
Evangelist sagen will. Nicht die möglichen Folgen ihrer Ge-
danken, nicht die Gesinnung, aus der sie stammen, sondern die
beschränkte Einsicht, das Verkennen des göttlichen Heilsplans
ist zu betonen.
Vergleicht man nuii diese Anschauung mit der des Markus,
so scheint diese s. z. s. historisiert zu sein. Ich sage damit nicht,
dass Lukas eine historisch lichtige, sondern nur, dass er eine
historisch geartete Vorstellung hat. Bei Markus ist den Jüngern
das Leiden und Auferstehen des Messias wie alles Andere, was
die Messianität angeht, an sich verborgen, vermöge einer
inhärenten Unfähigkeit zu verstehen und zu glauben. Bei Lukas
ist die Unverständlichkeit des Leidensgedankens durch die ge-
schichtliche Stellung der Jünger bedingt. Trotzdem ist es nur
eine sehr halbe Historisierung. Denn die Vorstellung von der
Notw^endigkeit des Leidens und Auferstehens bleibt durchaus
dogmatisch, das Wissen darum ist nicht durch ein Verständnis
geschichtlicher Gegensätze und Vorgänge oder persönlicher Ent-
wickelungen Jesu zu erlangen, sondern nur durch Offenbarung,
durch eine Erkenntnis der Schrift, wie sie zu Lebzeiten Jesu
niemand haben konnte. Dem entsprechen denn die Angaben
über den Eindruck der Weissagungen durchaus. Auch bei
Lukas lauten sie nicht danach, als handle es sich um einen
Verständnisraaugel, der in der bisherigen Gewöhnung an ein
jüdisches Messiasideal seine natürliche Erklärung fände. Sie
sollten es nicht merken! Gott selbst verbarg es ihnen 2). Auch
hier hören sie nur den Schall der Worte, der Sinn ist ihnen
nicht blos befremdlich, sie finden überhaupt keinen Sinn heraus.
1) Man könnte bei Lukas den Eindruck haben, dass das Leiden ihm
mehr als das Unverstandliche gilt als die Auferstehung. Mr. 9 10 lässt
er aus. In der Weissagung 944 fehlt die Aufersteliung. Die Erwägung
ist indessen unsicher.
2) Das klingt für die Jünger milder als die Ausdrucksweise des
Markus.
172
Aber dies nimmt sich dennoch anders aus als bei Markus,
weil s. z. s. die Natur der Jünger anders vorgestellt ist.
Natürlich hat Lukas seine Anschauung nicht auf dem "Wege
der Reflexion gewonnen, als hätte er wie modenie Exegeten
gefragt: yne konnten die so klaren Weissagungen Jesu über
das Leiden unbegriffen bleiben? und wäre dann auf die Aus-
kunft verfallen: die Jünger mussten als Juden für den leiden-
den Messias unempfänglich sein. Gerade dann müsste ihre
Haltung ganz anders, nämlich rationell, geschildert sein. Deut-
lich ist dagegen, dass in der Vorstellung des Lukas zweierlei
zusammengeschmolzen ist, was zunächst nichts mit einander zu
thun hat, nämlich eine allgemeine Anschauung über den jüdischen
Horizont der Jünger und der dogmatische Gedanke vom
Mysterium des Leidens.
Wie steht Lukas zu dem andern Hauptpunkte, zur geflissent-
lichen Verhüllung der Messianität dm'ch Jesus? Einige Statistik
ist auch bei dieser Frage am Platze.
Der Kampf Jesu gegen das Dämonen- und Teufelsreich tiitt
bei Lukas so stark hervor, dass man den Versuch machen
konnte, seine Dämonologie gesondert darzustellen i). So sind
denn die Züge des Markus, die dies Gebiet betreffen, hier \ie\
treuer bewahrt als bei Matthaeus. Der Dämonische von Kaphar-
naum mit der Messiasbegrüssung und der Abwehr Jesu begegnet
uns 4 33 ff. In der Schilderang 4«» f. wird dann abermals dies
dämonische Messiasbekenntnis formuliert 2), und hier untei-sagt
Jesus den Dämonen zu verkünden,
dass 3) sie wüssten, er sei der Christus.
Li der Schilderung 6i7 — lo fehlt freilich eine Wiederholung, wie
sie nach Mr. 3ii. r2 angezeigt wäre. Das kann seinen Gnind
darin haben, dass Lukas eben nicht wiederholen will; überdies
erinnert 44if. einigermassen an diese Stelle.
Im Übrigen finden wir das Verbot Jesu sowohl beim Aus-
sätzigen wie bei der Auferweckung der Jairustochter. Hier er-
1) Campbell, Critical Studies in St. Luke"s gospel (I. The derao-
nology of tlie third gospel) 1891. Darüber J. Weiss. Theol. Lit. Ztg.
1892, col. 64 ff.
2) Vgl. 828 = Mr. 57
3) ort dass bei Lukas, nicbt, wie Mr. l34, weil. S. Volk mar lOOf.
173
sclieiiieii auch die Vertrauten. Der Belelil zu schweigen wird
freihch nur den Eltern des Mädchens zu Teil. Wenn dagegen
Mr. 736, 826, 724 kein Äquivalent finden, so kann das nicht be-
sonders auffallen, da die ganzen Geschichten vom Taubstummen,
Bhnden von Bethsaida sowie von der Kanaanäerin wieder zur
»grossen Lücke« gehören, d. h. fehlen. Ob jene Verse Lukas
mitbestimmt haben, die Geschichten auszulassen, muss natürlich
ganz dahingestellt bleiben. Der Bericht von Mr. 1 35 — 3'j über das
Aufsuchen der Einsamkeit und anderer Ortschaften ist im
Wesentlichen 4 42 ff. wiederholt i).
Aus alle dem lassen sich keine Schlüsse ziehen. Es wäre
hiernach möglich, dass Lukas den Gedanken des Markus teilt,
ebensogut kann er auch das Einzelne mit eigenen, uns uner-
kennbaren Hintergedanken übernommen haben, ja vielleicht so-
gar ohne eine bestimmte Reflexion über den Grund des Ver-
haltens Jesu. Denn in den genannten Partieen schhesst er sich
überhaupt viel treuer an Markus an als Matthaeus. Es fragt
sich, ob nicht bestimmte Fingerzeige nach der einen oder anderen
Seite weisen.
Eine Veränderung zeigt die Geschichte vom Gerasener.
Der Befehl Jesu an den Geheilten lautet fast wie bei Markus
(Luk. 839):
Kehre zurück in dein Haus und erzähle, was dir Gott
(Mr.: 0 yiVQiog) befohlen hat;
die Fortsetzung aber weiss nichts von einer Predigt in der
Dekapolis. Lukas sagt:
Und er gieng fort, in der ganzen Stadt verkündend,
was ihm Jesus gethan hatte.
Dass der Evangelist sich an dem Namen Dekapolis gestossen
habe, ist wohl nicht anzunehmen. Er ist ihm schwerhch fremd
gewesen. Vernmtlich hat er geändert, weil ihm der Satz des
Markus nicht zum Befehl Jesu zu passen schien.
Li der Geschichte vom Aussätzigen hat ihm offenbar der
Ungehorsam des Geheilten, der allenthalben verkündete, was er
verschweigen sollte, nicht gefallen. Denn er ersetzt hier den
Markustext durch eine neutrale Wendung (5 15):
1) Vgl. zu Mr. I45 die Parallele Luk. 5i5f.
174
Es verbreitete sich aber (dir^Qxeio) vielmehr die Kunde
von ihm.
So könnte er an unserer Stelle den Ungehorsam wenigstens
mildern -wollen, indem er die Dekapolis auf »die ganze Stadt«
reduzierte.
Allein näher wird ein anderer Gedanke liegen: Lukas hat
den negativen Sinn des Befehles bei Markus überhaupt nicht
mehr verstanden. Er dachte an eine wirkhche Aufforderung
Jesu, die That auszubreiten. Das Verkünden in der Dekapolis
"svar nun aber doch befremdend,, da Jesus den Kranken nach
Hause ver-wiesen hatte. Deshall) redet er von einem Ausnifen
in der ganzen Stadt. Damit richtet der Dämonische gerade
den Auftrag Jesu aus, nur noch reichlicher, als Jesus es un-
mittelbar vorgeschrieben hatte ^).
Doch wie man auch erkläre, besondere Folgerungen erlaubt
diese Abweichung von Markus sicher nicht. Fand Lukas einen
Widerspruch zwischen dem Gebot und dem Verhalten des
Mannes, so war ihm das Gebot (im negativen Sinne) jedenfalls
nicht anstössig. Hat er das Gebot, wie ich glaulje, schon nicht
mehr verstanden, so folgt daraus doch nichts für sein Verständnis
der sonstigen Gebote des Markus; denn es kann durch die eigen-
tümliche Formulierung in diesem speziellen Falle bedingt sein 2),
Eine Auslassung bemerken wir bei der zweiten Leidens-
weissagung (Luk. 943 — 4ö). Das heimhche Reisen in Galilaea,
das geflissentliche Sichverljergen Jesu wird da nicht berichtet.
Ist die geographische Bestimmung nicht nach dem Sinne des Lukas
gewesen ? Man sieht das nicht ein. Jedenfalls ist beachtenswert,
dass er den Gedanken der Heimlichkeit ganz tilgt. Schien sie
ihm unnötig und darum unbegreiflich? Das Haus in Kaphar-
naum (Mr. 9:33) wird auch nicht genannt. Der Zusammenhang
der Markuserzählung ist dabei festgehalten : zuei'st der dämonische
Knabe, dann die Weissagung, darauf die Streitfrage der Jünger.
Fast noch auffallender ist die Änderung, die sich nach der
"Verklärungsgeschichte findet. Der Befehl Jesu fällt nämlich
1) Das nobg roig oovg (Mr. 5i9) hat Lukas nicht.
2) Ähnlich ist es, wenn Lukas die dem Aussätzigen gegebene
"Weisung zum Priester zu gehen (5i4) nicht mehr im Sinne des Markus
versteht. Denn dies scheint aus der Verwendung des Zuges in der
verwandten Geschichte 17i4 hervorzugehen.
175
fort. Statt dessen wird der Erzählung folgende Schlussbemerkung
beigefügt [Qm):
Und sie schwiegen und verkündeten niemand in jenen
Tagen irgend etwas von dem, was sie gesehen hatten.
Lukas wird bei diesen »Tagen«, wie ihn seine Vorlage (Mr. 9o)
anleitete, an die Zeit bis zur Auferstehung gedacht haben. Das
salyriaccv kann man als eine Bezugnahme auf das tov Xöyov ^)
ly-gdvi^oai' des Markus verstehen. Aber wie kommt es, dass
der Befehl Jesu übergangen wird? Der erste Gedanke ist:
Lukas hat nicht mehr gewusst, weshalb Jesus das Schweigen ver-
langen sollte. Gerade wenn man voraussetzt, dass ihm die
Markusanschauung wirklich durchsichtig und geläufig gewesen
wäre, sollte man erwarten, dass er hier nicht geändert hätte.
Denn für sie ist es wesentlich, dass Jesus das Geheimnis Avill,
Bei Lukas erscheint nun das Schweigen der Jünger wie etwas,
was berichtet wird, weil es nun einmal stattgefunden hat 2).
Eine recht bemerkenswerte Modifikation des Markustextes
zeigt der Bericht über das Petrusbekenntnis. Lukas verbindet
die Leidensweissagung mit dem Verbote zu einem Ganzen (9 21):
Er aber l)edrohte sie und befahl ihnen, dies niemand
mitzuteilen, indem er sagte (eln-iov), des Menschen
Sohn müsse viel leiden u. s. w.
Man hat beobachtet, dass Lukas die stilistische Gewohnheit hat,
zwei dm'ch y.cd verbundene Hauptsätze der Vorlage durch einen
Hauptsatz mit Participium zu ersetzen 3). Man fragt aber: wie
kami er das in diesem Falle? Ein Zusammenhang zwischen
Verbot und Weissagung ist zunächst gar nicht leicht ersichtlich.
Für Lukas muss er aber doch bestehen. Dass das eiTtiov eine
Begründung giebt, ist gewiss eine richtige Annahme der meisten
Erklärer. Was soll es dann heissen: schweigt darüber, dass
ich der Christus Gottes bin; denn ich muss leiden, sterben und
auferstehen ?
Man erläutert: durch das Reden würde Anlass zur Er-
regung der unreinen politischen Messiasideale im Volke gegeben
werden; Jesus aber wolle eine andere Messianität^). Aber ab-
1) Von Luk. dann auf das Verbot bezogen.
2) Vgl. Volkmar S. 45i».
3) S. den Nachweis l)ei Wer nie, Synoiit. Frage Ö. 21 ft'.
4) So z. B. Holtzmann.
176
gesehen von schon geäusserten Bedenken : wer kann das aus dem
Satze heraushören? Eine andere Ergänzung hiutet: würden diu'ch
das Reden Hoffnungen im Volke eiTegt, so könnte dies den
Vollzug des von Gott beschlossenen Leidensschicksals durch-
kreuzen *). Aber das klingt künstlich und lässt sich durch sonstige
Anschauungen des Evangelisten kaum stützen.
Mir scheint nur folgende Auffassung möglich^). Noch ist
die Zeit nicht da, wo Jesus als der Christus Gottes dastehen
kann ; erst muss er noch leiden, sterben und auferstehen. Des-
halb geht es einstweilen noch nicht an, ihn als den Christus zu
verkündigen. Man mag immerhin auch sagen: die verfrühte
Verkündigung würde eine irrige Meinung im Volke erwecken.
Der Irrtum bestände darin, dass man die dot^a des Christus
schon jetzt erwartete, oder auch darin, dass man die Notwendig-
keit des Leidens übersähe. Das wäre ja etwas Anderes als
eine Furcht Jesu vor gefährlichen Demonstrationen.
Ich führe dies absichtlich noch weitläufig aus, obwohl die
Sache eigentlich schon gesagt ist. Für den Markustext wm'de
ja bereits ein entsprechender Zusammenhang zwischen Verbot
und Weissagung vermutet, ^j Wir haben hier eine Bestätigung
der Vermutung; an diesem Punkte ist aber die Hauptsache,
dass Lukas hier ein gutes Verständnis des Markus zu verraten
scheint.
Eine Parallele zu dieser Stelle darf man in dem schon
angezogenen, bald folgenden Berichte finden, der die zweite
Leidensweissagung bringt (943.44). Lukas giebt hier eine Ein-
leitung, die nm' ihm selbst zugeschrieben werden kann. Sie
dient dazu, die Geschichte vom dämonischen Knaben mit der
Weissagung zu verbinden. Es heisst:
^3 (Sie wm'den aber alle betroffen über Gottes gewaltiger
Macht). Da aber alle sich wunderten über alles, was
Jesus that [nämlich an Wundern], sprach er zu seinen
Jüngern: ^^ nehmet ihr [betont!] euch diese [sc. die fol-
genden] Worte zu Ohren: der Sohn des Menschen wird
1) So z. B. Meyer.
2) Das Kichtige besonders bei DalmanI S. 252. Vgl. auch von
Hof mann und J. Weiss z. St.
3) S. 123 f.
177
nämlich (yctg) ausgeliefert werden in die Hände der
Menschen,
Hier soll doch das Dunkel der Leidensweissagung — die
Ankündigung der Auferstehung fehlt — gewiss einen Gegen-
satz bilden zu der hellen Stnnniung der Menge. Das Volk ist
voll Bewunderung und Hoffnung i). Die Jünger sollen sich da-
durch von ihm unterscheiden, dass sie merken: noch steht das
Schwerste bevor, erst geht es in die Tiefe. So sieht die freu-
dige Stimmung der Menge wie etwas Vorzeitiges, fast wie ein
Irrtum aus. Das ist in der That mit 92if. nah verwandt.
Soll nun das ganze Leidensdrama erst vor der Verkündigung
des Messias sich abspielen, so scheint das, wie gesagt, nichts
Anderes zu sein als der Gedanke des Markus, dass der Messias
erst nach der Auferstehung kund werden kann.
Nichtsdestoweniger bleibt der Eindruck, dass Lukas diesen
Gedanken nicht nur zurücktreten lässt, sondern ihn auch nicht
wirklich hat, so verwandt seine eigene Vorstellung sein mag.
Die Spuren davon, dass er mit der Heimlichkeit Jesu nichts
mehr anzufangen weiss, lassen sich doch nicht übersehen. Da-
zu kommt, dass er, der seiner Darstellung doch zweifellos eine
eigene Färbung gegeben hat und gewisse Motive, die ihm wert-
voll sind, erkennbar genug zum Ausdruck bringt, niemals, so
viel ich sehe, von sich aus das Geheimnis in die Geschichte ein-
führt. Und wiederum finden sich positive Züge, in denen wir
seine Hand erkennen dürfen, die in dieselbe Richtung weisen.
Zwei Momente wenigstens sind m. E. nicht ohne Bedeutung.
Programmartig hat Lukas an den Anfang der Wirksamkeit
Jesu die Szene in der Synagoge von Nazaret 4i6 — 30 gestellt.
Hier liest er das Wort des Jesaja (61 1.2) von der Salbung zum
messianischem Berufe vor und spricht dann:
Heute ist diese Schrift erfüllt worden vor euren Ohren.
Das ist doch nichts Anderes als eine messianische Selbstprokla-
mation. Und wenn nun Lukas sehr wahrscheinhch selbst diese
Szene, soweit sie sich von Markus entfernt, gebildet, sicher aber
sie als bezeichnende Einleitung der folgenden Geschichtsdar-
stellung gedacht hat, so hat man doch den Eindruck: er thut
hier etwas, was Markus kaum gethan hätte. So viele Wider-
1) Vgl. Holtznianu z, St.
Wrode, Mossiasgeheimnis. 12
178
Sprüche mit dem Gedanken der geheimen Messianität sich bei
Markus finden mögen, dieser ist anders beschaffen. Er sieht
aus wie eine Verleugnung des Gedankens selbst.
Sodann hat Lukas doch wohl eine andere Vorstellung vom
Verhältnis des Volkes zu Jesus. Das Volk erscheint zwar nicht
im Besitz der Erkenntnis, dass er der Messias ist, aber es er-
wartet in Hoffnung, dass er es werden wird, täuscht sich freilich
insofern, als es an Leiden und Todesurteil nicht denkt. Deut-
lich ist namentlich die Bemerkung 19ii (vgl. 943 f.). ^) Das sieht
auch anders aus, als wenn ihm das Wissen um die Messianität
ängstlich verheimlicht wird.
Es bleibe hier bei der Feststellung der widerstreitenden
Eindrücke. (Jb sich eine klarere Vorstellung gewinnen lässt,
wird sich später zeigen.
Das Ergebnis für die beiden Synoptiker lässt sich einst-
weilen so zusammenfassen:
Matthaeus hat für uns eigentlich kein weiteres Interesse,
als dass wir an ihm sehen, wie die Anschauung des Markus
verschwindet. Überbleibsel davon sind genug vorhanden.
Aber dass Jesus die Messianität verbu-gt, hat keine wirkliche
Bedeutung mehr. Die Beurteilung des Jüngerverständnisses ist
positiv eine andere.
Lukas steht dem Markus entschieden näher. Die Geheim-
haltung der Messianität scheint zwar auch für ihn nicht mehr
ein lebendiger Gedanke zu sein, aber man hat doch den Ein-
druck, dass er ihm noch etwas abgewinnen kann. Die Auf-
fassung der Jünger ist auch eine andere, günstigere geworden,
aber ein fester und wichtiger Gedanke bleibt es, dass sie für das
Geheimnis des Leidens, Sterbens und Auferstehens ohne Ver-
ständnis sind; der Sinn des Gedankens sieht freilich A\äeder
etwas anders aus als bei Markus, eben weil die Grundansicht
von den Jüngern eine andere ist. —
1) Lukas hat die Vorstellung, dass Jesus bis in sein Todesleiden
von der Sympathie des Volkes oder doch grösserer Volksmassen ge-
tragen wird. Die jüdische Obrigkeit steht natürlich anders. Vgl.
ausser 19ii: 1948, 2045, 2138, 222.6, 2337.48 (hier ist doch wohl nur an
Trauer gedacht, trotz Syr. Cur.), auch 1937, 206, 232.5.
179
Auch in diesem Gesamtergebnis kann uns die Untersuchung
des Matthaeus und Lukas die Richtigkeit unserer kritischen
Voraussetzung, dass Markus beiden zu Grunde liege, nur be-
stätigen. Bei Markus haben wir eine zwar keineswegs wider-
spruchsfreie, aber doch die ganze Erzählung deutlich beherr-
schende Gesamtanschauung. Man versuche hier Matthaeus als
Quelle des Markus zu denken ; man stelle sich vor, dass Markus
die fragmentarischen Momente des Matthaeusberichts erweitert,
ergänzt und zu einer geschlossenen Auffassung umgebildet hätte.
Das Verhältnis des Lukas zu Markus wird ohnehin heute nicht
leicht so angesehen werden. Aber man ninunt ja an, dass unser
Markus sekundär sei gegenüber einer Gestalt des EvangeUuras,
wie sie Lukas benutzt hätte, dass er mithin insofern nicht vor
Lukas stehe. Ich denke, auch dieser Auffassung ist unsere
Untersuchung nicht günstig. Sollen Züge wie Mr. 7i8.24.36
8 16 f. 26, die so trefflich zum Übrigen passen, erst von einem Be-
arbeiter des Markus geschaffen worden sein? Ob materiell die
Anschauung vom geheimen Christus leichter als etwas Altes, in
den späteren Evangelien Verschwindendes gedacht werden kann
oder umgekehi't, soll dabei ganz ausser Frage bleiben.
2.
Jolianues.
Die Anschauung des Johannesevangeliums von Jesus wird
nicht durch den Messiasbegriff charakterisiert. Zwar ist er für
das Evangelium nicht ohne Bedeutung. Schon die Polemik
gegen die jüdische Kirche, die das Evangelium von Anfang bis
zu Ende dm'chzieht'), macht ihn dem EvangeHsten wichtig.
Er muss nachweisen, dass sein Messias den Anforderungen der
Juden an den Messias nicht widerspricht, oder dass Mängel, die
1) Vgl. Weizsäcker, Apostol. Zeitalter S. 543 tf., und meine Be-
merkungen Göttinger gel. Anz. 190Ü S. 1 ff. Auch Jiilicher hat in der
neuen (3. und 4.) Auflage seiner Einleitung dieser Auffassung erfreu-
licher Weise sehr entschiedenen Ausdruck gegeben (S. 335 ff").
12*
180
man an diesem Messias nach einer festen messianischen Dogmatik
betont, in Wahrheit nicht vorhanden oder belanglos sind. Aber
für seine eigene und eigentliche Anschauung von Jesus ist
Messias nicht mehr der erschöpfende und ^^drkhch zutreffende
Begriff. Der eingeborene Sohn Gottes, der Logos, das Licht
der Welt, das Brot des Lebens, der Bringer der Wahrheit —
das sind Prädikate, die nicht nur die spezielle Beziehimg auf
Israel eingebüsst haben, sondern auch dem Wesen und der
Leistung Jesu einen Sinn geben, den kein Jude je in den
Messiasgedanken hineingelegt hatte. Man kann des Glaubens
sein, dass schon bei Markus der ursprünglich jüdische Messias-
begriff im Verblassen ist. Dass aber das JohannesevangeHum
in dieser Beziehung noch auf einer wesentlich anderen Stufe
steht, ist jedem leidlich kundigen Leser klar.
Werden wir dann erwarten, in dieser Schrift etwas über
das Messiasgeheimnis zu hören? Nun, wenn nicht, so schiede
darum das Evangelium aus unserer Betrachtung nicht aus.
Wir werden allerdings die Frage von vornherein etwas anders
stellen als für die Synoptiker; sie lautet hier: hält Jesus sein
ül)erirdisches Wesen und die göttliche Wahrheit im Verborgenen,
oder bleibt doch beides in seinem irdischen Leihen thatsächlicli
verborgen? Hören wir darüber etwas, so handelt es sich
offenbar im Wesen um die gleiche Sache wie bisher.
Das ganze Evangelimn ist nun freilich so geartet, dass
a priori niemand darauf verfallen kann, einen solchen Gedanken
in ihm zu suchen. Was ist denn das Handeln und Reden des
johanneischen Christus anders als eine fortgehende Offenbarung?
Über seine Reden liesse sich als Motto das Wort an den
Hohenpriester setzen :
Ich habe offen zur Welt geredet . . . und im Geheimen
habe ich nichts geredet (18 20).
Die höchsten Geheimnisse über seinen Vater, sich selbst
und sein Verhältnis zu ihm legt er dem Einzelnen wie der
Menge, Gegnern wie Freunden von Anfang an unermüdet dar.
Er stellt es als seinen Beruf hin, weiter zu sagen, was er von
seinem Vater vernommen hat. In seinen Thaten aber giebt er
die Ergänzung. Sie sind die Offenbarung seiner do^a, die
sichtbaren Ausstrahlungen seiner himmlischen Natur, die öfient-
181
liehe Bekräftigung seiner Ansprüche, der Text, den seine Reden
auslegen. Dazu kommt, dass es an richtiger Erkenntnis seiner
Person nicht fehlt. Der Täufer steht darin nicht allein, auch
die Jünger wissen sehr schnell, dass sie den Messias gefunden
haben. Das samaritanische Weib und seine Landsleute erkennen
ihn als Heiland der Welt (442), und Martha findet die gleichen
Worte des Bekenntnisses wie Petrus (11 27, vgl. 669).
Dennoch ist die Idee des geheimen Christus — im
weitesten Siinie — dem Johannes nicht unbekannt. Und das
ist um so wertvoller, als hier der Stoff des Markus gar keine
Rolle mehr spielt. Fast alle konkreten Züge seiner Darstellung,
die uns interessierten, sind verschwunden. Wir hören nichts
mehr von den Dämonen und ilii-em Wissen, nichts von heim-
lich vollbrachten Wundern, von der Isolierung mit Jüngern oder
Yertrauten, von der himmlischen Bezeugung des Gottessohnes
bei der Verklärung i), von der Belehrung über die ans Volk
ergehende Parabelrede und vor allem von den drohenden
Worten, in denen das Reden untersagt wird. Das Petrusbe-
kenntnis findet sich zwar wieder, aber es hat einen neuen Sinn,
es ist das Gelöbnis treuer Anhänglichkeit (609). Leidens- und
Auferstehungsweissagungen hat das Johannesevangelium auch,
sogar in Fülle, aber an den eigentümlichen Schnitt der
Weissagungen bei Markus erinnert keine. Von einem Reden
in Gleichnissen (16 25) ist wohl die Rede, aber in ganz be-
sonderer Weise. So laufen höchstens dünne Fäden zwischen
dem Materiale hüben und drüben.
Es trifft sich glückhch, dass wir an den späteren EvarigeUen
den Vergleich mit Markus in so verschiedener Weise vollziehen
können. Es hat seinen Wert, zu verfolgen, wie der konkrete
Stoff, in dem sich die Anschauung des Markus ausprägt, von
Matthaeus und Lukas aufgenommen und verändert wird. Es
hat auch seinen Wert — und freilich einen höheren — , in
einem Evangehum nahverwandte Gedanken zu finden, bei
dem die Frage, wie jener Stoff behandelt wird, ganz abge-
schnitten ist.
Auch Johannes berichtet gelegentlich, Jesus habe sich ver-
borgen oder vor der Menge zurückgezogen. Vielleicht denkt
1) 1288 enthält eine andere Aussage als die synoptische Stelle.
182
man zuerst, dass es auf diese Züge ankomme. Aber gerade
sie haben mit der Idee, die wir verfolgen, nichts zu thun.
Jesus verbirgt sich oder geht in die Einsamkeit, weil ihm
Feindschaft entgegentritt, und er doch noch nicht sterben soll
(859 vgl. 1236, IO39, llssf. ). Er zieht sich vor dem Volke auf
den Berg zmück (615), weil er die äussere Königswürde, die
ihm aufgedrängt werden soll, nicht will. Er entweicht der
Menge (IBevevoev 5 13), weil er ihre Gegenwart für den Augen-
blick nicht wünscht, etwa um keinen Tumult zu en'egen. Es
ist möghch, dass in solchen Bemerkungen etwas von den
synoptischen Daten nachklingt. Aber gewiss ist, dass es sich
hier nur um untergeordnete Erzähluhgsmotive, nicht um einen
theologischen Gedanken handelt.
Ebensowenig ist es hier von Bedeutung, dass Jesu Aufenthalt
in Galilaea als ein Eivai ev -/.Qvnti^ charakterisiert wird (7i.3.4).
Das Weilen in Galilaea erscheint bei Johannes als Ausnahme.
Es bedarf besonderer Rechtfertigung:
Er wollte nicht in Judaea wandeln, weil die Juden
ihn zu töten suchten,
und, muss man hinzusetzen, weil seine Zeit doch noch nicht da
war (7 1.6 vgl. 4iff. 43ff). In dieser Vorstellung giebt sich gewiss
charakteristisch kund, wie der Schauplatz bei Johannes ver-
schoben ist, und wne seine historische Anschauung von ihm
geartet ist. Judaea und Galilaea sind fast zu blossen Aus-
driicken für die Idee der Öffentlichkeit und der Verborgenheit
geworden. Man sieht femer leicht, wie der Evangelist Jesus
hier vor dem Voi^wurfe, er sei ein Winkelprophet, in Schutz
nimmt, indem er einen bestimmten plausibeln Grund für den
Aufenthalt in Galilaea angiebt, und wie er gleichzeitig in dieser
Form der älteren Überlief ening seinen Zoll entrichtet, die
Jesus nun einmal nach Galilaea versetzte ^). Aber die Moti-
vierung beweist auch liier, dass er nicht daran denkt, Jesus
habe in irgend einem allgemeinen Sinne sein Wesen ver-
hüllen wollen.
Das Wichtigste und Deuthchste ist im Evangelium jeden-
falls, was wir über die Jünger hören. Es kommen da
1) Vgl. Bälden sperger, Der Prolog des vierten Evangeliums S.120,
Wer nie, Zeitschr. für neutestam. Wiss. 1900 S. 56 f.
183
einige Bemerkungen des Evangelisten selbst in Betracht, noch
mehr aber gewisse Worte Jesu an die Jünger.
Nahe unter einander verwandt sind zunächst folgende
Stellen:
222: Als er nun von den Toten erweckt ward, da ge-
dachten seine Jünger daran, dass er dies [das Wort vom
'kveiv und tyeiQtiv des vaög, d. h. des oo}f.ia] sagte, und sie
glaubten der Schrift und dem Worte, das Jesus geredet hatte i).
12 ig: Dies [die Übereinstimmung des Einzugs Jesu mit der
Weissagung Sach. 99] erkannten seine Jünger vorerst nicht,
aber als Jesus verherrlicht wurde (söo^daO-ri), da ge-
dachten sie daran, dass dies auf ihn hin geschrieben war,
und dass man ihm dies [das Sach. 9 Geweissagte mit
der Huldigung beim Einzüge] erwiesen hatte.
20 y (Auferstehungsbericht): denn noch hatten sie die Schrift
nicht verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse.
In diesen Stellen ist unverkennbar ausgesprochen, dass mit
der Auferstehung oder Verherrlichung Jesu für die Jünger eine
Phase höherer Erkenntnis beginnt. Das letzte Wort darf hier-
hergezogen werden, weil es sichtlich die Erkenntnis der Schrift-
weissagung auch von der Auferstehung selbst datiert.
Die zweite dieser Stellen ist die wichtigste. Die beiden
andern würden den Gedanken zulassen, dass ganz naturgemäss
die Auferstehungsweissagungen erst mit ihrer Erfüllvmg den
Jüngern klar werden. Das zweite Wort entzieht sich derartiger
Ziu-echtlegung. Der messianische Einzug und die messianische
Huldigung dal)ei stehen in keiner spezielleren Beziehung zur
Verherrlichung oder Auferstehung Jesu als irgend ein anderes
bedeutungsvolles Ereignis seines Lebens oder irgend ein wichtiger
Ausspruch. Hier liegt sichtlich die allgemeine Vorstellung zu
Grunde, dass gewisse Thatsachen seiner Geschichte selbst den
1) Ganz entsj)rechend sagt Ju stin, Dial. c. Tryph. c. 107 mit Be-
zug auf das Wort vom Zeichen des Propheten Jonas: xnl TctCrn Xsyovrog
(tvTov 7iK(jax(xttXv/jjitsv(t rjv vofTad^fti ino jiüv dxovövTwv oti /jfTit rb
aTav()w,i^^vai avtbv Trj t()itij >)fJfQ(< ((vttoTrjatTfxt. Matthaeus (124o) sagt
davon noch nichts. Ziehen wir Lukas hinzu, der wieder die Deutung
des Matthaeus noch nicht kennt, so haben wir drei Stufen: Lukas,
Matthaeus, Justin.
184
Jüngern anfänglich dunkel blieben, nach seinem Siege über den
Tod aber hell und deuthch \\'urden.
Ohne Weiteres darf man mit diesem Gedanken zwei
andere Stellen erläutern; obschon sie von Verherrlichung nichts
sagen.
Nachdem Jesus den Verräter zu seinem schwarzen Werke
aufgemfen hat:
was du thust, das thue bald,
heisst es 1328:
Dies aber verstand keiner von den Tischgenossen, wo-
zu er ihm dies sagte.
Aus der Situation empfängt diese Bemerkung kein Licht.
Denn nach dem voraufgehenden Reden und Handeln Jesu, wo-
durch der VeiTäter deutlich bezeichnet ist, war es nicht möghch,
jene Aufforderung misszuverstehen. Die Berufung auf die im
Evangelium gewöhnhchen Missverständnisse reicht hier auch nicht
ganz aus. V. 29 folgt zwar ein solches Missverständnis ganz
im sonstigen Stil: Einige wähnten, Jesus habe Judas, weil er
die Kasse führte — in der Nacht! — aufgefordert, Einkäufe
für das Fest zu machen oder den Armen etwas zu geben.
Aber der allgemeiner lautende Satz V. 28 sagt eben noch mehr;
er hebt heiTor, dass das Wort an Judas überhaupt unverstanden
bheb. Alles ist klar, wenn wir ergänzen dürfen: solche wichtige
Andeutungen und Weissagungen Jesu — denn als Weissagung
wird sein Wort betrachtet — mussten den Jüngern bis zur
Aufei-stehung völUg dunkel bleiben.
Ebenso wird das Wort an Petrus bei der Fusswaschung
(13?) zu deuten sein:
was ich thue, weisst du jetzt nicht, du wirst es aber
später begreifen.
Die Handlung Jesu hat eine geheime Bedeutung. Der
Evangelist hat dabei höchst wahrscheinlich an die Taufe ge-
dacht. Der Satz V. 10 :
AVer gewaschen ist, hat nicht nötig, sich (weiter) netzen
zu lassen i), sondern er ist ganz rein,
zeigt in Verbindung mit anderen Momenten, dass das Wasser
nicht mehr wie im Anfang der Erzählung das bedeutungslose
1) Das fi II rj Toig noöctg hinter rCv^aal^tu ist zu streichen.
185
Mittel für den Demutsdienst der Fusswaschung ist, vielmehr
etwas bedeutet: es weist auf die »Reinigung« i). Dieser Sinn
der Handlung wird also dem Petrus einst offenbar werden.
Man kann schon hiernach nicht bezweifeln, dass Johannes
hinsichtlich der Jüngererkenntnis eine Anschauung hat, die der
des Markus aufs Nächste verwandt ist. AVertvoll ist dabei,
dass er ausdrücklich die Auferstehung als den entscheidenden
Zeitpunkt hervorhebt. Markus hat das bei den Aussagen über
die Jünger nirgends gethan. Trotzdem habe ich ihn mit dem
Gedanken interpretiert. Bedarf es noch der Rechtfertigung, so
ist sie hier gegeben.
Aber die Anschauung ist nicht blos vorhanden, in gewissem
Sinne beherrscht sie die Darstellung des Evangelisten, Das
zeigen mit voller Deuthchkeit die Abschiedsreden. Sie sind
die eigentlichste Jüngerbelehning, die das Fvangelium enthält.
Sie blicken überall auf den bevorstehenden Umschwung im
Jüngerleben hin. So ist es nur natürlich, dass hier der Ge-
danke ganz besonders im Vordergrunde steht.
Ich hebe zunächst folgende drei Äusserungen heraus:
14-20: An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich im Vater
bin, und ihr in mir, wie ich in euch.
I612: Noch viel hätte ich euch zu sagen, aber ihr vermögt es
nicht zu tragen {ßaocaCsir) für jetzt; wenn er (s/Mvog)
aber kommt, der Geist der Wahrheit, der wird euch leiten
zu aller Wahrheit.
16 25: Dieses habe ich in Rätselbildern (r-r Tiagoifiiaig) zu euch
geredet: es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in
Rätselbildern zu euch reden, sondern offen {TraQQrjöLo) euch
vom Vater verkündigen werde.
Der »Tag« oder »die Stunde« ist der Moment, ore 6 ^Ir^aovg
ido^da^Ti. Dieser Moment ist aber als der Anbruch einer neuen
Periode gedacht. Es folgt für die Jünger eine Periode des
Wissens als das Widerspiel der früheren Zeit. Wenn sie »nun«
erkennen werden, so haben sie vorher nicht erkannt; wenn sie
1) Näheres bei 0. Holtzmaun, das Jobannosevang-elium (1887)
und H. Holtzmann, HC z. St. Schon Kirchenväter haben die
Allegorie herausgefunden.
186
nun »offen« vom Vater hören werden, so haben sie bisher nur
dunkle, undurchsichtige Rede über ihn vernommen.
Der EvaugeHst lässt seinen Jesus aber sagen, dass er den
Jüngern in der Gegenwart nicht alles sagen will, oder dass er,
was er sagt, in rätselhafte Bilder hüllt, offenbar, damit
es nicht verständhch sei wie die eigentliche Rede. Und doch
ei-scheint dies Verbergen und Verschleiern iiicht als der eigent-
Kche Wille, als der AVunsch Jesu, es ist in Wahrheit nur sein
notgedrungenes Verfahren. Die Schwäche der Jünger ist zu
gross, um alles aufnehmen zu können. Die Lehre zu gewaltig,
zu liimmelhoch, um in die erdbefangenen Sinne eingehen zu
können. Das Verschweigen oder Zurückhalten Jesu nimmt so
die Form einer natürlichen und nötigen pädagogischen Massregel
an. Der eigentliche Grund liegt in dem Al^stande zwischen der
Fähigkeit der Jünger und dem transzendenten Charakter der
Lehre Jesu.
Man hat die angezogenen Worte wesentlich anders aufgefasst.
Ehe ich den Gedanken des Evangehums verfolge, setze ich mich
mit dieser Auffassung auseinander.
Weizsäcker 1) hat in geistvoller Art den Gedanken durch-^
geführt, dass der EvangeHst den scheidenden Jesus auf die Lehre
des Johannesevangeliums selber hinweisen lasse, und zwar im
Gegensatze zur älteren apostohschen Lehi-e. Der Geist sei ge-
dacht als die Quelle neuer Offenbarung. Diese Offenbamng
stelle sich eben in der Lehre des Evangeliums dar. Die neue
Erkenntnis verhalte sich zu der früheren des Urchristentums und
der Urapostel wie die offene Wahrheit zum verhüllten Bilde
{Tragoifiia). Wenn imn Jesus auf sie hinweise, so solle sie da-
mit aus seinem eignen Munde beglaubigt werden. Freihch
werde sie keineswegs in einen wirklichen Gegensatz zur älteren
Lehre gestellt. Der Zusammenhang mit dieser und das An-
sehen der Urapostel werde ausdrücklich aufrecht erhalten, weim
ihr Zeugnis 152? ^j flir die Zukunft neben das des Geistes ge-
stellt werde.
1) Weizsäcker, Apostol. Zeitalter S. 537 f. Sehr ähnlich Wer nie.
Zeitschr. f. neutest. Wiss. 1900 S. 61 f.
2) .... er (der tikqixxXtitos) wird zeugen von mir, aber auch ihr
(yM't v^ui (ii) zeuget, weil ihr von Anfang an bei mir (gewesen) seid.
187
Diese s. z. s. montanistische Aiiß'assung, die ich selbst eine
Zeit lang geteilt habe, wäre für den Charakter der johanneischen
Darstellung eine Erkenntnis von hoher Bedeutung — wenn sie
richtig wäre. Allein sie ist nicht lichtig.
Dagegen lässt sich zwar nichts erinnern, dass die Lehre,
die der Geist der Wahrheit enthüllt, sachlich mit der Christus-
lehre des Evangeliums selber zusammenfällt. Das werden wir
noch erkennen. Aber damit ist nicht gegeben, dass die Lehre
des Evangeliums einer älteren urapostolischen Auffassung gegen-
übergestellt wird, sei es auch nur wie die Pflanze dem Keim
oder wie das Deutliche dem Verhüllten.
Man könnte freihch versucht sein, in dem Dasein des Evan-
geliums selbst, in der Thatsache, dass es gescluieben wurde, obwohl
es bereits andere Evangelien gab, eine Bestätigung der Ansicht
zu sehen. Hätte der Verfasser sein Werk geschrieben, wenn
ihm die Evangelien, die er kannte, genügten? Das muss man
in der That stark bezweifeln. Aber daraus folgt nichts. Man
hat doch auch allen Grund zu dem Glauben, dass er den Unter-
schied seiner Schrift von früheren Evangelien nicht wie ein
Historiker von heute betrachtet hat. Zweifellos hat ihn seine
eigene Lehre aus ihren Worten immer wieder angeblickt, unver-
meidlich hat er sie in sie hineingelesen. Man denke etwa an
AVorte über den »Sohn Gottes«. Nur werden die vorhandenen
Schriften ihm nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht
haben, was ihm am Herzen lag, was insbesondere in dem
Kampfe der Gemeinde gegen ihren Rivalen, das Judentum, zu
sagen notthat. Aber hätte er selbst stärker, als ich für wahr-
scheinlich halten kann, die Auffassung der älteren Evangelien
gering, mangelhaft oder gar anstössig gefunden — im Einzelnen
wird es manchmal der Fall gewesen sein — , so brauchte er sie
doch nicht mit den Uraposteln zu identifizieren. Konnte er von
der Lehre Christi sagen : meine Vorgänger haben sie noch nicht
in der rechten Höhe dargestellt, so konnte er das Gleiche Avohl
auch von der Lehre der Apostel sagen.
Bleiben wir also bei den Abschiedsreden selbst stehen. Sie
lassen keinen Zweifel übrig, dass Weizsäckei-s Meinung ein Irr-
tum ist.
Zunächst sollte man erwarten, der Evangelist hätte deut-
licher geredet, hätte er jene Unterscheidung im Auge gehabt.
188
Es ist vor allem gar keine sichere Hindeutimg auf den Inhalt der
neuen Erkenntnis im Gegensatze zur alten gegeben. Ein be-
stimmter Inhalt müsste doch als neu gedacht sein, eine höhere
Christuslehre müsste bewusst von einer unzureichenden, rudimen-
tären untei-schieden sein. Sollte dann nicht wenigstens ange-
deutet sein, in welcher Richtung das zu suchen ist, was die
Jünger zur Zeit nicht tragen können, und was Jesus hinter den
Traooif-iiai verbirgt? Sollte nicht eine gegensätzliche For-
mulierung auf eine bestimmte Spur weisen? Der kennt den
Evangelisten schlecht, der da meint, er hätte solche Andeutungen
nicht geben können, um nicht aus der Rolle zu fallen. In dem
angefülu*ten Ausspruche 16 25 sagt Jesus z. B., dass er einst
Ttegl rov TtaiQog offen reden wird. Ist das ein Punkt, wo
man an eine Überbietung der apostolischen Lehre durch die
spätere Geistesunterweisung denken wird?
Sodann aber verheisst Jesus ja eben den Jüngern den
Geist, die nach seinen Worten schwach, unreif und unfähig zur
vollen Erkenntnis sind. Sie selbst sollen vom Geiste in alle
Wahrheit geleitet werden. Man verkennt den historischen Stil
des Evangelisten, wenn man ihm zutraut, dass er in dieser Art
die von ihm selbst fixierte historische Situation — Jesus vor
seinem Tode im Gespräch mit seinen -wirklichen Jüngern —
einfach überspringe und als Objekte der Geistesbelehrung solche
denke, die gerade nicht die Jünger, sondern Spätere und Fort-
geschrittenere waren.
Es ist richtig, aus den johanneischen Jesusreden spricht
mannigfach schon das Bild einer Zeit, die über die urapostohsche
Periode hinaus ist. Jesus blickt selbst auf die grosse Kirchen-
gemeinschaft hin, in der die Schafe aus dem Stalle mit den in
aller Welt zerstreuten Schafen schon zu einer Heerde zusammen-
gewachsen sind 1). Er redet in der Abschiedsfürbitte ausdrück-
lich von denen, die durch das Wort der Jünger gläubig Averden,
und dajnit ist an das Geschlecht gedacht, das den Jüngern
folgt (1720 0".). Aber in diesen Fällen giebt Jesus selber die Ab-
stufung, den Unterschied an, der zwischen dem engeren und
weiteren Schauplatz, zwischen der ersten und der folgenden
1) Vgl. 10 16, 1152.
189
Generation besteht. Der historische Standpunkt des Redenden
ist insofern nicht verleugnet.
Manchmal liegt die Sache freilich anders. Gewiss redet
doch der Evangehst in so manchem Worte, das sich formell an
die Jünger richtet, zugleich zu den Christen seiner Zeit. Da&
darf man z. B. glauben, wenn «Jesus weissagt über den Hass
der Welt, der die Seinen treffen wird (löisff.). Ihn erleben die
Leser des Evangeliums ja alle Tage. Noch klarer ist es viel-
leicht im vorhergehenden Stücke (15 1 — 17). Wenn Jesus die
wechselseitige Liebe fordert, und namenthch, wenn er das
»Bleiben« in ihm betont, wobei doch die Gefahr des Verlassenst
des Abfalls vorschwebt, so sind das Mahnungen, die nicht aus
der historischen Situation der Jünger verständlich werden, sondern
nur aus der Bedeutung, die sie für Leben und Gedeiheji der
Gemeinde haben. Aber eine wirkliche Schwierigkeit liegt auch
hier keineswegs vor: es versteht sich von selbst, dass die Jünger
in vielen Dingen die typischen Repräsentanten der Gemeinde
selbst sind. Übrigens zeigt eine Bemerkung wie 16 2, wo den
Jüngern der Ausschluss aus der Synagoge angekündigt wird,
dass auch in solchen Abschnitten die angenommene Situation
nicht vergessen ist. Alle solche Fälle sind also etwas ganz
Anderes als der Ausblick auf die Gegenwart des Evangelisten
als ein Zeitalter des Parakleten, wie ihn die besprochene Auf-
fassung annimmt.
Nein, nicht aus dem Bewusstsein von einem Fortschritte
dieser Gegenwart über die apostolische Periode sind die Gegen-
sätze der verhüllten und offenen Rede, der noch vorenthaltenen
und der später vom Geiste mitgeteilten Lehre zu erklären. Man
legt dem Evangelisten zu viel historisches Gefühl bei für den
Unterschied der Zeiten, wenn man das glaubt. Die Gegensätze
sind vielmehr erwachsen aus einer historischen Generalansicht
über die Stellung der wirklichen Jünger zu Jesus und seiner
Lehre. Stehen die Jünger 152? einmal neben dem Geiste, ge-
wissermassen als das historische Prinzip der christlichen Wahr-
heitserkenntnis neben dem dynamischen, so hat das gar nichts zu
sagen *). Es hebt nicht auf, dass die Jünger als Träger des
1) Act. 5.82 hal)en wir etwas Ähnliches: ijf^fig fofAiv /.(i'tQTVQfg tiöv
^t]fX('(Tiüv TovTcov y.al rö nvtvfxu to ayiov xtX.
190
Geistes gedacht sind oder auch als die Objekte seiner belehren-
den Thätigkeit.
Die Schilderung der Jünger selbst in den Abschiedsreden
entspricht den heiTorgehobenen Worten Jesu völlig.
Er sagt ihnen:
Wohin ich gehe, ihr wisset den Weg;
Thomas aber erwiedert:
Wir mssen nicht, wo du hingehst. Wie sollen wiv (dann)
den Weg (dahin) wissen? (14.5). —
Im Blick auf seine Einheit mit dem Vater hat Jesus gesprochen :
Schon jetzt 1) erkennt ihr ihn (denVater) und habtihn gesehen.
Philippus zeigt darauf seinen völligen Unverstand durch die Bitte :
Herr, zeige uns den Vater, so sind wir zufrieden (148).
Denn als eine kindisch-sinnlose Bitte ist dies Wort gemeint.
Nicht das Verlangen nach einer Theophanie ^) redet aus ihm,
sondern die Thorheit, die sich bei geistig gemeinten Worten
(hier das Sehen) an den Laut des Wortes hängt und alles sinn-
lich = eigentlich versteht. Hat man die Missverständnisse im
vierten Evangelium richtig verstanden, so kann man nicht
zweifeln, dass Philippus ein ganz krasses »zeigen« meint, wie
es für jedes sinnliche Ding passend ist. — Gleich nach dieser
Stelle fordert Jesus die Jünger auf, zu glauben, dass er im Vater
sei, und der Vater in ihm (14 ii), und fügt hinzu, wenn sie ihm
(auf sein Wort) nicht glauben wollten, so möchten sie es doch
wenigstens der AVerke wegen 3) thun. Ihr Glaube scheint also
noch recht dürftig zu sein. — Jesus sagt (16 le):
Ein wenig, und ihr seht mich nicht mehr, und wieder
ein wenig, und ihr werdet mich sehen.
Darauf beginnt ein Fragen unter den Jungem:
Was ist das, was er zu uns redet?
Das Wort tAiAQÖv bleibt ihnen unklar, und selbst in das »ich
gehe zum Vater hin« wissen sie keinen Sinn zu bringen, wie-
wohl Jesus hinreichend oft darüber gesprochen hat
Wir vrissen nicht, was er redet,
1) 0. Holtzmann S. 267 wird mit dieser Fassimg des an uQTt
Kecht haben. Vgl. 1.3 19.
2) H. Holtzmann z. St.
3) Vgl. die analoge Äusserung zu den Juden 1037.38.
191
sprechen sie, und so müssen sie sprechen, müssen demnach
Fragen stellen, bis »der Tag« kommt, da sie Jesus nichts mehr
h'agen werden (16 23).
Freilich am Schlüsse der Reden finden sie plötzlich, dass
Jesus nun offen und verständlich redet. Sie erkennen, dass er
alles weiss, und so wird es ihnen leicht, zu glauben, dass er
von Gott hergekommen ist (16 29. so). Aber es wäre verkehrt,
aus dieser Stelle zu schhessen, dass der Evangelist im Ernste
mit einem Umschwünge der Jüngererkenntnis unmittelbar vor
Jesu Tode rechnet. Es verschlägt auch nichts, dass er in der
Abschiedsfürbitte (17?) Jesus auf dies Bekenntnis der Jünger zu-
rückblicken lässt. Es kann sich hier nur um ein untergeordnetes
Motiv der Darstellung handeln. Denn der Evangelist sagt ja
zu deutlich, dass die Erleuchtung der Jünger erst nach dem
Tode Jesu zu erwarten ist. Und schon die Fortsetzung der
Stelle 1629f. beweist, dass sich die Ansicht über die Schwach-
heitsperiode der Jünger keineswegs ändert. Sie behält vielmehr
das letzte Wort. Denn Jesus bemerkt sogleich:
Jetzt glaubt ihr? Siehe, es kommt die Stunde, und sie
ist schon da, dass ilu* zerstreut werdet ein Jeder an
seinen Ort {elg ca Yöia) und mich allein lasset (16 32).
Das ist natürhch nur möglich, wenn Glaube und Erkenntnis
wieder abhanden gekommen sind.
Der Evangehst schildert also bewusst den Erkenntnismangel
der Jünger, und er giebt damit den "Worten von dem künftigen
Geistesunten-ichte die Fohe. Solche Jünger vennögen aller-
dings »vieles« noch nicht zu tragen. Über die groben Mittel,
die der Schriftsteller bei seiner Schilderung anwendet, muss
man nicht zu erstaunt sein. Seine Mittel sind meistens grob,
wo er aus Gedanken Geschichte macht.
Was hat nun Jesus zu seinen Lebzeiten den Jüngern vor-
enthalten oder ins Dunkel gehüllt? Augustin hat auf diese
Frage geantwortet: Cum Christus ipse ea tacuerit, quis nostrum
dicat: illa vel illa sunt? und neuere Exegeten wie Meyer und
B. Weiss haben die Antwort treffend gefunden. Die geschicht-
Hche Auffassung des Evangeliums muss dagegen sagen: der
Evangehst hat nichts im Auge, was nicht von seinem Christus
selbst ausgesprochen würde. Insofern hat es in der That gar
192
kein Bedenken zu behaupten, dass die Weissagung der Beleh-
rung durch den Geist der AVahrheit und alle die verwandten
AVorte auf die Lehre des Evangeliums selber zielen.
Ich schreibe damit ohne Weiteres dem Johannesevangelium
einen offenen Widerspruch zu: Jesus verweist auf die künftige
Offenbaning, auf eine höhere Mitteilung, als die Jünger sie
einstweilen empfangen, und doch sagt er l)ei Lebzeiten alles.
Dieser Widerspruch war für den Evangelisten aber auch gar
nicht zu umgehen, wenn er überhaupt die Enthüllung der
Wahrheit für die Jünger in die Zeit der Verherrlichung verlegte.
Die Erkenntnis, die die Zukunft bringt, muss doch das
Allerhöchste und Allerwichtigste betreffen. Wie könnte der
EvangeHst das aber verschweigen? Gerade dies will er ja in
seiner Erzählung und besonders in den eingelegten Reden dem
Leser vorlegen. Und wenn man das Evangelium ansieht, wie
es ist, — was sollte denn da noch an der vollkommenen Lehre
fehlen? Giebt es noch etwas Höheres und Geheimnisvolleres,
als dass der Sohn beim Vater gewesen ist, dass er lebendig
macht und richtet, welche er will, dass er eins ist mit dem
Vater? Man erinnert sich hier an Markus. Markus muss
seijien Christus sich verbergen lassen, und doch muss er üljerall
nachweisen, wie er sich als solcher offenbart; denn sonst hätte
er wenig zu erzählen gehallt. Johannes muss den seinen die
Volloffenbarung veiiagen lassen, und doch kann er nur immer
dafür sorgen, dass er sie bis zum Letzten ausspricht; denn sonst
brauchte er kein Evangelium zu schreiben. Unmittelbarer aber
ist der AViderspnich bei Johannes; er ist hier eine logische
Notwendigkeit.
Die konkreten Aussagen der Abschiedsredeii ergänzen diese
Betrachtung. Zu dem Satze : Jesus hat alles, was er noch ver-
birgt, schon gesagt, kann man nach ihnen den andern stellen:
er hat noch nichts so gesagt, dass es verständlich geworden wäre.
Der Situation entspricht es, wenn sich die Schwäche der
Jüngererkenntnis besonders darin zeigt, dass die Weissagung
vom Sterben und Wiederaufleben oder vom Hingehen zum Vater
unbegriffen bleibt (145, IQöi, leff., 28(32)). Hier haben wir der
Sache nach dasselbe wie bei Markus und Lukas. Aber neben
diesem Punkte mrd sehr viel sonstiger Erkenntnisinhalt gestreift.
Philippus versteht nicht, dass das Sehen des Vatei-s mit dem
193
des Sohnes zusammenfällt, d. h. die Einheit von Vater und Sohn
ist ihm unbekannt (148 ff.). Der künitigen Erkenntnis wird
es zugewiesen, dass Jesus in seinem Vater ist, wie die Jünger
in ihm, und er in ihnen (142o). >Vom Vater« wird er dereinst
offen sprechen, redet folglich jetzt verhüllt über ihn (16 25). Auch
nach 14?:
wenn ihr mich erkannt hättet, so würdet ihr auch meinen
Vater kennen,
ist den Jüngern die Erkenntnis des Vaters bisher nicht aufge-
gangen. Nach 16 30 glauben sie zwar, dass Jesus vom Vater
ausgegangen ist. Wenn er aber diesen Glauben für eine
Augenblickserscheinung erklärt (V 32), so muss auch sein Aus-
gehen vom Vater ihnen eigentlich verborgen sein. Nach einem
ganzen Komplex von Gedanken (1423.24) sagt Jesus, das habe
er ihnen gesagt, so lange er bei ihnen weilte 1), der Geist aber
werde sie an alles, was er gesagt, erinnern (V. 25. 26).
Das sind doch Andeutungen, die so ziemhch die ganze
spezifische Lehre des Evangeliums umfassen. Ganz offenbar
gemacht, scheint sie doch auch ganz verborgen zu bleiben.
Genau betrachtet liegt der Gedanke des Johannes in ver-
schiedenen Formen vor. Einmal verschweigt Jesus manches
ganz (16 12). Dann wieder sagt er zwar alles, aber er kleidet
es in Rätselrede (16 25). Drittens spricht er — auch diese Vor-
stellung liegt vor — alles deutlich aus, aber die Jünger be-
greifen es in ihrer inhärenten Einsichtslosigkeit dennoch nicht.
Jesus spricht ja 15 15^):
Ich habe euch Freunde genannt, weil ich euch alles,
was ich von meinem Vater gehört habe, kundgethan habe;
damit halte man zusammen, was soeben über die Haltung der
Jünger gesagt wurde.
1) Tavja XiXKkriy.a v/nTv Trrüjp' vfxiv /Lifvwv 1425 vgl. 15 ii, IGl. 25. 33
heisst bei Johannes einfach: so sprach Jesus vor seinem Tode zu seinen
Jüngern. Solche Erklärungen des Evangelisten über Jesus
werden auch sonst in die "Worte Jesu selbst hineingezogen. Der Evan-
gelist will z. B., als er Jesus am Grabe des Lazarus beten lässt, ver-
sichern, dass sein Gebot nicht auf eine seiner Würde gefährliche
Menschlichkeit hinweise. So muss Jesus im Gebete selber (!) sagen:
Ich aber wusste, dass du mich allzeit hörest, doch habe ich wegen des
umstehenden Volkes so gesprochen .... (11 42).
2) Vgl. auch 176.
Wrede, Messiasgeheimnis. 23
194
Die erste dieser Vorstellungen trägt die Folgerung in sich,
dass den Jüngern nach dem Tode Jesu noch Neues, sachlich
Neues geoffenbart werden wird. Da hätten wir also doch den
Gedanken, dass die Zeit des Geistes über die ältere Belehrung
hinausführt. Allein ich habe schon gezeigt, dass ein neuer
Offenbarungsinhalt in Wahrheit nicht vorgestellt wird. Des-
halb ist es unrichtig, jene Folgerung zu betonen.
Es handelt sich hier überhaupt lediglich um Varianten,
verechiedene Ausdrucksformen für die gleiche Sache, und es
lässt sich leicht zeigen, dass jede dieser Vorstellungen, gepresst
und einseitig durchgeführt, zu Sätzen fühi't, denen sich nicht
alles fügt.
So kann man auch dem Gedanken, dass eigentlich alles
den Jüngern verschlossen bleibt, Ausseningen entgegenstellen,
die ihm widersprechen, ausser 16 12 z. B. die direkte Aussage 16 27:
... ihr habt geglaubt, dass ich vom Vater ausgegangen
bin.
Es ist ja auch wohl begreiflich, dass der Evangelist die Vor-
stellung, die Jünger hätten gar nichts begriffen, nicht in ihrer
vollen Härte vollzieht. Er hat ja doch diese Jünger auch in
langem Verkehr mit Jesus und als seine treuen Anhänger und
Bekenner^) gezeigt, mid er behandelt ihre Mängel entschieden
mit Milde, viel milder als Markus. Sachhch wichtig bleibt aber,
dass man hier keine Scheidung nach dem Inhalt vornehmen
kann. Man kann keine Lehren aussondern, die den Jüngern
ein für allemal zugänglich, und keine, die ihnen ständig ver-
schlossen wären. Das Zweite könnte zwar mit einigem Rechte
von der Belehrung über Leiden und Verherrlichung gesagt
werden. Aber dieser Eindruck entsteht, nicht weil hier etwas
vorläge, was an sich schwerer verständhch und eine geheimere
Weisheit wäre als Anderes, sondern weil die Geschichtserzählmig,
die auf das Ende hinausgeht und die Jünger vor das Ende
stellt, eine besondere Nötigmig mit sich bringt, das Rätsel zu
betonen.
Zwei einzelne Wendungen des Gedankens sind noch be-
sonders zu beleuchten.
1) Vgl. 669.
195
Charakteristischer als die Vorstellung, class der Geist Neues
lehi-en wird, die im Grunde unvollzogen bleibt i), ist eigentlich
die andere, dass der Geist an alles erinnern wird, was
Jesus gesagt hat (1426). Hier ist es auf den präzisesten Aus-
di'uck gebracht, wie die neue Erkenntnis und die alte Belehrung
Jesu zusammengehören. Nahe verwandt ist ein andres Wort:
die Jünger selbst sollen sich seiner Zeit erinnern, dass Jesus
alles gesagt, wie es eintrifft (I64). Der Evangelist hat auch
ein Beispiel für dieses Erinnern des Geistes oder dieses Selbst-
erinnern gegeben. Die Bemerkung (2-22), dass die Jünger, als
Jesus auferstanden war, an sein Wort von dem Abbrechen und
Erstehenlassen des Tempels »gedachten« , darf so aufgefasst
werden. Das parallele Wort über den Einzug in Jerusalem
(12 16) — auch hier das sf-iv^od^riaavl — wäre ebenfalls hierher-
zuziehen, bezöge sich hier die Erinnerung nicht auf einen Vor-
gang statt auf ein Wort Jesu. Vielleicht kann man mit diesem
»Gedenken« auch die eigentümliche Formulierung in Zusammen-
hang bringen, die den Weissagungen Jesu einige Male gegeben
wird. Über den Verrat des Judas heisst es 13 19 (ganz ähnlich
wie mit Bezug auf den Hingang Jesu 1429) 2):
Jetzt sage ich es, bevor es geschieht, damit, wenn es
geschieht, ihr glaubet, dass ich es bin.
Der zweite Punkt betrifft das Reden ev Ttagoif^iiaig. Es
berührt ganz eigentümlich, was das Johannesevangelium darüber
sagt.
Dies habe ich in Rätselbildern zu euch gesprochen (16 25),
— wo sind denn die Rätselbilder, die Jesus gebraucht haben
will?
Man verweist zur Erklärung des Wortes auf die (V. 23 f.)
vorhergehende Bezeichnung Gottes als des Vaters 3). Das ist
höchst gezwungen; der Name Vater für Gott erscheint bei
Johannes keineswegs als Bild. Dagegen lässt sich eine Be-
ziehung auf das Wort V. 16:
1) Natürlich soll damit nicht gesagt sein, dass der Evangelist bei
■der Geistesbelehning sich überhaupt nichts Bestimmtes denke. Er
weiss so gut wie andere alte Christen , dass der Geist den Jüngern
>(and der Gemeinde) Erleuchtung zu Teil werden lässt.
2) S. dazu 164.
3) B. Weiss bei Meyer« z. St.
13*
196
Ein wenig, und ihr seht mich nicht, und wieder ein
wenig, und ihr Averdet mich sehen,
kaum abAveisen. Man muss freiHch zugeben, dass der Gegen-
satz V. 25 b:
es kommt die Stunde, wo ich oifen vom Vater euch
verkündigen werde,
nicht recht passt, da V. 16 vom Vater nicht die Rede war.
Aber darum ist die Beziehung noch nicht unmöghch. Und sie
ist wahrscheinhch, nicht nur weil die Verwmiderung der Jünger
V. 17 ff. so starken Ausdruck findet, sondern besonders, weil
V. 28, wo nach dem Jüngerwoite »offene« Rede vorliegt, dem
V. 16 entspricht.
Aber ich meine allerchngs nicht, dass damit der Inhalt von
V. 25 erschöj)ft ist. Das Sicherste und zugleich die Hauptsache
ist gerade, dass diese Erklärung über jedes einzelne Moment im
Kontexte weit hiuausgreift ^). Es handelt sich um eine allgemeine
Charakteristik der Art Jesu mit den Jüngern zu sprechen. Und
man muss dabei nicht einmal ausschliesslich an den Cyklus der
Abschiedsreden denken 2).
Fraglich kann nur sein, ob der Evangelist wirkliche Rätsel-
worte mitgeteilt zu haben meint. Es Hesse sich darüber streiten^
ob er nicht auch im andern Falle von Rätseh'ede sprechen
könnte. Jedenfalls ist es unbestreitbar, dass das lelähf/M iv
TcaQOifilaig thatsächlich doch keineswegs in der Luft steht 3).
Der EvangeHst formt die AVorte Jesu manchmal so, dass man
merkt, der direkte, eigentliche Ausdruck ist vermieden, und
irgend ein Moment, das das Fragen herausforderi, ist eingesetzt.
Das Beispiel, das der Text selbst l)ietet, zeigt das. In
V. 16 ist niclit geradezu vom Sterben die Rede. Die
pointierte Formulierung der beiden Glieder klingt nach einem
Paradoxon. In der »offenen« Rede V. 28 fehlt das (.wa.q6v^ das
die Jünger befremdet, es ist nicht mehr vom »Nichtsehen« die
Rede, sondern vom Verlassen der Welt; vielleicht darf man auch
sagen, der Gegensatz: vom Vater ausgegangen — in die "Welt
1) Vgl. auch B. Weiss z. St. (S. 534 Anm.).
2) H. Holtzmann z. St.
3) Vgl. 0. Holtzmann S. 135, dem ich freilich nicht in allem,
zustimme.
197
gekommen, die Welt verlassen — zum Vater gehen, ist als
etwas besonders Klares empfunden.
Ein äliidiches AVort ist 13 as:
Kindlein, noch ein wenig bin ich bei euch: ihr werdet
mich suchen, und wie ich den Juden gesagt habe, wo
ich hingehe, dahin könnt ihr nicht kommen, so sage ich
jetzt auch euch.
Zu den Juden hat Jesus allerchngs 733 (36) ebenso gesprochen.
Der Hinweis darauf dürfte schon zeigen, dass der Evangelist
auf die Fassung des Wortes Wert legt. Auch dies Wort hat
etwas absichtlich Geheimnisvolles. Ebenso gewiss das Wort, das
Philippus nicht begreift:
Schon jetzt kennet ihr ihn (den Vater) und hal)t ihn
gesehen ;
und noch klarer die Weissagung vom Abbrechen und Aufrichten
des Tempels (2 19); denn hier wird das Rätsel durch die Er-
läuterung des Evangelisten ausdrücklich markiert.
Man kann hier aber auch getrost manches Wort anziehen,
das nicht zu den Jüngern geredet ist. Z. B. muss Johannes
bei dem Spruche (1232) :
Wenn ich erhöht werde von der Erde, so werde ich alle
zu mir ziehen,
empfunden haben, dass die Rede figürlich sei. Denn er giebt
wieder eine Deutung bei:
Das sagte er aber, um anzudeuten, welches Todes er
sterben werde.
Für uns gehört einige Anstrengung dazu, in solchen Worten
etwas Rätselhaftes zu finden, sie sind uns in der Regel auf den
ersten Blick durchsichtig. Aber darauf kommt gar nichts an.
Ein Autor, der auch ein VTväyw Trqbg tov Tcariqu unverständlich
für die Jünger nennt (16 17), hat über Dunkelheit der Rede ohne
Zweifel seine eigenen Begriffe, und die muss man ihm lassen.
Es genügt also, dass er das Bewusstsein haben konnte, sein
Jesus habe wirklich im Evangelium immer wieder geheimnisvolle,
schwer deutbare Worte geredet.
Dies Bewusstsein war aber sicher nicht derart, dass er diese
Worte scharf von andern unterschied, so dass man den Gedanken
einer zwiefachen, einer offenen und einer rätselvollen Art der
Aussprache durchführen könnte; kann doch sogar dieselbe
198
Wendung hier als verständlich, dort als undurchsichtig behandelt
werden. Vielmehr ist für seine Empfindung die Dunkelheit, die
er manchmal wirkHch in den Reden Jesu auszuprägen sucht,
ein allgemeines Prädikat der Sprechweise Jesu. Der amphi-
bolische Charakter seiner Gedanken zeigt sich aber wieder darin,
dass er ebensogut nach andern Worten sagen könnte, Jesus
habe so deutlich, so klar gesprochen, dass jeder ihn habe ver-
stehen müssen.
Die Vorstellung selbst, Jesus habe tv naQoif.ilaic, geredet,
hat der Autor überkommen; und man wird nicht zweifeln, dass
sie die Fortführung des synoptischen Xaleiv iv Ttaqaßolalg ist.
Sie hat hier aber eine andere Beziehung gewonnen. Davon
später.
Wenn die vertrauten Jünger Jesu diese Schwäche und Un-
fäliigkeit im Begreifen zeigen, so können andere Personen der
Erzählung, insbesondere die feindlichen Juden, Jesus unmöglich
richtig verstehen. Das soll nicht heissen, dass der Evangehst
ihnen aus diesem Grunde ein fortgesetztes Nicht- und Miss-
verstehen Jesu zuschreibt. Ich stelle nur fest, dass er es thut.
Welchen Sinn das hat; muss gerade gefragt werden.
Denn hier liegt die Sache viel weniger klar als bei den
Jüngern. Bei diesen scheiden sich eben die zwei Perioden des
Verständnisses. Der Eintritt der Verherrlichung macht die
frühere Blindheit zu einem sinnvollen Gedanken. Bei den
Juden fällt die Bedeutung dieses Wendepunktes fort. Der
Gedanke an die Zukunft, an die Zeit nach Jesu Tode hat hier
überhaupt keine wesentliche Bedeutung. Höchstens wird an das
Gericht gedacht, das den Unglauben dann treffen soll. Die
Voraussetzung ist aber natürlich, dass die Juden ihre alte Stellung
Jesus gegenüber festhalten.
Tiitt man von aussen an das Evangelium heran und be-
trachtet jene bekannten Missveretändnisse isoliert, so wird man
darin zunächst nur eine eigentümliche stilistische Manier wahr-
nehmen. Der Hauptzug ist dabei, dass was Jesus geistig und
geistlich meint, buchstäblich genommen wird. Das Brot des
Lebens wird von äusserer Speise verstanden, die Freiheit, die
die Wahrheit bringt, im sozialen Sinne genommen (833), das
(iviü&sv yevvrjd^r^vai von einer eigentlichen Geburt, obgleich durch
199
das civco&ev, das bei Johannes Jiur »von oben« heissen kann^),
diese Auffassung schon abgeschnitten sein sollte. Auf diese
Weise wird in den Gang der Reden Jesu eine Art Leben hinein-
gebracht, das sich freilich dem ei-sten Blicke als ein blosses
Scheinleben enthüllt. Denn die Entwicklung der Gedanken
wird doch nur wenig durch die Einreden, die Jesus ertährt, be-
dingt; sehr häufig nimmt er einfach von ihnen keine Notiz und
setzt den Gedankengang, in dem er begriffen war, ruhig fort,
z. B. im Nikodemusgespräch. Aber das schliesst ja nicht aus,
dass sie dem Evangelisten ein rhetorisches Mittel sind.
Aus der älteren Evangelienerzählung ist diese Form gewiss
nicht erklärbar, obgleich die Deutung des Sauerteigs der Pharisäer
bei Markus ein Missverständnis von demselben Schnitt ist, wie
die bei Johannes. So könnte man fast auf den Gedanken ge-
raten, der Autor habe nähere Bekanntschaft mit dialogischer
Literatui" gehabt, in der die Reden der Hauptperson durch
thörichte Einwände der Nebenpersonen unterbrochen wurden.
Eine Manier ist ja nun zweifellos vorhanden. Aber dass
sie keine blos stilistische Bedeutung hat, ist ebenso gewiss. Ihr
Ui"sprung wird daher auch nicht in der Gewöhnung an eine
literarische Form zu suchen sein. Offenbar dienen die Miss-
verständnisse dem Evangehsten zur sachlichen Charakteristik.
Dass der Unglaube der Juden darin zur Erscheinung kommt,
wird man auch leicht zugeben. Aber genügt das? Sind es
denn nur die Juden, die Jesus missverstehen? Muss nicht ein
Zusammenhang bestehen zwischen diesen Zügen und dem, was
der Evangelist über die mangelhafte Fassungskraft der Jünger
sagt? Mit andern Worten: prägt sich nicht auch in ihnen das
»Geheimnis« aus?
Ich möchte das in gewissem Sinne annehmen. Markus macht
in Bezug auf die Belehrung Jesu einen bestimmten Unterschied
1) Die Antwort des Nikodemus 34, die Jesu Wort auf eine eigent-
liche Geburt bezieht, beweist keineswegs, dass (ivw&tv »von Neuem«
lieisst oder auch nur doppelsinnig (H. Holtzmann z. St., 0. Holtz-
uiann S. 207) gemeint ist. Denn der Evangelist lässt Jesus auch sonst
missverstanden werden, wo sein Wort zum Voraus schon das Miss-
verständnis ausschliesst. An eigentliche Knechtschaft z. B. denken die
Juden 833, obwohl Jesus gesagt hat: die Wahrheit wird euch be-
freien (832).
200
zwischen dem Volke und den Jüngern. Er prägt sich in dem
Alleinsein Jesu mit den Jüngern aus, aber auch darin, dass be-
stimmte Themata dem Volke vorenthalten werden. Bei Johannes
kann man diesen Unterschied nicht machen. Das Einzige, was
man anführen kann, ist, dass zuletzt eine Belehrung der Jünger
allein erfolgt. Hier kann ein Einfluss älterer Darstellungen
vorliegen, überdies handelt es sich hier um Gedanken, die eben
speziell die christliche Gemeinde und die Jünger als ihre
Eepräsentanten angehen. Im Übrigen spricht Jesus nach Form
und Inhalt zu »den Juden« oder auch zu mehr neutralen Per-
sonen eigentlich ganz ebenso wie zu den Jüngern. Man denke
nur an die Weissagungen von seinem Tode. In der Aufnahme
der Belehrung ist aber ein prinzipieller Unterschied ebensowenig
wahrzunehmen.
Kommt nun bei den Jüngern in der Art der Unterweisung
wie in ihrer korrespondierenden Haltung eine Idee zum Vorschein,
so scheint dieselbe Idee auch auf die Zeichnung des Verkehrs
Jesu mit Anderen , insbesondere seinen Gegnern einzuwirken.
D. h. es scheint der allgemeine Gedanke zu Grunde zu liegen,
dass Jesus die übermenschliche Wahrheit, die er vom Himmel
brachte, während seines Erdenlebens in einer geheimnisvollen, an-
deutenden Form verkündigte und deshalb unverstanden blieb.
Beispiele für den Gebrauch von dunklen Worten gegen-
über den Juden wurden schon gestreift (733, 1232). Aber geht
nicht durch die meisten Reden Jesu etwas Figürliches, Mysteriöses ?
Jesus bedient sich wie absichtlich einer andeutenden, doppel-
deutigen i), das Missverständnis geradezu provozierenden Aus-
drucksweise. Man lese unter diesem Gesichtspunkte einen
Abschnitt wie die Geschichte vom samaritanischen Weibe (c. 4)
oder die Rede über das Brot des Lebens (c. 6). Liegt aber
nicht selbst dort, wo es sich nicht um eigentliche Lehre handelt,
dieselbe Erscheinung vor? In der Lazarusgeschichte z. B. sagt Jesus :
die Krankheit ist nicht zum Tode;
er denkt dabei an die Krankheit, die Jünger an die Genesung.
Er spricht vom »Einschlafen« {y.oi/.iaa3-ai), sodass darunter der
Schlaf und der Tod verstanden werden kann, vom Auferstehen
des Toten, sodass bei Martha der Gedanke an die letzte Auf-
1) Das S. 199 Anm. 1 Gesagte nehme ich hiermit nicht zurück.
201
erstelmng entsteht, während er selbst die gleich folgende Wunder-
that im Auge hat*). So scheint sich das oben Gesagte noch
zu erweitern. Jesus könnte im Rückblick auf seine ganze Lehre
sagen, er habe iv Ttagoiutaig gesprochen.
Doch es drängen sich Erwägungen auf, die diese Deutung
der Redeweise Jesu und der entsprechenden Missverständnisse
durchkreuzen.
Dass die doppelsinnigen Wendungen meist sehr bald klar
gestellt, die Missverständnisse durch weitere Erklärungen Jesu
gelöst werden, beweist freilich nicht viel. Das bringt zum Teil
schon der Gang der Erzählung mit sich, zum Teil ist eine Auf-
lösung auch schon der Leser wegen am Platze. Denn Jesus
redet im Evangelium, wenn er zu Freunden oder Gegnern spricht,
doch auch immer zum Leser 2).
Dagegen ist folgender Punkt von Wichtigkeit. Es ist doch
keine Erage, dass Johannes bei den Gegnern Jesu, die ja in
ihrer Haltung zugleich das christenhassende Judentum seiner
Zeit repräsentieren, ganz andere Gründe für das Nichtverstehen
Jesu wirksam denkt als bei den Jüngern oder sonstigen An-
hängern. Er hat sich selbst 123? ff. darüber näher ausgesprochen.
Hier zitiert er das aus den Synoptikern bekannte Wort Jes. 69.10.
Sie glauben nicht, weil ihre Augen verblendet, weil sie verstockt
sind. Dabei ist aber der Gedanke hinzuzunehmen: der Un-
glaube ist ihre Schuld, er ist Bosheit, sie wollen nicht den
Willen dessen thun, der ihn gesandt hat (7 17) 3). Das alles
1) 11 4, 11 f., 23 ff.
2) Vielleicht darf man es so verstehen, dass in der oben besprochenen
Stelle 16 16 — 33 die Jünger schliesslich (V. 28) einen Ausspruch Jesu zu
hören bekommen, in dem das Rätsel verschwunden ist. Oder will der
Verfasser nur in einer Art ästhetischer Absiebt am Ende der Eeden das
Nichtverstehen zu einem Abschluss bringen ?
3) Es ist merkwürdig, dass man diesem Worte unter dem Drucke
einer bekannten systematischen Verwendung noch immer einen Sinn
abgewinnt, an den der Evangelist gar nicht gedacht hat. Man findet
7 17 einen »erkenntnis-theoretischeu« Grundsatz, der die sonstige johanne-
ische Voraussetzung vom Primat der Erkenntnis durchbreche. Der
Evangelist soll sagen: wer sich von der Wahrheit der Lehre Christi
überzeugen wolle, der müsse vom sittlichen Gebiete ausgehen, mit dem
Thun des göttlichen Willens den Anfang machen. Vgl. H. Holtzmann
HC zu Joh.i S. 13. 18, Neutest. Theol. II S. 363, .1. Weiss, Nachfolge
202
zeigt sich iiatiü'lich auch in ihrem Nichtverstehen und Falsch-
verstehen. Dann aber entsteht die Fi'age: sollen die miss-
verständlichen, andeutenden Worte Jesu wirklich das Geheimnis-
volle seiner Lehre kennzeichnen, oder sind sie dem Evangehsten
nur das Mittel, die jMissverständnisse hervorzurufen, d. h. die
Blindheit mid Thorheit der Juden zu schildern?
Man hat in der That den Eindruck, dass auf das Zweite
der Schwei-punkt fällt, aber der erste Gesichtspunkt ist damit
nicht ausgeschlossen, und auch er dürfte doch vorhanden sein.
Halten wir uns an ein vergleichsweise deuthches Beispiel. Ist
das Wort ISss zu den Jüngern als 7iaqoLf.iia geredet, weshalb
soll es den Juden gegenüber 7 33 f. (vgl. 821) keine ^caooif.iia sein?
Äusserlich lassen sich die beiden Gesichtspunkte nicht scheiden.
Übrigens meine ich nicht, dass Johannes der Belehrung
Jesu hier den Rätselcharakter giebt, um ihm die Absicht bei-
zulegen, zeitweihg seine Gedanken noch zurückzuhalten. Das
passt wohl den Jüngern, aber nicht den Juden gegenüber. Viel-
mehr wird nur daran gedacht werden dürfen, dass das Rätsel
ein Ausdruck für die Höhe und Tiefe seiner Lehi'e ist. Es
entspricht dem erhabenen Charakter der götthchen Wahrheit^
dass sie in geheimnisvollen, schwer verständlichen Worten kund
wird.
Um das Ganze zu verstehen, ist freilich noch Anderes zu
bedenken. Wie schoii gesagt, hat es für den Evangelisten doch
auch wieder die höchste Bedeutung, Jesus seine Lehre und
seine Ansprüche mit grösster Klarheit aussprechen zu lassen.
Im Streite mit den Juden muss ihn aber noch etwas Besonderes
dazu treiben. Jesus selbst sagt 1022 (vgl. V. 24):
Wäre ich nicht gekommen und hätte zu ihnen geredet^
so hätten sie keine Sünde.
Der Unglaube der Juden, ihr böser Wille wird gerade dann
recht offenbar, wenn sie auch seine deutlichen, unverblümten
Ansprüche bezweifeln, abweisen und missverstehen. Denn miss-
Christi S. 52 f. Als ob den Evangelisten das Problem von der Ver-
gewisserung der religiösen Wahrheit beschäftigte! Er sagt einfach: bei
den Gegnern der Lehre Jesu, die seine Lehre nicht als göttlich an-
erkennen, liege der Grund nur darin, dass sie eben Gott ungehorsam
seien, bösen Willen haben. Demnach liegt auch kein Grund vor, in.
diesem Worte »synoptischen Klang« wahrzunehmen.
203
vei-standen wird Jesus doch auch, wo man etwas absichüich
Rätselhaftes in seine Ausdrücke schwer hineinlegen kann. Der
Ausdruck o jTei.npag //£ tiir Gott ist bei Johannes so gewöhnlich?
erscheint überall so sehr als ein festes Element seiner Lehrsprache^
dass er nicht wohl auf das Missverständnis berechnet sein
kann. Trotzdem wird gelegentlich (820) nach dieser Wendung
versichert :
sie begriffen nicht, dass er von seinem Vater zu ihnen
sprach.
Ebenso wird das slerO^eQoöv im geistigen Sinne (832) als ein
terminus zu betrachten sein, der nicht erst um des Miss-
verständnisses oder des Rätsels willen gebildet worden ist.
So kommen wir hier zu einem Eindruck, der dem früheren
gerade entgegengesetzt ist. Auch dies hat aber seine Vernunft.
Je greller die Sonne scheint, um so deutlicher wird, wie blind
das Auge ist, das von keinem ihrer Strahlen getroffen wird.
Die Sache ist ungemein schwer zu greifen und auf Fonneln
zu bringen. Wie mir scheint, wird man aber der Sprache des
Evangeliums nur gerecht, wenn man allen diesen so verschie-
denen Motiven, obwohl sie an der einzelnen Stelle gar nicht
immer sichtbar hervortreten, ihr Recht lässt; untergeordnete
Motive kommen dabei noch hinzu. Damit ist schon gesagt, dass
die Vorstellung, Jesus habe die Wahrheit in dunkler Form ge-
bracht, gewiss nicht voll, nicht ungebrochen, nicht als klar gefasster
Gedanke zur Erscheinung kommt. Aber dass er nachwirkt, ein-
wirkt auf das Ganze, neben anderem ein farbegebendes Moment
der Gesamtdai-stellung bildet, lässt sich schwerlich leugnen.
Ich ziehe die Summe aus den vorangehenden Unter-
suchungen.
Das Johannesevangelium zeigt eine Anschauung, die sich
mit der des Markus nahe berührt, und bietet somit auch einige
Bestätigung für unsere Interpretation des Markus. Ihre Be-
deutung für das Evangelium darf zwar nicht überschätzt
werden, aber sie hat doch eine wesentliche Bedeutung. Aus
den polemisch-apologetischen und dogmatischen Tendenzen des
Autors lässt sie sich auf keinen Fall begreifen. Dass er sie
von sich aus gebildet hätte, ist daher ganz unmögUch. Ebenso
undenkbar scheint es, dass der blosse EinHuss des Markus oder
204
der anderen Synoptiker sie erzeugt hätte. Denn die blosse
Verwandtschaft der allgemeinen Gedanken macht eine Uterarische
Entlehnung noch gar nicht wahi-scheinlich. Vielmehr miissten
gerade die eigentümlichenFormen, in denen sie bei Markus
oder seinen Nachfolgern auftreten, herübergenommen sein. Das
ist nicht der Fall oder höchstens in ganz eingeschränktem Sinne.
Doch es muss näher bestimmt werden, wie weit die Über-
einstimmung mit Markus reicht.
Gemeinsam ist beiden Schriftstellern jedenfalls der Ge-
danke, dass die Auferstehung für die Jünger zwei Zeiten
scheidet, die Zeit der Blindheit und die der Vollerkenntnis.
Ferner hält Jesus seine Lehre auch bei Johannes in ge-
wissem Sinne im Verborgenen, oder er teilt sie in einer
Weise mit, die die Hörer hindert, sie zu erfassen. Das ist
aber allerdings nicht mehr die Anschauung vom geheimen
Messias im Sinne des Markus, vom Messias, der sich selbst
verbirgt. Diese ist vielmehr m. E. verschwunden, wie denn der
Johanneische Christus gerade von vornherein offen mit dem An-
spruch auftritt, Gottes Sohn zu sein. Dagegen wird das, Avas
hierher gehört, auf den Eintluss zuriickzuführen sein, den die
besondere Vorstellung vom Reden Jesu in Parabeln geübt hat.
Denn sie wirkt freilich bei Johannes deutlich und kräftig nach,
und es ist dabei gleichgiltig, dass das Wort yiaooiaia nur selten
gebraucht wird.
Diese Voi"stellung ist nun aber anders und enger mit der
Vorstellung von der Unfähigkeit der Jünger verbunden als bei
Markus. Nach der synoptischen Überlieferung werden die Pa-
rabeln den Jüngern gedeutet; nur für das Volk bleiben sie
»Parabeln«. Bei Johannes ist der Rätselcharakter der Rede
Jesu gerade auf die Jünger in besonderm Sinne berechnet.
So bildet er geradezu die Ergänzung zu dem Gedanken der
Jüngerschwachheit und in gewissem Sinne seine Motivierung.
Dass Jesus einstweilen nicht begriffen wird, ist naturgemäss;
denn er hat dunkle Rede gebraucht. Die »offene« Rede wird
später Verständnis finden. Freihch das Umgekehrte ist auch
richtig : Jesus unterlässt die offene Belehrung, weil er liebe- und
nachsichtsvolle Rücksicht auf die Schwachheit der Jünger nimmt.
In beiden! zeigt sich zugleich, dass die Ansicht von den Jüngern
selbst nicht che Härte hat. die ihr bei Markus eignet.
205
Die Vorstellung der Parabelrede selbst hat aber eine innere
Umwandlung erfahren. Aus der Anschauung, dass Jesus einen
b e s t i m m t e n T e i 1 seiner ileden, eben die bekannten naqaßoXai,
gesprochen habe, um seine Lehre in Dunkel zu hüllen, ist der
Gedanke geworden, dass er seinen Jüngern gegenüber und sonst
dunkel in seiner Lehre gewesen sei. Aus dem Subjekte, von
dem die Synoptiker ihre Aussage machen, — der wirklichen
Gleichnisrede Jesu — ist bei Johannes s. z. s. ein Prädikat ge-
worden, ein Charakterzug seiner irdischen Redeweise überhaupt.
Natürlich vermag auch Johannes bei 7caQoifxla an eigentliche
Gleichnisrede zu denken. Nach dem Bilde vom Hirten und
den Schafen wird zur Einleitung der Deutung (10 6) bemerkt:
Dieses Gleichnis sprach Jesus zu ihnen; jene aber be-
griffen nicht, was das bedeute, was er zu ihnen sagte.
Aber die Beziehung der dunklen ß,ede auf solche Gebilde, wie
man sie sonst unter den Ttagaßolal oder 7caQ0if.iiai vorstellt,
hat sich doch ganz gelockert. Für den Evangehsten würde
Jesus ev TragoLf-ücug reden, auch wenn Derartiges gar nicht
existierte. Der Ausgangspunkt der Voi"stellung ist also so gut
wie vergessen.
Wenn wir nun das Recht haben, diese Vorstellung auch
dort zu finden, wo die Jünger nicht in Frage kommen, so
könnte man meinen, ursprünglich sei doch nur an die Jünger
gedacht, die allgemeinere Vorstellung sei erst eine Erweiterung.
Ich glaube vielmehr, sie wird das prius sein. Der ursprüng-
liche Gedanke war: Jesus redete auf Erden in Rätselworten.
Dieser Gedanke bleibt aber da, wo es sich nicht um das
spezielle Jüngerpublikum handelt, vergleichsweise unbestimmt
und unwichtig, weil entgegengesetzte Motive ihn zurückdrängen,
oder er erscheint nur als ein Mittel, den erhabenen, transzendenten
Charakter der Lehre Jesu fühlbar zu machen. Dagegen erhält
er seine scharfe Ausprägung bei der Schilderung der Jünger-
belehrung. Und zwar deshalb, Aveil er hier auf die andere
Vorstellung der Tradition trifft, dass die Jünger Jesus vor seinem
Tode nicht zu verstehen vermochten. Diese Vorstellung hat
ihn an sich gezogen, sich mit ihm verbunden und ihm dadurch
erst den eigentlichen Halt gegeben.
Man kann diese johanneische Auffassung leicht als eine
Umbildung der synoptischen Parabeltheorie verstehen. Die
206
spezielle Beziehung der Parabeln auf das Volk, wie sie die
-S}^loptiker anuebmeir. wäre dann in der Folge undeutlich ge-
worden oder in Wegfall gekommen. Indessen muss man wohl
mit der Möglichkeit rechnen, dass die Vorstellung vom Reden
in Parabeln auch früher schon ohne die Betonung des Volkes
bedeutungsvoll gewesen ist. Die johanneische Anschauung
könnte dann auch unmittelbar mit einer Form des Gedankens
in Kontinuität stehen, die noch hinter der synoptischen Auf-
fassung läge.
Noch eins scheint mir für Johannes bemerkenswert. Es
fällt auf, dass nicht blos Worte Jesu, sondern auch Vorgänge
seiner Geschichte wie der Einzug in Jerusalem (12 le) oder das
Fusswaschen (13") in ihrer höheren Bedeutung den Jüngern
dunkel bleiben. In ge\vissem Sinne ist das ja auch schon bei
Markus der Fall. Man darf an Jesu Leiden, Tod und Auf-
erstehung denken. Die Verständnislosigkeit der Jünger wird
zwar zunächst der Belehrung gegenüber gekennzeichnet, die
Jesus von diesen Dingen giebt, aber darin liegt ja, dass ihnen
die Thatsachen selbst unverständlich sind. Doch bleibe Markus
hier aus dem Spiele, da seine Voraussetzungen zum Teil etwas
anders sind. Bei Johannes ist die Ei-scheinung jedenfalls leicht zu
begreifen. Das Nichtverstehen der Worte Jesu ist natürlich
das Erste. Aber die Geschichte Jesu ist den Worten in ge-
wisser Hinsicht so verwandt, dass die scharfe Grenzlinie schwindet.
Die Vorgänge bedeuten etwas, und insofern treten sie mit
den Worten auf eine Linie, sie sind Lehre wie diese. Es ist
daher ganz natürHch, dass die, die sie erleben, sich ihnen gegen-
über ebenso verhalten wie den Reden Jesu gegenüber.
Sehen wir von den Besonderheiten des Johannes ab, so
ergiebt sich, dass er in seiner Anschauung von den Jüngern
•dem Markus teilweise näher steht als Matthaeus, der die iA.uf-
fassung des Markus verwischt, und selbst als Lukas, der sie
wesentlich einschränkt. Dies Zusammentreffen ist gerade darum
wertvoll, weil Markus und Johannes zwei ziemlich weit aus-
einander liegende Zeugen sind, und weil die Charakteristik der
Jünger bei Johannes aus Markus nicht verständhch wird, jeden-
faUs nicht aus Markus allein. Es beweist, dass es sich hier
um Gedanken handelt, die in weiteren Kreisen der Kirche
lebendig gewesen sind.
Dritter Abschnitt,
Gesehiehtliehe Beleuchtung.
Wir müssen die Idee der geheimen Messianität geschicht-
lich zu begreifen suchen. Denn bis jetzt ist sie selber für uns
noch ein Geheimnis. Und ein Geheimnis, das sich auf den
ersten raschen Bhck kaum enthüllen wird. Was hat es für
einen Sinn, dass man auf den Gedanken verfällt, Jesus habe
bis zur Auferstehung nicht erkannt sein wollen und sei that-
sächhch selbst von seinen vertrauten Jüngern nicht erkannt
worden? Man sucht nach einem dogmatischen Interesse, das
einen solchen Gedanken erzeugen könnte, man fragt etwa nach
dem Zwecke, den man Jesus zuschrieb, wenn man sich sein
Verhalten so dachte, wie es hier geschieht; aber auf diesem
Wege findet man keine Antwort.
Wir betreten überhaupt ein dunkles Gebiet, wenn wir nach
dem geschichthchen Zusammenhange fragen, in dem die An-
schauung entstajiden ist.
Wer da meint, er könne unter den messianischen Daten
der Evangehen dies oder jenes, was ihm zusagt oder imponiert,
ohne Prüfung als richtig hinnehmen, danach die andern Züge
beurteilen und das Gesamtbild entwerfen, hat wenigstens eine
gewisse Basis für die Untersuchung. Ich vermag mich diesem
Verfahren nicht anzuschliessen. Die Frage, ob Jesus sich über-
haupt fiir den Messias gehalten und als solchen kund gegeben
hat, ist bisher nicht sicher beantwortet worden. Die blosse
Berufung auf die Fülle des messianischen Stoffes in den
Evangehen oder auf einzelne in sich selbst vielleicht unbedenk-
208
liehe Geschichten erledigt die Sache ebensoweing wie ein
aprioristischer Zweifel. J. Weiss hat zwar kürzlich, im Sinne
Vieler, gesagt '), kein Sachkundiger, der vor der Überliefening
Respekt habe, werde wagen, das fortdauernde »Messiasbewusst-
sein« Jesu in Zweifel zu ziehen. Aber es handelt sich gerade
darum, wie die Überlieferung beschaffen ist, ob sie Respekt
verdient oder nicht. Klar ist niu* das Eine : wenn Jesus sich
wirklich als Messias gewusst und bezeichnet hat, so ist die echte
Überlieferung so sehr mit später zugewachsener verflochten,
dass sie nicht ganz leicht zu erkennen ist. Das ist schon durch
die obigen Untersuchungen genügend bewiesen.
Wir können hier lediglich fragen, ob sich nicht aus der
ermittelten Anschauung selbst folgerungsweise bestimmte Er-
kenntnisse ableiten lassen, die sie beleuchten ; und ob nicht
andere deutliche Anschauungen aufzufinden sind, mit denen vär
sie geschichtlich verknüpfen können.
Dabei sind wir zunächst ganz auf die Daten des Markus
gestellt. Aber es wurde schon bemerkt, dass Markus sich diese
Anschauung nicht ausgedacht hat. Wie eng oder wie weit
das Gebiet war, auf dem sie zu Hause war, bleibt dunkel ; doch
eine Geschichte hat sie vor Markus zweifellos gehabt. Wir
haben dai'um auch damit zu rechnen, dass sie in der Erzählung
vom Leben Jesu nicht überall in den konkreten Formen existiei-t
hat, die Markus uns zeigt.
Ich habe durchweg zwei Gedanken auseinandergehalten:
1) Jesus hat bis zur Auferstehung seine Messianität und Gottes-
sohnschaft verborgen; 2) von den Jüngern wurde er vor diesem
Momente nicht begriffen. Für die jetzige Untersuchung ist es
besonders mchtig, diesen Unterschied in aller Strenge aufrecht
zu erhalten.
Es ist nämlich sofort klar, dass keiner der beiden Ge-
danken unmittelbar aus dem andern folgt. Der erste Gedanke
enthält den zweiten nicht: d. h. aus der Geheimhaltung der
Messianität ergiebt sich nicht, dass die Jünger Jesus nicht ver-
stehen. Sonst müsste er sich vor ihnen auch verhüllen. Der
zweite Gedanke führt aber auch nicht notwendig auf den
1) J. Weiss, Jesu Predigt vom Keiclie Gottes S. 157.
209
ersten. Denn wenn es der VerstJlndnislosigkeit der Jünger
nichts abbricht, dass er sicli ihnen offenbart, so könnte er über-
haupt unerkannt bleiben, ohne sich geheim zu halten.
Hiernach entsteht die Vermutung, dass beide Gedanken
irgendwie einen verschiedenen Ursprung haben. Grleichwohl
ist ihre Verwandtschaft gross genug, um es wieder für unwahr-
scheinlich zu halten, dass sie ihrer Entstehung nach gar nichts
mit einander zu thun haben sollten.
Das Verbergen der Messianität bis zur Auferstehung.
Von vornherein Avill ich eine Vorstellung zurückweisen, die
sich bei der Untersuchung dieser Idee vielleicht einstellen
könnte.
In verschiedenen Wendungen begegnete uns der Gedanke
einer geheimen Belehrung. Und insofern Hesse sich mit einem
gewissen Rechte alles darunter befassen, als die Messianität
oder Gottessohnschaft Jesu, die dem Volke verborgen wird, ge-
radezu als der Inbegriff der christlichen Lehre gelten kann,
wie ein Markus sie denkt. Damit wären dann Vorstellungen
nahegelegt, Avie sie der Begriff »Geheimlehre« in der Dogmen-
geschichte erweckt. Dies Prädikat hat immer wieder dazu ge-
dient, eine bestimmte Lehre als die wahre zu legitimieren. Es
bedarf keiner Überlegung, um zu sehen, dass eine solche
Tendenz nicht der Ausgangspunkt unseres Gedankens sein kann.
Wo der Titel Geheimlehre eine Beglaubigung bedeutet, pflegt
es sich um die Empfehlung einer neuen Lehre neben einer
bekaimten und anerkannten zu handeln. Bei Markus steht
neben der geheimen Lehre keine öffentliche Lehre mit anderem
Inhalt. Dies genügt schon, um den Gedanken abzuweisen.
Aber wo muss nu)i liei dem Versuche einer Erklärung der
Hebel angesetzt werden? Wir haben den Gedanken des Ge-
heimnisses, deutlicher der Geheimhaltung in mehreren Formen
gefunden. Hier lassen sich drei Hauptvorstellungen unter-
scheiden :
Jesus verbirgt sein Wesen oder seine Messianität.
Wrede, Messiaspeheimiiis. 14
210
Er verhüllt seine Lehre durch Parabelrede.
Er hält seine Lehre geheim (ohne nähere Bestimmung).
Ich nehme an, dass diese Voi-stellmi gen zusammenhängen. Dann
wird vor allem Weiteren zu fragen sein, welches die Grund-
vorstellung ist. auf die sich die eigentliche Erklärung zu
richten hat.
Deutlich scheint mir da zu sein, dass die Vorstellung der
geheimen Lehre im unbestimmten Sinne nicht als der Aus-
gangspunkt des Ganzen gedacht werden kann. Im Markus
tritt sie jedenfalls sehr zurück, abgesehen von der besonderen
Vorstellung der geheimnisvollen Weissagung des künftigen
Geschickes Jesu, aus der man das Übrige nicht wird ableiten
wollen. Vor allem aber ist es schwer zu begreifen, wie von
hier aus die bestimmte Vorstellung vom Geheimnis der Person
Jesu entstanden sein sollte. Ist diese dagegen das prius, so ist
der Weg zum Geheimnis der Lehre leicht, sobald die Lehre auch
als eine Funktion des Messias betrachtet wurde.
Immerhin ist es aber der Erwägung wert, ob nicht die
Parabeltheorie die Grundlage der ganzen Anschauung ist. Der
Vorteil dieser Erklärung läge darin, dass ^\ir sofort einen kon-
kreten Anlass für die Bildung des Gedankens hätten. Dass
Jesus in Parabeln gelehrt hatte, war in der Überlieferung ge-
geben; dass er die Sprache der Parabeln wählte, um seine
Gedanken zu verbergen, war nach der Bedeutung von rtagaßoli^
ein fast aufgenötigter Gedanke.
Von der fertigen Parabeltheorie aus müssten wir uns dann
etwa folgenden Gedankengang vorstellen: Jesus hat sich dem
Volke durch dunkle Rede verschlossen. Natürlich hat er dabei
die Hauptsache nicht ausgenommen, die Messianität. Also hat
er dem Volke verborgen, dass er der Messias sei. Also hat er
verboten, darüber zu sprechen, sobald er als Messias bezeichnet
wurde.
Niemand wird an diesen Gedankengang glauben, und nicht
nur danim, weil er keine Notwendigkeit hat. Bei Markus geht die
Parabeltheorie wohl in gewissem Sinne neben den einzelnen
Gleichnissen her, aber der Gedanke der verhüllenden Rede ist
doch von den konkreten Gebilden der Gleichnisse keineswegs
abgelöst. Sollen wir nun annehmen, dass vor Markus diese Ab-
lösung sich längst vollzogen habe, und dass neben dem gänzlich
211
umgewandelten Gedanken sich andrei*seits die ursprüngliche
Theorie in ihrer ersten Gestalt bei ihm darstelle? Unmöghch
sind solche Entwicklungen ja keineswegs. Indessen es müssen
bessere Gründe vorhanden sein als hier, wenn wir mit ihnen
rechnen sollen ; und der Weg, den hier die Vorstellung durch-
laufen haben müsste, bis sie ihre konkrete Gestalt bei Markus
erreicht hätte — für ihn müssen die Verbote als der Haupt-
punkt gelten — , ist denn doch sehr weit. Dazu noch eins. Bei
den Verboten ist, wenn wir recht gesehen haben, der Gedanke
an den Zeitpunkt der Auferstehung wesentlich. Die Be-
deutung dieses Zeitpunktes kann von der Parabelanschauung
aus nicht begriffen werden i).
Demnach betrachte ich als den eigentlichen Gegenstand
der Untersuchung die messianische Selbstverhüllung Jesu im
nächsten und engsten Sinne des Wortes.
Hier kann nun die Vermutung auftauchen, dass eine
messianische Vorstellung des Judentums die Erklärung liefere.
Auch auf jüdischem Boden begegnet uns der Gedanke, dass
der Messias eine Zeit lang verborgen existiert, und zwar nicht
blos im Himmel, was hier ja nichts bedeuten würde, sondern
auf Erden. Haben wir hier den Vorgänger des christlichen
Gedankens bei Markus? Auch wenn volle Identität der Vor-
stellungen nicht vorhanden wäre, könnte es wichtig sein, dass
das Judentum eine solche Vorstellungsform geschaffen hätte.
Das Entstehen einer Idee wird leichter begreiflich, wenn eine
Form für ihren Inhalt schon fertig vorliegt.
Der verborgene Messias des Judentums.
Wir finden den Gedanken^) in deuthcher Prägung bei Justin.
Der Jude Trypho sagt im Dialoge c. 8:
(Der) Christus [aber], wenn er auch (schon) geboren ist
und irgend wo lebt (xat tOTi rtov), ist unbekannt und
1) Diese Erwägungen stützen auch das oben S. 62 f. Gesagte.
2) Vgl. zum Folgenden G fror er, Jahrhundert des Heils II S. 223 ff.,
Lücke zu Joh. 727, Sehürer, Gesch. des jüd. Volkes^ II, S. 531 f.
.(= ■•'II S. 447 f.), Da Im an, I S. 247, 107.
14*
212
kennt sich auch selbst noch nicht, hat auch noch keinerlei
Macht, bis dass Ehas gekommen ist, ihn gesalbt ^) und
allen offenbar gemacht hat.
Ebenso giebt Justin c. 110 als jüdische Vorstellung an: auch
wenn der Messias gekommen sei, wisse man doch nicht, wer er
sei, vielmehr erfahre man es erst, wenn er offenbar werde und in
Hen^lichkeit erscheine (orav e/ncpavrjg y,al ivdo^og yevrjTca).
Diese Anschauung tritt bei Justin der chiistlichen Behauptung
gegenüber, dass der Messias schon gekommen sei. Das Juden-
tum kann die Möglichkeit zugeben, dass er bereits geboren ist,
aber es legt dem nicht die Bedeutung bei wie die Christen,
und eigentlich überhaupt keine Bedeutung; denn es kanji mit
dieser leeren Möglichkeit nichts anfangen. Die Erfüllung der
Hoffnung beginnt doch erst mit dem Augenblicke, wo er in
Glanz und Herrschermacht hervortiitt; oder mit der Ankunft
des Elias, die das Kennzeichen ist, dass er selbst erscheint.
Eine verwandte Voi-stellung setzt das Johannesevangelium
voraus, wenn die Juden 72? sagen:
wenn der Chiistus kommt, so weiss niemand, von wannen
er ist;
die Verborgenheit seiner Herkunft erscheint als ein Kennzeichen
des Messias. Verwandt ist auch das rabbinische Theologumenon,
dass der Messias, nachdem er geboren ist, zunächst wieder
entrückt wird, ehe er als Messias auftritt 2).
Wie alt die von Justin bezeugte Vorstellung ist, wissen
wir nicht. Man darf nicht vergessen, dass gerade die Existenz
eines christlichen Messiasglaubens die jüdische Gelehrsamkeit
und Spekulation über den Messias sehr stark belebt haben wird.
Das ist eine Warnung, solche Vorstellungen unbesehens in die
vorchristhche Zeit zu schieben. Aber es mag sein, dass diese
schon da war, als Markus schrie!). Es mag auch sein, dass
sie weiteren clu-istlichen Kreisen vor Markus bekannt war, wie-
wohl sie eher nach einer gelehrten Tiftelei aussieht als nach
einer populär-jüdischen Anschauung. An irgend einen Zu-
1) Vgl. Dial. c. 49. üerJude sagt: Ix rfi tov ^»jJi 'HXiuv ilrjXvd^evai,
Ol Ji TovTov (Jesus) c(7TO(faivofx«i th'tu (sc. der Christus).
2) S. Da Im an a. a. 0.
213
sammenhang mit dem christlichen Gedanken der verborgenen
Messianität vermag ich selbst unter diesen Voraussetzungen nicht
zu ghiuben. Deim diese Anschauung ist von ihm zu verschieden.
Misshch ist schon, dass man eine andere Gestalt des christ-
lichen Analogons erwarten sollte: eine Verborgenheit nur vor
der Taufe durch Johannes als den Elias, der zum Messias
Jesus gehört. Jedoch braucht der Gedanke an die Salbung
und Kundmachung durch Elias nicht durchaus als notwendiger
Zug der jüdischen Vorstellung zu gelten, sie könnte auch ohne
ihn existiert haben. Entscheidend aber ist, dass die Verborgen-
heit hier und dort etwas ganz Verschiedenes bedeutet. Bei
Markus verhüllt der Messias absichtlich die Würde, deren er
sich bewusst ist, er verhüllt auch sein Wirken, das dieser Würde
entspricht. Bei Justin handelt es sich nur um ein inhaltloses
Da-sein des Messias vor seinem Auftreten. Er ist unbekannt,
das bedeutet lediglich: er ist zunächst nur »ein Mensch von
Menschen her« i), von dem man nichts weiss. Nicht einmal er
selbst, wird charakteristisch hinzugefügt, weiss von seiner Be-
stimmung. M. a. W. diese Idee ist nichts weiter als der
Schatten der wichtigeren Vorstellung von einem unberechenbaren,
plötzlichen Erscheinen des Messias in Herrlichkeit. Und es ist
allerdings nicht unwahrscheinlich, dass sie nur entstanden ist,
weil einerseits dieses plötzliche Erscheinen feststand, andrerseits
das messianische Dogma aufgekommen war, der Messias werde
als Kind in Betlehem geboren werden 2). Sie würde dann die
Verbindung und den Ausgleich beider Gedanken darstellen.
Ich vermag nicht zu sehen, wie man die Markusanschauung von
hier aus irgendwie erklären will.
Dagegen giebt es nun eine christliche Anschauung, deren
nahe Verwandtschaft mit der unsern sich kaum in Abrede
stellen lässt: es ist der Gedanke, dass Jesus erst mit der
Auferstehung zum Messias wird.
Der Vergleich drängt sich einmal deshalb auf, weil die
Auferstehung in beiden Fällen das massgebende Datum ist. So-
dann aber ist die Betrachtung des irdischen Lebens Jesu in
1) Dial. c. 49.
2) S. Schürer a. a. 0.
214
ihrer negativen Art nah verwandt: das eine Mal muss man
die Folgerung bilden : Jesus war während seiner irdischen Wirk-
samkeit noch nicht der Messias, das andere Mal heisst es: er
wollte es noch nicht sein, und er galt noch nicht als solcher.
Demgemäss ist die Auferstehung hier die Offenbarung, dort die
Eealisierung der Messianität. In der That, der Eindruck, dass
diese Gedanken zusammenhängen, ist von vornherein stark.
Der Punkt erfordert eine eingehende Betrachtung. Es sei
gestattet, die Vorstellung, dass Jesus erst nach seinem irdischen
Leben Messias wird^), kurzweg mit dem Ausdnick »zukünftige
Messianität« zu bezeichnen.
Der geheime und der zukünftige Messias.
Petms sagt in seiner PfingstiDredigt (Act. 2 so), dass Gott
den Jesus, den die Juden kreuzigten, zum Herrn und zum
Christus gemacht habe; hinzugedacht ist dabei: durch die
Auferweckung, Dies Wort würde ganz allein beweisen, dass es
im Urchristentum eine Anschauung gegeben hat, nach der Jesus
in seinem irdischen Leben nicht der Messias war. Ich vermeide
den Ausdinck: noch nicht der ganze Messias. Im irdischen
Leben fehlt Jesus allerdings nur eins, um der Messias zu sein:
die Herrscherwürde und -macht. Aber dies Eine ist das Ganze,
es macht eben den Begriff des Messias aus, sowie ihn das
Christentum vom Judentum überkommen hat. Die Auferstehung
hat erwiesen, dass Jesus diese Würde und Macht nunmehr er-
langt hat; und nicht blos erwiesen, sondern bewirkt. Von nun
an kann man also des Messias warten; vorhanden ist er, so
kann er kommen.
Mit Recht weist man darauf hin, dass Paulus eine analoge
Anschauung verrät. »Kraft der Auferstehung von den Toten«
ist Jesus »eingesetzt zum Sohne Gottes in Macht« (Rom. I4).
1) Es ist ein Verdienst von J. Weiss, diese Auffassung von der
Messianität besonders kräftig vertreten zu haben. S. Nachfolge Christi
S. 59ff., Predigt J. vom Keiche Gottes S. 158 f., auch Komm, zu Lukas
S. 637 f. (zu Luk. 22 66 ff.). Vgl. ferner Brandt, Die evang. Gesch.
und der Ursprung des Christentums S. 478 (Änm.), Dalman I S. 259,
auch Well hausen, Israelit, und jüd. Geschichte 1. Ausg. S. 318,
4. Ausg. (1901) S. 391, Holtzmann, Neutest. Theol. I S. 361, Jülich er,
Gleiehnisreden II S. 473.
215
Es ist gleichgiltig, ob Paulus auch den irdischen Jesus Sohn
Gottes nennen konnte. Das käme dann nui- daher, dass er im
vorirdischen Dasein die Sohnschaft, das elvai Yoa ^e(n liesass.
In Wahrheit hat der Menschgewordene sich ja gerade des Daseins
entäussert, das den Sohn Gottes kennzeichnet i). Und so wird
er auch nach Paulus durch die Auferstehung etwas, was er als
Mensch in keinem Sinne war. Deutlich sagt das auch die be-
kannte Stelle des Philipperbriefs (2 off.). Das raenschhche Sein,
in dem Jesus aller Würde und Hoheit, die ihm zustände, haar
und leer ist, wird aufgehoben durch die Erhöhung, und damit
empfängt er den Namen über alle Namen, den Herrnnamen,
mit dem Namen aber natürlich die Sache, die Herrschaft über
alle und über alles.
Bedeutsam ist ferner die Art, wie das Neue Testament von
seiner dereinstigen Erscheinung redet. Wir hören nicht von
seinem Wiederkommen, sondern nur von seinem Kommen. In allen
eschatologischen Reden der Evangelien wird vom Christus nicht
anders gesprochen wie vom erwarteten Reiche: der terminus ist
l'QXeo&m^). nagoLola ferner heisst nicht Wiederkunft, sondern
stets Ankunft: man sollte die lalsche Übersetzung 3) streng ver-
meiden, um nicht eine Avichtige Eigentümlichkeit der neutestament-
lichen Sprache zu verwischen. Der ganze Sprachgebrauch ruht
offenbar auf der Vorstellung, dass die »Wiederkunft« die erste
und einzige messianische Erscheinung ist. Jesus ist dagewesen^
aber der Messias kommt doch erst. Dass er aber erst bei der
Ankunft Messias wird, ist damit nicht gesagt. Er ist es seit
der Auferstehung.
Es ist nützlich der Veränderung zu gedenken, die hier die
Folgezeit biingt. Justin unterscheidet schon überall eine ugiorri
und Öevrega nagotoia Christi, (he eine ist ado'iog, die andere
svdoBog*). Gerade die doppelte Ankunft ist eine christliche
Unterscheidungslehre gegenüber dem Judentum. Natüriich wn'd
1) Die Sohnschaft im wahren Sinne hängt auch für die Christen
an dem Verlassen des Fleischeslebens (Köm. 823). Erst damit werden
sie dem »Bilde des Sohnes«, d. h. seiner Seinsweise gleich gestaltet (829).
2) Luk. 1730: (inoxuXvnrtaiha.
3) Auch bei der naQovala des Antichrists 2. Thess. 28 f. hat sie
Unheil gestiftet.
4) Dial. c. 4i>.
216
sie auch bereits in der Schrift gefunden: die beiden Böcke
Lev. 16 sind der Tyi^us der beiden TtccQovoim i). Aber auch
schon bei Ignatius ward der neue Sprachgebrauch bemerkhch,
unter der nagovoia zov owziJQog wird 2) die Erscheinung im
Fleische verstanden 3).
Diese Veränderungen der Terminologie sind charakteristisch.
Indessen deckt sich die Sache nicht immer ganz mit der Ter-
minologie; die Terminologie hinkt etwas hinterdrein, auf die
Sache aber kommt es an. Diese ist nun doch z. B. im Johannes-
evangehum bereits völlig da. Hier ist Jesus offenbar in seinem
geschichthchen Leben bereits der Messias. Mag das einstige
Kommen^) Christi bedeuten, was es will, das Gekommen sein,
das Erscheinen im Fleische steht an Wichtigkeit nicht dahinter
zurück. Das Urteil: er war der Messias, ist genau so not-
wendig wie das andere: er hat Gott und seine AVahrheit ge-
off"enbart, hat alles vollbracht, was zum Heile notwendig ist.
Die Entwickelung in der Anschauung vom Messias Jesus,
die wir hier wahrnehmen, lässt sich wohl verstehen.
Die Auffassung, nach der Jesus erst nach seinem Tode zum
Messias wrd, ist sicher nicht blos alt, sondern die älteste, von
der wir wissen. Wäre von Anfang an das irdische Leben Jesu
als eigenthches Leben des Messias angesehen worden, so wäre
man schwerlich nachträghch darauf verfallen, die Auferweckmig
als den formellen Beginn der Messianität, die Erscheinung in
Herrhchkeit als das eine Kommen des Messias zu betrachten.
Eine andere Erwägung kommt hinzu. Wer konnte nach jüdischen
Begriffen im irdischen Leben Jesu das Wesen der Messianität
auch nur zum Teil verwirklicht ffnden? So dehnbar waren denn
doch diese Begriffe schwerlich &), dass man einen umherziehen-
1) Dial. c. 40.
2) Ad Philad. c. 9. Ebenso auch A';jpi';'ji/«/7frpoi; (bei Preus eben,
Antilegomena p. 54, Fragm. 9).
3) Justin gebraucht so neben naooiaia auch ^nnfävnn (Apol.
1.44) oder (fcwfQuiaig tov Xoiaiov. Übrigens zeigt sich die Wandlung im
Sprachgebraucbe auch schon in den spateren Schritten des N. T. Vgl.
z. B. ^nitfävnu 2. Tim. lio.
4) 1. Job. 228: nuQovaia.
5) An eine Elastizität, wie sie Harn ac k, Das Wesen des Christen-
tums S. 86f. hier annimmt, vermag ich nicht zu glauben. Es fragt sich
eben, was die evangelischen Daten wert sind, auf die er sich stützt.
217
den Lehrer und Krunkenheiler, dessen Leben von Herrschaft
und Herrhchkeit nichts aufwies, als wirklichen Messias ansehen
konnte. Denkbar scheint nur, dass Wirksamkeit oder Persönhch-
keit Jesu schon zu seinen Lebzeiten die Frage, die Ahnung, die
Hoffnung, vielleicht den Glauben erweckt hätte, er sei zum
Messias von Gott ausersehen. Das hiesse aber eben wieder nur,
dass er es noch nicht war. Wer das Petrusbekenntnis für ein
geschichtliches Faktum hält, muss auch schon daraus den
gleichen Schluss ziehen. Denn es beweist dann jedenfalls; dass
das Volk bis dahin trotz aller vorhergegangenen Wunderwirk-
samkeit nichts in Jesus fand, was auf seine Messianität zwingend
hinwies; und selbst für die Jünger müsste trotz aller Verehrung
für den Meister die längste Zeit dasselbe gegolten haben.
Diese älteste Auffassung der Messianität Jesu hat nun mehr
und mehr eine Verschiebung erfahren. Das Entscheidende ist
dabei nicht, dass man den irdischen Jesus den Messias nannte,
oder dass man sagte, Gott habe den Messias gesandt; das
würde immer noch heissen können: der ist dagewesen, den wir
nun als Messias erwarten dürfen. Vielmehr kommt alles darauf
an, dass die Thatsachen des vergangenen Lebens Jesu ein neues
Gewicht und ein anderes Ansehen erhielten.
Das nächsthegende Beispiel ist hier der Tod Jesu, ur-
sprünghch ein Ereignis, das den schneidendsten Gegensatz zu
jeder auf Jesus gerichteten Hoffnung darstellen musste. Wer
ihn als Erlösungstod betrachtete, erkannte damit an, dass das
Vergangene, das Geschehene nicht blos eine Anwartschaft gab
für das Künftige, sondern wirklich schon etwas Wesentliches
gebracht hatte. Das ist trotz des oben Gesagten bereits bei
Paulus der Fall. Es ist zwar nicht richtig, dass bei Paulus
die Sehnsucht nach der Zukunft zurückträte hinter der Em-
pfindung der schon erfahrenen Erlösung, und man sollte nicht
sagen, er betone den Glauben mehr als die Hoffnung i). Denn
dass der Glaube betont wird, hat andere Gründe, und es lässt
sich zeigen, dass alle Aussagen des Paulus über die bereits voll-
zogene Erlösung in sich den Hinweis auf die Zukunft tragen.
Aber soviel ist richtig: so sehr auch bei ihm alle Gedanken auf
1) So Wollhausen, Israel, u. jüd. Gesch." S. ;519. Die 4. Ausj;
•S. 392 fügt zum Glauben die Liebe hinzu.
218
das Ende hindrängen, so sehr ruht seine Hoffnung allerdings schon
auf dem, was Gott in Christus gethan hat, auf der Thatsache
der Vergangenheit, dass er gestorben ist.
Allein neben dem Tode wurde vieles Andere im Erden-
leben Jesu bedeutungsvoll, notw^endig, unentbehrlich, ob es nun
erst hinzuwuchs ziu' Erinnerung oder schon ursprünglich in ihr
enthalten war. Nicht blos die Begabung mit dem Geiste und
die übernatürliche Geburt gehören dahin, sondern schliesslich
auch die Wunder-), als die Zeichen und Zeugnisse seiner Macht
und Herrlichkeit, sowie alles, was bewues, dass sich die Weissagung
au ihm erfüllt habe. Denn die blosse Thatsache, dass ein Zug
seines Lebens, auch ein untergeordneter, geweissagt war, ver-
wandelte seine Quahtät.
Einigermassen parallel mit dieser wachsenden Bedeutung
des Lebens Jesu gieng ein Verblassen der ersten Hoffnung, das
Zurücktreten nicht des Glaubens an die Parusie, aber an die
unmittelbar bevorstehende Parusie.
So gewann das L'rteil : Jesus ist der Messias gewesen,
mehr und mehr einen eigenen Inhalt und eine selbständige Be-
deutung. Es entstand ein neuer, ein spezifisch christ-
licher Messiasbegriff, der nicht bestimmt genug von dem
älteren unterschieden werden kann, ein Begriff von sehr kom-
plexer Art. Er war zum guten Teile dadurch zu Stande ge-
kommen, dass eine Fülle von neuen Prädikaten zum über-
kommenen Begriff des Messias hinzutrat, wodurch auch die
alten ein neues Gesicht bekamen, oder dadurch, dass alles
Wesentliche, was man von Jesu Leben wusste und zu wissen
meinte, zum Begriff des Messias selber geschlagen wurde.
Die Datierung der Messianität von der Auferstehung ist
nun jedenfalls nicht ein Gedanke Jesu, sondern ein Gedanke
der Gemeinde. Das Erlebnis der Erscheinungen des Auferstan-
denen ist dabei vorausgesetzt. Das kann nur der leugnen, der
die Weissagung der sofortigen Auferstehung für Jesus möglich
findet
1) Auch wenn sie schon zu Jesu Lebzeiten den Gedanken an seine
raessianische Bestimmung erweckt haben sollten, würden sie doch nach-
her noch in einem anderen Sinne messianisch bewertet worden sein.
219
Ebenso deutlich scheint mir, dass Jesus nicht so von seinem
messianischen Kommen geredet haben kann, wie es die Synoptiker
berichten. Die oftmals heimlich weggewünschten und ebenso oft
als Trumpf ausgespielten Parusieaussagen über den Menschen-
sohn setzen doch ganz offenbar den christlichen Messias-
begriff voraus. Vom Kommen des Messias konnte zwar jeder
Jude reden. Aber es ist ein grosser Unterschied, ob Dritte so
sprechen, oder ob Jesus selbst der Eedende ist. Das »Kommen«
ist doch ein Kommen auf die Erde. Jesus redet aber auf der
Erde. Folglich ist der Tod, der ihn von der Erde entfernt, in
diesen Aussagen eingeschlossen. Die Evangehsten haben daran
nicht gedacht; sie geben diese Worte von ihrem eigenen Stand-
punkte hinter dem Tode Jesu. Andernfalls hätten sie —
wenigstens Markus — vermutlich erst recht nach ihnen beteuert,
dass die Jünger Jesus nicht verstanden. Für uns aber liegt
hier ein unüberwindlicher Anstoss. Ob Jesus mit der Mög-
lichkeit oder Wahrscheinlichkeit seines Todes ge-
rechnet hat, kommt hier gar nicht in Betracht. Wer so sprach,
für den war der Tod nicht das eine und nicht das andere, er war
eine Selbstverständlichkeit geworden. Er brauchte nicht eimnal
mehr genannt zu werden, wenn von ihm die Rede war. Auch
bei seinen Hörern müsste Jesus, wenn er so gesprochen haben
soll, vorausgesetzt haben, dass sie mit dem Gedanken so vertraut
waren, dass sie das übergangene Zwischenglied ohne Weiteres
ergänzten. Vor den Richtern möchte eine Drohung Jesu, er
werde auf den Wolken des Himmels kommen, noch vei'ständlich
scheinen, wenn die Hiiu'ichtung beschlossene Sache war; aber
die Evangelisten lassen Jesus auch sonst ebenso reden, Markus
gleich nach dem Petrusbekenntnis und trotz der Ablehnung des
Leidensgedankens durch den Jünger (Sss), Matthaeus gar in der
Aussendungsrede (IO23) *).
Der Glaube Jesu an eine künftige Erhöhung, eine der-
einstige Krönung mit messianischer Herrlichkeit ist hiermit
noch nicht als unmöglich erwiesen. Man könnte sagen, er
habe sie auf Erden erwartet, etwa in der Form einer Ver-
1) Der Charakter der Parusieaussagen ebenso wie der der Leidens-
weissagungen wirft nebenbei auch ein Licht auf den terminus o vlos
Tov «ri^^JWTToi', der ja bei beiden eine besondere Rolle spielt.
220
Wandlung ^), vielleicht aucli, er habe diese Erwartung später nach
den geschichtlichen Umständen modifiziert, indem er mit der
Wahrscheinlichkeit des Todes vor der Erhöhung rechnete 2).
Von beideni wissen die EvangeHsten freilich nichts, wenn man
bei ihren Worten bleibt.
Eine wesenthche Schwierigkeit für die Annahme, dass
Jesus sich selbst für den Messias ausgegeben habe, liegt darin,
dass man nicht leicht angeben kann, was er damit gemeint hat.
Ist der Gedanke an eine Messiasproklamation im politischen,
patriotisch-revolutionären Sinne ausgeschlossen, was bedeutet dann
der messianische Anspruch? Charakteristisch für die Sachlage
ist, was Wellhausen geantwortet haf^). Jesus hat gerade alle
jüdischen Messiasvorstellungen abgelehnt. Er richtete die Hoff-
nung und Sehnsucht >auf ein anderes Ideal, höherer Ordinmg.
Nur in diesem Sinne kann er sich den Messias genannt haben :
«ie sollten keines andern warten. Er war nicht derjenige, den
«ie wünschten, aber er war der wahre, den sie wünschen
sollten«. Ich gestehe, dass ich mir davon keine Vorstellung
machen kann. Ein jüdischer Mann, der inmitten seines Volkes
lebt und wirkt, substituiert dem festgeprägten Messiasbegriffe
«twas, was alle seine eigentlichen Merkmale aufhebt, er ver-
wandelt eine theokratisch - eschatologische Idee unter der Hand
in eine geistig-religiöse, wie sie keinem Juden bekannt war?
Aber hier scheint nun gerade die einfache und klare An-
nahme zu helfen, dass Jesus sich rein »im proleptischen Siinie«
als Messias betrachtete und bezeichnete. Damit wird die
Kontinuität mit dem jüdischen Begriffe, d. h. dem einzig vor-
handenen gewahrt, eine Vergeistigung der landläufigen Gedanken
durch Jesus scheint gleichwohl nicht ausgeschlossen, und es
wird der Thatsache Rechnung getragen, dass alle prophetische
1) Weizsäcker, Apostol. Zeitalter S. 14.
2) Wer nie, Die Anfänge unserer Eeligion S. 33.
3) Well hausen, Israel, u. jüd. Gesch.* S. 315. Die 4. Ausg.
S. 387 fügt den zitierten Worten hinzu: »Wenn man also, wie man
doch eigentlich muss, dem Worte die Bedeutung lässt, in der
es allgemein verstanden wurde, so ist Jesus nicht der Messias gewesen
und hat es auch nicht sein wollen«. Damit wird doch wohl aufge-
hoben, dass er sich den Messias genannt und, wie es zuvor heisst^
•den Jüngern als solchen kund gegeben hat.
221
Kraft seiner Predigt, alle sittliche Grösse seiner Erscheinung
und alle Heilthätigkeit sein Auftreten doch noch nicht messia-
nisch machte.
Das Vertrauen, mit dem diese Auffassung vorgetragen wird^),
ist mir dennoch nicht recht verstündlich. Die Schwierigkeit
ist nur auf eijien andern Punkt verlegt, und zwar auf das psy-
chologische Gebiet.
Ein wollender und handelnder Messias, ein Prätendent,
der die Massen zu einer Bewegung gegen die Fremdherrschaft
fortzureissen suchte, mochte gemss sein können, dass Gott ihm
zur rechten Stunde die Krone selbst aufs Haupt setzen werde.
Wie denken wir uns eine solche Gewissheit bei Jesus, wenn er
jeder ähnlichen Wirkung auf die Massen sorgfältig aus dem
AVege geht? Nicht Segen und Beistand im Allgemeinen soll
Gott ihm geben, sondern eine ganz bestimmte und eine einzig-
artige Ehre und Würde. Wie kann er das wissen, d. h. fest
und sicher glauben ? 2) Wie kann er, wenn er nur hofft, einen
messianischen Anspruch nach aussen erhoben haben? 3) Und
das müsste er wohl in irgend einem Sinne gethan haben, wenn
er sein Bekenntnis vor dem Hohenpriester gesprochen und als
Messias das Todesurteil empfangen haben soll. Dass der beken-
nende Petrus und der fragende Hohepriester die Messianität
ebenfalls »proleptisch« *) verstanden haben müssten, macht die
Sache auch nicht leichter. Nun, die Elle landläufiger Psycho-
logie, sagt man, ist kein Mass für eine religiöse Persönhchkeit
wie Jesus; Avir wissen wenig darüber, wie bei den Grössten
der Beligionsgeschichte eigenartige Gewissheiten über den eigenen
Beruf entstehen, und bei Jesus darf man das »Sohnesbewusst-
sein« nicht vergessen.
Ich folge dem an dieser Stelle nicht weiter. Es soll hier nicht
etwa nebenbei entschieden werden, ob Jesus sich wirklich für den
Messias gehalten hat. Dafür kommen noch ganz andere Gesichts-
1) Vgl. .J. Weiss und Dal man.
2) Brandt S. 476 ff.: zur völligen Gewisslieit habe Jesus seine
Bestimmung zum Messias nie werden können. — Einige Unsicherheit
hinsichtlich dieser Gewissheit scheint doch auch durch J. Weiss' psy-
chologische Erörterungen (Eeich Gottes S. 156) hindurch.
3) Dies auch gegen Brandt.
4) J. Weiss, üalman.
222
punkte in Frage. Meine Absicht bei diesen Erörterungen war.
ein Fragezeichen zu machen und damit anzudeuten, weshalb
ich hier die Anschauung Jesu selbst nicht in Ansatz bringe.
Leichter erkennbar ist für uns jedenfalls auch an diesem
Punkte die Auffassung der Evangelisten. Welche Stellung
nehmen sie in der oben berührten Entwicklung ein? Ich ant-
worte: sie ist hier gewiss noch nicht abgeschlossen, aber sie
neigt sich bereits dem Abschlüsse zu. D. h. man weiss zwar
noch nichts von einem doppelten Kommen, die künftige Er-
scheinung des Messias ist auch überall das Ziel der C-redanken,
aber der Sache nach wird schon das ganze Leben Jesu als
Ausstrahlung wie als Beweis seiner Messianität betrachtet. Das
Leiden und Sterben ist ein festes, notwendiges Prädikat des
Menschensohnes — de7 xov v\6v lov ai'O^QOj/tov Tvad^elv. Der
Geistesempfang oder in den jüngeren Evangelien die Avunder-
bare Geburt macht ihn zum Messias i). Die Heilungen, die
Siege über das Dämonenreich und sonstige Wunder noch
höherer Ordiumg sind messianische Thaten. Und ebenso wie
in ihnen sieht man selbst in der Predigt, im eiayyeh'uead^aL
die Erfüllung dessen, was die Schrift für die messianische Zeit
verheisst (Mt. lls, Luk. 4i8f.). Die Sündenvergebung wie die
Verfügung über den Sabbat ist ein Hoheitsrecht des Menschen-
sohnes (Mr. 2 10. 28). Der Täufer ist der geweissagte Vorläufer
des Messias. Kurz, es ist das Leben des Messias, das erzählt
wird 2).
Man vergleiche hier den ältesten christlichen Zeugen,
Paulus. Wie kommt es, dass für ihn Jesu irdisches Leben ab-
1) Well hausen, Israel, und jüd. Gesch. ^ S. 391, meint, der An-
fang der Messianität sei von der Auferstehung zuerst auf die VerkLä-
rung, dann auf die Taufe, endlich auf die Geburt Jesu zurückgeschoben
worden. Die Verklärung hat man m. E. niemals so betrachtet.
2) Aufmerksamkeit verdienen in diesem Zusammenhange die Logien,
die in sehr gleichartiger Form vom Zwecke oder von bestimmten Merk-
malen des »Kommens« Jesu reden: Mr. '2i7, 1045 (vgl. 124.38), Mt. 5i7
{oiiy. ^k»ov xKTakvaai), 1034, 11 19, 18x1, Luk. 12 49, 19io, auch text. rec. zu
Luk. 956 und Ebjonitenev. {r]kd-uv /.(attlvani rüg Uvaiag , Preuschen,
Antilegomena p. 10). Man vergleiche damit Job. 543, 9 39, 1246, 1628,
1837 u. s. w. Handelt es sich hier um Eückblicke auf das Leben Jesu?
223
gesellen von Tod und Auferweckung nichts bedeutet, dass er es
nur als Sklavendasein (Phil. 2), als Entäusserung himmlischer
Seinsweise würdigt? Weshalb hinterlässt der messianische Stoff
unsrer Evangelien keine Spur bei ihm ? War er etwa in der
Hauptsache noch nicht da?
Doch, wie gesagt, abgeschlossen ist die Entwicklung in den
synoptischen Evangelien noch nicht, und gerade darum kann
hier die Frage entstehen, ob unsere Interpretation des Markus
nicht noch einer Ergänzung bedarf. Die Dämonen, Petrus und
die Stimmen vom Himmel sagen, Jesus sei der Christus oder
der Sohn Gottes. Hat das Messiasprädikat hier einen futuri-
schen Klang : du bist der, dem die messianische Glorie be-
reitet ist?
Die Ausdrücke selbst lassen die Möglichkeit offen. Ein
wirklicher Widerspruch käme bei dieser Deutung in die Vor-
stellungen des Markus auch nicht notwendig hinein. Ein pro-
leptischer Sinn des Messiastitels nähme sich bei einem Evange-
listen, der bereits ein eigentlich messianisches Erdenlel)en Jesu
kennt, freilich etwas anders aus als im Munde Jesu oder der mit
ihm Lebenden, wo die Messianität nur im Sinne des Glaubens
oder der Anwartschaft gemeint wäre. Aber warum sollte es ein
Widerspruch sein, dass Markus Wunder und Lehre, Leiden
und Sterben als Attribute und Bedingungen der Messianität
denkt, und doch den Empfang der eigentlichen Würde und
Macht — und auch der adäquaten Daseinsart — von einem
späteren Momente datiert? Es wäre nur anzunehmen, dass er
den ursprünglichen Begriff des Gesalbten im Sinne des Herrn
und Herrschers in voller Schärfe gefasst hätte. Die Wunder
könnten auch so recht wohl als Verräter der Messianität vor-
gestellt sein. Und sogar das Herabkommen des Geistes könnte
den Sinn behalten, den wir annahmen. Man müsste sagen : das
7tvEvf.ia schafft die Vorbedingung dafür, dass Jesus wirkt, wie
es dem Messias geziemt, es stattet ihn aus mit der Kraft der
Wunder und macht so in der That aus einem blossen Menschen
etwas Neues und Höheres aber es giebt eben noch nicht die
messianische Vollendung. Das Auftreten als Herr und König
steht doch noch aus, und so könnte auch der Titel gerade auf
den späteren Moment bezogen sein. Die Taufe Jesu wäre dann
bei Mar-kus der Beginn der Messianität, sofern es sich um sein
224
Wesen, die Auferweckung aber, sofern es sich um die definitive
Würde handelte.
Zu Gunsten dieser proleptischen Fassung der messianischen
Bekenntnisse und Zeugnisse Hesse sich die Verklärungsgeschichte
anführen. Ist die Verklärung wirklich eine Vorausdarstellung
des Kommenden, ein Aufleuchten der künftigen Herrlichkeit im
Erdenleben Jesu, so bekäme das Zeugnis von oben freilich
einen besonders prägnanten Sinr^, wenn es mit dem Prädikate
des Gottessohnes auch direkt auf die Auferstehung hindeutete.
Ferner könnte es sinnvoll erscheinen, dass das Geheimnis, dessen
Offenbarung verboten wird, nicht blos nach seinem supranatu-
ralen Inhalte jenseits des menschlichen Erkennens läge, sondern
sich auch auf die Zukunft bezöge. Geheimes Wissen und Wissen
um die Zukunft haben ja eine natürliche Verwandtschaft. Es
entstände so die Pointe: was erst durch die Auferstehung zu
Stande kommt, bleibt auch bis dahin verborgen.
Solche Erwägungen könnten für die Auffassung einnehmen.
Beweise sind es aber nicht, und ich kann mich einstweilen nicht
von dieser Auslegung überzeugen. Vor allem liegt bei der
Taufe der Gedanke, dass das Prädikat Gottessohn als prolep-
tisch empfunden sei, entschieden fern. Sein Inhalt scheint hier
schon reahsiert zu sein, eben weil Jesus der Träger des Geistes
geworden ist. Warum sollen dann die Aussagen der Dämonen
den futurischen Nebensinn haben?
Übrigens ist es nicht sehr wichtig, wie Markus, der ein-
zelne Schriftsteller, die messianischen Titel in dieser Hinsicht
gemeint hat. Die besprochene Auffassung würde ja die beiden
Vorstellungen vom künftigen und vom verborgenen Messias ein-
ander besonders nahe rücken — die zweite schlösse die erste
in diesem Falle geradezu ein. Aber an dem Zusammenhange
der Vorstellungen selbst wird nichts geändert, wenn sie ausser
Betracht bleibt.
Wie ist dieser Zusammenhang nun zu bestimmen? Und
wie sollen war uns die Vorstellung der verhüllten Messianität
entstanden denken ? Damit kommen wir endlich zur Hauptfrage.
Die erste Vermutung, die mir bei der Erwägung des Pro-
blems kam, gieng dahin, es möchte eine apologetische Tendenz
im Spiele sein. Man hätte entweder in der Gemeinde selbst
225
die Beobachtung gemacht, dass es in Jesu Erdenleben an Zeug-
nissen für seine Messianität fehlte, oder von feindlicher Seite
wäre darauf hingewiesen worden, er sei als Messias gar nicht
bekannt gewesen und habe sich selbst nicht dafür erklärt.
Darauf hätte man dann geantwortet: Jesus war freilich der
Messias, aber er selbst hat befohlen, darüber einstweilen zu
schweigen ; kein Wunder also , dass man ihn nicht kannte !
Diese Erklärung hätte mithin den Wert eines direkten Zeug-
nisses.
Ich habe diese Vermutung rasch aufgegeben. Die Art,
wie Markus die verborgene Messianität Jesu schildert, erweckt
an keinem Punkte den Eindruck, dass es sich dabei um eine
apologetische Ausrede handelt. Nun könnte freilich das ursprüng-
liche Motiv bei Markus schon undeutlich geworden sein ; der
Gedanke hätte sich, nachdem er einmal da war, selbständig
weiter entwickelt. Indessen die Annahme ist auch an sich
unwahrscheinlich .
In der Gemeinde selbst hat man schwerlich in dieser Art
über Mängel der Überlieferung von Jesu Leben reflektiert.
Beobachtungen über »die« Überlieferung konnte man überhaupt
nur dann allenfalls anstellen, wenn sie in abgeschlossener Form,
d. h. in Schriften vorlag. Allein es hat auch wenig für sich,
dass Gegner gerade einen solchen Einwand erhoben hätten.
Ein christlicher Satz, der zum Angriff herausforderte, steht hier
nicht in Frage. Es handelte sich aber auch nicht um einen
Punkt, wo der christliche Messiasglaube besonders verwundbar
war. Jesus war durch die Auferstehung als Messias erwiesen
worden. Für die Erdenzeit behauptete man selbst zuerst keine
(wirkliche) Messianität. Was sollte dann ein solcher Angriff?
Oder sollte dem apologetischen Sinne der Vorstellung nur
eine andere Wendung gegeben werden müssen, um ihn selbst
festzuhalten? In dem Verhüllen der Messianität bis zur Auf-
erstehung steckt das Vorauswissen Jesu. Wäre dies der sprin-
gende Punkt? »Jesus hat sehr wohl vorhergewusst, dass die
Auferstehung ihm die messianische Würde bringen werde; er
hat es nur bei Lebzeiten noch verborgen* ? Daran ist noch
weniger zu denken. Dieses Motiv hätte sich viel eher in direkten
Voraussagungen Jesu Ausdruck geschaffen. Das Verheimlichen
wäre nur ein Umweg.
Wrede, Messiasgoheininis. 15
226
Nein, so wenig für Jesus ein besonderer Beweggrund ange-
nommen wird, wenn er sich so verbirgt, so wenig sieht die
ganze Vorstellung nach einer Tendenzidee aus. Das ist nicht
unwichtig, und es ist für das Folgende festzuhalten. —
Gewiss ist, dass die mit der Auferstehung beginnende
Messianität die Vorstellung der verhüllten Messianität nicht for-
dert. Sie schliesst nicht notwendig aus, dass Jesus sich auf
Erden den Messias nannte, noch weniger aber, dass der irdische
Jesus einfach nicht als Messias galt. Dagegen setzt umgekehrt
der geheime Messias m. E. den künftigen Messias voraus und
erweist sich damit als die jüngere Anschauung.
Ist nämhch die geheime Messianität wh'khch ein erst nach
dem Leben Jesu entstandener Gredanke der Gemeinde, so wüsste ich
nicht, wie er aufgekommen sein sollte, wenn bereits alle Welt wusste
und erzählte, dass Jesus auf Erden sich offen für den Messias
ausgegeben habe. ÜberHefemngen können gewiss korrigiert
und dabei selbst in ihr Gegenteil verkehrt werden. Aber dann
pflegt ein bestimmtes Motiv wirksam zu sein. Welcher Anlass
hätte aber bestanden, die Messianität Jesu im Widerspruch mit
der ursprünghchen Vorstellung zu einer Sache der Heimhchkeit
zu machen, m. a. W. Jesu messianischen Anspruch auf Erden
nachträglich geradezu zu leugnen?
Man versuche sich von dieser Voraussetzmig aus eine Vor-
stellung zu bilden. Die Erklärung könnte dann wohl nur in
dem Gedanken gesucht werden, dass Jesus sich allein den Jün-
gern wahrhaft offenbart habe. Sie erhalten von ihm geheime
Aufschlüsse, also wurde auch ihnen nur die Hauptsache bekannt,
die Messianität. FolgHch wurde sie dem Volke vorenthalten.
Auf diesen indirekt sich ergebenden Gedanken käme es an;
er müsste dann eine selbständige Bedeutung erlangt haben.
Diese Entwicklung hat wenig für sich. Nehmen wir an,
der Ausgangspunkt, diese dogmatische Scheidung von Jüngern
und Volk, stehe fest. Sehen wir auch davon ab, dass Markus,
wo er vom Verbergen der Messianität redet, den Gegensatz
zwischen Jüngern und Volk keineswegs so besonders mai'kant
in den Vordergrund stellt. Allein wie die Uberaeugung, Jesus
sei öffentlich mit dem messianischen Anspruch hervorgetreten,
wenn sie da war, so leicht hätte beseitigt oder ausser Acht
gelassen werden sollen, bleibt doch unbegreiflich. Gleichgiltig war
227
€s denn doch nicht, dass er schon zu Lebzeiten hatte sein
wollen, als was ihn die Auferstehung erwies. Überdies ist
wieder^) von Bedeutung, dass das Geheimnis bis zur Auf-
erstehung gewahrt werden soll. Nach der angenommenen Voraus-
setzung, die das Verbergen vor dem Volke betont, müsste man
meinen, Jesus werde durch die Auferstehung nun dem Volke
offenbar werden. Dieser Gedanke fehlt und gewiss nicht durch
Zufall. Er ist in sich selbst unpassend; dass die Auferstehung
gerade dem Volke eine besondere Offenbarung bringe, hat kein
alter Christ gedacht 2). "Wird also die Auferstehung als die
Grenze des Geheimnisses betrachtet, so spricht das gegen die
ganze in Betracht gezogene Ableitung. Denn die Auferstehung
bildet die Grenze nicht wegen der Menge, sondern weil nun
das für Jesu messianisches Dasein selbst entscheidende Ereignis
kommt.
Es bleibt also schwerlich eine andere Möglichkeit, als dass
die Anschauung vom Geheimnis in einem Momente entstand,
wo man von einem messianischen Ansprüche Jesu auf Erden
noch nichts wusste, und das heisst eben, in einem Momente,
wo man als den Beginn der Messianität die Auferstehung dachte.
In diesem Momente muss dann allerdings der Titel Messias
wirklich noch einen — vom Leben Jesu aus gerechnet — futu-
rischen Sinn gehabt haben. Sonst könnte die geheime Messia-
nität nicht aus der künftigen hervorgegangen sein. Und das
ist sie. Sie ist nicht blos nach ihr entstanden, sondern aus ihr.
Freilich erst zu einer Zeit, als sachlich die ursprünghche
Auffassung schon im Weichen war, d. h. als im Leben Jesu
bereits Hinweise auf seine künftige Stellung, Kennzeichen und
Äusserungen seiner Messianität gefunden wurden. Denn dies
ist eine weitere notwendige Voraussetzung, die sich aus dem
Gedanken des Geheimnisses selbst unmittelbar ergiebt. Das
Verbergen schliesst ein, dass etwas zu verbergen war.
Das Zurücktragen der Messianität ins Leben Jesu war ein
sehr natürlicher Vorgang. Jesus musste doch selbst den Moment
der Verherrlichung erwartet, er musste auf ihn hin gelebt haben.
Er musste auch m seinem Wirken schon etwas von der künf-
1) Vgl. oben S. 211.
2) Act. 1040 f. sagt, dass Gott Jesus durch die Auferweckuiig oifen-
Lar machte nicht allem Volke«, sondern »den zuvor verordneten Zeugen«.
15*
228
tigen Grösse verraten haben, in gewissem Sinne also der
Messias gewesen sein. Gerade dies war das Interesse, mit dem
man vorwiegend sein Leben betrachten musste, wenn wirkhch
das Auferstehungserlebnis der Mittelpunkt der Gedanken war,
und das war es. Das vorangehende Leben war nur dann des
Ostertages würdig, wenn der Glanz dieses Tages selbst darauf
zurückstrahlte. Allein man wusste noch deutlich, dass er der
Messias doch erst geworden war. Mochte man daher im Blick
auf sein Leben sagen: er war der Messias, man hatte doch
ebensoviel Anlass, das halb zurückzunehmen. Die Spannung
beider Gedanken aber war gelöst, wenn man behauptete: er
war es zwar eigentlich schon auf Erden, er wusste es natürhch
auch, aber er sagte es noch nicht, er wollte es noch nicht sein;
und wenn sein Handeln ganz dazu angethan war, den Glauben
an seine Messianität zu wecken, so that er doch alles, um sich
niicht zu verraten. Denn die Offenbarung sollte nun einmal erst
die Zukunft bringen.
Es kann hierbei von Bedeutung gewesen sein, dass die
Auferstehung nicht blos als die Herstellung der Würde durch
Gott betrachtet wurde, sondern zugleich als die offene Kund-
gebung darüber, sie war die rfaveQioa ig der öo^a^). Der Offen-
barung gieng dann naturgemäss das Geheimnis, das Verbergen
vorher. Doch lässt sich hierüber nichts Sicheres sagen. Jeden-
falls wird man aber in Anschlag bringen, dass der Gedanke
des Geheimnisses und des geheimen Wissens damals in der
Eehgion in den verschiedensten Beziehungen eine Rolle spielte.
In einer solchen Zeit begreift man die Bildung unserer Vor-
stellung doppelt leicht.
Dies ist m. E. der Ursprung der Idee, die wir bei Markus
nachgewiesen haben. Sie ist s. z. s. eine Übergangsvorstellung,
UTid sie lässt sich bezeichnen als die Nachwirkung der
Anschauung, dass die Auferstehung der Anfang der
Messianität ist, zu einer Zeit, wo man sachlich das
Leben Jesu bereits mit m essianischem Gehalte er-
füllt. Oder sie ist hervorgegangen aus dem Triebe, das irdische
Leben Jesu messianisch zu machen, aber aus dem durch die
ältere, noch kräftige Anschauung gehemmten Triebe.
1) Job. 211.14, Mr. 10 14.
229
Vielleicht findet man eine Schwierigkeit darin, dass Markus
sich nicht mit der Angabe begnügt, Jesus habe von seiner
Würde geschwiegen, vielmehr berichtet, er habe das Reden
darüber geflissentlich und streng verboten und eigens Massregeln
getroffen, die Offenbarung zu verhüten. Indessen, wenn man
einmal glaubte, dass Jesus diese Offenbarung nicht wollte, so hat
diese kräftige Ausprägung des Gedankens nichts Befremdendes.
Überdies pflegt in der Vorstellung des f-ivoiiqQLov der Reiz zu
liegen, das Mysteriöse hervorzukehren. Möglich ist, dass die
erste Vorstellung war: Jesus war als Messias unbekannt, und
erst die zweite: er wollte unbekannt sein.
Man betrachte diese Erörterungen als einen Versuch. Ich
behaupte nicht, dass ich einen Beweis gefükrt habe, der jede
Dunkelheit beseitigte. Vielleicht urteilt man, dass dies ganze
Vorstellungsgebiet zu wenig durch urkundliche Nachrichten er-
hellt ist, um ganz sichere Schritte zu thun. Vermögen wir über-
haupt nui' zu sagen, dass wir die möglichen AVege der Er-
klärung sämtlich übersehen? Ich nehme es nicht leicht mit
dieser Frage, aber ich meine, der Versuch hat eine gute, solide
Grundlage an der starken Ähnlichkeit der beiden verglichenen
Vorstellungen.
Ist meine Ableitung richtig, so ist sie für die Beurteilung des
geschichtlichen Lebens Jesu selber von Bedeutung. Konnte
unsere Anschauung nur entstehen, wenn man von einem offenen
messianischen Ansprüche Jesu nichts wusste, so scheinen wir in
ihr ein positives geschichtliches Zeugnis dafür zu
haben, dass sich Jesus thatsächlich nicht für den
Messias ausgegeben hat. Diese Frage ist hier jedoch
nicht zum Abschluss zu bringen.
2.
Die Verständnislosigkeit der Jünger vor der Auferstehung.
Dass die Jünger die messianische Lehre empfangen und in
sich aufgenommen haben, ist ein Gedanke, der für uns nichts
230
Dunkles hat. Sie bürgen ja für die Lehre, die Gemeinde hat
sich an die Bürgen allein zu halten. Die historische Bedeutung
der Jünger als Empfänger der Belehrungen Jesu verwandelte
sich hier für die Späteren ganz von selbst und unvermerkt in
eine dogmatische Vorstellung. Hatte Jesus dann geheime Be-
lehrungen gegeben, so waren natürlich die Jünger die einzig
berechtigten Empfänger. Insofern sind sie also ohne Weiteres
Träger eines Geheimwissens. Allein weshalb verstehen sie nun
Jesus nicht?
Strauss deutet gelegentlich ^) an, dass »das Bestreben, durch
den Kontrast mit dem Nichtverstehen der Zwölfe die IJber-
legenheit Jesu und der späteren Heidenapostel ins Licht zu
stellen«, hier in Anschlag zu bringen sei. Die »späteren Heiden-
apostel« gehören nicht hierher. Der Kontrast zAvischen Jesus
und den Zwölfen ist ein Motiv, das in der Darstellung des
Markus wie des Johannes wohl eine gewisse Bedeutung hat.
Aber der Gedanke des Nichtverstehens selbst wird dadurch auf
keine Weise aufgehellt. Denn wir sehen keinen Anlass, einen
solchen Kontrast zu erfinden ^).
Hätten wir nur die johanneische Form des Gedankens, so
läge vielleicht doch die Vennutung nahe, dass es sich hier nur um
eine Folgerung aus dem Geheimnis handelt. Denn bei Johannes
entspricht der Mangel an Verständnis der Dunkelheit der Be-
lehrung Jesu. Aber bei Markus fehlt den Jüngern die Er-
kenntnis gerade trotz deutlichster Offenbarungen Jesu. Diese
Auffassung ist aber die ältere, und nicht blos deshalb, weil
Markus älter ist als Johannes. Sie erklärt sich mithin auf diesem
Wege nicht. —
1) Strauss, L.J. f. d. deutsche Volk S. 276. Str. spricht speziell
von Luk. 2421, Act. 1 6.
2) G fror er, Die heilige Sage II S. 278 f. hat folgende Erklärung
für das Nichtverstehen der Leidensweissagungen gegeben. Man habe
in der Gemeinde an diesen Weissagungen gezweifelt, indem man darauf
hinwies, dass von den Jüngern niemand das bevorstehende Schicksal Jesu
erkannte. Darauf sei die Antwort gegeben worden: die Weissagungen
Jesu blieben den Jüngern im Momente gänzlich unverständlich: eine
Antwort, die die Leidensweissagungen rechtfertigte und dem Einwände
die Spitze abbrach, indem sie ihm entgegenkam. Sehr unwahrscheinlich,
obgleich Gfrörer meint, ein Blinder müsste dies erkennen.
231
Hat es Wert, weniger Bekanntes mit Bekannterem zu ver-
binden, so ist es angezeigt, zunächst einer parallelen Anschauung
der alten Christenheit zu gedenken. Die Parallele gilt freihch
nur für den positiven Gedanken, dass mit der Auferstehung die
Erkenntnis der Jünger eine Neugeburt erfährt. Indessen dieser
ist ja die notwendige Ergänzung der Vorstellung, dass sie
vorher blind und thöricht sind. Die Anschauung, die ich im
Auge habe, ist die Idee der Geistesmitteilung an die
Jünger.
Wir haben den Pfingstbericht der Apostelgeschichte. Er
enthält in dem s. g. Sprachenwunder den Gedanken, dass das
Christentum für alle Völker bestimmt ist. Dies Thema, in dem
man eine Nachbildung der jüdischen Legende von der Ver-
kündigung des Gesetzes an alle Völker sehen muss, kommt
hier natürlich durchaus nicht in Frage. Die Erzählung enthält
aber noch ein zweites Thema i), dem das Übrige erst nach-
gewachsen ist: die Apostel werden durch den Empfang des
Geistes befähigt, das Evangelium zu predigen, und zwar bald
nach Jesu Auferstehung. Der Mut, die Begeisterung, die
überzeugende Macht ihrer Rede, man darf nach Parallelen
wie Act. 1046, 196 2) ohne Scheu hinzusetzen, ihr Zungenreden
und Weissagen hat hier seinen Ursprung. Das liegt doch nicht
weit davon ab, dass die Auferstehung ein neues Verständnis
der Lehre und Person Jesu bringt. Dass der Geist das
Prinzip der höheren Erkenntnis ist, ist überdies eine bekannte
Anschauung. Freilich — die Apostelgeschichte selber spricht
es nicht aus, dass am Pfingsttage eine Erleuchtung der Jünger
über das früher von Jesus Gehörte stattfand und zur Basis
ihrer Predigt wurde. Allein ihre Erzählung ist doch auch nur
eine Form der Darstellung des »Pfingstereignisses«. Neben
ihr kann es andere gegeben haben, die unseni Gedanken ge-
radezu ausprägten. Dass Lukas ihn schon an anderer Stelle,
nämlich in der Auferstehungsgeschichte seines Evangeliums
1) Vgl. über diese Duppelseitigkeit des Berichtes meine Be-
merkungen, Güttinger gel. Anzeigen 1895 S. 502 ff'. Zur jüdischen
Gesetzgehungslegcnde s. Gfrörer, Jahrhundert des Heils II S. 390 ff".,
Overbeck zu Act. 2iff"., Spitta, Die Apostelgeschichte ö. 27f.
2) Vgl. 2 17 f.
232
niedergelegt hat, beweist gar nichts. Es wäre nicht das erste
Mal, dass zwei wurzelverwandte Geschichtszüge in derselben
Erzählung als etwas Verschiedenes nebeneinander gestellt wären,
oder dass ein Gedanke in zwei Formen auseinandergieng, deren
Verschiedenheit gross genug wurde, um die ursprüngliche
Identität zu verdecken. Dass der Pfingstbericht des Lukas
eine Bildung aus idealen Motiven ist, haben bereits Gelehrte
me Zeller und Overbeck hinreichend gezeigt.
Die blosse Kombination führt leicht auf diese Gedanken-
verwandtschatt. Aber sie ist nicht eine blosse Kombination.
Den urkundhchen Beweis hefert das Johannesevangelium. Diese
Schrift vollzieht selbst die Verbindung der beiden Gedanken:
der Geist ist es, der nach der Auferstehung die neue Erkenntnis
der Jünger schafft.
Die Bedeutung des Geistes erschöpft sich zwar auch nach
den Johanneischen Abschiedsreden darin nicht. Die Jünger
selber haben es ja auch nicht blos mit der Erfassung der
Wahrheit zu thun. Sie haben zu kämpfen in und mit einer
hasserftillten Welt, sie bedürfen des Schutzes, sie blicken hinaus
auf die künftigen Dinge. So mrd auch der Geist ihnen bei-
stehen, wird die Welt strafen und überführen, auch das
Kommende ihnen verkünden (16 13). Aber im Mittelpunkte
steht doch der Gedanke, dass der Geist der Lehrer der Wahr-
heit, der Erinnerer an die Belehrung Jesu ist, und so erscheint
ihre Erleuchtung nach der irdischen Lebenszeit Jesu als seine
Gabe.
Der Perspektive der Abschiedsreden entspricht dann die
Auferstehungsgeschichte des Evangeliums. Sobald der Auf-
erstandene mit den Jüngern zusammentrifft, bläst er sie an und
überträgt auf sie mit seinem Hauche den Geist (2O22). Damit
schwindet die alte Schwäche, der Tag ist da, wo sie nichts mehr
zu fragen brauchen. Dies steht nicht im Evangelium, aber es
ist eine notwendige Folgerung. Ostern und Pfingsten fallen
also ftir Johannes zusammen. Es hat keinen Sinn, ihm noch
ein anderes Pfingsten zuzuschi'eiben. Auch 739 hat er das ge-
meint: vor der Verherrlichung Jesu giebt es keinen Geist, sie
aber bringt ihn. Sachlich ist diese Anschauung älter als die-
jenige des Lukas. Bei ihm ist die Geistesmitteilung zwar auch
noch deutlich eine Wirkung der Auferstehung, aber die Ver-
233
bindung ei-scheint etwas gelockert. Dass die Jüngerbelehnmg
Luk. 24 die Pfingstgeschichte eigentlich schon vorwegnimmt,
hat Lukas natürlich nicht gewusst.
Was die Evangelien über den Unverstand der Jünger be-
richten, gewinnt durch diese Betrachtung eine erhöhte Be-
deutung. Wir sehen, es steht im engsten Zusammenhange mit
einer andern wohlbekannten und wichtigen Anschauung des
Urchristentums.
Die wirkliche Erklärung für die Tradition, dass Jesus von
den Jüngern während der Zeit seines Wirkens nicht begriffen
wurde, liegt nun auch gar nicht fem. Diese Idee hat, wenn
nicht alles trügt, einen geschichtlichen Hintergrund. Die wirkliche
Erfahrung der Jünger ist ihre Basis, natürlich die eine, besondere
Erfahrung, dass die Erscheinungen des Auferstandenen einen
plötzlichen Umschwung in ihrem Verständnisse Jesu hervor-
gerufen hatten.
An der Thatsache als solcher kann kein Zweifel sein. Das
Erlebnis der Erscheinungen hat den Jüngern zeitlebens als
ein grundlegendes gegolten. Es war grundlegend für den
Glauben, den sie verkündigten, aber es war auch grundlegend
im subjektiven Sinne für die Überzeugung, die sie gewonnen
hatten, und fiir ihr Bewusstsein davon. Unmittelbar verständlich
ist nun aber auch, dass dies historische Jüngererlebnis von der
Gemeinde festgehalten wurde und in der chiistlichen Tradition
eine tiefe Spur zurückliess. Es handelt sich dabei nicht blos
um eine Erinnerung an die Jünger als Personen. Schätzte man
in ihnen, die Jesus begleitet hatten, bald die qualifizierten
Bürgen und Autoritäten des Glaubens, so war damit auch ein
mehr als blos persönliches und historisches Interesse für diesen
entscheidenden Moment ihres Lebens gegeben. Der Reflex
dieses höheren Interesses und die Nachwirkung jenes Erlebnisses
in der kirchlichen Tradition ist das spätere Bild der verständnis-
losen Jünger. LTnd es hat gar nichts Rätselhaftes, dass hierbei
-die Farben nicht zart gewählt wurden, dass — nach geschicht-
lichem Massstabe — sogar eine Kanikatur der Jünger heraus-
kam, wie uns Markus und Johannes jeder in seiner Weise
zeigen. Die Wandlung, die mit der Aufei-stehung gegeben war,
wurde um so fühlbarer, je greller die Blindheit der früheren
234
Zeit ins Auge fiel; das Licht um so hellei', je schwärzer der
Schatten gemalt wurde. Natürlich ist die positive Anschauung
vom Gemnn der neuen Erkenntnis das Erste gewesen, aber der
komplementäre Gedanke über die vorhergehende Periode hat
die schärfere Ausprägung in der Erzählung erfahren. Die ein-
zelnen Geschichtszüge, in denen das geschah, sind, wie wir
sahen, durchweg völlig frei erfunden. Deshalb würde man auch
bei ihnen nicht gut von einem historischen Kerne sprechen.
Der Hergang ist im Grunde derselbe gewesen wie bei den
Leidensweissagungen: eine feste Idee ist in konkreten Zügen
zum Ausdruck gebracht und auf mannigfache Art mit den.
Stoffen der Überlieferung verbunden worden. Der Unterschied
ist nur der, dass die Idee das eine Mal in einem gescliichtlichen
Ereignis wurzelt, das andere Mal in einem apologetisch gearteten
Glaubensbedürfnis der Gemeinde.
Das Erlebnis der Jünger selbst hat dann unter dem Ein-
fluss der vorhandenen Anschauung vom Geiste auch die Fonn
angenommen, dass mit der Auferstehung der Geist über sie
gekommen sei. Die Idee, dass die Apostel in besonderm Sinne
Geistesträger gewesen seien — Paulus wird davon nicht zufällig
schweigen — , braucht freilich nicht auf diesem Wege entstanden
zu sein. Aber die Datierung des Geistesemiifangs auf die Zeit
nach der Auferstehung Jesu weist auf das Jüngererlebnis zurück.
übrigens ist es nur natürlich, dass schon die Jünger selbst
ihre frühere Einsicht in einen Kontrast zu der erfahrenen Er-
leuchtung gestellt haben. In welcher Art das geschehen sein
mag, sagt uns keine Überlieferung. Es ist aber notwendig hier
noch eine Frage aufzuwerfen. Haben die Jünger von den Er-
scheinungen eine neue Erkenntnis datiert: um welchen Erkennt-
nisinhalt hat es sich dabei gehandelt?
Verständlich ist das Bewusstsein, eine Erleuchtung erlebt
zu haben, gewiss schon dann, wenn sie jetzt erkannten, dass die
Hinrichtung Jesu kein Scheitern, sondern den Durchgang zur
Herrlichkeit bedeute. Aber die Gestalt der Tradition führt zu-
nächst auf einen andern Gedanken. Nach Markus wie Johannes
sind die Jünger nicht nur in diesem Punkte blind, sondern dem
ganzen höhern Wesen Jesu gegenüber versagt ihr Verständnis.
Dem entspräche am besten das Bewusstsein, mit den Offen-
barungen des Auferstandenen eine neue Ansicht von Jesus über-
235
haupt gewonnen zu haben. Oder ist die Auffassung jener
Evangelisten lediglich eine nachträgliche Erweiterung und Ver-
allgemeinerung? Es wäre das nicht undenkbar. Indessen
scheint noch etwas Anderes dafür zu sprechen, dass sich das
Gefühl des neuen Verständnisses nicht blos auf Leiden und
Tod Jesu bezog. Ist die Messianität ursprünglich von der Auf-
erstehung datiert worden, so liegt der Gedanke sehr nahe, dass
nun auch erst der Glaube entstand, Jesus sei der Messias, und
dass eben diese Erkenntnis der Messiaswürde als der Inhalt der
Erleuchtung empfunden wurde. Mit der Erklärung der Vor-
stellung vom geheimen Messias, die ich gegeben habe, stimmt
diese Annahme aufs Beste überein. Indessen sei dies mit Vor-
behalt ausgesprochen.
Unsere Untersuchung hat bestätigt, dass die beiden unter-
schiedenen Gedanken wirklich dem Ursprünge nach ausein-
ander zu halten sind. Der eine ist ein Gedanke über Jesus: er
ruht darauf, dass Jesus mit der Auferstehung für den Glauben
der Seinen zum Messias wurde. Der andere ein Gedanke über
die Jünger: er ruht darauf, dass sie durch die Auferstehung ein
neues Verständnis Jesu gewinnen. Der Ausgangspunkt aber
erweist sich doch schliesslich als einheitlich. Beide ruhen darauf,
dass die Auferstehung für die Messianität das entscheidende
Ereignis ist, und dass Jesu irdisches Leben zuerst nicht als
messianisch gedacht wird. Wie sehr die Auferstehung das Ziel
ist, auf das die ganze Evangeliendarstellung hinstrebt, wird
durch diese Anschauungen besonders deutlich.
3.
Nochmals Markus und Lukas.
Wie verhält sich die Darstellung des Markus zu der ur-
sprünglichen Gestalt der nachgewiesenen Anschauungen?
Wie weit entfernt sie sich bereits von ihr? Das lässt sich nicht
mit Sicherheit ausmachen.
236
Man hat wohl den Eindruck, dass Markus die beiden Ge-
danken als eine Einheit gedacht, d. h. dass er auch bei der
Zeichnung des Jüngerunvei-standes empfunden hat, die Messia-
nität müsse vor der Auferstehung ein Mysterium bleiben. Allein
behaupten lässt sich das kaum. Gewiss ist nur, dass die beiden
Traditionen bis zu einem gewissen Grade bei ihm zusammen-
geflossen sind. Das zeigt sich an zwei Punkten. Die Parabeln
werden von den Jüngern ohne Deutung nicht begriffen, und die
Parabeln sind für Jesus zugleich ein Mittel, sich oder seine
Lehre zu verbergen. Ebenso bleiben den Jüngern die Leidens-
und Auferstehungsweissagungen verschlossen, und auch sie sind
zugleich ein Stück absichthch geheimer Belehrung. —
Die Widersprüche in der Erzählung des Markus hegen
offen vor^). Ich glaube gezeigt zu haben, wie natürHch es war,
wenn Markus selbst Züge in seinem Berichte brachte, die zum
messianischen Geheimnis nicht passten. Die Betrachtungen über
die Entstehung der Idee können das nur noch wahrscheinlicher
machen. Ich nehme an, dass sie niemals ohne Widei-sprüche
existiert hat. Denn ihr haftet von Anfang an etwas Zwie-
spältiges an: Jesus stellt sich als Messias dar und darf sich
doch nicht als solcher zeigen.
Wie viel nun aber bei den Widei-sprüchen auf die eigenste
Rechnung des Markus kommen mag, wird auch eingehende
Untersuchung nur mangelhaft entscheiden können. Jedenfalls
bei weitem nicht alles. Soweit es sich um Traditionelles han-
delt, darf man zwei Gesichtspunkte unterscheiden.
Manches, was jetzt zmii geheimen Messias nicht passt, kann
schon in der allerältesten Tradition wesentlich ebenso erzählt
worden sein, ohne dass damals der Widerspruch bereits vor-
handen gewesen wäre. Ich denke besonders an die Wunder-
geschichten. Dass Jesus Wunder gethan habe, hat man sicher
vom ei-sten Anfang an erzählt, und natürlich dann öffenthche
Wunder. Waren aber die Wunder anfangs noch nicht egya
Tov Xqiotov (Mt. 11 2), messianische Werke, so war natürhch
auch jener Widerspruch nicht da. Die Öffenthchkeit der Wun-
der erhielt sich dann einfach in der Tradition, und der Wider-
spruch entstand ei-st dadurch, dass sie nachträglich als messi-
1) Obea S. 124 ff.
237
anisch betrachtet wurden, die Messiaiütät aber als Geheim-
nis galt.
Anderes aber ist so geartet, dass man es einer Tradition
zurechnen muss, die der Vorstellung des heimlichen Christus
schon dem Ureprunge nach entgegengesetzt ist. Die deutlichsten
Beispiele dürften der Einzug in Jerusalem und das Bekenntnis
vor dem Hohenpriester sein. Diese Geschichten rechnen unbe-
fangen mit der öffentlichen Messianität Jesu. Eine solche Tra-
dition hat es also zur Zeit des Markus und vor Markus sicher
schon gegeben.
Liegt demnach die Idee des geheimen Messias uns nur in
einer Vermischung mit fremdartigem Stoffe urkundlich vor, so
hindert dieser Beisatz doch nicht, dass sie selbst im Markus
noch rein und ungebrochen erhalten ist. In einem Zuge scheint
sich jedoch zu verraten, dass sich die ursprüngliche Konzeption
bereits zu verdunkeln beginnt. Ich denke an jene Bemerkungen,
wonach das Verbot Jesu unbeachtet blieb, sein Wunsch uner-
kannt zu bleiben nicht zum Ziele führte. Darf man das nicht
als einen nachgewachsenen Gedanken ansehen, in dem sich
bereits ankündigt, dass die Geheimnisidee der natürlichen Ten-
denz weichen muss, das Leben Jesu immer mehr zum offenen
Spiegel seiner Messianität zu machen?
Eine besondere Erwägung fordert hier noch einmal das
Petrusbekenntnis.
So wie es im Markusevangehum vorliegt, bildet es zum
Gedanken der geheimen Messianität durchaus keinen Gegensatz.
Man kann die messianischen Zeugnisse und Bekenntnisse in
zwei Klassen teilen. Die einen ruhen auf dem Gedanken des
übernatürHchen Wissens; dahin gehören die Gotteszeugnisse bei
der Taufe und Verklärung, die Bekenntnisse der Dämonen und
auch eigene Belehrungen Jesu. Hier verträgt sich das Bezeugen
und Aussprechen mit dem Geheimnis natürlich aufs Beste. Die
andern — man denke abermals an den Einzug, das Bekenntnis
vor dem Hohenpriester, auch die Anrede Davidssohn im Munde
des Bhnden u. a. — ruhen an sich nicht auf jener supranatu-
ralen Voraussetzung, sie legen die Erkenntnis der Messianität
gewöhidichen Menschen bei und schliessen demnach das Ge-
heimnis einfach aus. Das Petrusbekonntnis gehört nach Markus
238
zweifellos zur ersten Klasse. So muss man urteilen, weil die
Jünger für Markus dogmatische Grössen sind: vf,uv x6 uvarij-
Qiov öedovai tTiQ ßaaiXeiag vov d^Eov.
Aber nach einer andern Seite steht diese Szene gerade
mit der Auffassujig der Jünger im Widerspruche. Sie widerspricht
ihrer sonstigen Verständnislosigkeit, von Markus selbst wird sie
daher schwerlich geschaffen worden sein. Der Widerspruch ist
jedoch für Markus nicht befremdlicher als manche andere. Ein
Datum, das auf gleicher Linie liegt, scheint mir die Nachricht
zu sein, dass die Jünger von der (supranatural gedachten) Ge-
walt über die Geister, die Jesus auf sie überträgt, schon bei
der Aussendung Gebrauch zu machen wissen (613).
Das Bekenntnis steht mithin gerade in der Mitte der beiden
unterschiedenen Hauptgedanken. Es würde unmittelbar ver-
ständlich sein, dächte man sich eine Variante der eigentlichen
Markustradition von folgender Form: die Messianität war im
Allgemeinen verborgen, aber die Jünger, speziell Petrus, er-
kannten das Geheimnis; ihnen war es gegeben worden, denn sie
sollten ja die glaubwürdigen Zeugen von Jesus werden. Es
muss damit gerechnet werden, dass es eine solche Variante
wirklich gegeben hat. Das Nichtverstehen der Jünger braucht
in der Tradition dem Verhüllen der Messianität keineswegs
überall zur Seite gegangen zu sein.
Hiermit ist gesagt, dass diese Erzählung nach ihrem eigent-
lichen Inhalte einer Erklärung aus späterer Zeit nicht wider-
strebt. Einen speziellen Anlass könnte die Bildung in der That-
sache haben, dass Petrus als der erste den Auferstandenen er-
kannte ^). Die Projektion dieses Ereignisses auf das geschicht-
liche Leben Jesu wäre bei dogmatischer Anschauung von den
Aposteln wohl zu verstehen.
Sollen wir demnach den Bericht aus der wirklichen Ge-
schichte Jesu streichen?
Es ist eine Art Dogma, dass er ungefähr das Gesichertste
sei, was die Evangelien erzählen. Ich erkenne dieses Dogma
nicht an. Ich meine sogar, wenn so viel Verwandtes sich als
ungeschichtlich herausstellt, ist der Zweifel äusserst natürlich.
Es kommt hinzu, dass die unmittelbare Umgebung der Szene,
1) So Volkmar S. 448.
239
nämlich die Leidensweissagung und was darauf folgt, ungeschiclit-
lich ist, in ihr selbst aber jedenfalls das Verbot, ferner dass sie
einen individuellen Inhalt kaum besitzt. Denn wenn Petrus be-
kennt, so bedeutet das viel weniger, als wenn wir das Gleiche
von Philippus oder Jakobus Alphaei Sohn hörten. Petrus
scheint nur das Apostelhaupt bei Markus zu sein, es wäre ganz
natürlich, dass er bei solcher Gelegenheit der Sprecher ist, auch
wenn von dem Gedanken an die ausgezeichnete Bedeutung seiner
Christusvision abzusehen wäre. Das Bekenntnis selbst enthält
nichts Eigenartiges. Die Urteile des Volkes über Jesus, von
denen die Jünger wissen — er sei der Täufer, Elias oder einer
der Propheten — sind schon darum keine sicheren Kennzeichen
eines geschichtlichen Vorgangs, weil sie auch anderswo vor-
kommen, bei der Erzählung von Herodes (6i4f.), mithin ein Mo-
tiv darstellen, das man verschieden verwendet hat. Dass es
zuerst der Bekenntnisszene angehört hat, lässt sich schwer be-
weisen. Eine spätere Entstehung dieser vom Volke auf Jesus
angewandten Kategorien wäre keineswegs unmöglich. Die ab-
rupte und nicht eben natürlich klingende Frage Jesu nach der
Meinung des Volkes wäre leicht aus der Absicht zu begreifen,
ein Postament für das nachfolgende Bekenntnis des Jüngers zu
schaffen.
Der Beweis der Ungeschichtiichkeit ist jedoch hiermit
nicht erbracht. Den dogmatisch-supranaturalen Sinn, den das
Bekenntnis bei Markus hat, braucht es nicht immer gehabt zu
haben. Das Verbot könnte sich nachträglich angesetzt haben,
die folgende kleine Szene ebenfalls. Und positiv fällt zu Gunsten
des Berichtes ins Gewicht, dass ein geographisches Datum von
bemerkenswerter Eigentümlichkeit an der Szene haftet: sie soll
in der Gegend von Caesarea Philippi gespielt haben. Die Ent-
scheidung wird darin liegen, wie man über dies Datum denkt i)
und — wie die sonstigen Nachrichten über Jesu messianischen
Anspruch und messianische Geltung auf Erden zu beurteilen
sind. So lange dies nicht klargestellt worden ist, thut man
gut, mit dem Endurteil zurückzuhalten.
1) Volkmars Gedanke (S. 449), die Kaiserstadt (A«<or«()6«) stehe
in Beziehung zu Christus als dem wahren ßccaiktig, ist eine Spielerei.
— Die Geographie des Markus bedarf überhaupt einer zusammen-
hängenden Untersuchung.
240
Es ist hier der Ort, auch aul' Lukas nochmals zurück-
zukommen.
Seine Stellung zur Geheimhaltung der Messianität blieb
oben') im Unklaren. Wir fanden Anzeichen dafür, dass er die
Auffassung des Markus nicht teilt, und doch machte Anderes
wieder den entgegengesetzten Eindruck. Insbesondere schien
die eigentümliche Verbindung der Leidensweissagung mit dem
auf das Petrusbekenntnis folgenden Verbote darauf hinzuweisen,
dass er die Verkündigung der Messianität auch erst hinter die
Auferstehimg verlegt.
Die Lösung der Sch"v\ierigkeit dürfte darin liegen, dass bei
Lukas der Gedanke der »zukünftigen Messianität« noch deutHch
erhalten ist.
Bei Lukas fanden wir die Aussage, dass Gott durch die
Auferweckung Jesus zum Christus gemacht hat (Act. 2.36). Diese
Aussage ist aber nichts Isohertes, sie steht mit andern Momenten
im Zusammenhange 2). Lukas ist nicht der Meinung, dass Jesus
seinen Volksgenossen auf Erden schon in der Würde des Messias
ei-schienen sei. Er ist hervorgetreten als ein Mann, beglaubigt
durch Zeichen und Wunder (Act. 222), als ein mit dem Geiste
gesalbter Wunderthäter und Wohlthäter des Volks (lOäs). Einen
grossen Propheten musste das Volk in ihm erkennen, in dem
Gott sein Volk heimgesucht habe (Luk. 7i6). So ist er auch
den Emmausjüngern erschienen: er ist ihnen ein Prophet, ge-
waltig in That und Wort vor Gott und allem Volke (Luk. 24 19).
Hierauf gmndete sich deim freilich ihre Erwartung, er werde
Israels Erlöser, d. h. der Messias sein (242i) ^}. Aber mehr als
die Erwartung haben sie nicht. Und hierin steht ihnen das
Volk gleich. Denn wenn es in der Nähe \on Jerasalem den
Anbruch des Reiches für unmittelbar bevorstehend hält (19 11),
1) S. 172—178.
2) Vgl. J. Weiss, Nachfolge Christi S. 59 ff. — Auf Luk. 2267 ff.
gehe ich an dieser Stelle nicht ein. J. Weiss' Auffassung der Stelle
(im Kommentar zu Luk.j teile ich nicht. Er meint, Sohn Gottes sei
Jesus, sowie er vor dem Synedrium stand, gewesen, Christus noch nicht.
Ich halte diese Scheidung nicht für durchführbar (vgl. den Wechsel
4«). Sohn Gottes ist Jesus nach dieser Stelle auch keineswegs deshalb,
»weil er der ausschliesslichen Liebe Gottes gewiss ist«.
3) Vgl. Act. l6.
241
so ist doch die Meinung, dass es darauf rechnet, Jesus werde
es errichten, d. h, die messianische Würde erhingen und das
AVerk des Messias thun. Gott hat aber einen andern Weg ge-
wollt. Erst niusste Jesus leiden und sterben, dann erst wurde
er zur Rechten Gottes erhöht als Führer und Erlöser {ag^r^yog
xttf aioirjQ 53i), um Israel Busse und Sündenvergebung zu ge-
währen ').
Gewiss enthält auch die Darstellung des Lukas manches,
was von andrer Art ist, aber diese Gedankenreihe als solche
liegt m. E. doch deutlich vor, und auch die Idee der meta-
physischen Gottessohnschaft, wie sie in der übernatürlichen Ge-
])urt der Kindheitsgeschichte erscheint, ist nicht von EinHuss
auf sie gewesen. Dass wir aber hier vor einer Auffassung des
Lukas selbst stehen, ist wegen der Übereinstimmung von Evange-
lium und Apostelgeschichte sehr wahrscheinlich.
Hiernach erklärt sich nun leicht, dass Lukas in den Verboten
Jesu, die ihm in seiner Vorlage Markus begegneten, sehr wohl
einen Sinn finden konnte. Was der Messiastitel, den ihm
Dämonen oder Jünger geben, ausdrückt, kann erst in einem
späteren Momente realisiert werden. Solange das Leiden und
Sterben noch bevorsteht, erscheint es darum nach den geschicht-
lichen Umständen noch nicht passend, von seiner Messianität zu
reden. Eine verfrühte JVlitteilung an das Volk würde nur darüber
hinwegtäuschen, dass ei"st das Dunkel des Todes kommt (vgl.
Qiaf.). Das ist mit Markus verwandt, und es ist doch nicht
Markus selbst. Denn die allgemeine Tendenz auf das Verbei-gen
und Geheimhalten der Älessianität ist hiermit keineswegs gegeben.
Und dass es für Lukas kein lebendiger Gedanke ist, ist eben
daraus zu entnehmen, dass er die charakteristischen Aussagen
des IVIarkus mehrfach beseitigt hat.
Ist nun die geheime Messianität aus der zukünftigen hervor-
gegangen, so gelangen wir zu dem Ergebnis, dass der spätere
Evangelist nicht mir die ältere Anschauung zeigt, sondern auch
die jüngere nach ihr umdeutet, soweit er überhaupt etwas mit
ihr anfangen kann. Eine Schwierigkeit kann ich in beidem
nicht finden. Dass jüngere Schriften das sacMch Altere bieten,
1) Über den historischen Wert dieser lukanischen Angaben spreche
ich mich hier nicht aus.
Wrede, Messiasgoheimnis. 1(3
242
darf niemals Wunder nehmen. Wenn dann die Auffassung des
Markus dem Lukas doch vorlag, so ist es ganz natürlich, dass
er sie nach seinen eigensten Gedanken verstand und auch nicht
verstand.
Zur weiteren Greschichte der Vorstellungen.
Der eigentliche Gedanke des Messiasgeheiranisses scheint
nur eine kurze Geschichte gehabt zu haben, wie denn sein Ge-
biet wahrscheinlich immer beschränkt gewesen ist. Bereits bei
den synoptischen Nachfolgern des Markus verliert er seine m'sprüng-
liche Bedeutung, und bei Johannes trafen wir ihn nicht mehr
an. Anderwärts kann ich ihn nicht nachweisen. Das mehrfach
zitierte Logion:
(xvGTriQiov ii-iov e/uol nal rölg violg rov o'r/.ov f.iov
hat mit unserer Anschauung kaum etwas zu thun, weder nach
seinem Ursprünge noch nach seiner späteren Auflassung i).
Befremden kann die Thatsache nicht. Sie entspricht
wenigstens unserer Deutung recht gut. Es handelte sich nicht
um eine Idee, die einen dogmatischen oder apologetischen Eigen-
wert dargestellt hätte, sondern um eine Übergangsvorstellung.
Dass Jesus, wenn er der Messias gewesen war, sich als solcher
zeigte und ofienbarte, war eine zu natürliche Vorstellung, als
dass sie sich lange hätte zurückdrängen lassen. Weshalb Jesus
sein Licht unter den Scheffel gestellt haben sollte, wui'de um so
unverständlicher, je mehr man ihn schon auf Erden als Messias
dachte.
1) Obiger Text nach Clem. AI. Strom. V, 10, 69. Etwas anders
Hom. Clem. XIX, 20. Vgl. Nestle, N. T. Gr. supplem. p. 90 und bes.
Eopes, Die Sprüche Jesu, die in den kan. Evang. nicht überliefert
sind (1896\ S. 94 ff. Kleraens von Alexandrien leitet das Zitat ein: od
yccQ (fd^oväv (f^riaC) naQr'jyytikev 6 xvQtog sv tivi tvceyy(kiti). Die Worte
finden sich in der Hauptsache aber bei Symmachus, Theodotion und in
Codd. der LXX im Texte von Jes. 24 16, und hier werden sie ihre
Heimat haben.
243
Die Vorstellung, dass Jesus durch Parabelrede seine Lehre
verborgen habe, ist hierbei aber auszunehmen. Dass sie sich
besser hielt als die Idee der verhüllten Messianität, ist leicht
verständlich. Es war in der Überlieferung zu fest ausgeprägt,
dass Jesus in Parabeln gelehrt habe, um vergessen zu werden,
und der Begriff /taQaßoXi^ regte den Gedanken an das Dunkle
und Geheime immer wieder an.
Eine weitere Geschichte hat aber auch die Idee gehabt,
dass die Auferstehung zwei Zeiten der Jüngererkenntnis schei-
det. Matthaeus und Lukas zeigten uns jeder in seiner Art, wie
sie in der Evangelienerzählung, wenigstens was den Unverstand
der früheren Zeit betrifft, recht bald modifiziert, sei es nun ver-
wischt oder sei es eingeschränkt werden konnte. Johannes lehrte
uns schon, dass hieraus keine voreiligen Schlüsse gezogen werden
dürfen. Denn er vertritt die Anschauung kräftig, wenn auch in
besonderer Art. Bei Johannes fanden wir auch die Parabelvor-
stellung bereits in enger Verbindung mit dem Gedanken der
Jüngererkenntnis. Das Gleiche lässt sich für die Folgezeit viel-
fach beobachten.
Die Entwickelung nach dem Abschluss der kanonischen
Evangelien lässt sich nun ohne eine systematische Durchforschung
der ältesten kirchlichen Literatur nicht genügend darstellen. Für
meine Zwecke erschien mir eine solche entbehrlich. Wenn ich
also im Folgenden noch auf ein paar bemerkenswerte Data hin-
weise, so liegt mir der Gedanke fern, den Gegenstand zu er-
schöpfen.
Zunächst ein Wort über Justin. Er spricht in der Apologie
•wie im Dialoge wiederholt aus, dass die Jünger nach der Auf-
erstehung durch Jesu Belehrung zu einer neuen Einsicht ge-
kommen sind. Es scheint das also zu seinen festen und leben-
digen Gedanken zu gehören. Die beiden bemerkenswertesten
Äusserungen sind folgende i):
Apol. I, 50: (Vorangeht ein Zitat aus Jes. c. 52 und 53.) Nach
seiner Kreuzigung nun fielen auch alle seine Vertrauten
1) Vgl. ausserdem Apol. I, 67, Dial. c. .53. Zusammengestellt
sind die Stelleu bei Hilgenfeld, Acta Apostolorum (1899) p. 198 und
bei P reu sc hon, Antilegoraena p. 30.
16*
244
(ynogii-ioi) von ihm ab, nachdem sie ihn verleugnet.
Später aber, da er von den Toten erstanden und ihnen
erschienen war und sie gelehrt hatte, die Prophetieen zu
lesen {Talg TrQOCftjTsiaig ivTvydv), in denen vorausgesagt
war, dass alles dies geschehen werde, und da sie ihn zum
Himmel auffahren gesehen und gläubig geworden waren
und die ihnen von dorther gesandte Kraft von ihm
empfangen hatten und zu jeglichem Geschlecht der
Menschen gekommen waren — da lehrten sie dies und
wurden Apostel genannt.
Dial. c. Tiyph. c. 106: .... (Die Apostel), die da — nachdem
er von den Toten auferstanden war, und nachdem sie
überzeugt worden waren von ihm, dass er schon (xa/)
vor dem Leiden ihnen gesagt, er müsse das leiden, und
von den Propheten, dass diese Ereignisse vorausverkündigt
waren, — Busse thaten, Aveil sie von ihm abgefallen
waren, als er gekreuzigt wurde
Diese Stellen lehren uns in der Hauptsache nichts Neues.
Im Einzelnen sind sie nicht uninteressant. Der Abfall der
Jünger erscheint als Gegensatz der nachhergewonneiien Über-
zeugung, also als eine Frucht des einstigen Unverstandes. Der
Unverstand wird zugleich als Unglaube ») und Schuld betrachtet,
nach der Auferstehung müssen die Jünger dämm Busse thun.
Die neue Überzeugung wird geradezu als die Grundlage ihrer
Mission in der AVeit hingestellt *). Die Belehrung Jesu stellt sich
dar als ein förmlicher Unterricht, eine Anweisung zur richtigen
1) Unglauben und Zweifel spielen in den Auferstehungsgeschichten
eine besondere Rolle (Luk. 24, Mt. 2Sn, Job. 2025). Besonders cha-
rakteristiscb der unecbte Markusscbluss (16u.': Und er schalt ihren
Unglauben und ihre Herzenshärtigkeit, dass sie denen, die ihn aufer-
weckt gesehen, nicht geglaubt hatten. Dieser Punkt gehört zur Öko-
nomie der Auferstehungsgeschichten. Dem Erkennen und Anerkennen
des Auferstandenen muss Ahnungslosigkeit, Misstrauen und Unglauben
recht handgreiflich vorangehen. Aber dies Benehmen wird als Fort-
setzung der entsprechenden Haltung vor der Auferstehung gedacht sein.
(Eohrbach S. 32f. dürfte aus der Übereinstimmung verschiedener Be-
richte in diesem Motive zu viel schliessen.)
2) Vgl. Dial. 53, Apol. I, .50.
245
Schriftlektüre. Das Kerygnia Petri ') bietet eine abweichende
und doch ähnhche Vorstellung, wenn es den Glauben der
Jünger auf eifriges Schriftstudium zurückführt. Hier erscheint
dabei alles, was in den Schriftbeweis hineinfällt, als Inhalt der
neuen Erkenntnis. Justin dagegen, bei dem man die lukanische
Erzählung besonders durchfühlt, beschränkt in den vorliegenden
Angaben =*) die Belehrung auf das, was vor der Auferstehung
das Unverstandene war, d. h. auf die Notwendigkeit des Leidens ;
er betont dabei gleichmässig die Weissagung der Propheten und
Jesu eigene Voraussagung, von der die Jünger nicht wissen,
sofern sie ihnen eben dunkel blieb. Diese Beschränkung ist be-
merkenswert. Justin scheint von weitergehenden Belehrungen
des Auferstandenen noch nichts gewusst zu haben, oder sie
hatten keine Bedeutung für ihn.
Uns muss hier gerade die weitere Ausdehnung des urspmng-
lichen Gedankens in erster Linie interessieren.
Beden des Auferstandenen sind bekanntlich in den ersten
Jahrhunderten der Kirche in Fülle erdichtet worden. Die
wenigsten von ihnen haben es — auch dies in Fortführung von
Anfängen, die schon in den kanonischen Evangelien vorliegen —
mit Weisungen an die Apostel in Sachen ihres Berufes zu tiiun ^).
Überwiegend handelt es sich um eigentliche Lehre. Derartiges
hat man in allen möghchen Kreisen der Kirche produziert *).
Aber die bemerkenswerteste Erscheinung ist in dieser Hinsicht
die Gnosis; auf sie beschränke ich mich hier.
1) Fragiu. 9 (bei Pre tischen p. 54; vgl. auch von üobschütz,
das Kerygraa Petri S. 27): Wir aber schlugen die Bücher der
Propheten auf, die wir besassen, ... und fanden sowohl seine An-
kunft als seinen Tod und sein Kreuz und alle die übrigen Martern . .,
wie alles das, was er leiden niusste, und was nach ihm sein werde, auf-
geschrieben war. Da wir nun dies erkannten, schenkten wir Gott
Glauben {incoTSvaafjsv rw &f(o) durch das auf ihn hin Geschriebene.
2) Unbestimmt lautet Apol. I, 67.
3) So z. B. Kerygma Petri, Fragra. 7 bei Preuschen (y. 53).
4) Man darf wohl glauben, dass manches von den sekundären Be-
standteilen der Evangelien, wäre es erst in einer späteren Zeit zur
evangelischen Erzählung gekommen, in den grossen offenen Kaum nach
der Auferstehung gestellt worden wäre. In früherer Zeit stand dieser
Platz noch nicht so zur Verfügung, man hatte ihn aber auch nicht
246
Der kirchliche Gnostiker Klemens von Alexaiidria schreibt
in seinen Hj^DOtyposen i) :
Jakobus dem Gerechten 2) und dem Petrus und Johannes
hat der HeiT nach der Auferstehung die yvcuoig
überliefert, diese überheferten sie allen Aposteln, die
übrigen Apostel aber den Siebenzig, zu denen auch Bar-
nabas gehörte.
Lassen wir die verschiedenen Traditionsglieder, die da
genannt werden, bei Seite, so haben wir in diesem Worte den
bündigsten Ausdruck für eine Vorstellung, die als Gemeingut
der weitesten gnostischen Kreise, insbesondere natürlich der
häretischen zu betrachten ist. Es ist bekannt, wie in der
gnostischen Überlieferung die Zeit des Erdenwandels Jesu nach
der Auferstehung sich von den 40 Tagen des Lukas (Act. Is)
zu 18 Monaten oder, wie es auch statt dessen heisst, zu 545
Tagen,' ferner zu 7 Jahren, zu 12 Jahren und wer weiss wie
sonst noch erweiterte 3). Da haben denn die geheimen Be-
lehrungen Platz, die die Gnosis vertrauten Jüngern Jesu zu
Teil werden lässt^).
nötig, da die Erzählung vom Erdenleben Jesu noch nicht so stark fest-
gelegt war. Es ist lehrreich zu fragen, welche Stoffe man in den
Evangelien hinter die Auferstehung versetzt denken könnte. Ich möchte
z. B. die Apostelinstruktion dahin rechnen. Ebenso könnte die eschato-
logische Rede bei Markus, die die Vertrauten vernehmen, der Sache
nach sehr gut als Eede des Auferstandenen gegeben sein. In einem
syrischen Sammelwerk kirchenrechtlichen Inhalts ist ein ßißUov KXri-
f^evTog TTQonov überliefert, dessen weitere Überschrift (griechisch) lautet:
ot Xöyoi, ovg juera t6 {IraaTfjvat amov [rbv xvQiov) ix rexQtSv IXakrjae
ToTs uyioig nnoarökotg avTov, und in dem Fragen der Jünger (Johannes
und Petrus) thqI tov rs'kovs, d.h. nach allen möglichen eschatologischen
Dingen (z. B. den arjjufttt des Endes, der Parusie des Teufels) vom
Herrn beantwortet werden. (Vgl. L a g a r d e , Reliquiae iuris ecclesiastici
antiqui p. 80 f. und Harnack, Theol. Lit. Ztg. 1884, col. 340.)
1) Bei Eusebius, h. e. II 1.
2) Klemens verwechselt den Zebedaiden und den Bruder des
Herrn.
3) Vgl. darüber Patr. apoet. opp. ed. Gebhar d t etc. I 2"^ p. 138 sq.,
C. Schmidt. Gnostische Schriften in koptischer Sprache. T. u. U.
VIII, 1.2 S. 438 f.
4) Über die Ophiten z. B. Irenaeus, Adv. haer. I 30,14.
247
Man kann nicht sagen, dass der gnostische Gedanke die
Konsequenz der evangelischen Vorstellung von einer Erleuchtung
der Jünger nach der Auferstehung sei. Markus hat wohl den
Gedanken der Geheimlehre, aber neben der Lehre, die er im
Evangelium selbst mitteilt, kennt er keine weitere. Johannes
hat die Vorstellung einer Belehrung, die über die einstige
Rätselsprache hinausgeht. Aber auch er will damit keine sach-
lich neue Lehre legitimieren; auch sondert er die Jünger für
den Empfang einer bestimmten Lehre nicht eigentlich vom
Volke ab. Lukas lässt Jesus in den 40 Tagen über ra r^g
ßaGilsiag zou Osoü mit den Jüngern reden. Aber es scheint
mir ein Missverständnis, wenn man darin schon den Gedanken
einer »höheren«:, d. h. über die Lehren des Evangeliums hin-
ausliegenden Belehnmg angedeutet findet '). Denn Lukas hatte
noch keine autoritativen Schriften vor sich und konnte daher
Jesus in der Zeit seiner Wirksamkeit noch alles sagen lassen,
Avas nötig war. Alle dem gegenüber zeigt die Gnosis etwas
Neues, sofern sie von der Tendenz geleitet ist, eine neue Lehre
neben einer überlieferten einzubürgern und sie ihr zugleich als
das Höhere überzuordnen.
Man könnte sogar zweifeln, ob diese gnostische Ansicht von
den Belehrungen des Auferstandenen mit der Anschauung, die
wir in den Evangelien fanden, überhaupt in wirklichem Zu-
sammenhange steht. War es nicht ohnehin für die Gnosis natür-
lich, die Geheimbelehrung hinter die Auferstehung zu legen, ein-
fach weil hier ein leerer Raum war? 2) Denkbar wäre das wohl^
allein ein innerer Zusammenhang mit der Vorstellung der Evan-
gelien lässt sich nicht abweisen. Auch in der gnostischen Vor-
stellung steckt der Gedanke, dass die Jünger — und zwar eben
1) So meint es wohl Weizsäcker, Apost. Zeitalter, S. 21.
2) Origenes e. Cels. VI p. 279 (vgl. Gieseler, Kirchengeschichte
I ■' S. 257; G. zitiert nach ed. Spencer: bei Delarue steht das
Zitat VI,G p. 633.) sagt : 'frjaovg, ort fttv fXäXfi tov tov f^fov köyov tois
/tind^rjTcag xar' ttficcr, xni fifiXiaia iv raig dr ((/lüorjOfa i v, tiQrjiai'
Tivct 6' tjv, u (Xeyfv, ovx dvayf'yQKTiTai. ov yuQ ((fuCvfro (tinoTg y^anrta
txavwg (Ivat raOrn tiqo; tüvs noXkovg. ovöi (5>;r«. Nach dieser Stelle, in
der die charakteristischen Äusserungen besonders des Markus noch gut
verstanden sind, wäre es denkbar, dass man auch andere Plätze für die ge-^
heime Belehrung gewählt hätte. Dass von ihnen, s. v. ich weiss, kein
Gebrauch gemacht worden ist, ist abtr ganz natürlich.
248
mit der Auferstehung — eine höhere Einsicht gewannen, als
sie bis dahin hatten. Dieses Zusammentreffen kann nicht zu-
falhg sein. Die Gnosis hat also an eine vorhandene Idee sich
angelehnt, aber sie hat zugleich etwas Neues aus ihr gemacht,
indem sie sie ihren Zwecken dienstbar machte. Von ihrem
Ursprünge her hat sie mit einer Tendenz nichts zu schaffen.
Ein Erlebnis der Jünger hat sie erzeugt, das bleibende Interesse
an den Jüngern als den Autoiitäten des Glaubens hat sie
lebendig erhalten. Die Gnosis aber durchdringt sie mit einer
Tendenz, sie wird nun ein Mittel, ihren eigensten Gedanken die
Autorität der Lehre Jesu zu sichern. Die Haltung und Stellung
der Jünger selbst und die Bedeutung der Auferstehung für sie
wird dabei zur Nebensache.
Es hat jedoch in gnostischen Kreisen eine besondere Form
dieser Belehrungen des Auferstandenen gegeben, die noch in
viel bestimmterer Weise auf den eigentümlichen Vorstellungen
der Evangelien ruht, und die darum ein ganz besonderes Interesse
für uns beansprucht.
Das klassische Dokument ist hier die llioTig ^ocpia *). In
diesem Buche finden wir Jesus im Verkehr mit seinen Jüngern
und Jüngerinnen. Elf Jahre sind seit der Auferstehung schon
verflossen. Im zwölften teilt Jesus auf dem Olberge diesen Ver-
trauten, unter denen Maria Magdalena an erster Stelle steht,
ihr zunächst Johannes, der spado, die höchsten "Wahrheiten mit ^).
Seine Belehrung nimmt nun aber beständig Bezug auf die
frühere Unterweisung, d. h. auf die in den Evangelien nieder-
gelegten Worte, unter Umständen auch auf Züge der evan-
gelischen Geschichte. So repräsentiert dies Buch »gleichsam
die Niederschrift eines zweiten Evangeliums« 3) nach und über
dem alten. Von einer Exegese der E van gehen woiie lässt sich
freilich kaum sprechen; denn es wird ihnen mit bekannter
gnostischer Willkür alles Beliebige einfach substituiert. Formell
1) Vgl. zum Folgenden Harnack, Über das gnostische Buch
Pistis Sophia, T. ii. U. VII 2. (Ich zitiere nach dieser Untersuchung, da
mir der Text selbst nicht zugänglich ist.) Harnack hat auch bereits
mehrfach auf den Zusammenhang mit den Daten der Evangelien hingewiesen
{s. bes. S. 54ff., 60f.): im Einzelnen kann ich mirdanicht alles aneignen.
2) S. 15 f., 13. 3) S. 12.
249
erscheint die neue Belehrung aber doch als eine Art Exegese
oder genauer als die Enthüllung der einstigen Rätsei-
re de. Denn dies ist der ständige Gegensatz: was Jesus einst
mit dunklem AVort gesagt hat, das spricht er jetzt offen {h
rcaQQrjaia oder (favegtoi;) aus. Dixi vobis olini oder iv ytagaßoli^
olim und Dixisti olim sv TcaQafio'li — das sind die immer wieder-
kehrenden Fonneln, mit denen Jesus oder auch die tragenden
Vertrauten die Rede beginnen. i7«(»«/>'oArj aber ist alles und
jedes in den Worten Jesu ^), das Wort vom siebenzigmaligen
Vergeben ebenso wie etwa das vom Mammon der Ungerechtig-
keit oder von der Aufnahme der Sendboten Jesu (Mt. 10 12 f.).
Gelegentlich wird wohl einmal auch unter dem Früherge-
sprochenen zwischen solchem unterschieden, was offen, und
solchem, was verhüllt gesagt sei "). Doch ist das ohne Be-
deutung; im Ganzen ist der Unterschied von h> Ttagaßolij und
ev 7caQQ\oia der von einst und jetzt.
Die besondere Verwandtschaft mit den johanneischen Ge-
danken liegt auf der Hand. Mit den Worten des Johannes-
evangeliums (16 25. 29) sagt Jesus denn auch einmal^), jetzt sei
die Stunde, der Tag, wo er offen mit den Jüngern rede »inde
ab otQxfi äXrj-^tiag usque ad eius finem«, wo er von Angesicht
zu Angesicht ohne 7caQaßo?a[ mit ihnen spreche.
Die Voraussetzung dieser Darstellungsweise ist die auto-
ritative Bedeutung der alten Evangelien. Neue Lehre ist von
Anfang an in der Kirche eingebürgert worden, und zwar in
einer Form, die ihre Autorität sicherte. Die Evangelien selbst
liefern die Beweise. Aber man braucht dabei im Allgemeinen
das Neue nicht in einen Gegensatz zu einem Alten zu stellen.
Insofern war die Situation jetzt andere geworden. Die Tendenz^
eine neue Lehre als die wahre und geheime Lehre Jesu einzu-
führen, hat sich nun mit dem Ansehen geltender Schriften not-
w^endig abzufinden. Sie thut das hier, indem sie das Neue in
das Alte hineinlegt oder aus ihm herausholt. Aber die besondere
Form, in der das geschieht, die systematische Beziehung der
neuen Belehrung auf die frühere lässt sich nur daraus erklären,
1) Übriji'eiis ist auch das ulttestamentliche Schrit'twort Rede ^i' 7r«()«-
ßolri (S. 50).
2) S. 4. 9 f. 3) S. 14.
250
dass die alte Anschauung vom Rätselcharakter der Verkündigung
Jesu auch nach den Evangelien kräftig weiterlebte. Soviel
später immer die Pistis Sophia entstanden sein mag als das
vierte Evangelium — es ist schvv^er zu glauben, dass diese Ge-
danken erst infolge der Lektüre des Evangeliums zu einer be-
stimmten Zeit wieder aufgegrifien wurden, sie müssen vielmehr
in lebendiger Tradition erhalten gewesen sein, als die Gnosis
sich ihrer in dieser Art bemächtigte.
Der Fortschritt über Johannes hinaus ist auch hier leicht
zu erkennen, v.iewohl es scheinen könnte, als ob hier nur mit
den Johanneischen Gedanken rechter Ernst gemacht werde. Bei
Johannes handelt es sich doch noch ernstlich um das Früher
und Später im wirklichen Aposteileben. Und das johanneische
AaXelv iv 7caQoiftiaig bedeutete nicht, dass einfach und massiv
auf alle überlieferte Lehre das Prädikat n:uQutiol-t[ zu über-
tragen sei.
Übrigens ist die Pistis Sophia nicht das einzige gnostische
Werk, in dem uns der Gegensatz der verhüllten und offenen
Rede Jesu in dieser Weise entgegentritt. Deutlich -wird der
Gedanke selbst auch in den von C. Schmidt aus dem Codex
ßrucianus herausgegebenen gnostischen Werken in koptischer
Sprache ausgesprochen ^). Die Lehrthätigkeit Jesu beschränkte
sich während seines wirklichen Erdenwandels aiif dunkle Mit-
teilnngen, deren geheimen, pneumatischen Sinn die Jü)iger nicht
erfassen konnten. Das Verständnis gewinnen sie erst, als sie
nach der Auferstehung sich wieder um ihn schaaren, um alles
iv 7caQQr^oic( zu vernehmen ^).
Welche Wandlungen lassen sich gerade an diesem besondern
Punkte des behandelten Vorstellungsgebietes in den ersten 100
bis 150 Jahren nach Jesus beobachten !
Jesus redet seine lichten, schlichten Gleichnisse, ohne von
einer andern Absicht dabei zu wissen als der, die jedem Redner
selbstverständlich ist. Der erste Christ, der nach unserer Kenntnis
sein Leben erzählt, lässt bereits alles Verständnis für die Be-
deutung dieser Redeweise vermissen : die Gleichnisse sind schon
mysteriöse Worte, bei denen es eines Schlüssels bedarf. Doch
1) Vgl. auch Harnacks Bern. S. 54f. über die Valentinianer.
2) C. Schmidt, T. u. U. VIII 1.2 S. 436, 461 f.
251
denken er und seine Nachfolger noch keineswegs daran, ihnen
Lehren zu entlocken, die höher wären als andere Lehren Jesu,
wie schon die Seltenheit von Deutungen zeigt. Bei Johannes
sind die eigentlichen Gleichnisse so gut wie verschwunden, und
der Rätselcharakter haftet in gewissem Sinne an der ganzen
Lehrweise Jesu. Zuletzt aher wird die ganze überlieferte Lehre,
wie sie in den nun abgeschlossenen Evangelien vorliegt, zur
Ttagaßohj, zum unverständlichen Mysterium gestempelt, um sie
auf gute Manier bei Seite zu schieben.
Exkurse.
Zum Petrusbekenntnis (B. M'eiss und J. Weiss).
(Vgl. S. 12 ff.)
In gewissem Sinne trifft die Bemleilung der kritischen
Position, die ich S. 12 ff. gegeben habe, mit den Einwendungen
zusammen, die u.a. B. Weiss (Leben Jesu II, S. 264 ff.) gegen
sie erhoben hat. Sehr richtig hat er jedenfalls gesagt, dass die
Auffassung der Kritik vom Petrusbekenntnis mit den eigenen
Voraussetzungen des Markus nicht harmoniere. Indessen bin
ich zu meinen Bedenken durch sehr andere Erwägungen ge-
führt worden als Weiss, und sie haben auch einen durchaus
andern Sinn. Denn die Folgerung, dass Jesus längst vor jenem
Momente als Messias gegolten habe, ziehe ich nicht.
Füi- die Kritik von Weiss hegt der Hebel in seiner Ver-
wertmig des Johannesevangeliums. Aus Joh. 614.15 (man will
Jesus nach der Speisung zum König machen) best er eine
»Katastrophe«, einen Wendeimnkt im Leben Jesu heraus ') mid
interpretiert Mr. 8 27 ff. dann nach Joh. 6 66 ff. : Jesus weigert
sich, im Sinne des Volkes die messianische Fahne zu entfalten,
und verliert dadurch die Sympathien des Volkes, die Jünger
aber geloben ihm Treue.
Auf diese Stelle des Johannes irgend etwas zu gründen,
scheint mu- unmöglich. Schon durch ihren Zusammenhang mit
dem Speisungswunder ist sie verdächtig, sie ist ferner ganz im
1) Ähnlich der frühere Weizsäcker, Unters, über die ev. Gesch.
.S. 454. Auch J. Weiss, Nachfolge Christi S. 36 baut auf die Stelle.
253
Gesclimacke des Evangelisten (ISaof.) und verrät mit der groben'
Vorstellung, die sie bietet, den von den Dingen entfernten Er-
zähler. Doch die beste Kritik giebt Weiss selbst (II. S. 207):
»Man ahnt ja freilich hinter den kurzen , kühlen Worten,
die der vierte Evangelist dieser Katastrophe widmet, kaum das
Ungeheuere der Entscheidung, das in diesen Worten liegt . . .«
In der That, man ahnt es nicht, und wenn Weiss hinzusetzt,
die weitere Erzählung des Evangelisten zeige, dass er sich über
die epochemachende Bedeutung des Ereignisses noch vollkommen
klar sei, so ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Man muss
den Berichten des Johannes durch unerweisliche Kombination
selbst erst alles Wesentliche entlocken, um den gewünschten-
Pragmatismus herauszubringen.
Im Übrigen ist Weiss insoweit mit der gewöhnlichen An-
sicht in Übereinstimmung, wird demnach insoweit auch von
den Bedenken betroffen, die ihr entgegenstehen, als auch er für
wahrscheinlich hält, dass Markus sich den Entwicklungsgang
der Wirksamkeit Jesu und damit das Petrusbekenntnis so ge-
dacht habe, wie jene Ansicht annimmt. Er setzt sich hier aber
über Markus schnell hinweg ').
J. Weiss 2) hält ebenfalls für unzweifelhaft, dass Jesus längst
vor dem Petrusbekenntnis von den Jüngern wie vom Volke für
den Messias gehalten worden sei, deutet jedoch das Bekenntnis
bei Markus nicht nach Job. ßceif. Seine Lösung ist: Mr. 827 ff.
berichte den ersten Ausdruck der längstgehegten Überzeugung.
Die Erklärung liefern psychologische Vermutungen. Jesus habe
den Glauben an seine Messianität als etwas Zartes und Inner-
liches der Öffentlichkeit nicht preisgeben mögen — bei der
Frage Jesu (82!)) breche die lange zurückgehaltene Begeisterung
zum ersten Male bei den Jüngern hervor. Da ist schon die
Frage unbequem : weshall) provoziert denn Jesus das Bekenntnis,
wenn er diese Scheu hat? und: warum sind denn die Jünger eben-
falls bis zu dem Grade zurückhaltend? Aber im Allgemeinen:
derartige Zurechtlegungen sind so lange verfrüht, als die Berichte
1) Vgl. II S. 264 f., Das Markusevang. S. 283.
2) Nachfolge Christi S. 31 ff.
254
nicht kritisch untersucht sind. Wirkhche Erkenntnis vermögen
sie nicht zu schaffen.
II.
Die das Geheimnis betreffenden Verbote Jesu in
der Auffassung der Kritik und Exegese.
(Zu S. 35 ff.)
Ich beabsichtige hier ledigHch eine Reihe von Aussemngen
über diese Verbote ') zusammenzustellen. Eine Klassifikation
der Auffassungen ist nicht gut durchführbar, so ordne ich einfach
nach den Autoren. Auf Vollständigkeit kann es nicht ankommen,
auch soll die Verbreitung der einzelnen Auslegungen nicht ge-
kennzeichnet werden ; einige Wiederholungen sind unvermeidhch.
Weisse, Evangelische Geschichte I :
Hin und wieder trägt Jesus ausdrückhch Sorge, dem Rufe
von seinen Wunderheilungen »keine allzugrosse Verbreitung« zu
geben (S. 341). — Im Ernst kann man — wegen der vielen
öffentUchen Wunder und ihres Erfolges — bei Jesus nicht den
Willen oder auch nur den AVunsch voraussetzen, seine Wunder-
kraft geheimzuhalten, »so wenig auch, worauf jene Notizen zum
Teil (!) mögen (!) zu deuten sein, ein unverständiges, markt-
schreierisches Austrompeten derselben nach seinem Sinne war«
(S. 342). — Ein Hauptgrund (!) der Sorge, die auffallendsten
Wunderheilungen geheimzuhalten, mochte darin liegen, dass
Jesus nicht immer auf das Gelingen des Wunders rechnete und
nur, wenn er es that, zur That schritt (S. 363). — Das Verbot
830 zeigt, dass Jesus nicht auf jüdische Einbildungen vom
Messias eingehen wollte (S. 530). Ebenso 99 (S. 542 f.).
Ewald, Geschichte Christus' und seiner Zeit:
Jesus hielt die Anerkenntnis, dass er der Messias sei, sogar
zurück — er begehrte keine Verehrung für sich (S. 208). — Zu
543: er wünschte, wie sonst immer in diesen Zeiten, dass von
seiner Hilfe »nicht viel« gesprochen werde (S. 301).
1) Einschliesslich der Stellen Mr. 724, 930.
255
Strauss. Leben Jesu 1835:
Der Grund der Verbote ist einheitlich : er hegt in dem
Wunsche Jesu, die Ansicht, dass er der Messias sei, sich »nicht
allzusehr« verbreiten zu lassen. An die Erregung der politischen
Messiasidee scheinen die Synoptiker nicht zu denken. Eher
stellen sie die Zurückhaltung als eine Sache der Demut dar
(Mt. 12 19), besonders aber scheinen sie vorauszusetzen, dass
Jesus, wenn er als Messias erkannt war, die jüdische Hierarchie
habe fürchten müssen. Allein manche Verbote, besonders 830,
erklären sich erst dann, wenn man ein späteres Messiasbewusst-
sein annimmt. So ott der Gedanke, er möchte der Messias sein,
bei andern erregt und ihm entgegengebracht wurde, erschrak
Jesus gleichsam, das laut und bestimmt ausgesprochen zu hören,
was er bei sich selbst kaum zu vermuten wagte, oder worüber
er doch erst seit Kurzem mit sich ins Reine gekommen war
(I S. 475—477). — Zu 736: Das Mysteriöse habe dem Markus
gefallen (II S. 74 f.).
Leben Jesu für das deutsche Volk:
830 zeigt, dass Jesus das Volk noch immer nicht für reif
hielt, den Sinn, in dem er der Messias sein wollte, zu fassen,
wenn anders es historisch und nicht blos zur Hervorhebung der
Bescheidenheit Jesu nach Jes. 42iff. (!) erdichtet ist (S. 228). —
Bei den Dämonen hatte Jesus nur zu wehren, dass sie ihn
»nicht mehr, als seine Bescheidenheit zuliess«, als Messias aus-
riefen (S. 447).
K 1 0 s t e r m a n n , Das Markusevangelium :
Zu I25. 3i, 3 12: Jesus wollte kein Zeugnis von gottwidrigen
geistigen Mächten, er wies es als widerwärtig ab (S. 27,29, 68). —
Zu l43f : Nur aus Mitleid, d. h. nicht berufsmässig hat Jesus
die That göttlicher Allmacht an dem Aussätzigen verrichtet; so
will er dafür keine Anerkennung seiner Person, wie sie nur
seine Berufsthätigkeit wecken sollte, und deshalb will er das
Verschweigen der That. Eine Anerkennung auf Grund dieser
That hätte keinen sittlichen und religiösen Wert gehabt (!)
(S. 34). — Zu 5-t3: Jesus will vom Volke keine Verehrung, die
über die dermalige Stufe seiner Erkenntnis von ihm hinaus-
gienge (S. 120). — Zu 724: Jesus wollte nicht dazu gebracht
werden, auf Heiden seine heilende Wirksamkeit zu erstrecken
(S. 157). — Zu 73ü: Er meinte die Heilung anders als die
556
Angehöngen des Taiilistumnieii und fürchtete daher, sie würden
von ihr als einem Machtbeweise des Menschen Jesus redeii^
anstatt sie auf ihr reh'giös-sittliches Leben wirken zu lassen (!)
(S. 162). — Zu 830: Die Erkenntnis der Jünger galt Jesus
noch nicht als voll und daher (!) nicht als mitteilungsfähig
(S. 176). — Zu 930: Jesus mied geflissentlich jede Berührung
mit dem Volke, da es ihm nur noch um die ausdrückliche Vor-
bereitung seiner Jünger auf die kommenden Thatsachen ankam
(S. 196).
B. Weiss, Leben Jesu:
Jesus, der, um nicht die revolutionäre Hoffnung des Volkes
zu ermutigen, mit dem direkten Zeugnis von seiner Messianität
zurückhielt, wollte am wenigsten aus so unreinem Munde (Dä-
monen) zuerst als der Messias bekannt sein (I S. 466). — Er
hatte immer nur zu wehren, dass die Besessenen ihn nicht be-
ständig als den Messias anriefen und dadurch der schon so
grossen EiTegung des Volkes eine für seine Wirksamkeit ver-
hängnisvolle Richtung gaben (II S. 73). — Mit den Verboten
bei Wundern ^vi\\ Markus hervorheben, dass Jesus alles that,
um zu verhindern, dass er in den Ruf des Wunderthäters
komme und dadurch die Volksbegeisteriing gesteigert werde.
In W'^ahrheit haben sie aber teils einen speziellen Zweck
(I44, 54g), teils gehören sie der spätem Zeit an, wo Jesus sich
von der Volks^^^rksamkeit zurückzog und nicht wollte, dass die
Wohlthaten, die er Einzelnen gewährte (!), neue Ansprüche an
seine Heilthätigkeit ermutigen sollten (736, 826) (I S. 477,
II S. 238). — Zu l43f: Markus verstand das Verbot nicht
mehr richtig, nach ihm will Jesus Aufsehen vermeiden (Markus-
evang. S. 73). Vielmehr verbot er dem Aussätzigen sich als
genesen zu gerieren und auch nur von seiner Heilung zu er-
zähle)i(!), ehe er den gesetzhchen Vorschriften genügt hatte
(I S. 542). ^ — Zu 543: Die Augenzeugen sollen nichts erzählen,
damit es für die Menge dabei bleibe, dass das Mädchen nur
geschlafen habe(!); Jesus meidet den Ruf eines Totenerweckers
(I S. 588f.). [Weshalb Jesus zu Nain anders handeln, d.h. den
Jüngling öffenthch erwecken konnte, ist Weiss gleichfalls genau
bekannt: er trat jetzt seine grosse Reise an, war also vor An-
sprüchen an seine Wunderthätigkeit sicher (I S. 562)]. — Zu
724: Im Heidenlande denkt Jesus unerkannt zu bleiben; er
257
geht dahin, weil er sich von der eigenthchen Volkswirksamkeit
zurückziehen und ganz den der Belehrung bedürftigen Jüngern
widmen will (II S. 251, vgl. Markusevang. S. 256). — Hielt
Jesus anfangs mit dem Bekenntnis seiner Messianität zurück,
so ist das nur die Herablassung des wahren Pädagogen, der an
der Verständnisfähigkeit des Schülers das Mass des Mitzu-
teilenden bemisst (18.489). — Sao gebietet Jesus zu schweigen,
nicht weil das Volk davon nichts hören sollte (!), wovon doch
immer in diesen Tagen geredet war (!), sondern weil die Ver-
kündigung der Messianität in dem sinnlichen Volke nur falsche
Hoöhungen oder(!) erhöhte (3pposition wecken konnte, oder (!)
weil es die Jünger mit dem Volke in einen unfruchtbaren
Streit über Wesen und Beruf des Messias verwickelt hätte, dem
sie noch lange nicht gewachsen waren (das erste »oder« Markus-
evang. S. 283, das zweite L. J. II S. 270).
Weizsäcker, Untersuchungen über die evang. Geschichte:
Das Geheimhalten kommt in verschiedenem Sinne vor.
I44 fordert Jesus z. B. Schweigen, weil -er in der Heilung des
Aussätzigen eigentlich die Vorschriften über Entfernung von
diesen Kranken übertreten hat (!). 543 will er Aufsehen vermieden
wissen. 7:36, 820 ist die Lage schon derartig, dass sich jetzt an
wirkliche Sicherung seiner Person vor Nachstellung denken lässt,
die die Geheimhaltung an gewissen Orten (!) notwendig machte.
»Aber so leicht sich solche verschiedene Motive im Einzelneii aus
dem Zusammenhange entnehmen lassen(?), so fordert doch die ganze
Erscheinung eine allgemeine Erklärung« . [Jesus hatte danach
immer zwei Gründe bei den Verboten!] Das Verbot ist weniger
aus einem Plane als aus einer Stimmung Jesu abzuleiten ;
»wenn er die vorzeitige Nennung des messianischen Namens
und die allzurasche (!) Ausbreitung seines Ruhmes überhaupt
vermieden wissen wollte, so lag doch zugleich in erster Linie
eine gewisse Scheu zu Grunde, mit welcher er selbst diese
Fortschritte seines Thuns, die gewaltigen Zeichen . . . betrachtete«
(S. 366 f.). — Sich offen von Anfang an als den Messias er-
klären hiess entweder den sofortigen Untergang herausfordern
oder eine Revolution beschwören und sich selbst an die Spitze
stellen (S. 425). — Zu Sso: Jesus will jede neue Wiederkehr
messianischer Anmutungen beim Volke abschneiden, aber auch
Wrede, Messiasgeheininis. J7
258
jede Trübung des rechten Geistes des Bekenntnisses bei den
Jüngern selbst verhindern (S. 473).
H 0 1 1 z m a n n, Handcommentar I :
Die Gebote bei den Wundern erfolgen aus demselben Mo-
tive, wie die an die Dämonen gerichteten, betreffen also auch
die Messianität (S. 7). — Zu I34: Jesus zögert seine Sache
dem trügerischen Fahrwasser des AVunderbedürfnisses und
Wunderglaubens der von der Phantasie lebenden Menge anzu-
vertrauen. — Zu 043: Das Verbot ist schwer zu begreifen,
wenn es sich um Rückgängigmachung eines schon von so
vielen konstatierten Todesfalles handelt. Es steht sonst immer
bei Heilungen; von ihnen will Jesus »nicht \iel« geredet wissen.
— Zu 830: Jesus fürchtet Erregung der unreinen politischen
Messiasideale im Volke. Zu 93u: Jesus besucht »in möglichster
Verborgenheit« Galilaea.
Baldens}) erger, Selbstbewusstsein Jesu:
Solange Jesus noch nicht wusste, was Gott mit ihm als
Messias in der Zukunft thun werde, hat er aufs Vorsichtigste
mit der Erklänmg zuriickgehalten, dass er der Messias sei. Ein
pädagogisches Motiv zwar hat bei seinem Schweigen augenschein-
lich mitgespielt (!), indem er seine Zuhörer zu einer mehr geistigen
Auffassung des Reiches erziehen und einer etwaigen pohtischen
Manifestation derselben some dem Einschreiten der römischen
Behörden (826.30, wahrscheinlich 7 se) vorbeugen wollte. Zuletzt
(seit 827) war das Verbot zu reden sogar nur noch Präventiv-
massregel und nicht mehr durch persönliche Bedenken be-
gründet. Vorher aber reicht der Gedanke an erzieherische Ab-
sichten [hier äussert B. sogar Zweifel, ob das Totschweigen
der Messianität das richtige erzieherische Mittel gewesen wäre,
da die Messiasfi-age längst auf allen Lippen schwebte — etwas
überraschend nach den früheren Bemerkungen!] und politische
Befürchtungen nicht aus. Der Hauptgi'und war vielmehr per-
sönhcher Art: Jesus wai- bezüghch des Ausseren seiner
Messianität noch im Unge-wassen, und erst in der Erkenntnis
der Notwendigkeit seines Todes fand er die Lösung, die ihn
beruhigte (S. 243—247). — Dass er auch nach dem Peü'us-
bekenntnis noch Verbote giebt, hat »wohl« nur »zum Ge-
ringsten« seinen GiTuid in einem pädagogischen Motive, »zumeist
259
wohl« in dem Gedanken, das Schlimmste zu verhüten, bevor er
nach Jerusalem kam. (S. 263).
Bousset, Jesu Predigt in ihrem Gegensatz zum Juden-
tum (1892):
Gegen das pädagogische Motiv. Man muss sich hüten,
Jesus für allzu pädagogisch rücksichtsvoll zu halten. Er hätte
nie aus solchem Grunde verschwiegen, was zu sagen notwendig
war. »Die Gründe für Jesu Schweigen hegen tiefer. Er schwieg,
weil in diesem Punkte alles noch in ihm im Werden war, als
wundervoll geheimnisvolles Ahnen, als seliges Geheimnis tmg
er sein messianisches Bewusstsein im innersten Herzen ver-
schlossen« (S. 120 f.).
J. Weiss, Nachfolge Christi:
Nach der Huldigung des Petrus bemächtigt sich des Herrn
jene eigentümliche Erregung, die über ihn kam, wenn che
Dämonischen ihn als Messias anriefen. Es sieht so aus, als ob
in dem Augenblick, wo dies innerste Geheimnis seiner Seele
von fremden Lippen ausgesprochen wird, es ihm gewissermassen
entfremdet ist. Er erschrickt davor. Er hat eine eigentümhche,
abwehrende, ablenkende Art, über diesen Punkt zu sprechen,
weil er etwas so Zartes ist. (W. bringt dafür Belege aus Worten
Jesu) (S. 31 f. vgl. 35, auch Reich Gottes S. 166).
Als Curiosum sei noch eine Bemerkung Ren ans über die
Verbote bei den Wundern angeführt (Leben Jesu 2. Aufl.
deutsch, Beriin 1863, S. 246). Nach ihm belästigte der Ge-
wähi-smann des Markus Jesus mit seiner Bewunderung, und der
Meister sagte oft zu ihm: Sprich nicht davon. Zuweilen scheine
es, als ob ihm die Rolle eines Thaumaturgen unangenehm sei,
und dass er den Wundern, die s. z. s. unter seinen Füssen
entstehen, so wenig wie möglich Öffenthchkeit zu geben suche.
Wer die Geduld hat, diese Auszüge zu durchmustern, muss
zugestehen, dass der Eindruck nicht erfreuhch ist. Die Summe
aller durchprobierten Erklärungen ist doch ein wenig gross, die
Auffassung der Einzelnen meist ein wenig scheckig. Voraus-
setzungen, die nur ihrem Autor klar sind, werden dabei reichlich
gemacht, dem gleichen Verbote werden ohne Zaudern auch
wohl zwei und drei Motive untergeschoben. Ansätze, diese
Geschichtszüge zusammenhängend zu betrachten, sind bei Einzelnen
17*
260
vorhanden, aber es kommt nicht zu einer rechten Untersuchung.
Man begnügt sich mit hingeworfenen Zweifehi, psychologischen
Postulaten, willkürlichen KoiTekturen des überlieferten Textes.
Dagegen versäumt man es, die Züge als Bestandteile des
Evangeliums zu würdigen, in dem sie zunächst vorliegen.
IIL
Der E r z i e h u n g s g e d a n k e bei Markus nach
Kl ostermann und Zahn.
(Zu S. 42 ff.)
Nach Klostermann beabsichtigt Markus in seiner Schrift
das Wachstum des Evangeliums zu seiner jetzigen Gestalt als
einer öffentlichen Macht in der Welt oder den Anfang
des Evangeliums als öffentlicher Macht zu schildern. Danach
hat er seine Stoffe gewählt und seinen Gang genommen (S. 14,
vgl. auch das Vorhergehende). Zahn sagt wesenthch im gleichen
Sinne : Markus will durch seine Erzählung die Frage beant-
worten, wie das Evangelium Christi angefangen habe, und wie
es entstanden sei i). Demnach soll er in der Hauptsache
schildern wollen, wie Jesus seinen Beruf als Prediger des
Evangeliums ausgeführt, und wie er die Jünger für ihren
künftigen Beruf als Prediger erzogen hat. (Vgl. Ein-
leitung in das N.T. II S. 222 f., 225, zum Folgenden überhaupt
S. 220-227.)
Wenn Klostennann annimmt, dass das Markusevangelium
nicht eine farblose Aneinanderreihung beliebiger Erzählungsstoffe
ist, sondern eine Schrift, die bestimmte Gesichtspunkte am
Stoffe durchführt, so hat er ganz Recht, und ebenso richtig ist es,
dass die Schilderung der Jünger zu den wichtigsten Momenten
des EvangeUums gehört. Das hindert nicht, dass diese nach
1) Die eifjentüraliche Exegese der Überschrift Mr. 1 1 {(lo/ri tov
(vayytUov xtL), durch die dieser Gedanke zunächst gewonnen wird,
lasse ich bei Seite. Unter allen Umständen muss sich die vermeintliche
Absicht des Evangelisten am wirklichen Inhalt des Evangeliums er-
proben.
261
Zahn (II S. 218) > weitaus bedeutendste Arbeit <;: über Markus
das Evangelium durchaus niissverstanden hat, und Zahn mit ihr.
Zahn bemerkt, in dem Abschnitt 435 — 66 trete die Be-
ziehung auf die Apostel und deren künftigen Beruf, die den
Abschnitt 3i3 — 6i3 beherrschen soll, zurück (S. 225), und im
letzten Abschnitt 11 1 — 168 vermisse man die Herrschaft des
schriftstellerischen Gedankens über den Stoff, das Interesse am
Stoffe selbst überwiege (S. 226 f.). Das heisst eingestehen, dass
an mehr als einem Drittel des Stoffes der angebhche Zweck
des Verfassers sich überhaupt nicht durchführen lässt. Schon
damit entsteht die Vermutung, dass dieser Zweck eine Chimäre
ist. Dazu kommt, dass weitere Abschnitte des Evangeliums in
ein Prokrustesbett gelegt werden müssen, um sie überhaupt nur
mit dem »Zwecke« in Verbindung zu bringen. 2i — Se zeigt
nach Zahn, »dass Jesus mit seiner durch Thaten bewährten
Predigt, insbesondere mit der Verkündigung der Sünden-
vergebung und mit seiner von finsterer Askese und ceremonialer
Gesetzlickeit freien Lebens- und Lehr weise bei den bis-
herigen E, e 1 i g i 0 n s 1 e h r e r n immer wieder auf Widerstand
stösst und deren tötlichen Hass sich zuzieht« (S. 224). Die ge-
sperrten Worte machen deutlich, wie der Gelehrte hier den
Zweck mit den Haaren herbeizieht. Dass Markus hier nicht
von der Absicht geleitet Avird, Jesus als Prediger zu schildern,
ist vielmehr sonnenklar. Anderwärts wieder hat der Gedanke
der Predigt Jesu zwar seine Bedeutung, z. B. lie — 45, aber ihn
für den Gedanken des Abschnittes auszugeben, vermag nur die
Einseitigkeit ^). Hat etwa das Zusammentreffen Jesu mit den
Dämonen für Markus in dieser Partie keine wesentliche und
selbständige Wichtigkeit?
Blicht nun so der angenommene Gesamtplan des Buches
zusammen, so verliert der Gedanke, Markus wolle die Erziehung
der Jünger für ihren künftigen Beruf schildern, schon damit
seinen eigentlichen Halt. Aber dieser Gedanke selbst wird
ebenso gewaltsam und willkürlich durchgeführt.
3 13 — 6 13 soll schildern, wie Jesus die Zwölf zu der für ihren
Beruf erforderlichen Selbständigkeit (!) des Urteils und der Er-
1) l45 soll jedes Wort mit Absicht gewählt sein: Zahn nennt
speziell '/jq^kto, xr]nvaaew, nokkä, töv ).6yov [\).
262
kenntnis erzogen hat«. (S. 225.) Zahn fährt fort: »Während seine
Angehörigen .... eines Tages die Meinung äusseni, er bringe sich
durch den leidenschaftlichen Eifer, mit welchem er seinem Beraf sich
hingiebt, um den Verstand, und seine Gegner ihn für einen
Besessenen erklären (3 21 f. cf. v. 31), erklärt er die, welche
trotzdem seinem Worte lauschen, für seine wahren Verwandten
(331 — 35) . . .« Da fragt man: 1) wer heisst uns in diesem Ab-
schnitte alles Gewicht auf die letzten Verse legen, namentlich
der Verteidigungsrede Jesu vor den Gegnern die selbständige
Bedeutung nehmen? 2) was hat 33i — 35, wo nicht einmal das
»seinen Worten lauschen« hervorgehoben ist, und nicht einmal
die Zwölf allein angeredet werden, mit der für den Beruf der
Jünger notwendigen Selbständigkeit des Urteils und der Er-
kenntnis zu thun? (Dieser Gesichtspunkt passt nicht einmal
zu 4i — 34). — Wo die Urteile des Volkes über Jesus »zum
zweiten Male, und zwar diesmal von den Jüngern auf eine
Frage Jesu, erwähnt werden (827), dienen sie dazu, die Selb-
ständigkeit der Glaubenserkenntnis hervorzuheben, zu welcher
Jesus seine Jünger durch Lehre und Thaten erzogen hat«
(S. 226). Das ist einfach eingetragen ; in der Erwähnung der
Urteile liegt kein Fingerzeig, da sie eben auch früher erwähnt
werden. »Aber langsam, heisst es weiter, und mühselig schreitet
diese Arbeit vorwärts. Wenn Jesus ihnen gegenüber auch
nicht mehr zu klagen hat: „Glaubt ihr noch nicht?" (4 40 cf.
dagegen (?) 9 23!), so doch immer wieder über ihren Mangel an
Einsicht (652; 817 — 21), an Verständnis seiner Wege (833; 932)
.... Sie haben noch viel Anteil an der Herzenshärte, dem Un-
glauben und Aberglauben ihrer Zeitgenossen (649 — 52 etc.)«.
Hier wird nur die Thatsache verschleiert, dass ein Fortschritt
der Jünger gar nicht nachweisbar ist, so wenig wie in den
Belehruiigen Jesu, und das ist eben schhmm, wenn Markus die
Erziehung der Jünger schildern soll. Wer sagen kann, später
habe Jesus wenigstens nicht mehr zu klagen: glaubt ihr
noch nicht? und dabei sich selbst auf Stellen wie 8i7 bezieht,
wo der Vorwurf auf Verstockung des Herzens lautet, hat ent-
weder eine sonderbare Vorstellung von Fortschritten, oder er
versteht das Evangelium nicht.
Diese Proben genügen. Die Ergänzung der kritischen Be-
merkungen hegt in den positiven Ausführungen, die ich im
263
Texte gebe. Habe ich mich an die handlichere Dar-
stelkmg von Zahn gehalten, so gilt doch alles Wesentliche auch
gegen Klostermann, bei dem man übrigens noch besser sehen
kann, wie stark Markus hier modernisiert wird.
IV.
Einige neuere Äusserungen über die Leidens-
und Aufer stehungsweissagnn gen Jesu.
(Zu S. 86 ff.)
Den im Text über dies Thema ausgesprochenen Gedanken
sollen hier ein paar kleine Illustrationen beigegeben werden.
Ich komme dabei notgedrungen immer wieder in die Geleise
der allgemeinen Ausführung zurück. Trotzdem wird es nicht
unnütz sein, hier und da in concreto zu prüfen, wie sich die
heutige Kritik mit den Dingen abfindet. Das ganze Problem
greife ich auch hier nicht an. Die Auswahl der Ansichten,
die ich bespreche, mag etwas Zufälliges haben — das wird
nicht schaden.
Baldensperger hat in seiner Schrift über das Selbst-
bewusstsein Jesu dem Leidens- und Todesgedanken Jesu ein
eigenes Kapitel gewidmet und hat ihm eine ausführliche
polemische Auseinandersetzung mit Holsten beigegeben (S. 143ff.).
Hier erklärt er u. a. S. 143 (Anm.), die Vorhersagungen
über den VeiTat des Judas und die Verleugnung des Petrus
könnten unmöglich vollständig (Ausschmückungen werden zu-
gegeben) erfunden sein; das wäre nur denkbar, wenn ein aus-
reichendes Motiv zur Erdichtung vorläge. Es muss auffallen,
dass B. sich nach diesem Motive nicht weiter umsieht. S. 144
sagt er selbst: »Nun enthalten die Evangehen thatsächhch
Erdichtungen der Jünger»)- So Mt. 1240 die nicht authentische
Deutung des Jonaszeichens; Job. 2i9 das missverstandene
1) Ich würde nicht von den »Jüntycrn«; sprechen, sondern von der
»Gemeinde«.
264
Tempel wort<. Also wird es für diese Erdichtungen doch
auch ein Motiv gegeben haben. Dies kann nur darin ge-
legen haben, dass die Gemeinde an der Vorhersagung dieser
Dinge durch Jesus ein Interesse hatte. Ist das gleiche Motiv
beim Verrat und bei der Verleugnung nicht »ausreichend«?
Traten diese für die Gemeinde jedenfalls schwierigen und
anstössigen Vorgänge nicht in ein anderes Licht durch die
Vorhersagung? Sollen wir Stellen wie Mt. 12 40, Job. 2 19
nur kritisch beseitigen und nichts daraus lernen für die Ge-
schichte, d. h, für die Interessen der Gemeinde, denen sie
entstammen ? Allein »solche Deutungen (wie in diesen Stel-
len), fügt B, hinzu, waren eben nur möglich, wenn wirk-
liche derartige Weissagungen Jesu vorlagen und allgemein
anerkannt waren< . Eine kühne Behauptung, wenn anders jenes
Gemeindeinteresse wirklich vorhanden war, was B. schon im
HinbHck auf Johannes (vgl. z. B. 10 is) nicht leugnen wird!
Hat die spätere Gemeinde — man denke z. B. wieder an Jo-
hannes — nur dann ihre Gedanken Jesu selbst beigelegt, wenn
sie bei ihm schon vorgebildet waren ? Kurz, man vermisst liier
eine lebendige Anschauung vom Charakter der evangeHschen
Tradition.
»Es scheitert diese Hypothese (dass die Gemeinden in den
Leidensweissagungen ihren Gedanken auf den Meister zurückge-
tragen hätten) zuletzt völlig an der andern gewiss zuverlässigen ')
Angabe, dass die Jünger nur mit Mühe in die Eröffnungen Jesu
über sein bevorstehendes Leiden sich finden konnten«. »Je mehr
Belehrungen sie Jesu in den Mund legten, desto unbegreiflicher
und unverzeihhcher wurde ihre Borniertheit . . . .« (S. 244). Hier
verschiebt B. zunächst stillschweigends die Angabe der Evan-
gelien und zwar erheblich, um sie sodann »gewiss zuverlässig«
zu nennen. Die Evangelien sagen nicht, dass die Jünger sich
nm- mit Mühe in Jesu Worte hätten finden können. Sie
finden sich gar nicht hinein, d. h. sie verstehen sie einfach nicht.
Und gerade darum, weil das nach den klaren Worten Jesu
höchst sonderbar klingt, wird die Angabe sofort zweifelhaft, von
den Parallelen ganz zu schweigen, tiberdies führt B. »dies
Geständnis ihres Unverstandes« auf die Jünger selbst zurück
und setzt dann voraus, dass die bekämpfte Auffassung die Er-
1) »Zuversichtlichen« wird Druckfehler sein.
265
findung der Weissagiiiigeii auf die gleiche Quelle zurück-
führen müsse. Als ob in den Evangehen nicht vieles stände,
was nicht auf die Jünger zurückgehen kann, und als ob irgend
eine Nötigung vorläge, die Jünger hier ihre eigene Unfähigkeit
bescheinigen zu lassen !
S. 161 ist von der Auferstehuugsweissagung die Rede. Tod
und Auferstehung seien (in den Evangelien) zwar korrelate
Begriffe, aber es sei doch zu bezweifeln, »dass gerade diese
zwei Gedanken in jenen Stunden im Vordergrunde des Bewusst-
seins Jesu standen«. Vielmehr waren es Tod und Parusie.
Auf diese weise Jesus gleich nach der ersten Leidensverkün-
digung (Mt. 1627.28); die Auferstehung werde zwar oft, aber
nur mit knappen Worten erwähnt, bei dem Gedanken der
Parusie verweile Jesus mit Vorliebe. »Beweist das nicht hin-
länglich, dass die Auferstehung keine Hauptrolle in Jesu Ge-
danken spielt?« Freihch sei sie das Bindeglied zwischen Tod
und Parusie, aber auch nicht mehr.
Diese Kritik l)ringt keinerlei geschichtliche Sicherheit, aber
sie führt auch nicht einmal zu einer klaren Vorstellung. B.
setzt sich an einem für die Evangelien doch fundamentalen
Punkte über ihre Aussagen — in diesem Falle bewusst — hin-
weg, und mit sehr schwachen Gründen. Denn was den Worten
von der Auferstehung ihre Knappheit schaden soll, versteht
man nicht, und der Beweis, dass Tod und Parusie neben ein-
ander Jesus beschäftigen, wird aus den Evangelien nicht
geliefert und kann nicht geliefert werden. Es scheint aber für
B. gar nicht zu wiegen, dass er den Sinn der Evangehen so
verändert. Ja, er ist sogar der Meinung (S. 162), dass er den
widerlegt hat, der von den Aussagen über die Auferstehung
her die Todesweissagung angreift; denn die Parusieaussagen
setzen die Auferstehung voraus. Wie steht es denn nun eigent-
lich um die überlieferten Weissagungen ? Stand neben dem
Tode Jesu in AVahrheit die Parusie im Vordergrunde, so kön-
nen diese Worte, was die Auferstehung betnfft, nicht richtig
sein. Andrerseits soll Jesus die Auferstehung »angedeutet«
haben (S. 162). Wo hat man solche Andeutungen, wenn nicht
eben in den überlieferten Worten? — Soll übrigens Jesus ein-
mal seine Auferstehung angedeutet haben, so scheint es deim
doch fast rationeller bei dem stehen zu bleiben, was die Evan-
266
gelieii wirklich sagen. Ein Jesus, der eine Auferstehung ins
Auge fasst, sie aber wie eine Nebensache betrachtet, blos als.
»Zwischenstufe« z-wischen Tod und Parusie, ist keine sehr wahr-
scheinliche Vorstellung. Denn eine solche Auferstehung ist
doch kein alltägliches Ereignis.
Aus Holtzraanns Neutestamentlicher Theologie ziehe ich
einen Abschnitt an, der sich ebenfalls mit der Auferstehungs-
weissagung beschäftigt (I S. 305 — 309).
»Mit der Geschichthchkeit der Todesweissagung ist die
Geschichtlichkeit der Auf erstehungs Weissagung gegeben. Sollte
der Tod ein Messiastod sein, so durfte er kein Tod bleiben . . .«
»Konstant und sicher wird daher [?] von der evangelischen
Uberliefening mit der Nachtseite eine entsprechende Lichtseite
verbunden . . .« »Nur solche den niederschlagenden Eindruck
alsbald aufhebende Triumphworte machen es verständlich, dass
die Jünger jener ersten Kehrseite so gut wie gar keine Auf-
merksamkeit schenken, sondern sie nur im Zusammenhang mit
der darauf folgenden Herrlichkeit als die schwen^erständliche,.
mehr oder weniger auch gleichgiltige Einleitung dazu betrachten
konnten«. Ebenso wie die Todesweissagung wurde aber auch
der »triumphierende Schlüsse nach den wirklichen Erlebnissen
) modifiziert und spezialisiert <<-. Denn auf einen sofortigen Um-
schwung war man nach dem Tode Jesu in keiner Weise vor-
bereitet. (Folgen Beweise.) Aber die Bedenken treffen doch nur
den nahen Termin der Auferstehung, nicht diese selbst. Min-
destens die Auferstehung am jüngsten Tage mussten die Jünger
von ihrem Herrn glauben. »Auferstehung war nun einmal
die von der jüdischen Eschatologie ebenso ausschliesslich wie
unumgänglich gelieferte Vorstellung einer den Tod überdauernden
Existenz« »Stand weiterhin die Lehre von der Aufer-
stehung schon von Haus aus im Dienste des Messianismus , so
leuchtet unmittelbar ein^), dass vor allem der Messias selbst,^
wenn er doch einmal sterben sollte, nur um so sicherer auf-
erstehen '\\ard . . . .;
Gegen diese Ausführangen spricht doch auch mehr als ein
Bedenken.
1) Das möchte ich bezweifeln.
267
Zunächst ist es nicht glaiibhch, dass die Jünger die Worte
vom Leiden und Sterben so gut wie überhört oder nur als eine
gleichgiltige Einleitung zu der Weissagung der Herrlichkeit
betrachtet hätten. Den Evangelien widerspricht das sicher, der
Sache aber auch und schliesslich selbst Holtzmanns eignen
Voraussetzungen; denn die Szene zwischen Jesus und Petinis
z.B. (Mr. SsiiF.) hält er für geschichtlich. »Schwerverständhch«
aber erscheint nach Markus die Weissagung von der Auf-
erstehung genau ebenso ; Beweis : Mr. 9 lo. Weshalb wird hier
also ein Unterschied eingeführt, den die Evangelien nicht kennen?
Sehr plausibel ist es zwar, dass die Jünger nach allen
Anzeichen auf die sofortige Auferstehung Jesu nicht vorbereitet
waren, dass daher eine Weissagung dieses Inhalts nicht geschicht-
lich sein kann. Aber weshalb geht Holtzmann nicht weiter?
Es scheinen doch gerade so gut Anzeichen vorzuliegen, dass die
Jünger nach der Katastrophe überhaupt an Jesu Sache ver-
zweifelten. Ist dies denn begreiflich, wenn Jesus nicht
nur von seiner Herrlichkeit zuvor in Triumphworten geredet
hat, sondern die Jünger gerade diese besonders gut aufgefasst
haben ?
Ferner vermisst man an der positiven Vorstellung, die H.
andeutet, die Bestimmtheit. Sehr befremdlich ist, dass er hier
den Gedanken an die Auferstehung am jüngsten Tage über-
haupt in Betracht zieht. Es wäre ja nicht wunderbar, dass
die Jünger, wenn sie überhaupt Auferstehungsgläubige waren,
diesen Gedanken von Jesus fassten , aber es wäre auch nichts,
was Jesus auszeichnete, und vor allem nichts, was sie über das
Scheitern der Sache Jesu trösten konnte. Und zum Tenor der
Leidensweissagungen passt die Vorstellung vollends gar nicht.
Eine Weissagung, beginnend mit den Worten: ich muss leiden
und sterben, kann nicht blos schliessen : aber einst — am
Ende — werde ich wieder zum Leben kommen. So könnte
man also nur an eine baldige Auferstehung anstatt der sofor-
tigen denken. Dass ein lebender Mensch aber etwas so Un-
erhörtes — eine Auferstehung vor »der« Auferstehung — sicher
erwartet haben sollte, dünkt mich nicht viel weniger wunderbar
als die Bestimmung der Frist auf drei Tage. Man ist also von
hier aus veranlasst, an der ganzen Vorstellung Holtzmanns
irre zu werden.
268
Endlich. Die jetzigen Weissagungen sollen Umbildungen
m-sprünglicher » Triumph worte« sein. Diese werden — ich
glaube H. richtig zu interpretieren — Worte von eigentümlichem
Schnitt und Charakter gewesen sein. Wie kommt es, dass
auch nicht das Leiseste in diesen Weissagungen Mr. 8 si u. s. w.
— denn davon reden wir doch — übrig gebheben ist? AVie
konnten sie unter der Umbildung ganz verschwinden, sie, die
ja die Aufmerksamkeit der Jünger in besonderm Grade erregt
haben ? Hierauf finde ich keine Antwort.
Kürzer hat sich Rohrbach, Die Berichte über die Auf-
erstehung Jesu Christi S. 7 f., über das gleiche Thema ausge-
lassen. Das Wenige ist aber charakteristisch.
Auch er weist darauf hin, dass Jesu Anhänger nach seinem
Tode auf die Auferstehung dui'chaus nicht gefasst waren, und
schliesst daraus, dass Jesus sich vorher über die Auferstehung
nicht so unmissverständhch klar geäussert haben könne, wie es
nach den Evangelien der Fall ist. Er fügt dann aber hinzu:
»Andrerseits freilich wird man ohne die Annahme nicht wohl
auskommen, dass die Jünger sich später in der That auf ge-
wisse Äusserungen des Meisters besonnen haben, die ihnen
im nachträglichen, richtigen Verständnis bereits eine Hin-
deutung auf seinen Triumph über den Tod zu enthalten
schienen und wohl auch enthalten haben«. »In den Bemer-
kungen des Erzählers in Mr. 9io und 32 . . . wird man eine
Erinnerung daran zu erbhcken haben, dass die wirklichen
Worte Jesu in dieser Sache einen zur Zeit, da sie gesprochen
ifsrurden, den Jüngern noch nicht verständhchen Sinn gehabt
haben müssen«.
Diese Erklärungen sind (vgl. das durch Sperrdruck Hervor-
gehobene) so unsicher und gewunden, dabei sachlich so wenig
befriedigend, dass der Verfasser besser gethan hätte, dem Leser
selber zu sagen, dass er eine greifbare Vorstellung vom Her-
gange nicht schaffen könne. Man stelle sich vor: Jesu Äusse-
rungen sind so undeutlich, dass sie zunächst nicht verstanden
werden, trotzdem behalten sie die Jünger und besinnen sich
darauf nach der Kreuzigung, sie beziehen sie nunmehr auf die
Auferstehung — wer kann unter jenen Voraussetzungen wissen
269
oder vermuten, ob das richtig war? — , diese gut bewahrten-
Worte aber gehen dann völhg verloren!
In seiner Abhandhing »Des Menschen Sohn« (Skizzen
und Vorarbeiten VI, S. 187 ff.) hat sich auch Wellhausen
über die Leidensweissagungen ausgelassen , und zwar speziell
über die ^ier Stellen Mr. 8 31 ff., 9 9 ff, 9 soft; 10 32 ff. Seine Ab-
sicht ist , zu untei-suchen , wiefern diese Stellen als Zeugnisse
dafüi' gelten dürfen, dass Jesus den Titel »Menschensohn« wirk-
lich auf sich angewendet hat. Aber dabei kritisiert er die Weis-
sagungen selbst.
Die Stellen 8 31 ft". und 9 9 ft". will Wellhausen nicht gelten
lassen. Beide Aussagen über den Menschensohn seien von den
andern Synoptikern mir einseitig bezeugt, Mr. 831 — 33 fehle bei
Matthaeus^), 99 — 13^) bei Lukas, überdies sei die Weissagung
den Jüngern 9 so ff. fremd, obwohl sie sie schon zweimal gehört
haben müssten. Aber diese Stelle werde wieder von der vierten
10 32 ff. nicht vorausgesetzt. Diese mache den Eindruck, als ob«
Jesus eine ganz neue Eröffnung mache, und sie habe »am
meisten für sich« »wegen der gut moti\ierenden Reise nach
Jerusalem und der scheinbar gleichgiltigen Verumständung« —
AV. denkt an das Vorauseilen Jesu und die Verwunderung der
Jünger — , deren Wert Matthaeus und Lukas nicht begriffen
hätten. Der Wortlaut sei übrigens auch hier nicht verbürgt.
So bestimmt könne Jesus die Zukunft nicht vorausgesagt haben^
dass die Jünger sich hernach über nichts mehr hätten wundem
können (vgl. S. 211 f).
Man darf über diese Kritik bei einem Wellhausen etwas
verwundert sein.
Ich stelle eine Gegenargumentation auf. Die vierte Stelle
kann nicht richtig sein. Denn sie stellt eine Eröffnung, die
Jesus schon gemacht hat, wie etwas Xeues hin ; die Erwähnung
der Reise nach Jerusalem ist sichtlich aus dem Gedanken an
das Leiden selbst geflossen, oder diese Reise bot sich als
1) Die Stelle fehlt bei Matthaeus nicht; Well hausen wollte
offenbar nur sagen, dass der terminus Menschensohn« in der Parallele
bei Matthaeus fehlt (statt dessen avröv, auf »Jesus« bezogen).
2) Mr. 9 9 — 13 nennt W. einen »offenbaren Nachtrag«. Doch nicht
zu Markus? Wenn aber nicht zu Markus, warum dann ein Nachtrag?
270
Datum für die Weissagung von selbst dar, und die gleichgiltigen
Bemerkungen über das Voranschreiten Jesu und das Staunen
der Jünger hätte vielleicht ein Augenzeuge gemacht, der sich
solcher Kleinigkeiten erinnerte, aber kein späterer Evangelist-
Aber auch die Stellen 9 so ff. und 9 9 ff. können nicht als ge-
schichtUch gelten. Denn das Nichtverstehen der Jünger ist
unbegreiflich nach der früheren Belehrmig. Am meisten für
sich hat 8 3i ff. Denn hier erscheint die Weissagung am meisten
als eine neue Eröffnung ; hier steht sie im Zusammenhange
mit dem markanten und verbürgten Ereignis des Jüngerbekennt-
nisses; hier ist sie die unentbehrliche Grundlage der lebens-
vollen Szene zwischen Jesus und Petrus. Dass Matthaeus diese
Stelle übergeht 1), hat ebensowenig zu bedeuten, wie dass bei
Lukas das Seitenstück zu 9 9 ff. fehlt. Denn da Markus beiden
zu Grunde liegt, bedarf es keiner Bestätigung durch sie, und
ihre Auslassmig kann bestimmte Ursachen haben.
Mich dünkt, diese Argumentation wäre etwa ebenso viel
wert wie die von Wellhausen. D. h. irgend ein wirkliches
Ergebnis ist von ihm nicht erreicht. Der Grund liegt aber in
-seinem Verfahren.
W. bemerkt: »Es ist nun zwar sehr möglich, dass Jesus
seine Todesahnung öfters ausgesprochen hat, aber diese vier-
malige und doch immer wieder vereinzelte Wiederholung in der
Tradition erklärt sich doch nur aus dem Schwanken über den
Zusammenhang und die Gelegenheit, wobei es geschehen«.
Wirklich nur daraus? In Wahi-heit ist dies weder die einzige
noch überhaupt eine wahrscheinliche Erklärung. Die Voraus-
setzung, dass für ein und dasselbe Wort, dessen Ort Markus
noch kannte, allmälig drei weitere Plätze gefunden wm'den,
liegt fern, die Voraussetzung, dass eine Stelle das Richtige
bieten werde, hat keinerlei Notwendigkeit. W. verwirft selber
den Wortlaut; aber bei diesem negativen Urteil belässt er es.
Hätte er gefragt, was der Wortlaut lehrt, hätte er, statt die
Stellen zu isolieren, sie einer zusammenfassenden Betrachtung
unterworfen, wie sie ihi^e Gleichmässigkeit fordert, hätte er
1) Ich nutze das obige kleine Versehen Wellhausens nur aus,
um anzudeuten, dass er nach seiner Ansicht von den Quellen hier auf
Matthaeus und Lukas gar nichts geben dürfte.
271
hiernach die Auffassung des Markus festgestellt, so wäre seine
Deduktion anders ausgefallen, und er wäre an der Möghchkeit,
dass es sich um Erzeugnisse der Gemeindeapologetik handelt,
schwerlich einfach vorbeigegangen.
J. AVeiss kommt in seiner Schrift über Jesu Predigt vom
Reiche Gottes auf die Leidensweissagungen u. a. S. 171 f. zu
sprechen. Die drei bekannten Stellen erklärt er für Dubletten
der Überlieferung, die um einer stimmungsvollen Wirkung
willen (?) neben einander gestellt wurden. Im Einzelnen sind
sie stark ex eventu ausgestaltet, am wenigsten 9 31, wo deshalb
der ursprüngliche Wortlaut relativ rein erhalten sein wird.
»Noch einfacher und wahrscheinlich ursprünglicher« lautet
Luk. 944:
c vicg Tov CCV&Q0J7C0V /.likXsL naQaöidood^ai eig /«/^ag
avd-QOJTcojv.
Für die Ursprünglickeit spricht hier [und Mr. 93i] das Wort-
spiel: der »Mensch« in der »Menschen« Hände. Auch Mr. 14 41
und IO33 ruhen auf diesem AVortlaut. »Mit dieser Gestalt der
Aussagen haben wir es geschichtlich allein zu thun«.
Die pointierte Zusammenrückung der Weissagung mit dem
Petrusbekenntnis möchte W, auf Rechnung des Pauliners (?)
Markus setzen. »Aber, wie es scheint, haftete auch in der alten
ÜberHeferung *) die Leidensweissagung unmittelbar an der Messias-
offenbarung auf dem Verklärungsberge (Mr. 93if.). Und auch
die Worte Jesu beim Zuge nach Jerusalem 10 33 bekommen den
vollen Sinn erst, wenn man an die messianisch-erregte Stimmung
denkt, in welcher die Jünger ihn nach der Hauptstadt begleiten,
und die er durch sie dämpfen will«. So erscheinen die Leidens-
weissagungen als die einzige Antwort, die er ihrem Messias-
glauben zu Teil werden lässt.
Diese Ausführung wurde nach Eichhorns x\.bhandlung über
das Abendmahl geschrieben. Eichhorns Besprechung der Weis-
sagungen hat demnach auf J. Weiss — leider — keinen Ein-
druck gemacht.
Sehe ich recht, sq steht Anfang und Ende nicht im Ein
1) Den Grund kenne ich nicht. Mr. 931 f. steht nicht unmittel-
bar hinter der Verklärung.
272
klang. W. fand in den drei Stellen Dubletten, nachher scheinen
9 31 f. und 10 33 geschichtlichen Wert zu haben. Doch das ist
Nebensache.
Ich raüsste hier schon Gesagtes wiederholen. Auch Weiss
behandelt es als Axiom, dass eine von den Stellen echt sein
müsse. AVelche Sicherheit daftir besteht, wenn ich zwei andere
für unecht erkläre und die dritte auch noch bemängele, oder
nach welcher Notwendigkeit man eine Vervielfachung eines ui'-
sprünglich Einheitlichen annehmen muss, darüber äussert er sich
nicht; und auch er fragt nicht nach der Anschauung, die in
den Stellen steckt. Beachten wir aber noch die literar-kritischen
Bemerkungen. W. setzt voraus, dass die Leidensweissagung in
einer ganzen Anzahl von Formen existiert, also manches durch-
gemacht hat, er übt an den Worten eine ziemlich weitgehende
Kritik, er redet von einer Tradition, die Markus vorhergeht.
AVie er unter diesen Umständen noch irgend eine positive ße-
liauptung über die ursprüngliche Form der Weissagung wagen
und noch Schlüsse über den »Menschensohn« daraus ziehen
mag (S. 173), begreife ich ganz und gar nicht. Weil gewisse
Einzelzüge anstössig sind, so soll der unanstössigere Rest nun
den ursprünghchen Wortlaut darstellen oder ihm nahe kommen !
Warum soll z. B. dieser Wortlaut nicht nach Ssi lauten: del
Tor i'idv cor avi)^Qc')TVOv tioXKu nai^eiv '/.al aTto/aavd-ijvai vnb
cCJv ciQxieqkov'^ Dafür Hessen sich am Ende auch ein paar
Gründe auftreiben wie der, der (Mr. 9 si und) Luk. 944 empfehlen
soll. Denn dies AYortspiel« beweist ja doch nicht das Geringste,
da es 1) li-agHch ist, ob überhaupt ein Wortspiel empfunden ist —
der soleime Titel »Menschensohn« und nicht der »Mensch« tritt
den 5> Menschen« gegenüber, und da 2) wenn es eins wäre, ein
Späterer eine solche Pointe ebenso gut gebildet haben könnte.
Zuletzt») hat m.W. H.Weinel, »Die Bildersprache Jesu in
ihrer Bedeutung für die Erforschung seines innern Lebens«
(Festschrift für B. Stade), zur Todeserwartung Jesu das AVort
genommen. Ich erwähne nur eine von seinen Bemerkungen
(S. 43 des Sep.-Abdnicks).
1) Seit dies geschrieben wurde, erschien die Schrift von G. Holl-
mann, Die Bedeutung des Todes Jesu nach seinen eigenen Aussagen
auf Grund der synopt. Evangelien.
273
Man erfinde wohl Leidens- und Todesweissagungen, meint
er, aber Szenen von der Tiefe und psychologischen Feinheit
wie Mt. 202(1—28, Mr. IO35— 45 hätten den Leuten, die so
plumpe vaticinia ex eventu bildeten, einfach unerschwinglich
sein müssen. »In Stunden wie diese tauchen aus dem innersten,
geheimsten Seelenleben Jesu, nicht bewusst ans Licht gezogen,
sondern unmittelbar aufsteigend, die . . . Empfindungen empor,
die ihn am stärksten beschäftigen. Wenn Menschen ihm nahen,
das Herz ganz erfüllt von den überschwänglichen Erwartungen
der Herrlichkeit, da stellt sich ihm ungewollt der düstere Ge-
danke ein: Könnt ihr auch den Trank trinken, den ich trinken
soll? Als jene Frau zu ihm kommt, ihn zu salben mit köst-
licher Narde, dem Symbol der heiteren Lebensfreude {?), da taucht
aus der Tiefe seiner finsteren Gedanken das Bild eines bleichen
Leichnams hervor, den man mit ebensolcher Spezerei einbalsamiert,
um ihn dann in die Gruft zu senken, Mr. 143 — 8.« »Diese ganz
ungewollten Worte . . . kann nur ein ganz grosser Dichter er-
funden haben, oder sie sind erlebt«.
Recht warm empfundene Worte, aber ein recht mangel-
hafter Beweis! Einen Beweis im wassenschaftlichen Sinne will
Weinel doch liefern. Ich will lediglich zeigen, dass er ihn nicht
liefert, will also über die Echtheit oder Unechtheit dieser beiden
Hinweise auf das Leiden hier meinerseits gar nichts ausmachen«
Woher weiss AV., dass dies »ungewollte« Worte Jesu in
seinem Sinne sind ? Seine Bemerkungen eröffnen uns angeblich
einen Bhck in Jesu Seele, in Wahrheit führen sie zu eiiier
Möglichkeit und nicht weiter. Die Sache läge vielleicht noch
etwas anders, wenn allgemeine Bedenken gegen derartige Vor-
hersagungen gar nicht beständen. Aber es giebt nun einmal
solche Bedenken, schon darum, weil andere Weissagungen so
stark verdächtig sind. Dabei wird man sich auch erinnern, dass
der Eindruck der psychologischen AVahrheit über den Charakter
eines Berichtes nicht selten gründlich täuscht. Wenn jemand
der Szene vom Ende des Judas, wie sie Matthaeus (27 3 ff.) er-
zählt, vor mancher andern Geschichte psychologische Wahrheit
nachrühmen und sie ergreifend nennen würde, so würde ich
nicht widersprechen. Trotzdem iässt sich zeigen, — und ich
urteile nicht allein so — , dass die ganze Szene aus alttestament-
lichen Stellen gebildet ist. Die Legende hat eben auch ihre
Wrede, Messiasgeheiranis. \^
274
Logik oder ilire Psychologie. Hiernach haben wir Veranlassung
zu fragen, ob W."s Auffassung die einzige MögHchkeit ist. Klar
ist jedenfalls, dass W. seinen — ideellen — Gegnern eine Vor-
stellung beilegt, die ein wenig roh ist, und die zuriickzuweisen
deshalb keinen Sieg bedeutet. Wer wird denn glauben, dass
gleich die ganzen Szenen Mr. IO35 — 45, 143 — 8 erdichtet oder
dass sie, wenn erdichtet, als Ganzes erdichtet sein müssten, falls
es die einzehien Worte über das Leiden sein sollten? Kommt
es sonst nicht vor, dass solche Motive in Szenen eindringen,
denen sie ursprünglich fremd waren ? ^) W^ar für die Evange-
listen, wenn sie AVorte von der künftigen Herrlichkeit belichteten,
der Kontrast des Leidensgedankens, den sie ja doch sonst
sehr wohl kennen, unersch\nnglich ? Hat es Sch^^ierigkeit
sich vorzustellen, dass man nach dem Tode Jesu, wenn man
von der Salbimg in Bethanien erzählte, die so nahe vor dem
Ende lag, den Gedanken bildete: das war wie eine Vorweg-
nahme der Salbung des Leichnams Jesu, imd dass man darauf
einen zweiten Schritt that, indem man diesen Gedanken von
Jesus selbst aussprechen Hess? Analoga giebt es genug. Ein
»ganz grosser Dichter« ist hier ebenso entbehrlich wie ein Er-
lebnis, um die Sache denkbar zu finden.
Schhesslich kommt auch hier alles darauf hinaus, dass W.
sich keine richtige Vorstellung von der evangelischen Tradition
mid dämm von den Evangelien macht, oder dass er doch von
solcher Vorstellung keinen Gebrauch macht. Ist der älteste
Text, den wir haben, einfach unsere Norm, so mögen wir leicht
Beweise fühi-en. Hat die Tradition — und alle Erwägungen
führen darauf — schon vor dem ältesten Texte hier mehr, dort
weniger eine höchst bedeutende, uns niu" leider nahezu unbe-
kannte Entmcklung durchgemacht, ist sie mit den Gemeinde-
anschauungen verschiedenster Schichten diu'chsetzt, dann ist
gewiss, dass so zuversichtlichen Urteilen, wie W. sie hier aus-
spricht, die Basis fehlt.
1) Vgl. z. B., wie sich der Leideusgedanke Luk. dsi in die Ver-
Märungsgeschichte eindrängt.
275
V.
Über den Text von Mr. 10 32.
(Zu S. 96).
'Hoav de iv vfj oöw avaßalvovteg sig '^leqoockvf.ia,
Aal y]v TiQodycov auvovg 6 'Irjoocg, /.al l^a^ißovvxo,
ol ÖS a/.oXovd-ovvTBg stpoßovvTO, Aal /cagalaßcov
Tcdkiv Tovg öcjde/.a rjQ^ato avvoig Xiysiv xtA.
Von Alters her hat dieser Text dem Verständnis Schwierig-
keiten bereitet. Das beweisen die Handschriften. Die Recepta
xal d/,olovd^ovvTsg scpoßovvTO ist eine Korrektiu' der von n B
C* L _y cop arm dargebotenen, von den meisten Editoren an-
genommenen Lesart 01 de dy.oX. scpoßovvvo, man verstand das
ol de nicht. Ebenso wird sich die Auslassung von ol de d'AoX.
ecpoß. bei D K a b erklären.
Die neueren Erklärer sind in der Deutung uneins. Manche
(z. B. Meyer, Volkmar) beziehen das ed^a^ßolvto auf die Jünger
Jesu im Ganzen; von ihnen soll — das ergänzt man — ein
Teil ob seiner Bestürzung zm-ückgeblieben sein, ihm würde ein
anderer Teil als »die Nachfolgenden« gegenüberstehen, von dem
es dann hiesse: iifnßovvTo. Eine andere Erklärung lässt die
Jünger Jesu, die mit ihm unterwegs sind, betroffen werden,
Andere dann, die Jesus und den Jüngern folgen, sich fürchten.
Diese Erklärung 1) ist zweifellos vorzuziehen, wenn der über-
lieferte Text richtig ist — u. a. weil das Zurückbleiben eines
Teils der Jünger nicht unerwähnt bleiben konnte.
Aber sie schafft das Befremden über den Text nicht fort.
Was soll namentlich dieser Gegensatz von ld-a(.ißovvio und ecpoßovv-
ro ? Das Staunen und die Furcht können sich beide nm- darauf be-
ziehen, dass Jesus den Weg nach Jerusalem einschlägt. Weshalb wird
beides auf Jünger und weiteren Anhang in dieser Art vei*teilt?
Um zu steigern, muss man sagen. Die Steigenmg ist nur
äusserst matt. Denn ein ^af.ißeio^ai über etwas Schreckener-
regendes, wie der Zug nach Jerusalem ist, ist von Furcht nicht
1) Vgl. Klos term ann S. 21ü f. und bes. B. Weiss, Das Markua-
evang. S. 350.
18*
276
■weit entfernt, dem entsprechen auch die Umschreibungen der
Interi^reten (z. B. »Bestürzung«). Ferner aber lässt uns der
Text über die verschiedenen Subjekte ganz im Unklaren i). Bei
dem Tjoav .... dvaßalvovTsg wäre am natürhchsten an die ganze
nach Jerusalem ziehende Menge zu denken. Dann müsste
ausgedrückt sein, dass die i>a{.ißoif.ievoL die Jünger sind. Aber
eine Subjektsangabe wäre auch dann kaum entbehrlich, wenn
TiGav .... avaßaivovTsg von vornherein auf Jesus und die Jünger
einzuschränken wäre. Sie wird durch den Gegensatz o\ de xtA.
gefordert. Man erzählt nicht so, wie Markus hier erzählen soll.
Nun kommt aber noch eins hinzu. Es liegt doch sehr nahe^
dass die Vorstellungen des Voranschreitens und des Nachfolgens,
die so dicht hinter einander stehen, korrespondieren. Dieser
Eindruck ist stark. Sobald das /.ai aS-ai^ißarvco ausgestossen
wird, wird der Gedanke schlagend. ^ES^afißoLvio wäre dann
eine alte Variaiite, die neben dem tcpoßovvvo in den Text eindrang.
Man könnte fragen, ob dann nicht vielmehr iS^a^ßocvro
das Ursprünghche wäre. Es ergäbe sich in diesem Falle fol-
gender Gesamtsinn. Jesus geht voraus. Das erfüllt den nach-
folgenden Anhang mit Staunen. Das it^a^ßelab^at enthielte hier
nicht den Gedanken der Furcht, sondern nur den der Ratlosig-
keit: man weiss nicht, was das Vorausschreiten Jesu soll.
Darauf nimmt Jesus dann die Zwölf aus der grösseren Schar
des Anhangs heraus, und ihnen eröffnet er das Geheimnis. Dieser
Zusammenhang wäre gut. Allein er ist nicht schlechter, wenn
Iqoßovvvo gelesen wird. Hier ist gerade der Gegensatz des
(mutigen) Vorangehens und der schon im (zaudernden) Nach-
folgen sich aussprechenden Furcht sehr einleachtend. Dass in
der Begleitung Jesu eine grössere Menge (vgl. 10 1. 46) gedacht
wh-d, ist auf keinen Fall aus dem Texte fortzubringen.
Die Notwendigkeit der Emendation haben auch Andere
empfunden. Wilke (Der Urevangelist 1838, S. 485) betrachtete
Y.al kd^a{.ißovvio und ol dt a/.ol. kcpoßovvro als ein doppeltes
Glossem: eine zu gründhche Kur, die mit der Sch^\^erigkeit auch
die Pointe beseitigt. Hitzig (Johannes Markus S. 46) schlug
vor: Of di[yt.a\ (holov^orvisg [ymi] etpoßovvto: ganz Hitzigsch
und ganz unmöglich.
1) Gutes darüber bei Klostermann a. a. 0.
277
Die Italacodd. ö"- lesen nur: et pavebaiit sequentes, d. h.
sie lassen -/.al li>ai.ißovvTo fort. Andere — c k — verbinden
qui sequebantur eiini (illum) mit t^a^ßoTvro, haben also icpoßovvTO
nicht 1). Hieraus würde ich keine Schlüsse ziehen.
Erwähnt sei zum Schlüsse Klostermanns Lösung der
Schwierigkeit. Er hört hier noch durchklingen, wie der Ge-
wähi-smann des Markus, einer der Zwölfe, d. h. Petrus, von
diesem Momente erzählte. Er sagte : »auf unserm Wege näherten
wir uns Jerusalem«, da wussten die Zuhörer, dass er nur Jesus
und die eigenen Genossen, ihn selbst eingeschlossen, mit dem
»wir<; meinte. Er fulir fort: »Jesus selbst gieng uns voran«, da
konnten die Hörer unter dem »uns« mit Leichtigkeit an alle
die denken, die mit Jesu so wanderten wie der Erzähler, ebenso
bei dem »wir waren betroffen«. Wenn er dann aber hinzu-
fügte: »die uns aber folgten, fingen an sich zu fürchten«, so
mussten sie unter diesen folgenden andere denken als den Er-
zähler und seine Genossen. »Wurden diese ersten Personen in
die diitte umgesetzt, so ergab sich eine solche [unklare] Er-
zählungsmanier, wie sie uns jetzt unser 32. Vers bietet«. Markus
hat sich also von dem »Gang und Ton« der Erzählungen seines
Gewährsmannes nicht losmachen können.
Diese Erklärungsweise ist von Klostermann zu einer Art
Methode ausgebildet, sie leistet auch anderswo gute Dienste.
Vgl. z. B. -S. 32 und S. 198.
Das ist denn in der That eine Genauigkeit der Erinnerung
des EvangeHsten, die sich sehen lassen kann: nach Jahren
noch klingt ihm die Erzählung des Petrus mit jedem »wir« so
im Ohre, dass er bei der Wiedergabe über den Wortlaut stolpert !
Man möchte ihm ob seiner Ungeschicktheit fast zürnen, wenn er
nicht eine so rührende Abhängigkeit und Treue zeigte.
Ich würde diese apologetischen Velleitäten eines 1867 ge-
schriebenen und von seinem Autor vielleicht nicht mehr über-
all vertretenen Buches nicht erwähnen, wenn nicht Zahn^)
neuerdings die Einfälle Klostermanns mit allem Ernste teilweise
wieder aufgewärmt hätte.
1) Vgl. ausser Tischendorf VIII auch Volk mar S. 420.
2) Einleitung in das N. T. II S. 246 f.
278
VI.
Zu Mr. 1047.48.
(Vgl. S. 36,142.)
^^Und da er (der Blinde von Jericho) hörte, Jesus der
Nazarener sei es, begann er zu rufen : Sohn Davids Jesus,
erbarme dich meiner. ^®Und es bedrohten ihn Viele, er
möge schweigen ; er aber schrie um so mehr : Sohn Davids,
erbarme dich meiner.
Wie sollen wir in dieser Stelle das »Bedrohen« verstehen,
das von den »Vielen« ausgesagt wird? Ausgeschlossen ist m. E.,
dass es erfolgt, um den Titel Davidssohn als für Jesus unpassend
zu bezeichnen. Dann bleiben die beiden Möglichkeiten: der
Blinde soll entweder schweigen, weil das Messiasgeheimnis nicht
laut werden darf, oder weil er Jesus durch sein Bitten und
Schreien aufhält und belästigt.
Der erste Eindruck spricht gewiss dafür, dass hier eine
Parallele zu den Verboten Jesu A^orhegt. Auch der Ausdruck
STtLTifxav kehrt wieder. Und erinnert das 6 di noXki^t (.laXXov
lugatsi' nicht an die vom Aussätzigen und Taubstummen be-
richteten Züge (I45, 7.36)?
Wäre diese Exegese notwendig, so wäre die Stelle für
Markus schwer zu verstehen. Bei den rroA/lo/, von denen das
Bedrohen ausgeht, kann man doch nur an Leute aus dem mit-
ziehenden ox^og (V. 46) denken. Matthaeus nennt auch geradezu
o ox^og als Subjekt (203i; vgl. auch Luk. I839: 0/ TTQodyovTeg).
Bei Markus sind zwar vorher auch die Jünger mitgenannt.
Aber wären sie im Unterschiede von der Menge gemeint, so
würde Markus das andeuten. B. Weiss (bei Meyer) erläutert:
»Offenbar will man nicht vorzeitig das Geheimnis der Messianität
laut werden lassen, da man bereits beabsichtigt, beim Einzüge
ihn als den Davidssohn zum Könige auszurufen«. Diese Er-
gänzung ist nach imserer Auffassung des Markus nicht möglich.
Aber auch abgesehen davon ist sie nichts weniger als evident.
Es bliebe nur die Ansicht übiig, dass Markus hier die
Frage, von wem der Befehl zu schweigen ausgeht, nicht kümmert,
und dass ihm die Vielheit der Wissenden keine Schwierigkeit
bereitet. Dass der Befehl und damit die Vorstellung des Ge-
279
heimnisses überhaupt zum Ausdruck kommt, Avürde ihm genug
sein. Aber diese Annahme ist eben sehr schwer, da er sonst
beim oxlog eine Kenntnis der Würde Jesu am wenigsten voraus-
setzt. Wie er hier zu einer andern Vorstelhuig kommt, bUebe
ganz unerklärt. Auch wenn man annimmt, dass er den oy^Xog
als Anhang Jesu gedacht liabe, ist ein wirkliches Verständnis
nicht erreicht.
Aus diesen Gründen glaube ich doch, dass die Stelle mit
dem Messiasgeheimnis nichts zu thun hat. Die nächste Parallele
scheint vielmehr Mr. 10 13 zu sein. Da wehren die Jünger —
der Ausdruck ist ebenfalls stciti^ccv — denen, die die Kinder
zu Jesus bringen, offenbar in dem Gedanken, dass er nicht
belästigt werden darf. Verwandt klingt auch Mt. 1023. Das
kananäische AVeib soll nicht hinter Jesus und seinen Jüngern
her schreien. Dass der Blinde nach der Bedrohung nur »um
so mehr« Schreit, ist in Wahrheit doch auch etwas Anderes, als
dass Kranke die erfahrene Heilung wider Jesu Verbot aus-
breiten.
VII.
V 0 r g; ä n g e r
Es ist angezeigt, ein Wort darüber zu sagen, wie weit die
charakteristischen Aufstellungen der vorliegenden Schrift schon
früher in der Literatur Vertretung gefunden haben.
Diejenigen Schriften, die ich hier einzig als Vorgänger der
meinigen nennen kaim, sind mir sämtlich erst bekannt geworden,
als mir alle Hauptgedanken meiner Untersuchung sowie die
Grundlinien des Planes bereits feststanden. Im Einzelnen
habe ich dann manches aus ihnen dankbar gelernt, bin aber ebenso
oft von gemeinsamen Grundgedanken aus unabhängig mit ihnen
zusammengetroffen.
Es liegt mir etwas daran, dies hier ausdrücklich zu sagen.
Natürlich auch um meinetwillen, aber doch nicht blos deshalb.
Es ist auch für die Sache nicht ohne Wert, dass in gewissen
Gedanken, wie namentlich in der Beziehung des Messiasgeheim-
nisses auf die ganze Zeit vor der A\iferstehung, Mehrere ein-
ander begegnet sind.
280
D. Fr. Strauss kann ich unter den Vorgängern nicht
nennen i). In den einschlagenden Fragen unterscheidet sich
seine Untersuchungsweise nicht sehr erhebhch von der dui'ch-
schnitthch übhchen, höchstens durch grössere Skepsis. Seine
Kritik zeigt zwar auch hier ihre stets zu achtenden Eigenschaften,
den grossen Scharfsinn, die deutsche GründHchkeit und die un-
bedingte Aufrichtigkeit, aber auch ihre eigentümhchen Schwächen :
die atomistische Art der Betrachtung, das Überwiegen des
dogmatischen, wenn auch antidogmatischen Interesses (Wunder-
frage), die Beschränkung auf die Negation oder, was dasselbe
ist, den Mangel an Sinn für die Geschichte der Überlieferung.
Auch Brandts geistvolles und in vielem hochzuschätzen-
des Buch hat mir in den Hauptsachen nicht viel geboten. Die
Verbote Jesu würdigt er z. B. S. 475 auch nur als einen Be-
weis für seine Zurückhaltung im Äussern messianischer An-
sprüche.
Mit einem gewissen Rechte, wenn auch nur in sehr einge-
schränktem Sinne, ist dagegen Bruno Bauer zu nennen, in
erster Linie aber Volkmar und der Holländer Hoekstra.
Von dem Erstgenannten kommt für mich weniger seine
»Kritik der evangehschen Geschichte« (2. Aufl. 1846) als das
spätere Werk »Kritik der Evangelien und Geschichte ihres Ur-
sprungs« (4 Bde. 1850—1852) in Betracht.
Br. Bauer existiert für die heutige theologische Erforschung
des Urchristentums nicht mehr, oder höchstens als Popanz. Ich
erinnere mich nicht je etwas anderes als AVorte des Tadels und
der Geringschätzung über ihn gelesen zu haben. Das unab-
änderliche Epitheton seiner Kritik ist «bodenlos«. Es ist auch
nicht unbegründet. Bodenlos ist seine Kritik der paulinischen
Briefe, bodenlos seine Gesamtansicht von der Entstehung des
Christentums, ])odenlos mag man auch seine Evangelienkiitik
nennen, sofern er den Gedanken der Überlieferung ganz auf-
hebt und die Evangelien oder besser das Urevangelium nach
Form und Inhalt zur freien Schöpfung schriftstellerischer Kunst
macht ä).
1) Vgl. übrigens oben S. 14(5 f.
2) Krit. der Evang. IV S. 31.
281
Aber damit ist der ganze Manu nicht gewürdigt »). B. war
jedenfalls kein Dutzend gelehrter, sondern eine Individualität und
eine hochbegabte dazu, er war kein Handwerker, sondern ein
Künstler, wenn auch sui generis. Und wenn seine leidenschaft-
liche, wilde, zornig-aggressive Sprache für sanfte Seelen unge-
mütlich sein muss, so werden andere finden, dass hinter aller
ungestümen, turbulenten Art doch ein reiner Sinn liegt, und
dass er wesenthche Eigenschaften eines bedeutenden Stilisten
besitzt. Man lese das vierte Eändchen der Kritik der Evangelien :
»Die theologische Erklärung der Evangehen«. In der Polemik
gegen die theologische Exegese linden sich Seiten, deren sich
Lessing wohl nicht zu schämen hätte.
Von einem solchen Manne wird immer etwas zu lernen
sein, selbst wo er irrt. Und speziell in der Evangelienkritik, in
der er auf den Schultern von Weisse und besonders Wilke
steht, ist von ihm noch heute zu lernen, so vieles veraltet ist
und so vieles von vornherein verunglückt. Sein Urteil über
■Strauss' Leben Jesu ist ungerecht bis zur Masslosigkeit, aber
er hat auch einiges wirkHch Bedeutende über ihn gesagt, und
m. E. ist er ihm in gewissen Beziehungen überlegen (ebenso
wie auch F. Chr. Baur auf diesem Gebiete). Strauss hat nie
vom Dogma loskommen können, so viel er es negiert hat, Bauer
ist wirklich frei vom Dogma und deshalb manchen Erscheinungen
gegenüber viel unbefangener, er überragt ihn aber auch in
manchem durch die Grösse des Blickes und durch den Sinn für
das Ganze der evangehschen Geschichte. Seine Ausschälung
des »evangelischen Urberichts« ist gewiss verfehlt, obwohl sie
immer noch den Dienst thun kann, auf Anstösse in den evan-
gehschen Berichten aufmerksam zu machen. Sein positives Ver-
dienst finde ich vor allem darin, dass er über die innere
Folgerichtigkeit dieser Berichte, über das Verhältnis
des Einzelnen zum Ganzen der Erzählung, über die
innere Struktur des einzelnen Berichts und üb er die Um-
bildung des ältesten Berichts durch Matthaeus und
1) Die Charakteristik Baviers in der Eealencyklopädie für prot.
Theol. u K. von Wohl. Schmidt (2. Aufl. Bd. XVII, in der 3. Aufl.
ist der unerheblich veränderte Artikel von Haussleiter gezeichnet) geht
nicht über die dürftigste theologische Schablone hinaus.
282
Lukas eine ganze Anzahl treffender oder anregender Gedanken
geäussert hat.
Das Problem, dem meine Arbeit gilt, hat Bauer nicht er-
kannt, geschweige denn gelöst, ja er hat es von vornherein ver-
dorben, indem er Stellen we Mr. 652, Suff, (samt der zweiten
Speisung), 932 aus dem eigentlichen Markus ausstösst. Aber er
streift die von mir vorgetragenen Gedanken. Ich zeige das am
besten, wenn ich zwei besonders charakteristische Aussenmgen
hier hersetze.
Kritik der Evang. III S. 41f. heisst es: .Jesus muss diese
zahllosen, diese himmelschreienden Wunder verrichten, weil er
der evangelischen Anschauung als der Messias gilt — er
muss sie verrichten, um sich als Messias zu beweisen: und
Niemand erkennt in ihm den Messias? Jeder christliche
Leser, wenn er diese Wunder sieht, ist überzeugt, dass dieser
Mann der Messias sei — auch der stumpfeste Leser weiss, dass
diese Wunder den Zweck haben, diesen Mann als den Messias
zu erweisen — und Niemand — Niemand unter dem Volke —
auch die Jünger selbst sollen nicht zu dem Schluss haben ge-
langen können, dass der gewaltige Wunderthäter der Messias
sein müsse?«
Dazu IV S. 100 f.: »Indem er (Strauss) auf das
Gebot Jesu, seine Wunder nicht ruchl^ar zu machen, auf sein
Gebot an die J3ämonen, ihn nicht zu veiTaten, zu sprechen
kommt, bemerkt er es nicht, dass er es in diesen Pointen ein-
zelner evangelischer Abschnitte mit schriftstellerischen Wen-
dungen zu thun hat, dass die nächste Frage also auch nur die
sein kann, in welchem Zusammenhang sie mit der Komposition
des Ganzen, dem sie angehören, namentlich mit dem Plan des
Urevangeliums stehen, eilt er in seiner theologisch -materiellen
Neugierde „sogleich weiter", und wirft er seinen durchdringenden
Blick in die Tiefe von Jesu Seele, um deren Geheimnisse zu
entdecken.«
Der herrschenden kritischen Autfassung von heute steht
B. nahe, sofern er stark mit einem Plane des Urevangehsten
arbeitet und dem Petrusl)ekenntnis daljei die entscheidende
Stelle zuweist. Die Abweichung des Matthaeus von Markus in
der Frage der Messiaserkenntnis beurteilt er ebenso "srie Ritschl
und seine Nachfolger (S. oben S. 11).
283
Volkmars Buch i) war ebenfalls eine Überraschung für
mich. Mit der Etikette »Tübinger Schule« ist dieser Evangelien-
forscher nicht abgethan.
Die Summe des Falschen und Unmöglichen in seinem
Werke ist gross, und zwar im Grossen wie im Kleinen. V.
rechnet wenig mit der Tradition und in übertriebener Weise
mit der Schöpferkraft des »Lehrdichters« Markus ^), er wird den
beiden andern Synoptikern, wo sie von Markus unabhängig sind,
gar nicht gerecht, er nimmt es sehr leicht mit der Frage, wie
das, was in diesen Stoffen Umbildung des Markus sein soll, von
den Umbildnern hat zu Stande gebracht werden können, er ist
ferner als Exeget der Evangelien Allegorist und Symbolist,
überscharfsinnig im Aufspüren von Beziehungen, er künstelt
reichlich, indem er in der Darstellung des Markus überall Sym-
metrie und wohlberechneten Rythmus wahrnimmt. Es ist schade.
Denn dadurch hat er den Zugang zu dem reichen Gehalte seines
Werkes ungemein erschwert. Aber nur die »Prosaiker«, von
denen er so gern redet, müssen sich zu schwer über ihn ärgern^
um etwas von ihm zu haben. Wer ihm dagegen »seine Idiotis-
men lässt«, seine Schrullen und Einfälle zur Schale rechnet,,
der findet einen wirklich originellen, dabei ehrlichen und liebens-
würdigen Mann, mit dem geistig zu verkehren sich reichlich
lohnt. Unzweifelhaft ist Volkmars Buch das geistreichste und
scharfsinnigste und m. E. überhaupt das bedeutendste, das wir
über Markus besitzen. Er hat eine Fülle von feinsinnigen Beob-
achtungen über Markus selbst wie über das Verhältnis der
Parallelen 3) zu ihm gemacht. Und namenthch hat er gewusst,
1) Der vollständige Titel lautet: »Die Evangelien oder Marcus
und die Synopsis der kanonischen und ausserkanonischen Evangelien
nach dein ältesten Text mit historisch -exegetischem Coramentar«.
(Ausg. von 1870, die 2. Ausg. (1876) fügt einen Anhang hinzu.)
2) Z. B. soll Markus der Erfinder des Ausdrucks o vtdg tov dv-
x}^Q(6nov (nach Daniel) sein (S. 199).
3) Mustergültig ist Volkmars Anlage der Synopse, sofern er sich
nicht auf die Synoptiker beschränkt, sondern alles, was wir von Evan-
gelien aus ältester Zeit besitzen, Justins Angaben eingeschlossen, den
Umständen nach auch Perikopen aus der Apostelgeschichte, dorn Ke-
rygma Petri u. s. w. zusammenstellt und su den Blick auf grosse Ent-
wicklungsreihen lenkt.
284
nicht gelegentlich beachtet, sondern ^^^rklich gewusst, dass die
Evangelisten das Leben Jesu als Glieder der Gemeinde, in der
«ie standen, mit allen ihren Gedanken und Interessen geschrieben
haben. Dies gerade hätte ihn befähigt, uns den wahrhaft kon-
genialen Kommentar zu Markus zu schenken — den ^nr trotz
so verdienstvoller, gelehrter Werke wie der von B. Weiss und
Holtzmann bis heute nicht besitzen — , wenn eben nicht die
phantastischen und subjektiven Zuthaten sein Buch zu einem
guten Teile verdürben. Ich würde mich freuen, wenn ich ein
wenig dazu beitragen könnte, dass Volkmar der Ehrenplatz, der
ihm in der Geschichte der Evangelienfjrschung trotz allem ge-
bührt, bereitwiUiger zugestanden würde.
Volkmar hat über das » Messiasgeheimnis < keine zusammen-
hängenden Ausführungen gegeben und sich um die Herkunft
des Gedankens nicht bekümmert. Ich bezweifle sogar, ob jeder
durch blosse Lektüre seines Buches auf den Gedanken besonders
aufmerksam werden würde. iVber es muss als sein Verdienst
hier hervorgehoben werden, dass er — m. W. — der Erste ge-
wesen ist, der die Verbote Jesu mit dem Gedanken an die Auf-
erstehung interpretiert hat ')• Ebenso berühre ich mich mannig-
fach mit ihm in den Gedanken über die Blindheit der Jünger
und über die esoterische Lehre Jesu. Seine Auffassung vom
Plane des Markus teile ich nicht, sie ti'ägt teilweise sogar stark
dazu bei, die Vorstellungen, denen ich nachgegangen bin, un-
deutlich zu machen.
In einem ähiihchen Verhältnis wie zu Volkmar stehe ich
zu Hoekstra, auf dessen Abhandlung »De Christologie van
het canonieke Marcus-EvangeHe, vergeleken met die van de
beide andere synoptische Evangelien« in der Theologisch Tijd-
schrift V 1871 (S. 129—176, 313—333, 407-440) ich diu-ch
1) Vgl. z. B. S. 112 zu Mr. l44. Am frappierendsten — weil ich
darin s. z. s. die Entstehung meiner eigenen Auffassung beschrieben
fand — war für mich die Bemerkung zu Mr. 99f. (S. 457): »Mc. giebt
hier nahezu ausdrücklich den Schlüssel zum Verständnis dieses Lehr-
Bildes [der Verklärung] — wie seines ganzen Ev. : alle darin gezeigte
Herrlichkeit ist ein (ivaTTjoiov, das erst nach dem Kreuz verstanden
-und — gedacht ist«.
285
den S. 71 genannten Anfsatz von M. Schulze aufmerksam ge-
worden bin.
H. steht als Ausleger wie als Schriftsteller erheblich hinter
Volkmar zurück, aber er hat doch manche gute Bhcke in den
hierhergehörigen Fragen gethan. Das Richtige ist jedoch durch-
weg mit viel Schiefem verquickt und kommt dadurch zum Teil
um seine Wirkung. Unhaltbare Gesichtspunkte Baurscher
Herkunft und Volkmarsche Symbolistereien sind nicht ohne Ein-
fluss auf ihn gewesen. Und vieles wird dadurch verzerrt, dass
er Markus als den weit späteren Nachfolger des Matthaeus be-
trachtet, weil er einen mehr metaphysischen, geheimnisvollen
Christus habe. Einige konkrete Angaben mögen einen unge-
fähren Begriff davon geben, wie sich für mich Zustimmung und
Ablehnimg verteilen.
S. 153: Wie bei Johannes ist auch bei Markus Jesus als
Gottessohn vor seinem Tode unbekannt (vgl. S. 171). Ein-
zelne erkennen ihn nur als Davidssohn oder Christus, als Gottes-
sohn ausser Gott nur die übersinnlichen Dämonen. Den Zusatz,
beim Petrusbekenntnis des Matthaeus (16 ig) »der Sohn des
lebendigen Gottes<^ lässt Markus absichtlich weg aus Gnostizis-
mus(!). — S. 155: Jesus nimmt die Huldigung der Dämonen
an, Aveil sie ihm zukommt. Aber vor Menschen hält er sein
höheres AVesen verborgen. — S. 165: Waren die Jünger solche
Leute, wie Markus sie schildert, so verdienten sie in keinem
Stücke von Jesus anders oder besser behandelt zu werden, als
es geschieht. Halbe Idioten wie sie hätte Jesus nicht wählen
können. — S. 31 4 f. (324): Der Christus des Markus verkünde
wie bei den Gnostikern ('? vgl. S. 326) eine geheime und neue
Lehre. — H. 325: Markus sagt wohl, Jesus lehre Neues, ver-
birgt es aber sorgfältig (!). — S. 327: Die Gleichnisse sind die
exoterische Lehre. Aber Markus bringt gar nicht viel Gleich-
nisse. Alles Möghche, die Wunder vor allem sind eben bei
Markus als Gleichnisse gedacht. Wundersüchtig ist Markus
nicht, oder nur wie das vierte Evangelium. Apologetisch ver-
wertet er die Wunder nicht, das Wesentliche liegt in ihrer
symbolischen Deutung (!). — S. 331 f. : Vor unbefugte Ohren
gehört die geheime Lehre nicht: das ist die wesenthche Bedeu-
tung aller Stellen, in denen Jesus verbietet von seinen Wundem
286
zu sprechen (I). — Dies etwa wären die Gedanken, in denen
ich Hoekstra am nächsten komme. —
Bessere Literaturkenuer als ich werden wissen, ob noch
Andere verwandte Auffassungen ausgesprochen haben. In der
holländischen Literatm*, mit der ich nur ungenügend vertraut
bin, dürfte sich, etwa bei Schölten oder Meyboom, leicht mehr
dergleichen finden. Schwerhch ist mir jedoch eine Arbeit ent-
gangen, die die meinige überflüssig machen würde.
Stellenregister ^).
152
11. 152
31. 35. 156
156
152
152
249
219
162
222
39
236
222
222
150
39
11. 154
152
155
255
152
11. 152
89. 116. 183.
263 f.
160
56 f. 59. 62
157
157
158 f.
159
11. 116. 158
160
160. 162
159
160
11
279
1) Wichtigere Stellen sind auch dann in das Register eingefügt,
wenn sie im Texte ohne Zahlenangabe berücksichtigt werden. Die
Begrenzung der Zitate im Texte ist im Register bisweilen modifiziert,
um die Zahlen zu vereinfachen.
L
e V i t i e u s
9 27 ff.
16
216
27
30
1
Könige
31
32 ff.
17 8
27
33
10 12 f.
Jesaia
23
26 f.
6 9 f.
201
34
2416
242
11 2 ff.
42iff.
155. 255
2
61iff.
177
5
19
S
acharj a
25
27 ff.
9 9
44. 183
12 15 f.
16
18 ff.
M
atthaeus
19
22 ff.
4 10
100
23
17
20
40
5i
161
15
71
13 10
17
222
11
7 28
161
16 f.
29
78
34 f.
8i
155
51
4
11. 152
14 31
16 f.
152
33
26
159
15 12
27
158
15
29
152
16
9 13
107
17
15
116
21 f.
20
152
23
15 29 ff.
152
31
152
16 8 f.
159
13—20
116—119
16
285
17—19
161. 164
17
285
20
152. 156. 162
21
20. 116
23
100. 159
24
138. 161
27 f.
265
17 1
161
9
152. 157 f.
13
159
uff.
154
19
161
22 f.
153. 158
18 11
222
23
58
20 17
21. 158. 161
20—28
273
20
158
22
159
29 ff.
152
31
278
24 3
161
26 16
20
27 3 ff.
273
28 17
244
M
a r k u s
1 1
77. 260
9 — 11
71-73
10
72
12 f.
73
288
ll2
72
4 11 f.
20. 70
7 24
34. 36 f. 53.
14 f.
20
11
57. 61. 78.
126f. 140.146.
16—45
2r3i
111.120.238
153.173.179.
22
78. 124
12
64
254—256.
23 ff.
23. 53
13
10. 101. 104.
31 ff.
152
24 ff.
133. 155
113. 157
31
142
24
24. 27. 32.
21 f.
69 f. 113
32 ff.
49
77. 222
33 f.
54 f. 70
32
133
25
33. 255
35 — 6 6
261
33
33. 133. 139
27
24. 79
39
33
34
50. 147
28
15
40 f.
102
36 f.
15. 126 f.
29 ff.
52
40
262
255-258
32 — 45
137
41
10. 104. 108
36
15. 33. 37. 50.
34
23. 31-33.
5 iff.
27
133.141 155.
152.172.255.
6 f.
23 f.
173. 179. 278
25.S
7
27. 74. 128.
8-10
123
35—39
153. 173
152. 172
8 iff.
7
35
53
9 f.
25. 154
4
104
38
53. 222
10 ff.
25
8
282
39
138
19 f.
15. 140. 152
15 ff.
14
40 ff.
48-50
19
35. 37. 174
16 ff.
102. 104. 108.
43 — 45
33. 255 f.
31
162
167 f. 179
43
31. 15(5
35 ff.
16. 48 f.
17 ff.
64. 132
44
31. 140. 156.
35
31
17
98. 105. 108.
25(5 1 284
37
33
262
45
15. 53. 126.
40
33
22 ff.
49. 152
140.153 156.
41
147
23
34. 134
173. 261. 278
43
15. 33. 156.
26
15. 34. 37.
2 1 — 3 6
16. 123. 261
254-258
134. 141. 173.
iff.
1.5. 35. 137
6 7 ff.
9
179.256—258
10
16-19. 222
7
112
27-10
45 122
17
222
12 f.
112
27 ff.
9. 11 f. 14.
19 f.
19 f. 83. 120.
13
125. 238
21f.ll5-124.
124
14-8 20
122
237 - 239.
28
16—19. 222
14 f.
10. 31. 239
252 f.
3iff.
35
U
15. 132
27
19. 109. 258.
6
53. 120 f.
30 ff.
7
262
7
53
31 f.
53
28
31
8
142
43
105
29
67. 78. 253
11 f.
23. 31. 133.
45—8 26
168
30
10. 12. 34. 36.
172
49 — 52
102. 104. 262
38. 254-258
12
33. 136. 147.
52
10. 98. 108.
31 ff.
82. 267. 269 f.
152. 155. 255
132.167f.262.
272
13—6 u
261
282
31
10.20.8.5.91f.
13
53 136
53 ff.
15. 139
96. 111. 123.
14
14
7
120
268
21 f.
262
iff.
139
32 f.
96. 98-101.
27
19
3 f.
14. 44. 94
105
31—35
262
8
94
32
20 f. 93
31
262
uff.
52
33
100. 262
32
112
14
60. 139
34
66. 111. 122.
34
54
17 ff.
57. 59
138 ff. 161
4
123
17
65. 141. 162
38
66. 219
1—34
262
18
102 - 104.
9f.
123
10 — 13
54. 56. 70
108. 168. 179
2 f.
34, 136
10
57. 112
24 f.
141 f.
5 f.
102. 110
289
9 7
67
18
121
44
171. 271 f.
off.
269 f. 284
12 6 ff.
83. 124
45
95. 166
9
10.12.34-36.
10 f.
83
51
170
38. 40 ff. 51.
12
124
53
170
66 ff. 69. 72.!
13 ff.
45
56 t. r.
222
82. 158. 175.
13
121
10 21
150
254
35 ff-.
44
23 1'.
158. 167
10
93. 97. 100.
13 3 t.
52. 111
11 30
89
113.158.166.
14 3—8
273 f.
12 1
168
171. 267 f.
7 f.
83
49
222
12
83
11
20
13 22
170
uff.
122
18.21.24
83
17 11
170
18 ff.
125
27 f.
83. 106. 168
14
31. 174
19
102 f. 110. 112
29ft\
106
25
89
20
23 f.
30
83
30
215
28
52. 141
37—41
103
18 31
170
soff.
34. 80. 135.
41
83. 271
34
166
269
50
106. 167
39
278
30
35. 37. 111.
61 f.
10. 74 f. 77
19 10
222
134. 153. 254.
15 2.9
45
11
170. 178. 240
256. 258
10
14
28
170
31 f.
271 f.
12. 18
45
37
178
31
82. 88. 91.
26
10. 45
48
178
158. 271 f.
37— .Oll
75 f.
20 6
178
82 ff.
270
39
75
45
178
32
93 — 95. 97.
16 14
228. 244
21 38
178
104. 262. 268.
22 2. <;
178
282
I.
>i k a s
24
168
33
52. 134. 141.
28
169
174
4 16—30
177
31 f.
168
lOiff.
122
18 f.
222
45
167
1
276
33 ff.
172
66 ff.
214. 240
10
52. 136
40 ft".
172. 240
23 2. 5
178
13
106. 122. 279
42 ff".
173
27
178
24.26
103
5 14
31. 174
46 f.
76
29 f.
46
15 f.
173
48
178
32 ff.
82. S5. 88.
6 17—19
172
24
165. 233. 244
121. 269
76
31
6
89
32
21. 96 f. 111 f.
16
240
19
240
122. 158.
8 9
167
21
169. 230. 240
275—277
10
56. 62
25 f.
165
33 f.
85. 91. 96.
16
71
36 — 49
165
271 f.
25
168
44
165
35 ff.
46. 273 f.
28
172
47 ff.
166
38
83. 106. 159
39
173
39
93. 106
45
162
Jo
1 a n n e s
45-13
26 19
9 1
168
45
83. 222
17
168
2 19
197. 263 f.
46
14. 122. 276.
20 f.
98
21
89
278
21 f.
175-177
22
183. 195
47 f.
10. 34. 36
31
89. 274
34
199
142. 278 f.
32
167
2(!
144
111—16
8 261
36
175
4
2(X)
11 f.
120. 123
41
168
iff.
182
11 ift.
10. 14 f. 44
43 ff.
174. 176. 241
43 ff.
182
10
44
43
178
5 13
182
Wrede, Messiasgeheimiiis.
19
290
43
222
24
202
22 (9 i 73
6
2(Ä>
27
186. 189
26 73
14 f.
252
16 1
193
66 ff.
252 f.
2
189
E ö m e r
69
181.
194
i 4
195
7l.3f.6
182
5 f.
192
1 4 214
13
100
12
185. 193 f.
8 23. 2J 215
17
201
13
232
26
KX)
16 ff.
192
E p h e .s e r
27
211
r.
16—33
201
30
144
16
196
1 9 58
33 f.
11)7.
200. 202
17 ff.
196 f.
34
14.3
23 f.
191. 195
P b i li p p e r
36
197
25
100.181.188.
39
232
193. 195 f. 249
2 6 ff. 215. 223
44
144
27
194
8 20
144
28 f.
201
Kolosser
21
202
28
192.196.222
26
203
29 f.
KMJ. 191. 249
1 25 ff. 58
32 f.
198 f
. 203
30
193
2 2 f. 38
59
182
32
191—193
9 39
222
33
193
2. Thessalonicher
10 6
205
17 6
193
16
18S
7
171
2 8 f. 215
18
264
20 ff.
188
24
100
18 20
180
1. Timotheus
37 f.
190
33—37
45
39
182
36 f.
45. 253
1 15 108
11 4. uff.
201
37
222
23 ff.
27
201
181
20 9
22
183
232
2. Timotheus
53 f.
182
25
244
1 10 216
42
193
21 1. 14
228
52
1S8
12 16
183.
195. 206
Apostel
gesciiichte
2. Petri
28
181
1 16 67
32
197.
200
1 3
58.165f.246f.
18 136
36
182
6
166. 169 f.
37 ff.
201
230. 240
46
222
8
170
1. Johannes
13 7
184.
206
2iff.
231 f.
2 28 216
10
184
17 f.
231
19
190.
195
22
240
28 f.
184
29
100
33
197.
202
36
214. 240 '
Hebraeerevang. 162
14 5
190.
192
4 13.29. 31
100
Ebjonitenevang. 72. 222
7
193.
197
5 31
241
Agraphou (bei Clem.
8 ff.
193
32
189
AI. und Hom. Clem.)
8. 11
190
8 12
58
242
20
185.
193
9 (')
73
Barnabas
23f. 25f .
193.
195
10 38
240
59 107 f.
29
195
40 f.
227
12 10 f. 45
15 1—17
189
46
231 ;
17 2 63
11. 15
193
16 16ff.
.30
Ignatius ad Philad. 9
18 ff.
189
19 6
231
216
22
202
!
■8
58
Kerygma Petri 216. 245
291
Justin
100
77
Origenes, c. Geis.
Apol.
I, 44
216
106
244
I, 62 f. 107
50
243 f.
107
183
VI, 6 247
67
243, 245
110
212
Pistis Sophia (Varia)
Dial.
8
211
123
155
248 ff.
40
216
Clem.
AI., Hypotyp
3sen
Cyprian, ad Demetr.
49
212 f. 215
(bei
Euseb.
h. e. II 1)
15 25
52
63
246
53
243 f.
Druck der Univ.-Buclidruckerei von E. A. Huth in Göttiageu.
Verlag von Vandenboedi & Rupred^t in 6öttingen.
1900 ist erschienen:
Das ^ohAwncscvAwgciium.
Eine Untersuchung seiner Entstehung u. seines geschichtlichen Wertes.
Von D. H. H. Wendt
VI, 239 S. gr. 8. Preis 6 Mark.
Mit der Erkenntnis, dass das Johannesevangelium nicht von dem Apostel
Johannes verfasst sein kann, ist das Urteil über den geschichtlichen Wert dieses
Evangeliums keineswegs abgeschlossen. Der Verf. weist hier ausführlich und
mit neuen Gründen nach, dass im 4. Evangelium, namentlich in den Rede-
stücken, ältere schriftliche Aufzeichnungen verarbeitet sind, und hofft so eine
wirklich befriedigende Lösung des schwierigen und wichtigen johanneischen
Problems gegeben zu haben.
Kritisch- exegetischer
Kommentar über das Neue Testament,
begründet von H. A. W. Meyer.
Bei gleichzeitigem Bezüge aller 17 Bände:
Vorzugspreis 75 M. (statt M. 106), in soliden Halblederbdn. 97 V, IM. (statt M. 128,5o)
Die meisten Bnchhandinngen liefern zu diesem Preise auch gegen Teilzahlungen. — Besitzern
einzelner Bände wird die Ergänzung nach besonderer Übereinkunft ebenfalls zu einem ermässig^n Preis«
{^eliefsrt.
Die durchgeführte Umgestaltung des Werkes hat dem Verlangen nach
grösserer Übersichtlichiceit und Lesbarkeit des Textes und straffem einheitlichen
Gang der Erörterung Rechnung getragen. Die Beschatfüng des Gesamtwerl<8
znro Vorzugspreise ist daher jetzt ganz besonders zu empfehlen.
I. 1. Ev. Matthäi, v. Bornh. Weiss . . 98. 9. Aufl. 7 — gebunden 8 50
— 2. Ev.Marc.u.Lucao, v. B. n.J. Weiss 1901. 9. Aufl. 8— gebunden 9 50
II. Ev. Johannis, v. B. Weiss ... 93. 8. Aufl. 8 — gebunden 9 50
in. Apostelgeseh., v. H. H. Wendt
rV. Römerbrief, v. B. Weiss . .
V. 1. Korinth6rbri«f, v. G. Heinrici
VI. 2. Konntherbrief, desgl.
VII. fialaterbrief, v. F. SiefFert
99. 8. Aufl. 6 — gebunden 7 50
99. 9. Aufl. 8 — gebunden 9 50
%. 8. Aufl. 7 — gebunden 8 50
19C0. 8. Aufl. 6 20 gebunden 7 70
99. 9. Aufl. 5 — gebunden 6 50
Vni/IX. Gefangensohaftsbriefe V. E.Haupt 97. 6.u. 7. Aufl. 10 — gebunden 11 50
Daraus einzeln : Einleitung 1.80 ; Koloaser u. Philemon3. ; Epheser3.60.
X. Thessalonicherbr., V. W.Bomemann 94. 5. n. 6. Aufl. 9— gebunden 10 50
XI. Timotheus u. Titns, v. B. Weiss . 93. 6. Aufl. 5 80 gebunden 7 30
XII. Briefe Petri u. Jndae, v. E. Kühl 97. 6. Aufl. 6 — gebunden 7 50
Xm. Ilebräerbrief, v. B. Weiss ... 97. 6. Aufl. 5 40 gebunden 6 90
XIV. Johannesbriefe, v. B. Weiss . . 1900. 6. Aufl. 3 20 zusammen \q .(.
XV. Jacobusbrief, v. W. Beyschlag . . 08. l!. Aufl. 3 40 gebunden / " ^"
XVI. Offenbar. Jobann., V. W.Bousset . %. 5. Aufl. 8— gebunden 9 50
Für die ganze Laufbahn des Theologen wertvollstes Werk
'bei einem im Verhältnis zum Umfange ganz ungewöhnlich niedrigen Preise.
,,Dies Kommentarwerk bleibt immer noch das rechte Schulwerk . . . und
die rechte Fundgrube . . . Kommt dazu, um nur einen herauszugreifen,
auf der alten Grundlage weiterbauend, das . . . historische Wissen und Ver-
ständnis eines Heinrici, so hat man ein Meisterwerk, dem zu folgen oder mit dem
sich innerlich auseinanderzusetzen eine Lust ist" (Ev. Kirchenbl. f. Württ. 1897, 12.)
Terlag von Tandenbocdt & Ruprecht in Göttingen.
Die predigt ^csu vom Rei*e 6otte5*
Von
B. Johannes Weiss.
S., völlig' neu. bearbeitete Auflag-e.
1900. — Preis 5 Mark.
,,.... Die Ausfühi'ungen von Job. Weiss haben in vielen Punkten un-
zweifelbaft Anspruch auf daaernde Geltang. Mit Recht hat er den Gedanken
in den Vordergrund gedrängt, dass die ganze Auffassung Jesu von der ßaaiktCa
■toxj S^sov und von seinem Messiasberuf lediglich in Verbindung mit seinen
eschatologischen Gedanken begriffen werden könne und dass es falsch sei, beide
ohne diesen verstehen zu wollen " (Aus einer eingehenden Kritik von
Bahnsen, Prot Monatshefte 1901, 1. Heft.)
,,.... Es ist vielleicht noch zu früh, ein endgiltiges Urtheil über die
Hauptthese des wahrhaft tüchtigen und feinsinnigen Weiss 'sehen Buches abzu-
geben, aber soviel kann man getrost sagen: jeder, dem daran gelegen ist, an
das Herz des gegenwärtig brennendsten Problems der Evangelienkritik zu ge-
langen, sollte es sorgfältig lesen. Vielleicht mag schliesslich mehr für die Be-
ziehungen der Lehre Jesu zur Ethik des täglichen Lebens herauskommen, als
Weiss ungeachtet seiner Vorrede zugeben will, aber von Herzen ist zuzugeben,
dass sein Buch — besonders in der neuen Auflage — diejenigen, welche eine
,, rigorose" Behandlung der evangelischen Berichte anstreben, auf einen Weg
der Forschung lockt, der bessere Ergebnisse verspricht, als rein oder haupt-
sächlich negative." (The critical Review of Theol. and Philosophy 1901, May.)
Das ehristliehe Gottvertrauen
und der
Glaube an Christus
Von
Prof. Dr. E. A. Mayer in Strassburg.
— 1899. — Preis 3 Mk. 60 Pfg. —
Die ungeheuer grosse Bedeutung, die ein kühnes und verwegnes Gott-
vertrauen für das Glücksgefühl und die sittliche Leistungsfähigkeit des Menschen
hat, wird gelegentlich auch von solchen, die dem Christentum ferner stehen,
bereitwillig anerkannt. Dagegen herrscht nicht bloss bei Uneingeweihten viel-
fach Unklarheil darüber, ob und inwiefern die freudige Zuversicht auf Gottes
gnädigen Schutz einen bestimmten Glauben an Christus zur unentbehrlichen
Voraussetzung habe.
Der Verf. will durch eine Untersuchung der wichtigsten reformatorischen
und sämtlicher neutestamentlichen Schriften in möglichst objektiver Analyse
sich und Andern darüber Klarheit verschaffen, wie in grossen, mustergiltigen
Zeiten christlichen Lebens der Glaube an Jesus beschaffen war, und welcher
Zusammenhang zwischen ihm und dem Vertrauen auf Gott bestand. Aus den
gewonnenen Resultaten werden dann Konsequenzen für die Praxis abgeleitet
und festgestellt, auf welches Verhältnis des Einzelnen zu Christus der Seel-
sorger u. s. w. hinzuwirken habe, damit die kostbare Frucht des unbedingten
Gottvertrauens aus ergiebigem Boden erwachsen könne "
Prof. Lobsteiii schreibt in den »Annales de Bibliogr. theol.« am Schluss
einer eingehenden Besprechung: „Trotz dieser Vorbehalte danken wir dem Verf.
aufrichtig für seine inhaltreiche und tüchtige Schrift. Wir empfehlen sie be-
sonders den jungen Theologen. Sie bietet ihnen ein Muster solider, zuver-
lässiger Methode und wird ihnen sehr wertvolle Dienste leisten: nicht nur durch
die Lösungen, die sie ihnen bringt, sondern auch dadurch, dass sie ungemein
zum Nachdenken anregen wird."
L'nlT.-Buekdruckerel tob E. A. Hnth, G«n<ng«i.
CO
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